Vor zwanzig Jahren

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Caspar Butz
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vor zwanzig Jahren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 263–264
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[263]
Vor zwanzig Jahren.[1]
Beim ersten Begräbniß im Urwalde.
Von Caspar Butz.

Ich führ’ Euch in des Urwalds dichtes Grün,
Dort, wo er aufwärts strebt, frei, ohne Schranken;
Wo ihn die Bildnerin Natur läßt blüh’n,
Als schönsten ihrer schaffenden Gedanken,
Als Bild des Lebens auch, des Kampfes Bild,
Wo stolz das Licht der Riese nimmt dem Zwerge,
Bis, nach des Riesen Sturz, vom Boden quillt
Das Pflanzengrün, das ihn für immer berge.

Die erste Lichtung! eng noch ist der Raum;
Sieh’ dort die blitzgespalt’ne hohe Eiche!
Der Aexte Spur an manchem knorr’gen Baum
Verkündet Untergang dem Waldesreiche.
In dieser Blätterstille soll fortan
Sich frisch entfalten neues junges Leben;
Und doch! die erste Arbeit, die gethan,
Es ist ein Grab und dort der Sarg daneben.

Auch hier der Tod! – er fordert stets sein Recht,
Und greift am liebsten in das reichste Leben,
Wo, neuer Hoffnung voll, ein kühn Geschlecht
Nach neuen Zielen muthig pflegt zu streben.
Die alte Frau zog mit den Kindern fort,
Um hier zuerst im Sarge Ruh’ zu haben,
Von ihr auch gilt des düstern Dichters Wort:
„Die Heimath hätte leichter sie begraben.“

Ein ernstes Häuflein, doch ein Häuflein nur,
Versprengt von Deutschlands letzten Kampfesstätten;
Im dunklen Walde suchen sie die Spur
Der Freiheit, die sie nicht mehr konnten retten.
Des Waldes rothe Söhne sitzen mit
In diesem Kreise, ohne Scheu und Zage,
Zu lauschen, eh’ nach Westen geht ihr Schritt,
Des Weißen erster, ernster Todtenklage.

Dort auf dem Riesenstumpf der Tanne steht
Ein bärt’ger Mann; der Rede wartet Jeder;
Wie ihm der Wind durch volle Locken weht,
Sonst sprach er wohl von anderem Katheder!
Ich kenn’ ihn längst: einst stand sein Haus am Rhein,
Ein gastliches Asyl den Kampfgenossen;
Jetzt trägt sein Haar, mit Ehren, Silberschein,
Denn zwanzig Jahre sind seitdem verflossen.

Ja zwanzig Jahr! – doch damals sprach sein Mund,
Am off’nen Grabe dieser ersten Todten:
„Auch diese sank hinab zum Erdengrund,
Wie stets noch die Nothwendigkeit geboten.
Ob wir vergeh’n auch, ewig ohne Spur,
Was wir geschaffen, bleibet unverloren,
Nichts ist der Name, strebt und wirket nur,
Bis einst die freie Menschheit wird geboren.“

[264]

Bist Dir so sicher, Freund? Ist’s mehr als Wahn,
Daß auch noch Träume diesen Schlaf durchbeben?
Wir stehen Beide auf demselben Plan,
Doch – ewig Räthsel bleibt das Menschenleben.
Vermodert ist die Todte längst im Grund,
Der Du den Leichenspruch im Wald gehalten;
Fast selbst der Wald verschwand, so farbenbunt,
Und um Euch seh’ ich andere Gestalten.

Ein neu Geschlecht, gezeugt in Kampf und Noth,
Im Ringen mit des Urwalds schweren Schollen,
Dem selber schon das harte Lebensbrod
Der Acker, tiefgepflügt, muß willig zollen!
Die junge Zucht, wie sie im Wald erstarkt!
Schon lenkt der Sohn des Vaters Ackerpferde,
Er zieht für Euch schon auf des Lebens Markt
Und theilt mit Euch die Arbeit und Beschwerde.

Auch nicht vergaß er unsrer Heimath Land;
Wie eine Sage klingt’s durch Halm und Schoten,
Wie wir das Dörflein tausend einst benannt
Nach Deutschlands unvergess’nem Martyrtodten.[2]
Die Kirsche reift, der Birnbaum blüht in Pracht,
Wenn auch den Wein versagen diese Breiten,
Bald, wie am Rhein, wird aus des Waldes Nacht
Ein deutscher Markt emporblüh’n in die Zeiten.

Uns aber einigt noch der alte Geist,
Auch er ist ewig wie der Himmelsbogen;
Noch nicht verduftet war er, wie Du weißt,
Als wir gar traute Zwiesprach jüngst gepflogen.
Versprengt einst in Columbias Urwaldsgrün,
Ein Fähnlein, wund, in Thränen und in Trauern:
Was Ihr geschaffen, wird in frischem Blüh’n
Noch manch Jahrzehent kräftig überdauern!

Chicago im Juni 1869.

  1. Der Verfasser dieser schönen, gedankenreichen Strophen gehört zu der großen Schaar derjenigen, welche im Jahre 1848 infolge der politischen Verhältnisse der deutschen Erde den Rücken kehren und sich jenseits des Oceans eine neue Heimath gründen mußten. Er lebt gegenwärtig in Chicago und gilt, wie man uns von befreundeter Seite, der wir auch das Gedicht verdanken, schreibt, als der bedeutendste deutsch-amerikanische Dichter.
    Die Redaction.
  2. Robert Blum.