Württemberg nach seiner Vergangenheit und Gegenwart (Griesinger): Gmünd

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Textdaten
Autor: Theodor Griesinger
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Titel: Gmünd
Untertitel:
aus: Württemberg nach seiner Vergangenheit und Gegenwart in Land und Leuten gezeichnet.
S. 268–270
Herausgeber:
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag:
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch Schwäbisch Gmünd
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S. 269
St. Johanniskirche in Gmünd.

[268] Von Lorch aus erreichen wir in anderthalb Stunden die frühere Reichsstadt Gmünd, die Beherrscherin des Remsthals, und je näher wir kommen, um so unumwundener müssen wir gestehen, daß sie ihren Namen: „Gaudium mundi“, „der Welt Lust“, gar wohl verdient. Liegt sie doch wunderschön inmitten eines Kranzes hoher Berge in dem hier ziemlich erweiterten Thale der Rems, gleichsam zwischen Lustgärten begraben und von einer Menge der freundlichsten Gartenhäuschen umgeben! Doch nicht bloß ihre herrliche Lage macht sie zu einem „Gaudium mundi“, sondern noch viel mehr die Denk- und Lebensweise ihrer Einwohner. Da sieht man nichts von Kopfhängerei oder gar vollends Lebensüberdruß, und obwohl sie sich wenigstens zu drei Viertheilen rühmen, recht gut katholische Christen zu sein, so wissen sie doch (wenigstens in der Mehrzahl) nicht von Bigottismus, Intoleranz und Ketzerhaß. Vielmehr herrscht unter Alt und Jung, unter Männlich und Weiblich ein frischer, froher Sinn, und selbst in bösen Tagen lassen die Gmünder sich ihren Humor nicht nehmen.

               „Drum hört man auch geigen, singen,
               Tanzen dort ohn’ Unterlaß,
               Und wenn alle Saiten springen
               Klingts noch mit dem leeren Glas.
               Und wenn bald ringsum verhallen
               Becherklingen, Tanz und Sang,
               Wird zu Gmünd noch immer schallen
               Selbst aus Trümmern lust’ger Klang.“

Deßwegen darf man aber nicht glauben, daß die Leute dort den ganzen Tag die Hände in den Schooß legen und die Sorge um den Erwerb des täglichen Brods dem lieben Herrgott im Himmel überlassen. Im Gegentheil gehört Gmünd zu den gewerbfleißigsten Städten des Landes und seine vielen Silber-, Gold- und Bijouteriefabriken in Verbindung mit seinen Perlenstickereien haben einen Namen nicht bloß in Württemberg und Deutschland, sondern weit darüber hinaus in Rußland, Amerika und China. Ebendarum ist auch die Einwohnerzahl, die vor einiger Zeit (kurz nach der Aufhebung der Reichsfreiheit) stark im Abnehmen begriffen war, in neuester Zeit bis auf beinahe achttausend dreihundert Seelen gestiegen, wobei jedoch nicht außer Acht gelassen werden darf, daß die württembergische Regierung durch die Gründung verschiedener wichtiger Unterrichtsanstalten, wie das Taubstummen- und Blindeninstitut, das katholische Schullehrerseminar u. s. w., sodann durch die Schießübungen der Artillerie, welche jeden Sommer hier in einem Seitenthälchen der Rems veranstaltet werden, endlich durch die Eisenbahn und den Bahnhof nicht wenig zu solchem Wachsthum der Stadt beigetragen hat. Allein in all’ diesem liegt noch nicht einmal die Hauptmerkwürdigkeit Gmünds, sondern diese ist vielmehr in den Denkmälern seiner Vergangenheit zu suchen, und zwar vor allem in seinen Kirchen. Wisse nämlich, o Leser, und staune: diese verhältnißmäßig kleine Stadt besitzt (oder besaß vielmehr bis 1803) nicht weniger als 18, sage achtzehn Kirchen (nebst sechs Klöstern), und man könnte sie also füglich die Stadt der Kirchen nennen! Darunter sind allerdings solche, mit denen man nicht viel Aufhebens machen kann, wie „St. Michael“ bei der Stiftskirche, „St. Georg“ bei dem Ledergassenthor, „St. Sebald“ in der Waldstetter Gasse, „St. Joseph“ vor den Thoren und und „Unsers Herrn Ruh“ an der Straße nach Aalen; aber umgekehrt kann die Stadtpfarrkirche „zum heiligen Kreuz“, ein gewaltiger, im rein gothischen Styl von anno 1351–1377 erbauter Tempel, dessen herrliches Gewölbe auf zwei und zwanzig kolossalen Säulen ruht, in Beziehung auf Schönheit, Reichthum und Größe den Vergleich mit den Gotteshäusern der größten Städte gar wohl aushalten, wiewohl zugegeben werden muß, daß der Eindruck dieses Doms ein noch viel überwältigenderer sein müßte, wenn nicht die beiden Thürme am Charfreitag 1497 plötzlich eingestürzt und seither nicht wieder aufgebaut worden wären. Noch merkwürdiger ist die „St. Johanniskirche“, deren Wände (besonders die Einfassung unter dem Dache) mit hieroglyphischen Figuren aller Art verziert sind und deren hoher und schöner, aber eigenthümlich geformter Thurm, der sogenannte „Schwindelstein“, bis zur höchsten Spitze hinauf ganz massiv ohne Balkenwerk gebaut ist. Der Sage nach soll dieselbe von der Kaisertocher [270] Agnes, der Gemahlin des Schwabenherzogs Friedrich von Hohenstaufen, aus Dankbarkeit dafür, daß ihr während einer Jagd verloren gegangener Ehering wieder gefunden wurde, um’s Jahr 1100 gegründet worden sein; allein ihre Baurart ist vorgothisch und somit dürfte ihre erste Entstehung jedenfalls in die Zeit vor dem eilften Jahrhundert fallen. Ganz dasselbe gilt von dem „St. Veitskirchlein“, d. h. auch dessen Baustyl verräth ein Alter, das weit hinter die Hohenstaufenzeit zurückgeht, und es sollte daher kein Besucher Gmünds an ihm vorübergehen, ohne ihm einen Besuch abzustatten. In eine weit spätere Zeit fällt die Erbauung der übrigen Kirchen Gmünds, von denen ich jetzt sprechen sollte; allein da dieselben mit der Aufhebung der Klöster anno 1803 zum größten Theil in Magazine verwandelt oder zu sonstigen weltlichen Zwecken ihres Kirchenthums entkleidet wurden (dasselbe geschah auch mit den Klöstern und es ist z. B. das Augustinerkloster der Sitz des Oberamts und Kameralamts geworden, während das Franziskanerkloster in ein Schullehrerseminar, das Dominikanerkloster in eine Artilleriekaserne und das Kloster zu St. Ludwig in ein Schulhaus umgewandelt wurde), so kann ich wohl mit Stillschweigen über sie hinweggehen. Mit dreien jedoch mache ich eine Ausnahme, nämlich mit der Augustinerkirche, mit der Kirche von Gotteszell und mit der Wallfahrtskirche St. Salvator. Die „Augustinerkirche“ nämlich wurde seit neuerer Zeit den Protestanten eingeräumt und in der „Kirche von Gotteszell“ – letzteres ein schönes, helles, geräumiges Gebäude, das fünf Minuten vor Gmünd außen an der Straße nach Aalen liegt, war früher ein Frauenkloster und wurde nach seiner Aufhebung in eine Strafanstalt für schwere Verbrecher verwandelt – wird allsonntäglich den Zuchthausgefangenen gepredigt; die „St. Salvatorkirche“ aber, die über der Rems drüben auf dem Calvarienberge liegt und eigentlich aus zwei über einander in den Felsen gehauenen Kapellen besteht, besitzt ein wunderthätiges Marienbild, zu welchem jetzt noch viele Gläubige wallfahrten, obwohl freilich nicht mehr in der Anzahl wie früher, wo um die Passionszeit die Leidensgeschichte in allen ihren Momenten von der Gefangennehmung an bis zur Kreuzigung in großartigen Festspielen öffentlich producirt wurde.

So sieht’s in Gmünd aus und es läßt sich daraus wohl der Schluß ziehen, daß dasselbe eine bedeutende Vergangenheit haben mußte. Seine Gründung fällt auch in der That in’s graue Alterthum zurück, denn so viel ist sicher, daß hier der Abt von St. Denys von Kaiser Karl dem Großen Grundeigenthum geschenkt erhielt (die ganze Gegend war Königseigenthum oder vielmehr königlicher Jagdgrund) und darauf ein Klösterlein mit einer Kapelle – wahrscheinlich die jetzt noch stehende Veitskapelle – erbaute. Nun gab’s eine Ansiedlung und der mit dem Kirchlein verbundene Markt zog immer mehr Leute an. Besonders viel aber verdankt Gmünd den Hohenstaufen (wie denn z. B. Kaiser Barbarossa dasselbe ummauerte und ihm Stadtgerechtigkeit ertheilte), und es erstarkte unter ihrem Schutz so sehr, daß es noch dem Untergang derselben von Kaiser Rudolph dem Habsburger Reichsfreiheit erhielt. Von nun an übrigens ist seine Geschichte ganz dieselbe, wie die der andern schwäbischen Reichsstädte, d. h. durch Handel und Gewerbe (die Goldschmiedezunft war schon im Mittelalter sehr bedeutend) erwarb es sich großen Reichthum und durch die ewigen Fehden mit dem benachbarten Adel, besonders mit den Grafen von Rechberg und den Regenten von Württemberg verlor es am Ende seine politische Bedeutung. Der Reformation schloß es sich nicht an, denn obwohl es einmal anno 1525 tüchtig gährte, so wußten doch die vielen in der Stadt lebenden Mönche, den eben so klugen als gewaltthätigen Minoritenguardian Laib an der Spitze, die ketzerische Bewegung schon im Keime zu ersticken; allein eben deßwegen ward es im schmalkhaldischen Kriege vom protestantischen Bundesherr und im dreißigjährigen Kriege von den Schweden hart mitgenommen. Im Jahr 1803 kam Gmünd mit seinem ganzen Gebiet, wozu das Amt Bettringen mit achtzehn Dörfern und Weilern, sowie das Amt Spreitbach mit sechzehn Dörfern und Weilern gehörte, an Württemberg, und daß dieß kein Unglück für die Stadt war, geben ihre Bewohner jetzt selbst mit Freuden zu.