Vom Rostocker Pfingstmarkt

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Autor: Richard Schmidt-Cabanis
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Titel: Vom Rostocker Pfingstmarkt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 768–771
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[768]
Vom Rostocker Pfingstmarkt.


„Nu kiek ens den spaßigen Kierl mit de rohre Apenjack’, mit Goldsnur beset’t, wo de sick upspält – as en kalkut’schen Hahn!“

Damit zog der alte Herr in langem, blankbeknopftem Gehrock und Wasserstiefeln den Kopf aus der Lücke im Leinwandgezelt. Ich hatte seine der Straße zugekehrte nördliche Körperhälfte ob ihrer kolossalen Dimensionen soeben mit stillen Staunen betrachtet; nun blickte ich in das frischrothe, immer heitere Gesicht

[769]

Hinter dem Circus.
Originalzeichnung von Franz Quaglio.

[770] Johann Christoph P…’s, Gutsbesitzers auf Boxfelde bei der altehrwürdigen Universitäts- und Handelsstadt Rostock im Mecklenburg-Schwerinschen Lande, oder richtiger: in die fidele Physiognomie „Onkel Krischoff’s“, denn der Zuname des alten Herrn war ihm im Lauf der Jahre vollständig abhanden gekommen, und Alt und Jung belegte ihn nur mit jenem verwandtschaftlichen Titel. Es gab freilich auch Leute, die ihn mit „Herr Amtsrath“ anredeten, die aber hielt sich Onkel Krischoff mit außerordentlicher Consequenz nachdrücklichst vom Leibe, denn es bestanden, wie der alte Schlaufuchs behauptete, „düsse schmeichelbaren Kre’turen zu neun Zehntheilen aus „Paradiesiten, die sich mit ihre Pumpventile an meinen Geldbüdel festsetten wollen.“

„Also auch zum Pfingstmarkt herüber gekommen, Onkel Krischoff?“ fragte ich den jovialen, lebenslustigen Herrn, was eigentlich eine durchaus überflüssige und thörichte Frage war. Denn wie wäre der Rostocker Pfingstmarkt, dieses heitere, buntbewegte Volksfest, denkbar gewesen ohne den Onkel Krischoff, den hier jedes Kind kannte, weil er jedem Kinde die Patschen voll Zuckernüsse und Honigkuchen stopfte, und nicht minder jeder Erwachsene, weil eben jeder Erwachsene einmal Kind gewesen und der Onkel Krischoff schon seit einer recht geraumen Reihe von Jahren das Geschäft als Naschkätzchen-Fütterer betrieb.

Es war „Am Strande“ – bei der Einmündung der Grubenstraße oder doch ganz in der Nähe – wo ich den lustigen Kauz traf. Hinter dem „Großen Olimbyschen Cirgus“, in welchem heut Abend die Vorstellungen beginnen sollten, hatte er eine defecte Stelle in der Leinwand-Umzäunung ausgewittert, und durch diese – wie Pyramus „durch’s Loch von solcher garst’gen Wand“ – seine Visage geschoben, um doch auch einmal „hinter die Coulissen“ einer Reiterbude einen Blick zu werfen. Vor diesen „Coulissen“ fehlte Onkel Krischoff natürlich nie, so lange der rothe Wimpel auf der Zeltspitze flatterte und – nota bene – so oft Frau Kaatschen, die Wirthschafterin dem alten Herrn Urlaub ertheilte. Der Gutsherr von Boxfelde hat nämlich einen bedeutenden „Pferde-Verstand“, und es kann auf Gottes weiter Welt keinen Menschen geben, der über die Späße der Clowns „luudhals’ger“ zu lachen vermag, als Onkel Krischoff.

„Nu seh’n Sie blos diesen spaßigen Kerl mit die Apen – mit die Affenjacke!“ wiederholte der alte Herr, und zwar diesmal in einem wunderschönen selbstgemachten Hochdeutsch. Onkel Krischoff hielt nämlich, gleich Fritz Reuter’s unsterblichem „Entspector Bräsig“, sehr auf Sprachreinlichkeit, wenn er sich „ün der guten Gesellschaft“ befand, und nur unter zwei Augen, „mang die Tüftenbuddlers to Huus“ oder wenn er „bi Mau oder Theophil Zorawsky“ dem Rothspohn zu stark gehuldigt, zog er die Schleuße für’s Platt, das ihm übrigens bei weitem kleidsamer zu Munde stand als das elegante „Messingsch“.

Onkel Krischoff brauchte mir seinen Lugaus gar nicht einzuräumen, wie er es in einem Anfall von Galanterie eben zu thun im Begriff stand; ich fand unschwer dicht daneben noch einen zweiten Durchbruch in dem Umfriedigungs-Gespinnst, und nun guckten wir Beide um die Wette recht seelenvergnügt in diese lustige kleine Vagabondenwelt hinein. –

Ich habe von meiner frühesten Jugend an eine unwiderstehliche Neigung für jegliche Gattung Kunst-Zigeuner gehabt, ob sie sich nun Akrobaten, Seiltänzer, „wilde Männer“, Feuerfresser, Affentheaterdirectoren, Herculesse, Somnambulen, Thierbändiger, Puppenspieler oder Riesendamen betiteln. Und mein Interesse war keineswegs immer nur ein passives; ich entsinne mich aus meiner frühesten Kindheit noch genau genug eines directen Eingreifens meines Persönchens in die scenischen Vorgänge einer affentheatralischen Tragödie. Man gab die Erstürmung von Kakomirum, und während im Hintergrunde die auf einem uneinnehmbar scheinenden Pappkegel belegene Veste in die Pfoten der tapfer anstürmenden Hunde-Armee fiel, wurde vorn, dicht an der Rampe, gegen einen schönen weißen Pudel – vermuthlich wegen irgend eines unbedeutenden Insubordinationsfehlers – kriegsgerichtlich verfahren und der Inculpat frischweg zu Pulver und Blei verurtheilt. Indessen man hatte sich Seitens des äffisch-pudelnärrischen Militär-Commandos die Execution leichter vorgestellt, als sie in der That werden sollte. Kaum hatte sich der arme Sünder mit verbundener Schnauze (die Augenbinde pflegt bei vierfüßigen Verurtheilten sehr bald durch Abrutschungen ihrer ursprünglichen Bestimmung entzogen zu werden) resignirt auf die Hinterfüße gesetzt, die tödtliche Kugel erwartend, kaum legte ein etwas krummbeiniger Pavian, ergriffen von männlicher Rührung um den Verlust eines so braven Officiers, die Feuerwaffe an, als vom Auditorium her eine kräftige, wenn auch ziemlich hoch veranlagte Knabenstimme mit höchster Energie Einspruch gegen die Vollstreckung des Blutbefehls erhob, und diese Stimme war die meinige. Vergebens suchten mich meine Angehörigen durch Wort und That zu beruhigen; vergebens wurde mir von verschiedenen Seiten die Gefahrlosigkeit besagter Execution auseinandergesetzt: ich blieb bei meinem Protest, und als dessen ungeachtet der kleine zitternde Henker losdrückte und der Delinquent hintenüber direct in einen schwarzen zweiräderigen Todtenkarren hineinpurzelte, nahm dieser Protest, namentlich durch die Einstreuung unzweifelhaftester Verbal-Injurien, so bedeutende Dimensionen an, daß man mich im Interesse der allgemeinen Ordnung und Sicherheit auf den Flur beförderte, von wo aus meine helllauten Expectorationen für Abschaffung der Todesstrafe noch lange die Trommel- und Zwerchfelle der übrigen Zuschauerschaft nachvibriren ließen.

Lange, lange Jahre sind seitdem vergangen, und noch immer ist jene stolze Felsenburg das Ziel stürmender Pudel-Heere, noch immer muthen hartherzige Regiments-Commandeure aus dem Geschlecht Canis zart-besaiteten Mandrill-Gemüthern zu, auf das Herz eines Kriegscameraden zu zielen – nichts Wesentliches hat sich in dem Repertoire der Affenkomödie geändert in dieser weiten Spanne Zeit, in der doch auf anderen Gebieten so gar unendlich viel Neues und Erstaunliches zu Tage gefördert worden zum Wohle der leidenden Menschheit: der Hinterlader, das Rieselfeld, die Unfehlbarkeit, das Cri-Cri, das vertiefte Nibelungen-Orchester und das Königreich Serbien.

Und ein gleicher Conservatismus herrscht auch im Programm aller jener anderen Kunstwanderer und wird herrschen, meine ich, so lange die Welt steht, was allerdings – den Prophezeiungen des hochwürdigen und hochweisen Herrn von Charbonnal zufolge – keine allzu bedeutende Frist mehr bedeuten dürfte.

Freilich, die Großmächte unter diesen Kunst-Nomadenstämmen, die Circusse (oder auch Circen) von Renz, Ciniselli, Salamonsky und andere, haben ja einzelnen Zweigen ihrer equestrisch-akrobatischen Schaustellungen Blüthen von niegeahntem Dufte und blendender Farbenpracht abgewonnen; sie haben die Pferde-Pantomime erfunden und seit Kurzem sogar eine vierfüßige Feerie.

Aber die drei Hauptstützen ihrer lustigen und luftigen Kunsttempel sind doch immer noch dieselben wie zu Noah’s Zeiten – bekanntlich der erste reisende Menageriebesitzer – sind noch immer: die kühne Reifenspringerin Signora Camilla Nudelmeierini; der arabische Schimmelhengst Al Mansor, welcher „die Schule des Directors“ genossen und demzufolge das feinste Battisttaschentuch einer Dame der ersten Rangloge mühelos apportirt und das kleinste Silberstück aus dem großen Haufen … Erde in seinen Besitz zu bringen weiß; endlich – das Beste zuletzt! – der „Komiker“, der sich auch unter der glänzenden „Clown“-Hülle und trotz des klangvoll modernen „August“-Titels seinen alten biedern Hanswurstcharakter rein und fleckenlos bewahrte.

„Süh so, süh so! Das ist ja die vorjährige Miß Evolina von das Swungseil, die Kleine, Nette, wo sich da müt den brünetten Menschenbruder um die Ecke aus Muffrika so üntüm macht. Das ist ein staatsches Frugenzimmer – eine dralle Dame, wollte üch sagen, un dabei qualmt sie wü ein Schornstein Cügaretten – üch glaube, dü wird das arme Negerwurm den Kopp von inwendig noch mit eine vül swärzere Calür anräuchern, als wü er ihr schon von die äußere Natürlichkeit besitzt.“ – Onkel Krischoff zwinkerte dabei seelenvergnügt mit den grellen grauen Aeuglein und bohrte mit seinem linken Ellenbogen unwiderstehlich auf meine rechte Seite los.

Trotz der frühen Tagesstunde ging’s schon äußerst lebhaft zu „hinter den Coulissen“; Außerordentliches – und Circus-Vorstellungen sind gewöhnlich „außerordentlich“ – verlangt auch eine außerordentliche Folie: die dem Unternehmen neugewonnenen Kräfte sollten während des Vormittags noch eine Probe im Costüm haben. Aus dem kräftigen Schalle der equestrischen Regieklingel, der Peitsche, nahmen wir ab, daß die Exercitien in der großen Leinwandrotunde bereits begonnen hatten; nur eine säumige Sylphide beendete noch im Freien ihre Toilette unter Mithülfe [771] des Garderobeschneiders, der zugleich Billeteur, Lampenanzünder und Zettelträger war und in seinen wenigen Mußestunden Pferde in die Schwemme ritt. Sättel und Zaumzeug, beflitterte Decken, Tambourins, bunte Reifen und tausenderlei Gegenstände, für deren Bezeichnung dem Laien der technische Ausdruck entschieden mangelte, lagen im friedlichen Chaos durcheinander. Ein paar vierfüßige Eleven empfingen von einem etwa achtjährigen weiblichen Lehrmeister den ersten Unterricht in der Kunst des Marschirens auf den Hinterbeinen; Caro „machte sich“ bereits, wohingegen Bello den rechten Ernst für die Sache nicht mitgebracht zu haben schien und sich mehrfachen Verbal- und Real-Ermahnungen aussetzte. Lieber Gott! er ist noch jung, der Bello; er hat noch so wenig vom Hundeleben genossen, und außerdem, wie ich erst nachträglich bemerkte, erlaubt sich ein etwas lebhafter Mandrill heimlich die unziemlichsten Allotria mit seinem, des Bello, Wedel; wer soll unter solchen Umständen Sinn für die Wissenschaft haben?!

„Ist das nicht,“ fragte ich, zu dem alten Oekonomen gewendet, welcher die an Pflöcken angebundenen Rosse mit Kennermiene gemustert und von einzelnen „echt englischen Vollbluthengsten“ den mecklenburgischen Geburtsort mit apodiktischer Sicherheit angegeben hatte, „ist das nicht unser alter Freund Maulesel, der Weise, der im vorigen Pfingstmarkt sich den ungetheilten Beifall der Menge, aber die Todfeindschaft der dicken Köchin aus der ‚Sonne‘ zuzog, weil er ihr Alter (das der Köchin, nicht der ‚Sonne‘) mittelst seiner untrüglichen Hufscharr-Rechenmaschine öffentlich auf Neununddreißig angab, während ‚Rieke‘ – als er nach der Ziffer Achtzehn vor dem Weiterzählen eine kleine Pause machte – bereits, verschämt erröthend, genickt und ‚Dat is richtig‘ gesagt hatte?!“

„Weiß ich nicht,“ sagte Onkel Krischoff,“ „aber düses darneben, der Kleinere, das ist der verdammtige Karmucken, wo mich meinen ‚Jehann‘, meinen Großknecht, in den Dreck smeten – üch wollte sagen, in dem Schmutze geworfen hat – bei das angemeune Prämienreiten for ungesattelte Esel, mit den Fufzig-Thalerpreis, un wo mür nachher halb Rostock in alle Kneipen gefragt hat, ob mein Jehann seine öquolübrüstüschen Studüen unter meine persönliche Leitung gemacht hätte? – So’n Vieh! – und jetzt sieht sü so unschüllig ut, die Berstje!“

Inzwischen schien es auch in der Räder-Villa des Directors vollends Tag geworden zu sein; Madame Aurora Schnuderich, geborne Piefke, der Morgenstern der Gesellschaft, war – gleichzeitig mit der Thür zu dem Boudoir – „aufgegangen“ und hatte sich, einen Bunzlauer Moccatopf von durchaus zweitrinkigen Dimensionen in der Rechten, einen geschmierten Schiffszwieback in der Linken, auf der obersten Treppenstufe ihres fahrenden Grundeigenthums niedergelassen; ihr nach drängte sich ein stämmiger Junge von etwa fünf Jahren, pumphosig und pausbackig, der Stammhalter der Direktion; er hatte, wahrscheinlich in Folge mit ihm angestellter und seinem Naturell entschieden unsympathischer Reinigungs-Versuche, unbändig gegreint, und die tropfbaren Produkte seines Schmerzes überströmten ihm in glimmerndem Gemische gleithaft-gleißend die „glibbrigen“ Wangen.

„Madame“ ist eine noch ziemlich jugendfrische Erscheinung und natürlicher Weise die zweite Frau des Maestro; die ersten Gattinnen reisender Kunstreiterdirectoren gehören überhaupt zu den größten Seltenheiten unseres Planeten; ich habe eine solche nur ein einziges Mal ganz flüchtig in der Gesellschaft eines Dragonerofficiers auf dem Nordbahnhofe in Wien gesehen. „Madame“ trägt einen scharlachrothen Friesrock und eine mit blindgewordenen Goldlitzen besetzte Sammtjacke von schwarzer Farbe; sie ist eine resolute Frau, die ihrem ziemlich hartnäckige Gespons bereits während der ersten sechs Monate ihrer Ehe seine etwas stark ausgebildete Vorliebe für geistige Getränke abgewöhnt hat, für die unverheiratheten Damen der Truppe kocht, ihren Sprößling durch Liebe und Prügel zu einem nützlichen kopfstehenden und purzelbaumschießenden Mitgliede ihrer und der menschlichen Gesellschaft heranzuziehen sucht und des Abends hin und wieder, wenn unvorhergesehener Hindernisse halber eine andere Pièce ausfallen mußte, Schule reitet oder mit Centnergewichten Fangeball spielt.

„Madame“ scheint ganz besonders guter Laune zu sein; sie winkt dem Clown Señor Juan Pampas, alias Hans Pampel, dem „Kierl in de Apenjack’, welcher sich eben im Sattel zurechtrückt, um als lebendes Aushängeschild und berittene Anschlagsäule die Straßen der Stadt zu durchtraben und einem hohen Adel und verehrten Publico (– Kinder und Militärs die Hälfte! –) Nachricht von dem großen Ereignisse der Circus-Eröffnung, dem Beginne der „Olimbischen Schpüle“, zu geben.

„Storch!“ (Señor Pampas hat diesen von der ganzen Collegenschaft allgemein acceptirten Beinamen seinen unverhältnißmäßig langen und während eines nicht unbedeutenden Theils seiner Lebenszeit permanent in hochrothen Tricots steckenden Beinen zu verdanken) – „Storch, nimm den Jungen mit! Hier ist den Teixel nichts damit anzufangen. Keine Haltung bei’s Balanciren, kein Avec auf die Stuhlpyramide; der muß bei Zeiten auf’s Pferd, sonst kann er sein Lebtag Hüte drehn oder auf’s Sprungbrett arbeiten. Also pascholl, auf dem Gaule!“

„Si Señora!“ trompetet Storch in einem zwischen Alt-Castilisch und Anhalt-Dessauisch etwa die Mitte haltenden Jargon. „Willst Du mit, Knirps?“

Und „Knirps“ hält noch einen Augenblick schmollend den Ueberlegungsfinger im Munde, nickt dann sein Ja und sitzt kaum zehn Minuten später in einem wahrhaft blendenden Flittercostüme vor Juan Pampas auf dem Hochtraber, den Neid der gesammten Rostocker Jugend männlicher Linie erregend.

„Sützt as angeleimt, der Racker!“ platzt Onkel Krischoff heraus und reibt die Hände vor Vergnügen; „hält sich nich ’mal an die Mähne un läßt sich den Hanswurscht gar nicht ankommen! Is ’n prächt’ger Bengel, der reit’t die ganze Marnöhsche hier noch ’mal in Grund und Bodden.“

Und wahrhaftig, das Kerlchen hielt sich so stramm und stolz da oben auf dem Talmi-Andalusier, daß es eine Freude war, und ebenso wahrhaftig tönte da vom Marienthurme her – oder war’s vom stolzen Petrithurme? – die neunte Stunde, die mich hinter andere „Coulissen“ rief und zu einer anderen Probe, bei der ich nicht als Zuschauer, sondern als Mitspieler zu wirken hatte; denn ich war derzeit selbst so ein Stück Kunstvagabonde und spielte Komödie in dem Musentempel zu Rostock am Warnowstrand.

„Gehen Sie mit, Onkel Krischoff?“

Ja, wer den alte Herrn von seinem Lugaus weggebracht hätte, jetzt gerade, „wo’s am pläsirlichsten wurde“, denn „die Kre’tur von Maulesel“ sollte eben auf „neue Mucken eininstruwirt“ werden.

Wir schüttelten uns die Hände, und ich ging. Guter, biederer Onkel Krischoff, wärst Du doch mitgegangen, aber das war Dir zu despectirlich: Du mußtest reiten – wider Willen freilich – und zwar reiten auf demselben „Racker“, der Deinen armen „Jehann“ beim verflossenen Pfingstmarkte so rücksichtslos abgeworfen.

’S muß ein Anblick zum Thränenlachen gewesen sein, wie er da, krampfhaft angeklammert, auf dem Grauthiere saß, mit seinem Embonpoint, den blauen Regenschirm unter den Arm geklemmt und auf die „Carnalje“, die ihn so heimtückisch entführt, einen Strom von Injurien ergießend. Sonntag, ein prächtiges Wetter, halb Rostock und Umgegend auf den Beinen; plötzlich Geschrei, Gelächter, Gejohle!

„Unkel Krischoff ridt sin’n Jehann dat Langohr tau.“ „Unkel Krischoff, worüm so fix? Sei kamen jo noch tau recht.“ „Unkel Krischoff is stolz worr’n, hei dankt nich ’mal, wenn man em grüßt.“ So ging’s bunt durcheinander, und eine tobende, jauchzende Menschenwoge wälzte sich der heiteren Cavalcade nach – die Strand- und dann die Große Mönchenstraße entlang.

Wie Onkel Krischoff auf das Grauthier hinaufgekommen? Lieber Gott, sehr einfach! Er glaubte, nachdem er dem Maulthier bändigenden Clown noch ein Weilchen zugeschaut, des Kunstgriffes, sich auf dem störrigen Esel zu erhalten, sicher zu sein, wie des Amen in der Kirche. Eine Wette war bald gemacht; Onkel Krischoff blieb leider wirklich sitzen – nur zu fest, denn als das „Teufelsviech“ mit ihm durchging, konnte er nicht wieder herunter.

Der Clown hatte seine Wette verloren – und der Circus war an jenem und manchem folgenden Abende gefüllt „bet to de bäbelste Spitz’ baben rup.“

Ob Onkel Krischoff der Eröffnungsvorstellung beigewohnt, weiß ich nicht mehr; kaum acht Tage später aber traf ich ihn kreuzfidel in „dü verdammtige Reiterbude“ wieder. Seinen „Jehann“ hatte er bei sich, um ihm – von Weitem natürlich nur – „an das Object vorzudemonschtriren“, wie man’s anzufangen habe, um „auf so ’ne Canalje festtausitten“.
Richard Schmidt-Cabanis.