Vidocq schreibt seine Memoires

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Titel: Vidocq schreibt seine Memoires
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aus: Das Ausland, Nr.  178 S.  711-712
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[711]

Vidocq schreibt seine Memoires.

Das Memoirenschreiben ist ein hervorstehender Zug in dem Nationalcharakter der Franzosen; was sie Großes gethan, oder auch, was nicht selten der Fall seyn mag, nicht gethan haben, was ihnen Andere erzählten und was sie selbst erfuhren, – Alles dieß möchten gerne Alle der Welt mittheilen, damit sie über das außerordentliche Menschenkind in Erstaunen gerathe. Bald mit diesen, bald mit jenen Worten erklären sich beinahe alle Memoirenschreiber, wie Rousseau, dahin, daß sie doch ganz anderer Art wären, als die gewöhnlichen Menschenkinder. Sagt doch im Grund genommen der Spitzbube Vidocq nicht mehr und nicht weniger in den folgenden Worten:

„Man wird vielleicht eine Apologie meines Lebens, eine Beichte und wie dergleichen Zeug mehr heißen mag, hier suchen, [712] aber ich glaube, daß ich weniger einer solchen bedarf, als Viele, die meinen Namen mit Abscheu nennen. Hier sind Thatsachen, genaue Thatsachen, wie noch viele Lebenden sie bezeugen werden, Arrest, Pranger, Ketten, Bande und Hinrichtungen können überdies als Beweismittel, als Piéces justificatives, angeführt werden. Man möge urtheilen .... Alles was ich sagen kann, ich habe die Zeitgenossen gesehen, wenn nicht von sehr hohem, doch von sehr nahem Standpunkt; viele gewissenhafte Leute habe ich mit dem Talisman des Eigennutzes versucht; viele Zweifel habe ich gelöst und viele Rücksichten habe ich gehoben, mit Einem Worte, ich habe in Schändlichkeiten aller Art hineingeblickt. Bei diesen verächtlichen und niederträchtigen Buben, unter denen ich mich tagtäglich herumgetrieben habe, war die sittliche Verdorbenheit keineswegs mit schönen Worten und feinen Manieren verschleiert, und wenn, von seiner hohen Sphäre, umgeben von den Ausgezeichnetsten der Nation, der mächtigste Herrscher der neusten Zeiten die tiefste Verachtung hegte gegen die Menschen, so möge man auf die Achtung schließen, die Vidocq für sich hat.

„Was wird man von dem Effekt des Stils sagen .... Ha! Ha! gesucht, prätensiös ..... Laßt mich mit Ruh! Der Ex-Chef der Sicherheits-Brigade soll seine prosaischen Berichte des Druckes unwerth halten und sie von irgend Einem so auf gut Glück hin zustutzen. .... Meine Herren, bedenkt, daß ich keine Rolle scheute .... Soll ich Euch in’s Gedächtniß zurückrufen, daß ich abwechselnd mit gleichem Glücke das Gewehr eines Gendarmen und das Zeichen eines Kohlenbrenners getragen habe, den Kasten eines herumreisenden Kaufmanns und die Hahnenfeder eines Jägers, die Taubenfeder eines Bewohners der kleinen Provence, den Schnurrbart eines Spielers, die Mistgabel eines Bauers und die Plumphosen eines Studenten? Wer von Euch hätte mich wohl hinter dem Fashionable gesucht, der als Mikrokosmus in seinem Tilburg sitzt und nach Lust die Steuerpflichtigen niederfährt? Wer hätte den groben Fuhrmann erkannt, der gestern noch hinter seinem blinden Esel und schäbigen Pferde einhertrollte? Ihr würdet Euch, wie alle Welt, betrogen haben, wie ich mich wohl auch selbst betrogen habe; denn der Trug war nicht allein in der Maske, sondern in der Sprache, in der Haltung und in dem Gang – kurz und gut in Allem. Alle Gewohnheiten, selbst die verschiedenen Flexionen der Stimme wußte ich nachzuahmen, – ich ging mehr als tausendmal von der gemeinen Weise eines Besoffenen zu dem feinsten Betragen eines Gentleman über: Einer, der sich auf diese Sachen verstanden hat, Einer den man gar nicht für meinen guten Freund halten wird, Herr Delavau, hat mich der nicht zweimal für einen Menschen von guter Gesellschaft gehalten? ... Wundert Euch nicht zu sehr über meine Leichtigkeit in der Metamorphose, denn das Geschäft brachte es mit sich. Man stoße sich nicht an einigen freien Ausdrücken, die man im Laufe dieser Memoiren finden wird, man bürde sie nicht dem Verfasser, sondern dem Gegenstand auf. Um diejenige Klasse der Gesellschaft, die Etwas hat, gegen diejenige die Nichts hatund Etwas zu haben strebt, sicher zustellen, mußte ich Gemeinheiten eingehen, manche Cloake und unterirdische Gänge beleuchten, – ich setzte den Leuchtthurm neben den Sumpf. Ich bin geboren zu Arras; meine beständigen Verkleidungen, die Beweglichkeit meiner Züge, und die außerordentliche Gewandtheit, mich umzugestalten, haben über mein Alter gar Viele betrogen, – deshalb mag es gut seyn zu bemerken, daß ich den 13 Juli 1775 geboren wurde in einem Hause, wo nahe daran sechszehn Jahre vorher Robespierre das Licht der Welt erblickte. Meine Geburtsnacht war eine Nacht des Schreckens; der Donner krachte und der Regen stürzte aus den geöffneten Schleußen des Himmels, – die Hebamme prophezeite, daß mir eine gar stürmische Laufbahn zu Theil werden würde. Diese Hebamme war meine Tante und spielte zugleich die Prophetin des Ortes, – sie hätte wohl ganz einfach bemerken können, daß die Crisen in der Atmosphäre auf den menschlichen Körper Einfluß haben, und daß deshalb viele Geburten und Todesfälle während solcher Crisen stattfinden .... man will aber das Wundervolle nicht missen – es bringt Etwas ein.“

Diese Stellen sind uns von dem Buchhändler, bei dem nächstens die Memoiren Vidocq’s erscheinen werden, mitgetheilt worden. Wir halten sie für hinreichend, um die Art und Weise dieser neuen Gattung zu bezeichnen. Wir haben die Ehre, weder die Freunde noch die Vertrauten Vidocq’s zu kennen, – wir haben nur mit dem Buche einigen Umgang gehabt, – ihn selbst wollen wir nie kennen lernen. Diese Memoiren, dieß können wir im Voraus mit Bestimmtheit behaupten, werden zu den seltsamsten Erscheinungen der französischen Literatur gerechnet werden. Vidocq ist ein Glied Derjenigen, die Savary (Herzog von Rovigo) nach Belieben zu leiten wußte; beide, der Herr und der Diener, haben nun ihre Thaten der Nachwelt überliefert; sieht man auf Wahrhaftigkeit und Offenheit, wird man sicherlich Vidocq den Vorzug geben. Während des ganzen Laufes seiner Bekenntnisse scheint Vidocq von keinem andern Gedanken geleitet zu seyn, als der Gesellschaft, die er beobachtete (observait, dieß ist der Ausdruck, womit er sein Treiben bezeichnet) nützlich zu werden. Er bestrebt sich auf jeder Seite, die ehrlichen Leute über die Streiche und Betriegereien der Spitzbuben zu belehren und zu warnen, er zeigt den Beamten, wie sie Ordnung und Reinlichkeit, selbst einigermaßen ein sittliches Betragen, in den Gefängnissen aufrecht erhalten können. Man wird erstaunen über die Wilden, die noch heutigen Tages in Paris zu finden sind. Die Faubourg Saint-Jaques zum Beispiel enthält viel merkwürdigere Osagen, als diejenigen, die vor einiger Zeit so großes Aufsehen erregt haben.
 Paris, den 18 Juni 1828.