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Vom Bier in Bayern und vom Hofbräuhaus in München

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Textdaten
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Autor: Albert Henrich
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Titel: Vom Bier in Bayern und vom Hofbräuhaus in München
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 574–578
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[574]
Vom Bier in Bayern und vom Hofbräuhaus in München.
Von Albert Henrich.
(Mit Abbildung.)

Uns Bayern hat unsere Bierglückseligkeit viel argen Verdruß schon eingetragen: wir sind als ein schwerfälliges, geistigem Leben abholdes, an der Materie und am Aberglauben haftendes Geschlecht verschrieen, und unser Getränk soll es sein, das unser Blut verdickt, unsern Sinn vernebelt, das zwar den Körper stärkt, aber den Geist schwächt. Der mächtige Aufschwung, den in den letzten Jahrzehenden namentlich München unter der Aegide zweier großer Könige in Kunst und Wissenschaft gewonnen, soll nicht ein gesundes, [575] nicht ein aus dem Bewußtsein und Bedürfen des Volks entsprungenes Leben, sondern eine künstlich gepfropfte und gepflegte Treibhauspflanze sein, die auf diesem Boden und in dieser Luft nimmer mehr allgemeine Verbreitung finden und erfreuliche Ernten bringen werde.

Trotz dieser und anderer Vorwürfe trinken wir unser liebes Bier herzhaft nach wie vor; die Consumtion hat nicht ab-, sondern zugenommen, wenn auch nicht in demselben Maßstabe, wie die Production, da wir zu der fast unglaublichen Vermehrung der letzteren mit Genugthuung eben diejenigen fleißigen Anlaß geben sehen, welche uns um unsers phlegmatischen Trinkstoffs willen verspotten: der Export desselben mehrt sich von Jahr zu Jahr, und gar die Fremden, so bei uns zukehren, pflegen fast mit noch viel geringerer Mäßigkeit sich’s schmecken zu lassen, als wir selbst. Das Bier ist es nicht, was schwer und schlaff und träge macht, das weiß Jeder, der es kennen gelernt, und bekennt es Niemand inniger und lauter, als der Arbeiter, der aus wein- und branntweintrinkenden Landen hierher kommt; sein Genuß gibt Nahrung und Kraft, wie kein anderes Getränk, und selbst das Uebermaß davon ist weniger schädlich, als jedes andere.

Der Mittel- und Schwerpunkt alles und jedes Genusses – das soll nicht geleugnet werden – ist uns allerdings das Bier. „Kein Geld, kein Schweizer,“ ist ein viel verbreitetes, vielfach bekämpftes Sprüchwort; „kein Bier, kein Bayer“ wird dagegen von diesem selbst, wenn auch mit Achselzucken, zugestanden werden. Keine Freude, kein Genügen, wo das Bier fehlte, wo es nicht gut wäre. Es ist das Bindemittel, das überhaupt die Gesellschaft bedingt, und die elendeste Spelunke, wenn sie gutes Bier schenkt, wird von dem Münchener dem elegantesten Locale, der feinsten Küche, der kurzweiligsten Unterhaltung vorgezogen.

So ist das Bier in Bayern, am meisten jedoch in München, ein Lebenselement des Volks, ein charakterisirendes Merkmal von Land und Stadt und Leuten geworden. Die Bierfabrikation hat sich bei uns so ausgebreitet und vermehrt, daß Bayern seine gesammte Staatsschuld (natürlich mit Ausnahme der Eisenbahnschuld, für welche die Betriebsrente ausreichen sollte) fast ausschließlich von dem Aufschlag, den es auf die zum Brauen verwendete Gerste gelegt, nicht nur verzinst, sondern auch tilgt. Es kann und darf in Bayern nämlich nicht ein einziger Scheffel Gerste „versotten“ werden, von welchem der Brauer nicht vorher dem Staate 5 fl. Aufschlag bezahlt hat, eine Steuer, die im letzten Jahre 6,413,000 fl. einbrachte. Außer diesem Staatsaufschlage lastet auf der Brauerei aber noch verschiedener Localaufschlag, welcher in derselben Weise und zugleich mit jenem für gewisse Gemeindezwecke erhoben wird; in München beträgt diese letztere Steuer weitere 2 fl. 30 kr. von jedem Scheffel Gerste, und mehrere der großen Bauten, die hier der Fremde bewundert, sind auf Kosten des „Bierpfennigs“ errichtet, um welchen wir jede Maß unseres Getränkes theurer bezahlen. Denn diesen Aufschlag entrichtet nicht eigentlich der Brauer: da der Preis des Bieres nach gesetzlich festgestellten Normen auf Grund der Marktpreise des Materials, auf Grund der weiteren Betriebskosten und mit Vergünstigung eines angemessenen Gewinnes von der Obrigkeit von Termin zu Termin vorgeschrieben wird, so wird bei Berechnung dieser Biertaxe der Kostenpreis der Gerste um so viel höher angesetzt, als der Aufschlag erfordert, und die Steuer trifft nicht im Mindesten den Producenten, der sie nur auslegt und der, wie jeder Gewerbtreibende, gesonderte Abgaben entrichtet, sondern den Consumenten, der sie pfennigweise bezahlt.

Obschon es nach dieser Darstellung nun auch scheinen möchte, als sei die Brauerei in Bayern in erdrückende Fesseln gelegt, da dem Fabrikanten die Quantität seiner Erzeugnisse von Amts wegen genau controlirt, die Qualität derselben beaufsichtigt und mit Confiscation und sehr empfindlichen Strafen deren Unpreiswürdigkeit geahndet wird, da selbst der Verkauf des Fabrikats an vorgeschriebene, unüberschreitbare Taxen sich bindet, so ist sie doch eines der angesehensten und einträglichsten Gewerbe. Kein größeres Rittergut, kein Herrschaftssitz im Lande, wo nicht die Brauerei auch vom höchsten Adel unmittelbar selbst betrieben würde, keine Stadt und kein Flecken, wo nicht die Brauherren zu den ersten und wohlhabendsten Bürgern zählen. Namentlich in München, dessen Biere von je eines vorzüglichen Rufes genossen, dessen Einwohnerzahl den meisten Bedarf bedingt, und wo der Export ein auffallend bedeutender ist, haben die Brauereien und ihre Besitzer in hohem Maße sich emporgebracht; ihre Anzahl ist hier freilich verhältnismäßig nur eine geringe: während in dem benachbarten Augsburg ihrer gegen neunzig bestehen, gibt es in der Hauptstadt bei mehr als dreimal größerer Bevölkerung nicht einmal dreißig; aber diese betreiben ihre Geschäfte so großartig, daß eine einzige von ihnen, „zum Löwen“ genannt, im vorigen Jahre die Summe von 170,000 fl, als den oben beschriebenen Malzaufschlag zu bezahlen hatte, also nahe an 23,000 Scheffel Malz versotten hat.

Nun verzapfen zwar alle Brauereien auch im Detail, allein was wären ihre dreißig Zechstuben für die Menge durstiger Kehlen? Es gibt in München über 300 Bierschenken, ungerechnet die Gast- und Kaffeehäuser, in denen aber ebenfalls Bier getrunken wird. Aus den Brauereien wird täglich, von schweren feurigen Hengsten gebogen, auf lange Wagen hoch aufgeschichtet, die benöthigte Anzahl von Fässern vor jedes der einzelnen Wirthslocale gefahren, und so die Gelegenheit zum Trinken nicht nur vervielfältigt, sondern nach der äußern Erscheinung und Bequemlichkeit auch abgestuft. Denn während die feinfühlendere und prüdere Welt in den glänzenden Sälen und an den gedeckten Tischen der Café’s sich niederläßt, zieht sich der breitere Strom in die ordinären Kneipen, und für die Brauhäuser selbst bleibt das eigentliche Kennerpublicum, das auch den weiteren Weg, vielleicht an den Thüren mehrerer Wirthschaften vorüber, nicht scheut, um dort an der Originalquelle zu schwelgen. Es wäre schwer, einen Begriff davon zu geben, mit welcher Subtilität, mit welcher Sachkenntniß und Gründlichkeit ein solcher Bierkieser sein Thema behandelt, welchen Sprachschatz von Ausdrücken er zur Bezeichnung jedes einzelnen Vorzugs, jedes einzelnen Mangels desselben besitzt, und wie er jedes kleinen und großen Vortheils und Kunstgriffs sich bedient, seinen himmlischen Nektar in möglichster Frische und Würze, in höchster Vollkommenheit sich zu verschaffen.

In die Schenklocale der Brauereien selber also muß man gehen, wenn man der echten Bierkenner ansichtig und wenn man ihrer stillen Freuden Zeuge sein will. Sie sind ein gar niedlich und wirklich interessantes Völklein, diese hartgesottenen, ausgepichten Helden vom Gerstensaft, und es verlohnt sich schon, ihre Bekanntschaft zu machen. Jedes Brauhaus hat deren einige als treue Anhänger und tägliche, oft durch Jahrzehende erprobte Stammgäste; sie bilden, je nach dem Hause, dem sie anhängen, Parteien, wohl die konsequentesten, die schärfst ausgeprägten, die es gibt, denn jede schwärmt und schwört für die Fahne, die sie einmal erkoren; doch gibt es auch nicht wohl tolerantere: das „Hie Welf, hie Waiblingen!“ wird ihnen nie zu einem „Hie Schlaibinger, hie Augustinerbräu!“ jeder achtet des Anderen Glauben und Ueberzeugung, läßt ihn ungestört seines Weges ziehen – hinwärts! auf dem späten Heimwege sind sie sämmtlich ohnedies nur mit sich selbst beschäftigt.

Die meisten Anhänger und die in unverbrüchlicher Treue ergebensten zählt das königliche Hofbräuhaus, das zu so großem Rufe gekommen, seitdem München vermöge gerade diametral entgegengesetzter Besitzthümer jährlich von Tausenden von Fremden besucht wird. Diese haben in dem bescheidenen, anspruchslosen Tempel des Gambrinus ein Originalstück unseres Volkslebens entdeckt, haben ihn aus seiner verborgenen, bislang nur Einheimischen und Eingeweihten gewidmeten Thätigkeit an’s helle Licht gezogen, und ihn ebenfalls zu einer Merkwürdigkeit unserer Stadt gestempelt, die Niemand darf ungesehen lassen, weil hier allein und ausschließlich die Bierlust des bayrischen Volks, diese blos im und durch das Trinken genossene Seligkeit, noch unzweideutig zu Tage tritt. Alle andern Brauereien haben in ihren Localen, was deren Aussehen, Einrichtung und Bedienung anlangt, seit lange den Forderungen der Zeit nachgegeben, und haben sie reinlicher, eleganter, bequemer geschaffen; das Hofbräuhaus hat den ursprünglichen Typus bewahrt, nur wenige Concessionen, diese nur mit Widerstreben und sogar zur theilweisen Unzufriedenheit seiner Gäste gemacht. Es hat die Talglichter entfernt, und die Gasbeleuchtung, wenn auch spärlich genug, eingeführt; es hat in seinem Hofraum die bekannten „Arkaden“, finstere Winkel unter der Kühlrinne des Sudkessels, durch einen hellen, freundlichen Säulengang ersetzt; aber die Hausfreunde schmollen über jede solche Aenderung, sie wollen die gute alte Zeit erhalten wissen, die Zeit, wo nicht für Flinker- und Flunkerwerk Ausgaben gemacht, sondern alle Aufmerksamkeit lediglich auf Herstellung eines vollkommenen Fabrikats gerichtet war, sie wollen allen Verbesserungen und Verschönerungen ihr Heiligthum verschließen, weil die Hauptsache, ihr Bier, nicht verbessert werden könne, der Geist der Neuerung aber grundsätzlich ausgeschlossen bleiben müsse, da er nur allzuleicht auch bis in die Manipulation des Brauwesens vordringen könnte.

[576] So steht das Hofbräuhaus, ein fast unberührter Zeuge herkömmlicher Sitte und Volkseigenthümlichkeit, ein Wahrzeichen, wie andere Städte deren von Stein oder Erz an altem Gemäuer aufbewahren, so dieses hier ein in seinem Treiben lebendiges, sich stets erneuerndes. Den Namen des „Hofes“ führt es nun freilich sehr uneigentlich, und dies nicht nur deshalb, weil Alles, was darin um- und vorgeht, das gerade Widerspiel von Etikette und Erlesenheit ist, sondern schon darum, weil die Brauerei mit dem Hofe, mit der Civilliste in gar keinem Zusammenhange steht, sondern Staatsanstalt ist und auf Rechnung des Budgets durch ein eigenes, hierfür aufgestelltes Brauamt verwaltet wird. Die Brauerei ist bei Weitem nicht eine der größten Münchens, weder in Bezug auf ihre Räumlichkeiten, noch auf ihren Betrieb; allein da sie das Eigenthümliche hat, daß sie ihr Fabrikat, welches im Rufe des Vorzüglichsten zu erhalten ihr als Ehrensache gilt, nicht versendet, ja sogar (Detailverkauf an Privatpersonen ausgenommen) nicht außer dem Hause verzapft, so ist ihre Schenke die frequenteste, an der vom frühen Morgen bis zur Mitternacht das inbrünstigste Werben um den delicaten Stoff und das heilloseste Gedränge nicht aufhören.

Es ist ein unscheinbar, niedrig, alterthümlich Haus, dieses Hofbräuhaus, in einem abgelegenen Stadtviertel, in dessen Thorweg wir eintreten und in einen Hof gelangen, der schon – auch bei kühler und unfreundlicher Witterung – von mannichfachen Gruppen erfüllt ist. In den „Arkaden“, die auf der einen Seite sich hinziehen, auf den Bänken, welche die andere Seite einnehmen, auf den umgestürzten leeren Fässern, die in der Mitte als Stuhl und Tisch dienen müssen, haben die buntesten Haufen sich breit gemacht. Der Anblick fesselt Dich, Lieber, der Du vielleicht gar ein Norddeutscher bist. Obwohl die Gesellschaft Dir gemischt erscheinen mag, obwohl das stets feuchte Pflaster Dich nicht angenehm anmuthet, obschon die Atmosphäre, besonders gegen den eben durchschrittenen Thorweg zu, nichts weniger als angenehm ist, so deucht Dir doch der Aufenthalt nicht gar so abstoßend. Aber Du hast mehr noch zu sehen, und trinken willst Du ja doch auch – so mußt Du schon mit in das Innere kommen, denn zugetragen, servirt wird Dir hier nicht, also: Du mußt Dich, wenn auch dann und wann eine Kellnerin mit Seideln in der Hand erscheint, selbst bedienen, bis zum Fasse vordringen, und die Unbequemlichkeit wird Dir erst noch recht unbequem gemacht. Eine schmale, enge Thüre führt uns in’s Haus; wir stehen in einem Vorplatze, einer mit Glasfenstern versehenen Wand gegenüber. Innerhalb derselben befindet sich die Küche – eigentlich nur ein großer Heerd voll brodelnder Kessel, aus denen die Köchin und deren Gehülfin den eintretenden Gästen ununterbrochen Suppe, Rindfleisch oder Kalbsbraten reicht, wozu diese dann aus einem neben der Thüre befindlichen Korbe sich Messer und Gabel mitnehmen mögen. Du hast Dir um neun Kreuzer ein tüchtig Stück Braten erworben, das Bestecke nicht vergessen, und magst nun sehen, wo Du zur Mahlzeit schreiten kannst. Nirgends Platz! – so folge denn meinem Rathe und setze Dich auf die Stufen der Treppe, die neben der Küchenthüre in’s obere Stockwerk führt, verzehre, den Teller auf den Knieen haltend, Dein Mahl; doch spute Dich dabei, denn ein essender Gast hat im Hofbräuhause kein Anrecht zu längerem Aufenthalt, und Andere kommen und verlangen, ebenfalls auf kurze Frist, nach Deinem Sitze. „Aber beim Trinken darf man verweilen?“ – Ja freilich! wohlan! treten wir ein!

Wenn Du glaubtest, in gewöhnliche, wohlanständige Wirthszimmer zu kommen, so bist Du freilich in großem Irrthum gewesen, in einem Irrthum, über den ich schon manchen Fremden an der Schwelle, vor der wir stehen, habe verdutzt innehalten oder straucheln sehen. Vor Dir öffnen sich vier weite Kellergewölbe, feucht, düster, rauchig; die Wände tünchte nur der Qualm, den Estrich fegen nur die Füße der darauf Gehenden; alles Geräthe, Tische, Bänke von einer Ursprünglichkeit, wie man sie kaum in den Räumen unter der Erde gelten läßt, und doch sind wir oben, durch die rußigen Fensterscheiben bricht mühsam der Sonnenstrahl. Aber wenn Dein Auge sich gewöhnt hat, entdeckst Du hin und wieder an der Wand kühn entworfene Kohlen- und Kreidezeichnungen, unregelmäßig die eine auf die andere geschoben; Du erkennst in der einen das Portrait eines neben Dir stehenden Mannes, eines alten Stammgastes, dem eine Fratze die Nase aufstülpt; in der andern einen geistreich erfaßten, in meisterhaften Conturen hingeworfenen mythologischen Gedanken; aus einer jeden, daß in diesen wüsten Räumen auch die genialsten der Münchener Künstler in froher Laune oder bei Erläuterung gelegentlicher Gespräche Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen haben. Auch ein paar politische Reminiscenzen aus dem Jahre 1848 finden sich hoch oben an der Wand – doch vorüber an ihnen – zum Trinken!

Dazu gehört vor Allem ein Gefäß. Woher das nehmen? Zerbrechliche Gefäße kann es im Hofbräuhause aus Zweckmäßigkeitsgründen gar nicht geben, man kennt da nur steinerne Krüge, und damit ist schon ausgeschlossen, daß Jemand ein Seidel tränke, es muß ein Jeder eine Maß sich geben lassen. Aber auch ein solcher Krug ist nicht vorräthig; so suchen wir darnach; wir drängen uns durch die Bankgassen, zählen an jedem einzelnen Tische erst die daran sitzenden Zecher, dann die darauf stehenden Krüge, und preisen unser Geschick, wenn wir schon vor einer halben Stunde einen übrig gebliebenen, d. h. so eben von einem Andern geleerten, erobert haben. Mit ihm geht’s wieder hinaus zur Schenke, vorher jedoch zu dem ihr gegenüber befindlichen Brunnen, in dessen Trog und an dessen Wasserstrahl wir ihn säubern, doch schwerlich ohne von dem gleicherweise beschäftigten Nachbar gehörig bespritzt und begossen zu sein. Nun aber merke Dir wohl die auf dem Zinndeckel Deines Kruges eingegrabene Nummer, halte Deinen Sechser in der andern Hand bereit, und menge Dich in den Haufen, der den Schenktisch belagert. Mehrere Minuten, ein Viertelstündchen magst Du im Gedränge aushalten müssen, der rußige Arbeiter reibt sich an Deinem noch nassen Rock, der gigantische Cürassier-Unterofficier tritt Dir auf die Füße – und wehe, wenn die Geduld Dir ausgehen, ein Wort des Unmuths Dir entfahren sollte, das allgemeine Hohngelächter, auch gelegentliche Schimpfworte würden Dich schnell belehren, daß wenigstens an dieser Stelle die Dräng- und Preßfreiheit eine Wahrheit ist. Doch Du bist endlich bis zum Tische gelangt, hast dem Wirthe Deine Steuer hinübergereicht, wogegen der Schenkknecht Deinen Krug nebst noch sechs andern hinwegraffte, alsbald aber wieder bringt und, die Nummern ausrufend, ihn zurückschiebt. „2417“ ruft er; das bist Du, Du willst darnach greifen, aber ohne daß Du laut und vernehmlich „Hier!“ geantwortet, wird Dir Deine bezahlte Maß nicht überantwortet.

Die vollen Krüge vor uns haltend, treten wir nun eine Pilgerschaft durch die Hallen an, ein Plätzchen zu finden, auf dem wir mit Ruhe und mit Muße das mühsam Errungene genießen könnten. Wir Thoren! da ist Alles, Alles längst besetzt, und wir sind zuletzt froh, an einer Tischecke so viel Raum zu gewinnen, daß wir die Krüge darauf postiren, uns aber daneben stellen zu können. Da betrachten wir denn das Gewühl des Ameisenhaufens, in den wir hineingerathen, und wenn das Ohr von dem betäubenden Gesumse und Geschrei sich erholt, das Auge über den Qualm Herr geworden, auch die Nase an manche unangenehme Wahrnehmungen sich gewöhnt hat, so erstaunst Du wohl über den Anblick, der sich Dir bietet. Der nächste Tisch besteht aus einer Gesellschaft ehrbarer Bürger, zwischen denen jedoch drei Soldaten sich eingezwängt haben, und die noch einem hochwürdigen geistlichen Herrn zugerückt sind. Dort sitzen kohlschwarze, ungewaschene Feuerarbeiter, zwischen ihnen und lebhaftest conversirend ein wohlbestallter Stadtgerichtsrath. Hier ein Tisch voll Künstler, und ich nenne Dir ein paar Namen davon, die Dir wohlbekannt sind, in ihrer Mitte ein paar herrschaftliche Reitknechte, mit denen sie in tiefes Gespräch verwickelt sind. Alles durcheinander – hier gilt kein Stand, kein Name – Officiere und Trompeter, Räthe und Schreiber, Herren und Knechte, Meister und Gesellen gemüthlich neben- und durcheinander, vereinigt sie alle das klebende Bier! – Zwischen sie hindurch und durch die aufgestellten Glieder der Wartenden drängt sich ein eigenes Geschlecht, das der Nuß- oder Radiweiber, im Winter Nüsse, im Sommer Rettige anbietend, die häßlichste, runzligste, aber auch die gröbste und zungenfertigste Sorte des schönen und sanften Geschlechts; über ihre Naturgeschichte munkelt man mancherlei: gewiß ist nur, daß das Nußweib, wenn es als solches zur Welt kommt, schon mindestens 40 Jahre alt ist und eine ungekannte Vergangenheit hinter sich hat. Aber dort drüben stehen ein paar Gesättigte auf, sagen ihren Genossen Gute Nacht; eilen wir, ihre Plätze einzunehmen! – „Ja, verzeihen’s, dort mein Bruder und sein Freund warten schon lang auf mich, denen haben wir unsern Sitz versprochen.“

So stehen wir denn weiter, bis das ferne Wirbeln des Zapfenstreichs plötzlich Viele zusammen abruft, und die Bänke sich lichten. Da aber unterdessen die Köpfe etwas begeisterter geworden sind, so tönt, gewißlich zuerst aus der hintersten Ecke, wo eine Schaar von Studenten sich ergötzt, manch’ Lied durch den ungestörten Tumult

[577]

Das Hofbräuhaus in München.

[578] dahin. Haben aber die einen vollen, vierstimmigen Gesang begonnen, so mischt sich leicht aus der andern Ecke ein brüllender Gassenhauer drein, ein wilder Chor kreischt und krächzt ihn mit, schlägt mit den steinernen Krügen den Tact dazu, und endet seine Lust mit einem allseitigen, schallenden Gelächter und Gejohle. – Streit und Zank kommen hier selten vor: wer den Landfrieden stört, wird schnell vor die Thüre gebracht, von wo er gewöhnlich, nach genossener Abkühlung, still und beruhigt wiederkehrt, als ob nichts vorgefallen wäre; – die Gensd’armen, wie zahlreich sie um ihrer selbst willen auch gegenwärtig sind, kennen diese Lynchjustiz und würden sich erst in ihren Mißbrauch einmischen.

Doch die Zeit eilt – Mitternacht rückt heran, und mit dem Hammer, der 12 Uhr schlägt, schlägt auch der Zapfer das Faß zu. So drängen wir uns, denn dem guten Saft müssen wir nun doch volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, also ebenfalls und noch einmal bei der Schenke mit hinzu, um von dem letzten „Banzen“, dem’s heute noch an den vollen Bauch geht, unser Theil mit hinwegzukriegen. Da stürzt, wenn er das Klopfen am Spundloch hört, mancher wackere Recke noch einmal herbei, als habe er heute nicht schon zehn, ja zwölf und vierzehn Mal sich füllen lassen; da rechnet der Wirth mit seinem Bleistift in der Hand die Summe des heute verbrauchten Quantums zusammen und ist zufrieden, daß die Durchschnittszahl von neunzig Eimern (5400 Maßen) überschritten ist; da drücken auch wir seelenvergnügt und urgemüthlich uns wieder in die Ecke, der vor Mitternacht gefüllte Krug gibt uns das Recht, sitzen zu bleiben und gemüthlich das Ende der Dinge noch zu beobachten. Allmählich wird es leerer, Gestalt um Gestalt wankt hinaus, Licht um Licht verlöscht, ein paar dienstbare Geister erscheinen, die Fenster zu öffnen, die stehen gebliebenen Krüge zu sammeln und sie bis morgen – statt aller andern Reinigung – in den Trog des Brunnens zu legen. Ein paar Uebermüthige sind eingeschlafen, die Nachbarn hatten theilnahmlos sie verlassen, der Wirth macht noch die Runde, ermahnt sie zur Heimkehr und sagt auch uns im Vorübergehen bedeutungsvoll „Gute Nacht!“

Und mit diesem „Gute Nacht“ gehen auch wir und legen uns mit dem süßen Bewußtsein nieder, morgen frisch und wohl zu erwachen, denn wir haben hier kein „krankes Bier“, wie in Norddeutschland getrunken.