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Von der hansischen Flanderfahrt/I

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Autor: Karl Braun-Wiesbaden
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Titel: Von der hansischen Flanderfahrt

I. Hamburg. Helgoland. Emden. Amsterdam

Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 660-663
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Von der hansischen Flanderfahrt.

Von Karl Braun-Wiesbaden.0 Mit Illustrationen von H. Schlittgen.
I.0 Hamburg. Helgoland. Emden. Amsterdam.

Als wir uns zur Abreise anschickten, sagte mein sechsjähriger Enkel Hellmuth: „Der Papa geht zur Flunderfahrt, und der Großpapa geht auch zur Flunderfahrt.“

Wie Flundern aussehen und schmecken, wußte der Junge. Von Flandern wußte er nichts. Es ist immer besser: das Kind sagt etwas unrichtiges, aber es denkt sich etwas dabei, als es sagt etwas Richtiges und denkt gar nichts.

Die gedachte Aeußerung ruft mir indeß die Verpflichtung in das Gedächtniß, zu sagen, was die „hansische Flanderfahrt“ ist, und wie sie entstanden. Geplant ist ursprünglich die Sache von Mitgliedern des hansischen Geschichts-Vereins, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Geschichte der deutschen Hansa und der zu ihr gehörigen Städte zu erforschen, eine Aufgabe, die ganz Deutschland angeht und von jedem guten Reichsbürger, der dazu im Stande ist, mit Geld oder mit Arbeit unterstützt zu werden verdient.

Aus diesem Kreise also ging 1881 der Plan hervor, auf einem zu diesem Zwecke gemietheten Dampfer eine gemeinsame Fahrt nach den alten hanseatischen Städten der Ostsee zu machen. Ihr Ziel war Wisby[1] auf der Insel Gothland, das im 13. Jahrhundert die Führung hatte, und wir kehrten dann zurück nach Lübeck, das die Nachfolgerin von Wisby wurde. Als wir uns trennten, wurde der Wunsch laut, daß dies nicht die letzte Hansefahrt und daß man darauf bedacht sein möge, auch einmal den Kiel nach Westen zu lenken, um dort in die Fußstapfen der alten hanseatischen Vorfahren zu treten. Der Wunsch wurde zur That, und als unser auf der Wisbyfahrt so rühmlich bewährter Führer, Herr J. D. Hinsch von Hamburg, im Namen des aus Mitgliedern von Hamburg, Bremen und Lübeck zusammengesetzten Comités, an dessen Spitze er steht, die Einladung erließ zur „hansischen Flanderfahrt von 1884“, welche am 19. Juli in der Frühe angetreten werden und uns über Helgoland nach dem ostfriesischen Emden, dann nach der holländischen Handelsmetropole Amsterdam und endlich nach den an hanseatischen Erinnerungen so reichen belgischen Städten Antwerpen, Gent und Brügge führen sollte, erfolgten noch zahlreichere Anmeldungen als zur Wisbyfahrt von 1881. Damals fuhren wir unter dänischer Flagge auf dem Dampfer „Heimdal“. Diesmal aber hatten wir einen deutschen Dampfer, ein ganz neues Schiff, Eigenthum des „Norddeutschen Lloyd“ in Bremen, genannt „Der Schwan“. Er führte die deutsche Flagge und daneben noch die von Bremen und die des Lloyd; bei festlichen Gelegenheiten aber, wozu stets Ankunft und Abfahrt gehörten, entfaltete er daneben noch einen besonderen Flaggenschmuck von allen möglichen Farben. Er machte eine stattliche Figur und erregte namentlich in Brügge, wohin sonst so große Schiffe nicht kommen, Aufsehen. Unsere Zeichnungen geben ein getreues Bild von demselben in seinen verschiedenen Situationen.

Ein großer Theil der Gesellschaft fand sich schon am Vorabende in Hamburg auf dem Schiff ein, um dort zu übernachten. Ich freute mich, eine große Anzahl alter Freunde und Bekannter begrüßen zu können, namentlich auch Wisbyfahrtgefährten und Gefährtinnen. Da waren Senator Versmann von Hamburg und Bürgermeister Burchard von Rostock, beide mit Damen. Desgleichen Justizrath Haeusler von Braunschweig, ferner Senator Dr. Klügmann von Lübeck, Senator Rapp von Hamburg, Senator Brandenburg von Stralsund, Oberbürgermeister von Ibell von Wiesbaden, Dr. Gaedertz von Lübeck, Schierenberg von Frankfurt, Dr. Schiemann und andere deutsche Männer aus Reval sowie aus Riga. Auch die Reichshauptstadt war, wenn auch nicht zahlreich, denn doch würdig vertreten durch den Abgeordneten Stadtsyndikus Zelle und seinen Bruder, den Dr. Zelle, den Liebling der Gesellschaft. Natürlich durfte auch Dr. Koppmann von Hamburg, jetzt Archivdirector in Rostock, nicht fehlen, der auch diesmal für die Flanderfahrt, so wie er 1881 für die Wisbyfahrt gethan hatte, uns einen gedruckten Führer verfaßt hat, der neben sonstigem verdienstvollen Inhalt überall die Beziehungen der zu besuchenden Orte zur Hansa und zu den deutschen Hansestädten und die in jenen noch vorhandenen, der gedachten Beziehung ihren Ursprung verdankenden Denkmale in lehrreichster Weise und zweckdienlicher Kürze hervorhebt. Um es kurz zu sagen: Dr. Koppmann war der geistige, und Herr Hinsch der leibliche oder wirthschaftliche Führer der Gesellschaft, ein Führer, der Alles wußte, Alles ordnete und Jedermann half mit einer Bereitwilligkeit, die niemals auch nur von einem Schatten übeler Laune getrübt war. Er hatte auch an allen Orten, die wir besuchten, vorher schon die nöthigen Verbindungen hergestellt, sodaß wir überall willkommene Gäste waren und für jede Stätte die besten einheimischen Führer und Rathgeber fanden.

Am Tage der Abfahrt hatten wir Gelegenheit, den stolzen Mastenwald Hamburgs zu bewundern. Der großartige Stromverkehr [661] bot jeden Augenblick etwas Neues, so z. B. kleine Boote, dicht besetzt von Arbeitern, die auf der Elbe von draußen nach ihren städtischen Werkstätten und Fabriken eilten; sie hatten zahlreiche kleine Ruder, welche wie Beine aussahen, und wenn so ein kleines, leichtes, schnelles Boot dahineilte, dann war es, als wenn ein Tausendfuß über eine glatte Tischfläche glitte.

Skizzen aus Amsterdam und vom holländischen Nordsee-Canal

Der „Schwan“ lag an dem so schön und zweckmäßig eingerichteten Dallmannsquai; programmmäßig lichtete er präcis um sieben Uhr Morgens die Anker, und wir hatten nun Gelegenheit die villengeschmückten malerischen Ufer zu bewundern. Oder vielmehr nicht die Ufer, sondern das Ufer, nämlich das rechte Ufer von Altona und Ottensen bis Blankenese. Es ist hier wie am Rhein, wo die landschaftlichen Schönheiten und die interessanten Gebäude sich ebenfalls vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, auf dem rechten Ufer befinden. Deshalb ist indeß auch das linke Ufer nicht zu verachten, am wenigsten hier an der unteren Elbe. Denn dies Land hier ist zum großen Theile dem Strome abgewonnen von tapferen niederländischen Männern, welche mit ähnlichem Stolze sich dessen berühmen können, wie die Holländer, welche sagen: „Gott schuf das Meer und wir das Land.“

Diese Marschen des „Altenlandes“ sind von Niederländern, ich glaube sogar von Vlamingen oder Friesen, dem Strome abgewonnen und verdienen daher unsere besondere Aufmerksamkeit, und es ist hier vielleicht der Ort, daran zu erinnern, wie viel Deutschland, insbesondere Norddeutschland und Preußen, den großentheils durch religiösen Fanatismus aus ihrer Heimath vertriebenen Friesen, Vlamingen und Holländern verdankt, welche sich ebenso sehr durch ihr Colonisationsgeschick als durch ihren Gewerbefleiß auszeichneten. Preußen ist besonders dadurch groß geworden, daß es Alle aufnahm, „die mühselig und beladen waren“. Ein Wink für die Gegner der Zugfreiheit!

Helgoland und der Weg dahin sind unzählige Male beschrieben. Ich will mich daher kurz fassen und den geneigten Leser im Uebrigen auf das umfangreiche und gründliche Werk meines alten Freundes und politischen Kriegscameraden Friedrich Oetker, des „Chatten-Häuptlings“, verweisen, welcher Jahre lang auf diesem englischen Eilande als Verbannter verweilt hat, weil er in Deutschland in Gefahr schwebte, auf Veranlassung der damaligen kurhessischen Mißregierung eingesteckt zu werden. („Oetker, Helgoland. Schilderungen und Erörterungen.“ Berlin, Duncker 1855.)

Wir konnten der malerischen Insel, welche sich wie ein von Thürmen flankirtes rothes Schloß aus der See hebt, nur einen flüchtigen Besuch von vier Stunden abstatten. Wie landesüblich, hatten wir die Lästerallee zu passiren, welche sich auf dem Unterland sammelt, um die ankommenden Seekranken zu verspotten, aber bei uns keinen Anhaltspunkt dazu fand, obgleich wir auf See eine „aufspringende Kühlte“ hatten und das Ein- und Aussteigen aus dem Dampfer in die Kähne für Manchen nicht ganz leicht war.

[662] Abends schifften wir uns ein nach Emden, unter Gewitter und Strichregen. Von der Nacht, welche etwas unruhig gewesen sein soll, kann ich gar nichts berichten; denn ich schlief den Schlaf des Gerechten in einem guten und geräumigen Bette. Auch bin ich der Meinung, daß der „Schwan“ eine ruhige Gangart hat, welche noch ruhiger gewesen wäre, wenn er mehr Ladung gehabt hätte, oder Ballast. Nur eine Unart hatte er an sich, welche man sich aber im Interesse der Reinlichkeit gefallen lassen mußte. Jeden Morgen kurz nach fünf Uhr — wo der Mensch noch lange nicht ausgeschlafen, namentlich wenn er sich bis spät in die Nacht auf Deck dem Singen und Trinken und anderen freien Künsten gewidmet hat – begann ein Kettengerassel, das an die schönsten Ritter- und Gespenstergeschichten erinnerte. Es war die Maschine, welche das zum Deckwaschen erforderliche Wasser emporhob. Wir, die Masse des Volks, waren in dem zweistöckigen Zwischendeck des vorderen Schiffes einquartiert. Immer je zwei geräumige Kojen über einander. Hinreichenden Raum und frische Ventilation hatten wir, die alle Schäden heilte, welche man während der großen Hitze zu Lande erlitten. Das Gerassel war für die Frühaufsteher das Signal zum Aufstehen, das sich nicht ohne Geräusch und laute Conversation bewerkstelligen ließ. Aus der einen der oberen Kojen kletterte der Inhaber mit der Geschicklichkeit eines Turners, aus der anderen sprang er gleich Harras. Aus den unteren streckten sich hier ein Paar nackte Beine und dort ein Paar in Jäger’scher Wolle mit Zehen an den Strümpfen hervor aus den sonst mit dunklen Vorhängen geschlossenen Kojen. Dann kamen die einzelnen Gestalten zum Vorschein und entwickelten beim Waschen aus den gemeinsamen Waschbecken und beim Ankleiden sehr achtungswerthe Balancirkünste. Dann folgte ein Rufen und Streiten um Schuhe und Stiefel. Und dann endlich eilten die Unermüdlichen aufwärts und ich hörte sie schreien „Borkum“ und dann „Rottum“. Ich entnahm daraus mit Genugthuung, welch schöne Fortschritte wir während meines Schlafes gemacht hatten, und schlief dann weiter, wobei mir das Aufhören des Kettengerassels sehr zu Statten kam. Als ich aufstand, waren wir schon in dem Dollart, und da das Wasser für unseren großen „Schwan“ zur Zeit nicht tief genug war, so kam ein kleinerer Dampfer, die „Norderney“, um uns aufzunehmen und durch die zur Zeit der Welfenherrlichkeit vielberühmte Schleuse – den Emdenern wurden die Staatsmittel für die Schleuse verweigert, weil sie oppositionell gewählt hatten, und das nannte man die „welfische Schleusenpolitik“ – nach Emden zu fahren, wo wir, geführt von den Emdener Herren de Vries, Oberlehrer Dr. Kuhlmann und Telegraphendirector Hoffmeister, ausstiegen, um uns, nach Einnahme eines Imbisses, der Besichtigung der Stadt und ihrer Sehenswürdigkeiten zu widmen.

Die Stadt hat einen holländischen Charakter, der sich nicht nur in holländischen Inschriften, sondern auch in holländischer Bau-Art und Sauberkeit kundgiebt. Desgleichen in dem Delft und den übrigen zahlreichen Canälen.

Die Hauptsehenswürdigkeit ist das Rathhaus mit seinen Sammlungen. Es ist ein imposanter Renaissance-Bau aus der letzten Zeit des 17. Jahrhunderts. Er hat ohne Zweifel sehr viel Geld gekostet, und ich schließe daraus, daß Emden damals noch eine reiche und blühende Stadt war.

Freilich steht über der Thür der Rathhausstube ein Vers, der uns zu denken giebt. Er heißt: „In spe et silentio fortitudo nostra“, das heißt auf Deutsch: „Unsere Tapferkeit besteht im Ausharren und Schweigen“.

Und diese Tugend des standhaften Ausharrens hat Emden noch nicht verloren. Seine Sammlungen und Kostbarkeiten sind von außerordentlichem Werthe; und es hat an Versuchern aller Art nicht gefehlt, welche schweres Geld dafür boten. Aber Emden hat das böse Beispiel anderer Städte – ich nenne Lüneburg, wo übrigens eine standhafte Minorität, freilich vergeblich, sich dem Verkaufe des Rathsschatzes widersetzt hat – nicht befolgt und die Versucher zurückgewiesen. Es hat seine Schätze bewahrt und sich seine Krone nicht rauben lassen. Unter den Silberschätzen sind namentlich einige Pokale bemerkenswerth. Einer derselben hat die Gestalt eines Schiffes. Dessen Bauch wird mit Wein gefüllt; man kann einen Theil des etwas erhöhten Sterns herunterklappen, um dort den durstigen Mund anzulegen, und während man den kostbaren Inhalt des Fahrzeuges trinkt, wehen Einem die Flaggen und flattern Einem die Segel und Taue um die Nase und vor den Augen. Die Arbeit dieses Kunstwerks ist ausgezeichnet. An einer Strickleiter z. B. klettert ein beinahe nackter Matrose hinauf. Man sieht ihn von der Rückseite; an dem Körper dieses winzigen Figürchens ist jeder Muskel deutlich erkennbar; und man findet keinen Fehler, selbst wenn man das Vergrößerungsglas zur Hand nimmt. Das kostbare Weinschiff soll ein Geschenk der Maria Stuart sein. Freilich läßt sich das nicht beweisen, aber das Kunstwerk verliert auch dadurch nichts.

Ebenso interessant wie die Silberkammer ist die sehr ansehnliche Waffensammlung, sowohl vom künstlerischen als vom militärisch-technischen Standpunkt. Das merkwürdigste Stück derselben ist ein Hinterlader aus dem siebzehnten Jahrhundert – der Urahne der Zündnadel- und der Chassepot-Gewehre.

Neben der großen Kirche ist noch das Waisenhaus zu erwähnen. Es befindet sich in einem ehemaligen Kloster. Ich sah nie vergnügtere und besser gepflegte Waisenkinder. Kleine Jungen von fünf und sechs Jahren machten am hohen Reck die Riesenwelle u. dgl., und das nicht mit Verzagtheit, sondern mit Eleganz und Wohlbehagen. Gott segne den Nachwuchs und seine Pfleger! Die Rückfahrt zum „Schwan“ war nicht ohne Schwierigkeiten. Der Canal war sehr verschlickt und die Ebbe bereits eingetreten. Einige blieben zurück und kamen per Eisenbahn nach, wie die Holländer meinten, wegen Furcht vor „Zee-ziekte“ (wörtlich: See-Siechthum); anderen gelang es nur unter Beistand thatkräftiger Ruderer das Schiff noch knapp zu erreichen. Und dann ging’s wieder hinaus auf die wogende See. Wir hatten den Wind von der Seite, und das Schiff rollte ein wenig; sonst ging die Fahrt gut; und als ich Morgens auf Deck kam, waren wir schon nicht mehr weit von dem Eingang zu dem Nordsee-Canal, der uns einladend seine riesigen Molen entgegenstreckte. Es ist wahr, der Canal langweilte uns ein wenig durch den langen Aufenthalt an den Schleusen. Allein das war unsere Schuld. Unser „Schwan“ war zu lang. Ursprünglich wollten wir unseren Weg durch den interessanten großen „nordholländischen“ Canal nehmen. Als sich da die Unmöglichkeit der Ausführung darstellte, mußten wir uns auf den weit kürzeren Nordsee-Canal zurückziehen, wo uns aber ebenfalls einige mit Zeitverlust verbundene Schwierigkeiten entgegentraten.

Desto besser konnten wir dafür den Canal mit seinen Schleusen, mit seinen Ufern und den Anwohnern studiren. Unser Zeichner giebt uns eine gelungene Probe der Letzteren. So standen sie und so staunten sie unser großes Schiff an. Der Mann in Beinkleidern von unermeßlicher Weite, – den ungarischen „Gatjen“ vergleichbar, nur daß sie nicht weiß, sondern schwarz waren; die dünnen Beine in riesigen Holzschuhen, die aussehen wie Oderkähne; auf dem Haupt den ein wenig „auf Krakehl sitzenden“ Südwester; und im Mund, und zwar in einer hierzu hergestellten Zahnlücke das kurze, schwarzgerauchte, irdene Pfeifchen. Die theure Gattin und der hoffnungsvolle Junge waren auch dabei. Die Erstere lachte uns aus und der Letztere begrüßte uns mit einem zwar unmelodischen, aber gut gemeinten Gegröhle. Das Land zeigte uns üppige Wiesen mit Kühen so schön, als wenn sie Potter gemalt hätte, hübsche Landsitze und links im Hintergrunde die Stadt Zaandam mit vielen Windmühlen, wovon einige nicht vier, sondern nur zwei Flügel hatten. Die Stadt liegt an einem kleinen Fluß, der Zaan (Sahn) heißt. Ihr Name bedeutet den Damm an der Sahn. Wir Deutsche haben das Wort in Zardam verballhornt, und diese unrichtige Form ist seit Lortzing’s Oper „Zar und Zimmermann“ in Jedermanns Munde. Es wäre Zeit, sie abzuschaffen.

Der Canal, welcher die kürzeste Verbindung zwischen der holländischen Handelsmetropole und der Nordsee hergestellt und das Y (Ei) trocken gelegt hat, ist fünfundzwanzig Kilometer lang, acht Meter tief und durch drei Schleusen geschützt gegen den Andrang der Fluthen des Meeres. Der Volkswirth sieht ihn mit anderen Augen an, als der Maler. Er sieht nicht nur die pittoresken Gewächse am Ufer, sondern zuerst unten die in die Erde senkrecht eingerammten großen Eichenstämme; dann die horizontal gemauerten Basaltsäulen, welche den Rhein herunter gekommen; darüber dann als dritte Schicht die Mauern von Klinkersteinen; über diesen Mauern netzförmige Geflechte lebendiger Weiden, und endlich das mit Strandhafer u. dergl. befestigte Ufer. [663] Und doch durfte trotz dieser außerordentlich sorgfältigen und soliden Uferbefestigung unser allzu mächtiger „Schwan“ nur ganz langsam fahren.

Angesichts der Stadt Amsterdam, welche wir gegen zwei Uhr Nachmittags erblickten, kam uns ein reich beflaggter Hafendampfer entgegen, und schon auf eine ziemliche Entfernung trat eine eigenthümliche Wechselwirkung zwischen diesem Dampfer und dem unsrigen ein. Unser Reisegefährte, Herr Kindermann, hatte einen photographischen Apparat an Bord, und während er mittelst desselben ein Momentbild von dem Amsterdamer Schiffe aufnahm, bemerkten unsere scharfblickenden Seeleute auch auf diesem einen photographischen Apparat, welcher beschäftigt war, unseren „Schwan“ aufzunehmen. Erst als wir uns „bephotographirt“ hatten, begrüßten wir uns. Es waren nämlich an Bord des Hafendampfers, von welchem uns die unsererseits mit endlosem Jubel aufgenommene „Wacht am Rhein“ entgegentönte, der erste Bürgermeister der Stadt, Herr van Tienhofen, ein Gelehrter, ein Verwaltungsgenie ersten Ranges und ein „finished gentleman“, der Stadtrath Ankersmit und der Vorstand der Alterthumsgesellschaft, an dessen Spitze Herr E. Schöffer steht, in welchem ich später den Sohn eines Freundes und Collegen kennen lernte.

Sein Vater Conrad Heinrich Schöffer war nämlich während der siebenziger Jahre gleichzeitig mit mir Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Dieser, der Vater, war in Gelnhausen in weiland Kurhessen geboren, hatte dann in Amsterdam, wo er zu gleich als Consul der freien Stadt Frankfurt am Main fungirte, ein Menschenalter lang an der Spitze eines großen Geschäftes gestanden, das er seinem Sohne übergab, um sich in der Nähe seiner Vaterstadt ein Tusculum zu errichten, wo er seit 1865 den Rest seiner Tage in gemeinnützigem Wirken zubrachte. So findet man überall Beziehungen und Bekannte, und jeden Tag findet jenes kühne Wort des Columbus Bestätigung: „El mondo e poco“, das ist: die Erde ist klein und wird durch Herstellung allseitigen Zusammenhanges immer kleiner.

Schon ehe unser „Schwan“ an dem „Anleeg-Plaatsen“, der nach dem berühmten niederländischen Seehelden benannten „Ruyter-Kade“, angelegt hatte, befand sich in der Hand eines Jeden von uns ein zugleich als Passepartout, oder wie es in dem sich der romanischen Fremdworte viel weniger bedienenden Holländisch heißt, als „Algemeen Toegangs-Bewijs“ (allgemeiner Zugangs- oder Zulassungs-Nachweis) dienender Führer, welchen wir der (sich stets der praktischsten Mittel bedienenden) Liebenswürdigkeit des „Königlichen Alterthums-Vereins in Amsterdam“ verdankten. Der Führer bestand in einem Plan (Plattegrond) Amsterdams, das heißt des neuesten gegenwärtigen Amsterdam, wie sich solches gestaltet hat durch Herstellung einer Art Insel zwischen den verschiedenen Docks und dem Ueberreste des „Y“, auf welcher mit dem Festland durch geeignete Zugänge verbundenen Insel sich die Centralstation der Eisenbahnen befindet und die Aufgabe einer in einander greifenden Verbindung der Eisen- und der Wasserstraße, der Dampfkraft zu Wasser und zu Land, der Dampfschiffe und der Locomotiven, in der glücklichsten Weise gelöst wird. Freilich kam es mir, der ich die Stadt seit einem Menschenalter kenne, vor, als habe der Anblick der Stadt von der See aus dadurch etwas gelitten. Darauf kann es nun aber freilich nicht ankommen, wo es sich um die höchsten Cultur- und Handelsinteressen handelt. Der Führer bestand sodann zweitens aus einem Verzeichnisse dessen, was uns unsere niederländischen Freunde „anzubieten“ oder zur Verfügung zu stellen die Gewogenheit hatten.

Wir haben an den zwei Tagen ein großes und genußreiches Programm ordnungsmäßig erledigt. Die Begrüßung auf dem Rathhause durch den Herrn Bürgermeister van Tienhofen war herzlich, kurz und deutlich. Ausführlicher sprach er auf dem Bankett, beide Male in formell vollendeter deutscher Sprache. Die erste Begrüßung fand auf dem Rathhause statt, wo wir zugleich Gelegenheit hatten, die prachtvollen Bilder von Fr. Bol (die Vorsteher des Leprosen-Hauses über die Aufnahme eines aussätzigen Knaben entscheidend) und das Schützenbild des Franz Hals, zu bewundern.

Im Zoologischen Garten ergötzten wir uns an der guten Musik und an dem „Aquarium“, dem schönsten, reichsten und bestgepflegten, das ich jemals gesehen, wobei ich auch die europäischen Millionenstädte nicht ausnehme. Unsere liebenswürdigen holländischen Wirthe widerlegten mit Worten und Thaten die alberne Mär, daß in Holland ein fanatischer Haß gegen Deutschland herrsche. Sie fuhren uns zu Land und zu Wasser durch alle Partien der hochinteressanten und durch und durch originellen Stadt. Die Wasserpartie allerdings verregnete am ersten Tage recht gründlich.

Ich glaube, ich habe eine vollständige Anschauung der Stadt in ihren sehr verschiedenen Bestandtheilen und in ihren Eigenschaften, Eigenheiten und Eigenthümlichkeiten gewonnen, will mir aber die Darstellung für das nächste Capitel versparen, worin ich eine Vergleichung mit Antwerpen, der belgischen Handelsmetropole, zu versuchen gedenke.

Der Seitencanal, welchen unsere Zeichnung darstellt, bildet den schärfsten Gegensatz zu den vornehmen, stillen und reichen äußeren Grachten, zu welchen er sich verhält, wie der Canal Piccolo in Venedig zu dem Canal Grande und seinen prachtvollen Palästen.

Dienstmädchen in Amsterdam

Für heute mögen ein paar Momentbilder von der Straße der Charakteristik der Stadt als Vorläufer dienen. Da ist ein Mädchen aus Nordholland mit seiner eigenthümlichen Kopftracht, den Metallbuckeln an den Schläfen, welche in seltsamen großen Spiralen auslaufen; und hier ein frisches blondes Dienstmädchen mit Wangen wie Milch und Blut, den Haushaltkorb an der Rechten und den widerstrebenden Jungen an der Linken, Wirthschafterin und Kindermädchen in Einem. Das einfache geblümte Kleid und die untadelhaft weiße Schürze erhalten ein unangenehmes Gegengewicht in den colossalen Holzschuhen, die hier der dienenden Classe eigenthümlich; der Soldat im Hintergrund in seinem Regenmantel, die Kinnkette unter der Nase, ist gerade nicht sehr martialisch. Aber reinlichkeitsliebend ist auch er; denn er hat sich bei dem Regenwetter die Hosen aufgekrempelt, um sie vor Schmutz zu bewahren.

Der Gipfel aller unserer geselligen Vergnügungen war das uns gegebene Diner in dem prachtvollen, elektrisch erleuchteten Saal von Krasnapolskij. Auch die Damen unserer freundlichen Wirthe erwiesen uns die Ehre, daran Theil zu nehmen. Leider reicht weder der Zeichenstift noch die Feder aus, ein solches Fest zu beschreiben. Es wird in eines jeden daran Betheiligten Erinnerung leben.

  1. Vergl. Nr. 41, Jahrgang 1881.