Vom Hamburger Blumenfest

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Autor: Karl Ruß
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Titel: Vom Hamburger Blumenfest
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 624–626
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Vom Hamburger Blumenfest.

Welche Blüthe wird diesmal die Mode im Reich der Blumenliebhaberei als Königin des Tages ausrufen? Diese Frage beschäftigte mich viel auf meiner Fahrt zu dem improvisirten Pflanzenfest in Hamburg. Von der letzten Ausstellung des Gartenbau-Vereins in Berlin her konnte ich ungefähr voraussetzen, welche Blume gegenwärtig am beliebtesten und daher am zahlreichsten vertreten sein werde. Freilich waren seitdem aber bereits mehrere Monate vergangen – während die Mode bekanntlich auch auf diesem Gebiete nur zu bald von einem Gegenstande zum andern übergeht.

Wie groß war daher meine Freude, als ich dennoch die seit Langem aus der Mode gekommene, doch immer vorzugsweise geschätzte und allbeliebte Rose auch hier auf der großartigen Internationalen Gartenbau-Ausstellung von Hamburg ebenso wie in Berlin in der vollen Geltung ihres Rechts als Blume des Tages fand! Kaum läßt sich der Eindruck beschreiben, den ein wundervoller Rosenflor zur jetzigen Zeit hervorruft. Vereint mit allen übrigen Contrasten, welche diese Ausstellung hervorgebracht, muß er von vornherein die wohlthuendsten Eindrücke auf jeden Besucher ausüben.

Hier wetteifert die Wirklichkeit mit den kühnsten Schöpfungen der Phantasie. Wer noch vor wenigen Monaten dies Terrain gesehen, mit dürftigen Anlagen, wenig einladendem Gebüsch und widerwärtigem Gewässer, der wird sich nicht genug wundern können über den förmlich hervorgezauberten Park mit schattenden Bäumen, lachenden Gefilden und duftenden Blüthen, mit malerischen Teichen und Flüssen. Fast noch größer erscheint das Wunder, mit welchem selbst der Himmel zu Hülfe gekommen, um hier voll und reich ein Eden zu schaffen, ein kleines Paradies im vollen Sinne des Worts. Bis ganz vor Kurzem hüllte noch naßkaltes Wetter die Natur in sein trostloses Gewand; jetzt hat die Septembersonne eine wahre Frühlingsblume herausgekehrt und aus den trübseligen herbstlichen Regenschauern, mit denen fast der ganze Sommer uns geplagt, ist jetzt noch eine „Maienzeit“ geworden, so mild und schön, wie sie selbst der Wonnemond nur selten gewährt. Hier brauchen wir aber in den lieben Frühling uns gar nicht hineinzuträumen – hier haben wir ihn ja vor uns, in lebensvollster Wirklichkeit.

Vergeblich schauen wir uns nun nach den Blumen der jetzigen Jahreszeit, nach den herbstlichen Eriken oder Haidekrautblümchen, Astern, Georginen und dergleichen; freilich fehlen auch ebenso die zarten Blümchen des ersten Frühlings, die Crocus, Primel, Schneeglöckchen und Veilchen. Wenden wir uns daher zunächst zu der herrlichen Blume, die für den deutschen Wonnemond – welcher im größten Theile unseres deutschen Vaterlandes keineswegs der Mai, sondern erst der Juni ist – so recht bezeichnend erscheint und die hier zugleich einen herrlichen Triumph feiert: zu der Rose.

Links, nicht weit von dem Eingange der Ausstellung, begrüßt uns eine Gruppe von fünfzig hochstämmigen Rosen aus der „Rosen-Speeial-Cultur von Friedrich Harms in Eimsbüttel bei Hamburg. Es ist die Varietät Maréchal Niel, welche in prachtvoll entwickelten Kronen und noch zahllosen Knospen den Beweis liefert, daß ihr Züchter einer der bedeutendsten Rosengärtner Deutschlands sei, wenn auch ihre Blumenpracht hier nicht zur vollsten Entwickelung gekommen. Dies Urtheil bestätigt uns die nächste Gruppe desselben Ausstellers von fünfzig Stämmen der im köstlichsten Flor stehenden Varietät Gloire de Dijon. Doch wenn wir weiterhin die verschiedenen Gruppen von herrlichen und seltenen französischen Rosen betrachten, so müssen wir anerkennen, daß diese Hamburger Rosen nicht allein seit geraumer Zeit die aller Blumen-Ausstellungen in Deutschland übertreffen haben, sondern daß sie auch auf dieser großartigsten Ausstellung zweifellos den ersten Rang einnehmen. Im Ganzen hat Herr Harms acht verschiedene Rosengruppen ausgestellt, unter denen durch Schönheit und Frische, sowie durch Mannigfaltigkeit vorzugsweise die Topfrosen sich auszeichnen, auch dadurch, daß sie verschiedene Novitäten, vornehmlich von Bourbon- und Theerosen, sowie auch von den niederliegenden zierlichen Remontante- Rosen aufzuweisen haben. Eine Varietät der gewöhnlichen Feldrose, Ruga genannt, ist hier zu einem hübschen und geschmackvollen Rosenschirm gezogen [625] worden und verdient um so mehr Beachtung, da sie für solche Zwecke bisher noch wenig benutzt und doch sehr gefügig ist.

Es würde aber ein großes Unrecht sein, wollten wir nicht auch den Rosen der übrigen Aussteller unsere volle Anerkennung zu Theil werden lassen. Eine Gruppe von fünfzig wurzelechten Rosen der Varietät Souvenir de Malmaison des Herrn Otto aus Altona, sodann die Trauerrosen von der Varietät Bourfault von Johann von Ehren in Nienstädten bei Altona, ferner ein Rosenbeet der Herren Soupert und Notting in Luxemburg, vorzugsweise in Remontante-Rosen bestehend und außerdem zahlreiche sehr prächtige Exemplare berühmter französischer Varietäten enthaltend, ferner das geschmackvoll arrangirte Rosenbeet des Herrn Jürgens aus Nienstädten mit gegen eintausend Exemplaren niedriger weißer und zartrother Varietäten – dies dürften die hervorragendsten Leistungen auf diesem Gebiete sein, und lobend zu erwähnen sind schließlich auch die Bourbon-, Thee- etc. Rosen der Gärtnerei des Herrn Wigand in Eisenberg, die beiden Gruppen von fünfundsiebenzig Rosen des Herrn Westenius aus Hildesheim und die Gruppe von hundert Rosen des Pomologenvereins in Boskoop in Holland.

Nimmt die Rose von vornherein die Aufmerksamkeit eines jeden Blumenfreundes in hohem Grade in Anspruch, so bietet sie hier ein vorzugsweise reiches Material zu anregenden Betrachtungen. Hier gruppiren sich mit Geschmack und Verständniß alle Formen und Farbenschattirungen, alle Größen und Füllungsgrade, von der Riesengestalt der Rose Anna von Diesbach oder der Baroneß Prevost bis zur winzigen Rose Louise Darzens; von der schneeigen Weiße der Aimée bis zum Dunkelpurpur der Rose Alfred de Rougemont, vom lichten Rosa der Louise Odier bis zum Dunkelroth der Kaiserrose von Marokko, vom bläulichen Purpur der Rose Alphons Damaizin bis zum strahlenden Gold des Maréchal Niel. Und unter ihnen allen strahlt in köstlichster Pracht die Königin aller, die in Form und Farbe hochvollendete Centifolie mit allen ihren Varietäten.

Nicht Jedermanns Liebling ist die Georgine, obwohl ihre Farbenpracht die zahlloser anderer Blumen bei Weitem übertrifft. Hier kommen sie uns in einem Glanze und einer Pracht entgegen, wie sie der Jahreszeit entsprechend sind. Wir können uns nicht enthalten, wenigstens den Neuheiten für das Jahr 1870 des Herrn Sieckmann in Köstritz, Fürstenthum Reuß, unsere Aufmerksamkeit zu schenken, unter denen wir die Georginen E. Marlitt, Goldelse, Graf Bismarck, Freiherr von Beust, Dr. Giskra, Dr. Berger, Präsident Grant etc. in prachtvollen großblumigen Exemplaren erwähnen wollen, gleichviel, ob sie es vorzüglich gewesen, um deren willen ihr Aussteller den ersten Preis erhalten hat.

Auch die Fuchsien zeigen zahlreiche neue Sorten, welche bis dahin im Handel noch nicht existiren und unter denen wiederum die hochstämmigen Exemplare des Herrn Harms im prachtvollsten Farbenschmelz alle Anerkennung verdienen.

Mit wohlthuenden Gefühlen schweift der Blick über das ganze Terrain der Ausstellung und haftet hier und da gern ausruhend an einzelnen schönen Gegenständen. Von dem lieblich saftgrünen Rasen heben sich in geschmackvollen Formen Gebilde ab, welche man schlechthin als „Rasen-Decorationen“ zu bezeichnen pflegt. Es sind symmetrisch geordnete Figuren, Sterne, Riesenblätter, Rondele, Boskets, Rosetten und dergleichen bildend, wie sie eben die Gartenkunst unserer Zeit liebt und schön herzustellen weiß. Ihre Füllung besteht in den sogenannten Teppichpflanzen, die, mannigfaltig verschieden, durch ihre vielfarbigen Blätter geschmackvolle Zusammenstellungen ermöglichen. In ähnlicher, jedoch abweichender Weise ist eine schwimmende Insel in Form eines riesigen und geschmackvollen Sterns zusammengesetzt, in dessen Mitte ein riesiger Cycla revoluta (jenes herrliche Palmengewächs, mit dessen Zweigen man namentlich in Sachsen die Särge zu schmücken pflegt) hervorragt.

Unter den anmuthigen Spielereien – so dürfen wir sie fast nennen – mit denen in unserer Zeit die Gartenkunst sich beschäftigt, verdienen die Farrngruppen vorzugsweise Beachtung. Diese zierlichen Gebilde, deren volkstümliche Namen, als: Frauenhaar-, Streifen-, Tüpfel-, Schild-, Vogelnest-, Hirschhorn-Farrn (Platycerium grande, in einem prächtigen Riesen-Exemplar, zum Preise von fünfzig Thaler, ausgestellt von Herrn Gireout, Garteninspector in Sagan) etc, neben den lateinischen Bezeichnungen und zugleich mit der Liebhaberei an diesen Gewächsen überhaupt immer mehr in alle Kreise der Gebildeten dringen, sind hier ebenfalls äußerst zahlreich vertreten.

Nicht minder schön und absonderlich in ihrer Eigenthümlichkeit erscheinen die Cactus-Gewächse, welche auf dieser Ausstellung unter Anderen in einer geradezu unübertrefflichen Sammlung von Charles Pfersdorfs aus Paris in hundertneunundfünfzig Sorten vorhanden sind, und ebenso die wunderniedlichen Miniaturpflanzen zur Zimmer-Decoration in geschmackvollen Etageren.

Auch die in Töpfen cultivirten einheimischen und fremdländischen Waldbäume, die Miniatur-Zierbäume und -Sträucher mit bunten Blättern und dergleichen, welche neuerdings noch immer beliebter geworden, gehören, streng genommen, in diese Rubrik. Daß sie aber in der jetzigen Gartencultur keinen geringen Rang einnehmen, davon zeugt der Umstand, daß ihre Aussteller, unter Anderen Ohlendorff in Hamburg, mehrfach den ersten Preis für schöne Leistungen auf diesem Gebiet davongetragen haben. Noch mannigfaltiger und wichtiger erscheint aber die neuerdings auch bedeutend erweiterte Cultur der Coniferen oder Nadelholzgewächse aller Art, unter denen auf dieser Ausstellung die herrlichen riesengroßen Araucarien, die zu den beliebtesten Decorationsbäumen der Gegenwart gehörenden Andentannen oder Andenfichten gelten müssen, und unter welchen die unübertroffenen des Herrn Jean Berschaffelt aus Gent in Belgien mit Recht mit dem ersten Preise belohnt wurden. Für eine sehr schöne Araucaria Cunninghami erhielt auch Herr Egide Rossels aus Löwen in Belgien dieselbe Auszeichnung.

Für den Liebhaber ist eine Gruppe von fünfundzwanzig sehr verschiedenartigen Arten Epheu in Töpfen von Herrn Choné aus Berlin erwähnenswert. Der größte Theil dieser Exemplare ist in der Blüthe begriffen, und abgesehen von der an sich schon so beträchtlichen Verschiedenheit der Blätterform und -Färbung bei den einzelnen Varietäten, kommt nun auch noch die sonderbare Erscheinung zur Geltung, daß die Blätter jedes blühenden Epheus ihre bisherige Gestalt verändern und in eine mehr und mehr gerundete übergehen.

So feiert denn wiederum die Industrie und Gewerbthätigkeit hier ein hohes Fest, welches zu den erhebendsten Erscheinungen gehört, die eine friedensvolle segensreiche Thätigkeit der Menschenarbeit hervorzurufen vermag, und welches jeden Menschenfreund mit Jubel und Entzücken, mit Respect vor dem menschlichen Geist erfüllen muß.

Als in den letzten Tagen der Pariser Weltausstellung, nächst den noch herbeigeströmten zahllosen fremden, Hunderttausende von Landleuten aus der Umgebung das ermäßigte Entrée benutzten, als dann zugleich sämmtliche Gemeindeschulen von Paris ihre kleine schaulustige Bevölkerung in die ungeheuren Räume ergossen, als dann sämmtliche Maschinenwerke der Ausstellung von den kolossalen Mahlwerken bis zu den kleinsten Modellen herab in Bewegung gesetzt wurden, als dann die großen und kleinen Glockenwerke ihre ehernen Stimmen erhoben, die ganze Mannigfaltigkeit der musikalischen Instrumente, von winzigen Spieluhren bis zu gewaltigen Orgelwerken hinauf, dazu erschallten, als der weitschweifende Blick über dem ungeheuren Menschengewimmel den bunten Schmuck der Fahnen und Flaggen vom milden Hauch in Bewegung gesetzt überschaute, als er keinen noch so geringen Punkt entdecken konnte, auf welchem nicht irgend ein Werk des Friedens in seiner vollen Wichtigkeit zur Geltung kam – da konnte der Menschenfreund wohl die Kanonen und Menschen-Vernichtungswerkzeuge mindestens für kurze Zeit vergessen und, frei aufathmend, aus vollem frohen Herzen einstimmen in die hehre Jubelfeier des beglückenden Menschenthums. Doch nur zu bald wurde man damals daran erinnert, daß diese Feier der Industrie vielleicht nur ein Todtenfest sei – daß über diese ganze freudige und segensreiche Thätigkeit friedlicher Menschen wahrscheinlich nur zu bald die brandenden Wogen zusammenschlagen würden eines furchtbaren blutigen Völkerkrieges, unter dessen Wunden zuckend und wimmernd die Industrie ihre gegenwärtigen Triumphe bald genug vergessen müßte.

Jetzt ist es anders. Als ein schönes ungetrübtes Friedensfest haben wir die Hamburger Ausstellung jubelvoll zu begrüßen. Ist sie auch nur auf ein beschränktes Gebiet abgegrenzt, so dürfen wir dieses doch als eines der wichtigsten in der ganzen Menschenthätigkeit ansehen. Man schmäht unsere Gegenwart, man fühlt sich beängstigt und gedrückt in ihrer Unsicherheit und ihren [626] Schwankungen zwischen Kriegs- und Friedensaussichten. Doch wie unrecht thun jene Aengstlichen! Eine Zeit, welche immer wieder neue Ausstellungen dieser Art, neue Friedensfeste im vollsten Sinne des Worts hervorzurufen vermag, in welcher selbst zu einer abgegrenzten Ausstellung Theilnehmer und Schaulustige aus allen Welttheilen und den fernsten Zonen einkehren und ihr einen wirklichen internationalen Charakter verleihen, sie läßt wahrlich keine wirkliche Todtenfeier der Industrie mehr befürchten. Denn selbst wenn ein Volk in gerechtem Grimme seine Ketten abschüttelt, wenn das Schwanken und der Sturz eines mächtigen Tyrannen mancherlei Erschütterungen in weiten Kreisen hervorbringt, selbst wenn von Zeit zu Zeit noch immer wieder das Unseligste des Menschentreibens, der Krieg, zur Ausführung kommt, selbst dann wird die Industrie jederzeit das kräftigste Heilmittel sein, welches die Wunden der Menschheit verharschen macht, und ihre immer auf’s Neue gefeierten Jubelfeste sind die herrlichsten Triumphe,

welche die Cultur und Civilisation über die Rohheit und Barbarei zu erringen vermögen.
Karl Ruß.