Vom wiedergewonnenen Bruderstamme/II. Auf dem Ottilienberge

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Autor: Robert Aßmus
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Titel: Vom wieder­gewonnenen Bruderstamme
II. Auf dem Ottilienberge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 321–324
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Kloster Ottilienberg bei Straßburg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Aßmus.

[322]
Vom wiedergewonnenen Bruderstamme.


II.


Auf dem Ottilienberge.


 Im stillen Klostergarten
 Eine bleiche Jungfrau ging,
 Der Mond beschien sie trübe –

 Uhland.


Wenn man auf der Plattform des Straßburger Münsters, die gerade in diesen Tagen der freudereichen, festlich begangenen Universitätseröffnung von vielen hundert aus Altdeutschland herbeigeeilten Fremden bestiegen worden ist, hoch über dem Alltagsleben der geschäftigen, lärmenden Welt steht, das Auge freudig auf den gewaltigen Kranz blauer Berge und weiter Fernen mit den verstreuten unzähligen Lichtpunkten der Dörfer und Städte gerichtet, dann glänzt uns auch in südwestlicher Richtung auf sargähnlichem Bergesrücken hellleuchtend ein prächtiger Diamant entgegen, dessen Funkeln von den sonnigen Wänden des Ottilienklosters herrührt.

Aber auch wenn wir uns auf niedriger, staubiger Heerstraße befinden, tritt jene charakteristische Bergsilhouette sehr oft hervor und blickt ernst auf die lachenden Fluren oder die dunkeln Waldeswipfel hinab. Nicht blos der Straßburger, sondern jeder Elsässer kennt den wolkenstrebenden blauen Berg mit seinem schmucken Klösterlein auf dem Rücken, das stolz über all’ die anderen Höhenzüge emporragt. Der Ottilienberg ist der Rigi der Elsässer. Besonders in der ganzen Straßburger Gegend ist er der populärste Punkt und ein Lieblingsaufenthalt aller derjenigen, welche weite Aussichten und schöne Bergcontouren sehen wollen. Auch jetzt, bei der Eröffnungsfeier der Universität, ist er das Ziel einer allgemeinen Wallfahrt der Festtheilnehmer gewesen, und diesen vor Allem mag unser heutiges Bild bei ihrer Rückkehr in die Heimath eine freundliche Erinnerung an jene ihnen gewiß für immer unvergeßlichen Tage bieten.

Es war im vorigen Sommer, als ich mich von dem am Fuß des Bergs gelegenen Klingenthal aus zum ersten Mal auf den Weg nach dem Nonnenkloster machte. In dem kleinen Wirthshäuschen nahm ich einen Jungen mit, der wir mein Gepäck trug, [323] und dann ging es links auf ganz schmalem Fußwege den Berg hinauf. Waldesnacht, die wunderkühle, umgab uns, während draußen die heiße Junisonne brütete. Gewaltige Felsblöcke, mit üppigem Moos bedeckt, ruhen unter den alten Buchen, spielende Sonnenlichter huschten durch das dichte Blätterdach und kosten mit den graziösen, schwankenden Farrenkräutern. Nur leise athmete der Wald, wenn der Südwind die Blätter küßte. Droben, am Waldesausgange aber fand ich, mit dichten Brombeerranken und dunkelm Epheu umzogen und von versunkenen, schönen Tagen träumend, zwei Ruinen: Lützelburg und Rathsamhausen. Beide sind so dicht aneinander gebaut, daß sie jetzt einer einzigen Ruine gleichen.

Der Berg, auf dem sich die beiden schönen Ruinen befinden, heißt der Humburgerberg. Auf der Weiterwanderung halten wir in einem schmucken Bauernhäuschen, das unfern von den Ruinen liegt, kurze Rast. Milch, Schwarzbrod und ausgezeichneter Zellenhonig werden uns von der freundlichen Wirthin gereicht. Auf dem Kamme des Berges sehen wir Brockenbilder. Kurzes Gras, verkümmerte Föhren, üppiges Haidekraut bilden die Vegetation. Köhler und Holzfäller begegnen uns. Sie kommen vom Kloster, dessen schieferbedeckte Wand hinter uralten Linden dunkel hervorschaut. Vor dem Kloster, etwa achtzig Schritte von ihm entfernt, steht seine Reliquie. Sie ist nicht auf dunkelm Altare eingeschlossen, auch nicht in goldenem Sarge, in dunkler Krypta aufbewahrt, wie diejenige von St. Marcus in Venedig. Aber sie ist gewiß ebenso alt, wenn nicht älter, als die kerzenbeleuchtete, goldgefaßte venetianische. Ihr fehlen allerdings die Attribute, Bischofsmütze und Krummstab, auch die purpurnen gold- und silbergestickten Gewänder, die glänzende Stola, welche die gläubige Menge küßt. Sie hat nur ein unscheinbares, hölzernes Röcklein als einziges Kleid und besteht aus nichts als einem uralten, hohlen Lindenstamm, in dem ein kleines Bildniß der Stifterin des Klosters, St. Ottilie, angebracht ist. Jung und Alt wallfahrtet zu dieser Reliquie, und wer vorbeigeht, pflegt wie auf der Prager Bruck vor dem heiligen Nepomuk den Hut abzunehmen, Viele schlagen auch kleine Nägel mit Blechstückchen ein, nicht als Herzwunden, wie vor dem Heiligen in Böhmen, sondern um die alte morsche Rinde, welche sich vom Stamme ablöst, wieder zu befestigen. Eine andere Stätte, die sich desselben Zulaufs und derselben Verehrung erfreut, ist die Ottilienquelle, deren kühles Wasser alle Augenleiden abhalten und heben soll. Wie gesagt, ist die Quelle hochverehrt und viel besucht; die meisten Fremden aber gehen wohl herauf, um in dem stillen Kloster auf einige Tage Gastfreundschaft und Sommerfrische zu genießen.

Prächtige hohe Linden wiegen ihr Haupt vor dem Eingange des Klosters, dessen ganze Façade mit Schiefer zum Schutze gegen die rauhe Wetterseite bedeckt ist. Die Stifterin des Klosters thront als Statuette über dem Eingange. Wir gelangen durch das Thor in den ersten Hof, auf dem sechszehn alte Linden, wahre Prachtstücke für die Mappe eines Landschafters, ihre grünen bemoosten Zweige mit dem frühlingsgrünen Laube emporstrecken. Rechts ist eine „Hotelleria“, aber ohne den sonst im Elsaß auf den Wirthshausschildern üblichen Zusatz: „Logirt zu Fuhß und zu Pfahrdt“ (zu Pferd). Die „Hotelleria“ ist zur Erquickung für Passanten erbaut, welche im Kloster nicht Nachtquartier nehmen wollen; neben ihr steht eine kleine Bude mit „Führern in das Kloster und seine Umgebung“, und Heiligenbildern etc. Links sind die Wohnungen der „Brüeder“, wie die Chorsänger von den Nonnen genannt werden. Außer ihren gesanglichen Functionen haben sie Handwerkerarbeiten für das Kloster zu verrichten. Der Tenorist ist Schuster und Sattler in einer Person, der Baritonist ist Stellmacher etc. Ferner befinden sich in dem Hofe die Stallungen für zwei Pferde, einen Esel, Kühe und für einige grunzende Vertreter der Thierwelt. Rechts vom Eingange steht die unscheinbare Kirche des Klosters, ein schlichtgothischer Bau, im Innern ohne bestimmten Stil. Moderne Säulen tragen die Wölbungen. Die sehr reich geschnitzten, großen Beichtstühle haben das Aussehen von Schränken.

Dann treten wir in den zweiten, den eigentlichen Klosterhof ein, der von den Gebäuden eingeschlossen ist, in denen sich die Zellen der Nonnen befinden. Rechts an der Thür läuten wir, die laute Klosterglocke drinnen tönt und eine „Schwester“ fragt im elsässischen Dialect nach unserem Begehren.

„Ich bitte um ein Zimmer für einige Tage, wenn möglich, mit hübscher Aussicht!“

„Sind Sie ganz allein?“ frug mich die Pförtnerin mehrere Male.

„Ja, ohne Frau und Kind.“

Die Schwester führte mich zu der Aebtissin, einer alten, freundlichen Dame, der ich mich vorstellte. Gleich darauf wurde mir ein Zimmer im zweiten Stock des Klosters angewiesen. Dasselbe war spiegelblank geputzt; drei Stühle, ein Tischchen, Schrank und Bett, über diesem ein sehr hübsch aus Elfenbein geschnitztes Crucifix, bildeten das Inventar. Das Fenster bot eine entzückende Aussicht, zunächst in den Klostergarten, der dicht vor mir lag, und darüber hinweg unendlich weit in das tief zu Füßen liegende Thal. Am fernen Horizonte taucht die Pyramide des Straßburger Münsters empor, hinter ihr ein glänzender Streifen, der Rhein, und die blaue Ferne, Alt-Deutschland. Ober-Ehnheim, St. Nabor sind ziemlich nahe gerückt, in der Tiefe, weiter, viele andere Ortschaften, deren Namen ich nicht kannte.

Ich wurde dort oben lebhaft an die Rigi-Aussicht erinnert. Es fehlen zwar die so und so viel Seen, von denen man viele nur mittelst Fernrohr erkennt; auch die gewaltige Pyramide des Pilatus steht nicht hinter uns, wenn wir den Blick in’s Flachland senken; aber gerade die Aussicht auf die Ebene nahm mich auf dem Rigi gefangen und an sie erinnerte ich mich auch hier in dem stillen Elsässer Nonnenkloster. Die Elsässer wissen die Aussicht zu schätzen. Das Ottilienkloster steht deshalb bei Allen in hohem Ansehen. Im vorigen Sommer hatten sich die Wogen des vergangenen Krieges noch nicht geglättet, drum sah ich nirgends Etwas von den sonst so zahlreichen Touristen und auf dem Ottilienkloster war ich der einzige Gast unter den Nonnen. Schwester Sabine rief mich zum Abendessen. Ich war neugierig, die Nonnen beim Abendessen zu sehen, und hatte im Stillen darauf gerechnet, mit ihnen zusammen speisen zu können. Etwa zehn bis zwölf Nonnen saßen denn auch bei der Tafel im Refectorium, die Aebtissin unter ihnen; ich wurde jedoch in einen andern Saal geführt, wo ich allein speiste. Bald leistete mir die „Frau Müetter“, wie die Aebtissin genannt wurde, Gesellschaft.

„So, so, Sie sind Maler; nun, dann wird’s Ihnen bei uns hier oben gewiß gefallen, wenn Ihnen sonst das Kloster nicht zu still ist. Den Herren Künstlern wurde es immer schwer, von hier abzureisen. Und, darf ich fragen, was für ein Landsmann?“

„Ja, Frau Mutter, das ist jetzt so eine Sache. Was würden Sie dazu sagen, wenn ich ein Preuße wäre?“

„Da wären Sie mir nicht ganz willkommen,“ antwortete sie lächelnd.

„Nun, dann sage ich Ihnen auch nicht, daß ich einer bin.“ Sie nahm mir meine Landsmannschaft denn auch nicht übel, hatte sie doch wohl gleich aus meiner Sprache dieselbe geahnt.

„Jetzt muß ich Sie aber auch noch mit unserm Herrn Director bekannt machen,“ sagte sie zu mir nach Tische. „Er wohnt oben im dritten Stock und ist der Geistliche des Klosters, welcher an Sonn- und Feiertagen die Messe celebrirt und sonst auch noch die Verwaltungsgeschäfte des Klosters besorgt.“

Wir saßen im Studirzimmer des geistlichen alten Herrn. Die Unterhaltung wurde leise geführt, drehte sich auch hier um Landsmannschaft, Zweck der Reise u. A. Die Sonne ging hinter den Bergtannen der Vogesen unter, und bald hatten sich die blauen Schatten der Dämmerung über die Höhen und weiten Thäler gebreitet. Wir verabschiedeten uns. Die Frau Mutter, welche keineswegs das Wesen einer strengen Aebtissin hatte, lud mich ein, in’s Gastzimmer zu kommen und es mir dort bequem zu machen, als ob ich zu Hause wäre. Die mir dargebotenen Schlafschuhe mußten angezogen werden, und ich fühlte mich dort wirklich ganz behaglich. Die Frau Mutter zündete eine kleine Lampe an und fragte mich, ob ich die Legende des Klosters kenne. Ich verneinte dies und bat um deren Erzählung.

„Die heilige Ottilie, unsere Patronin, kam blind zur Welt. Ihr Vater, der Herzog Adalrich von Elsaß, auch Atticus genannt, wünschte aber lieber einen Sohn zu haben; um keine Nachkommen von seiner Tochter zu sehen, beschloß er sie zu tödten. Die Amme aber floh mit dem Kinde nach einem der Klöster der Bourgogne, wo die junge Tochter, wie man sich erzählt, in dem Augenblick der Taufe, sehend wurde. Später gewann die heilige [324] Ottilie durch ihre glänzenden Tugenden die väterliche Zuneigung, welche jedoch nicht lange dauerte. Der Herzog wollte seine Tochter verheirathen, die heilige Ottilie fühlte sich aber mächtig zum Dienste Gottes hingezogen und, um die Drohungen ihres Vaters nicht wahr werden zu lassen, wollte sie auf’s Neue fliehen. Endlich sah Jener ein, daß es Gottes Wille sein müsse, da seine Tochter in dem Vorsatze, Nonne zu werden, unerschütterlich beharrte. Er billigte schließlich denselben und machte ihr das Schloß Hohenburg und dessen Güter zum Geschenk. Auf dem Platze, wo sich das Schloß befand, gründete die heilige Ottilie im siebenten Jahrhundert das Kloster, welches ein Asyl für arme, adelige Töchter des Landes wurde. – In den alten hohlen Lindenstamm, welcher vor unserem Kloster steht, soll, der Legende nach, die Amme mit der heiligen Ottilie sich geflüchtet haben.“

Als ich mich in meinem Zimmer befand, sah ich zum Nachtgruße der Landschaft noch einmal aus dem Fenster. Aus der Nähe und Ferne, namentlich in jener Gegend, wo Straßburg liegen mußte, leuchteten große Freudenfeuer, Raketen und Feuergarben stiegen auf und erhellten kurze Zeit das schlummernde Thal. Auf der Terrasse des Klostergartens standen die Nonnen und sahen dem Schauspiele zu. Ich hielt die Feuer für einen patriotischen Ausdruck meiner Landsleute, obgleich ich keine specielle Veranlassung dafür wußte, später erfuhr ich jedoch, daß die Feuer in den katholischen Städten und Ortschaften des Elsaß zu Ehren des – fünfundzwanzigjährigen Dienstjubiläums des Papstes angezündet wurden.

Am anderen Morgen um halb vier Uhr wurde ich von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne geweckt, die in aller himmlischen Majestät über dem Rheinthale emporstieg. Die grünen Ebenen da unten waren in den feinen Silberton des Morgens getaucht, in ihnen glitzerten vergoldete Kuppeln und Kreuze der Kirchthürme. Später tönten aus zahlreichen Gemeinden die Morgenglocken herauf, denen unsere Klosterglocke in dem kleinen Thürmchen die Antwort thalwärts sandte.

Im Klostergarten ging eine hübsche junge Nonne, welche ich gestern nicht gesehen hatte. Sie begoß die Blumen und pflückte eine Rose. Gar ernst und gedankenvoll sah sie aus. Die Blumen sahen traurig zu der schwarzen, ernsten, schlanken Frauengestalt empor.

Verlornes Leben, verlorne Liebe –
Unheilbar ist dein Herzeleid.

Ich habe die Gestalt später nur noch selten gesehen; einmal draußen, als ich im dichten Haidekraut saß und das Kloster zeichnete, ging sie einsam in der Ferne vorbei. –

Das Klosterleben der Nonnen hatte ich mir ganz anders gedacht. Sie sind hier oben wohl einsam, jedoch nicht ausschließlich mit ascetischem Dienst beschäftigt. Zum Gebet in die Kirche gehen sie zu bestimmten Stunden, dann kommen aber häufig Feld- und Gartenarbeiten. Diese letztere Beschäftigung werden die Nonnen wohl als Abwechselung mit Freuden aufnehmen, zumal sie bei der sonst geringen Bewegung ihnen körperlich nothwendig ist. Den Ausdruck des „Lasset alle Hoffnung zurück“ sah ich auch nur selten auf ihrem Gesicht, das meistens einen freundlichen Ernst zeigte. Die Nonnen kannten mich bald, ohne daß ich – mit Ausnahme der Schwester Sabine, welche in jener Zeit meines dortigen Aufenthaltes den Dienst für die Gäste besorgte – mich mit ihnen zu unterhalten Gelegenheit hatte. Die Frau Mutter, welche mit Liebe und Milde dem Kloster vorsteht, brachte Abends den Schwestern meine Skizzen aus den Capellen des Klosters und dessen Umgebung, und dadurch mag ich ihnen wohl bekannt geworden sein. „Unser Hahr!“ (Herr) hörte ich öfters leise sagen, wenn ich im Felde an ihnen grüßend vorbeiging.

Von all’ den Sehenswürdigkeiten, welche das Kloster birgt, war mir in architektonischer Hinsicht die Kreuzcapelle das Interessanteste. Sie stammt aus dem zehnten oder elften Jahrhundert und ist der älteste Bau des Klosters. Die Capelle ist im romanisch-byzantinischen Stil ausgeführt, das Schiff besitzt Tonnengewölbe, welche in der Mitte von kräftig gedrungenen Säulen mit schönem, für die damalige Zeit sehr fleißig ausgeführtem Capital und breiter Säulenbasis mit Eckblättern getragen werden. Das Grabmal der heil. Ottilie und ein Reliquienschrein mit ihren Gebeinen, die beiden größten Heiligthümer des Klosters, befinden sich hier ebenfalls.

Sehr verlockend sind die Ausflüge vom Kloster, deren es eine Unzahl giebt und die so den Aufenthalt zu einem äußerst lohnenden machen. Hauptsächlich interessant ist die Heidenmauer, welche in größerer Entfernung vom Kloster sich weit ausdehnt. Sie ist für die Alterthumsforscher ein bisher ungelöstes Räthsel. Ohne Zweifel war sie ein altes Festungswerk, wahrscheinlich keltischen Ursprungs. Durchschnittlich beträgt ihre Höhe anderthalb Meter, ihre Dicke zwei Meter. Sie läuft in einer Linie auf dem Vogesenkamme entlang, nur am Ottilienberge hat sie einen dreifachen Mauerkranz um eine Oberfläche von mehr als einer Million Meter im Quadrat. Diente die Heidenmauer früher als verschanztes Lager, oder als Zufluchtsort, oder sollte sie einer Hauptstätte heidnischen Gottesdienstes Schutz gewähren? Wahrscheinlich ist das Letztere der Fall, zumal die Verlegung der Ottiliensage auf diesen Berg dem Grundsatze der ältesten Geistlichkeit entspricht, heidnische Opferstätten zu christlichen Wallfahrtsorten zu machen. Der Volksglaube in jener Gegend schreibt auch diesen Steinen der Heidenmauer besondere Wirkungen zu, denen Dürrbach in dem Gedicht Ausdruck giebt:

Wer in der Gegend bauet,
Der nimmt zu seinem Haus
Von der zerfall’nen Mauer
Sich einen Stein heraus,
Und glaubt, der Stein ertheile
Dem Hause Festigkeit
Und Allen, die ’s bewohnen,
Noch Heil in jeder Zeit.

R. A.