Wartburg (Louise Otto)
I.
„Hier, diesen Harnisch hat ein Weib getragen“,
Sprach in der Burg der alte Kastellan.
Wohl gilt’s jetzt nicht, das Herz in Erz zu schlagen.
Daß nicht ermordend ihm die Feinde nahn!
Wohl bitter hat es euer Thun empfunden!
Doch mag es nimmer andern Schirm und Schild,
Als die Begeistrung, die vom Herzen quillt.
Hoch am Himmel stand die Sonne,
Ausgesendet vom Thron des Höchsten,
Zu segnen die Erde mit Glanz und Wärme.
Und der Engel breitete
Die strahlenden Arme weit aus –
Näher dem Himmel, näher der Gottheit.
Verteilte sie dahin und dorthin;
Und die Ringe wurden zu Heiligenscheinen,
Dahin sie der Engel geworfen.
Und solch eine Himmelsglorie,
Solch ein Heiligenschein krönte noch einmal
Die Krone der Burgen des Thüringer Waldes:
Ich stand und schaute.
So lange ich daheim verweilt
Ein spielendes Kind, eine sinnende Jungfrau
An den Ufern der Elbe, wo uralte Burgen
An des Mittelalters eiserne Gestalt:
An den Ufern der Elbe, wo grünende Reben
Mit reifenden Trauben verheißend mahnen
An der neuen Zeiten gärende Gewalt.
Den reben- und burgbekränzten, so lange auch weilte
Die Sehnsucht in meiner Brust nach der Krone der Burgen
Des Thüringer Waldes: der uralten Wartburg.
Meine Hände waren gefalten,
Thränen mir in den Augen wallten,
Nieder ein Tropfen fiel:
Ich war am Ziel.
II.
Hinauf zur Burg, der erinnerungsreichen! –
Noch steht sie da ein heilig sichres Zeichen,
Daß was in ihr gekämpft ward und gestrebt
Auch wir ersiegen, wenn wir nimmer weichen
Du deutsche Burg mit dem deutschen Namen.
„Wartburg“! Ach, nur zu deutsch,
Denn wo auch der Deutsche sich eine Burg mag bauen
Zu wahren seine heiligen Rechte,
Und er wartet geduldig – wie lange noch?! –
Und drinnen im hochgewölbten Rittersaal
Winkt zwischen gothischen Säulen
Ob ich auch oft gehöhnt und verspottet
Die heilig gesprochnen, gebeugten Gestalten,
Die ’s nur mit Fasten und Träumen gehalten.
Die sich gegeißelt, die sich gemartert,
Im frechen, thörichten Wahnsinn
Um die Gunst des Himmels zu buhlen.
Ob ich auch bilderstürmerisch im Gemüte
Oft gestanden in Kirchen und Klöstern,
Weil sie die Menschheit frevelnd entmenschlicht, –
Es verstummte das scheltende Wort
Und der Spott auf der Lippe –
Und eine fromme Thräne trat in mein Auge
Die goldene Grafenkrone,
Den eitlen schimmernden Reif
Nahm sie demütig aus den Locken
Dem gegenüber,
Ihm hatten nichts gegolten Purpur und Kronen,
Und nichts die Macht auf goldenen Thronen,
Ein Kind aus dem Volke
Die Hungernden hat er gespeist,
Die Kranken hat er geheilt, den Schwachen vergeben.
Und mochte nie den ersten Stein erheben
Auf eine schwache Sünderin.
Ist er gestorben für die Ausgestoßnen
Und hat als seine Erben hinterlassen,
Die Armen aller Völker, aller Zeiten,
Die Armen alle, die er Brüder nannte,
Das wußte wohl Elisabeth!
Sie hat die große Erbschaft angetreten
Bei ihres Landes, ihres Volkes Armen:
Sie hielt’s nicht nur mit Fasten und mit Beten,
Hernieder stieg sie von der Wartburg
Zu den Bekümmerten, und als graunvolle Hungersnot
Den Segen aufgezehrt und bleiches Elend
Wie ein grausiger Fluch wandeln ging durch die Lande,
Gab was sie hatte, sich selbst nicht besser achtend
Als die Geringsten im Volke.
Da wandelten sich unter ihren Händen
Doch war sie entronnen den Augen der Späher
Und stand unter den bleichen Gestalten der Not,
Da wurden wieder die Rosen zu Brot.
Und in der helligen Wundermäre
Seht Ihr die Kindlein Blumen pflücken,
Den duftenden Strauß in[1] den Händen der Not,
So wandelt die Blumen zu[2] Brot.
III.
Und drinnen im hochgewölbten Rittersaal
Poesie, Deinen edelsten Sängerkrieg!
Damals zogen die Sänger noch ein
In die Hallen der Fürsten und Großen,
Priesen der Minne Glück, priesen das Vaterland
Die Großen fühlten höchlich sich geehrt,
Wenn der Poet bei ihnen eingekehrt.
Wohl giebt’s noch Sängerkriege,
Als einstens der Sängerkrieg ward gefochten
In deinen Hallen, uralte Wartburg.
Krieger sind jetzt die Sänger
Gottentflammte begeisterte Volkstribunen.
Ruhmespsalmen singen und kämpfen sie –
Nein, eine höhere Sendung
Ist jetzt den Dichtern geworden.
In gleicher Gesinnung
Ziehen nicht ein in die Hallen der Großen,
Sie sind daraus verstoßen –
Haben sich selbst verbannt.
Draußen aber bei allem Volk
Vor den Kerkern Unschuldiger
Singen sie ihre Weisen:
Von den Rechten der Unterdrückten,
Von der Freiheit der Gefesselten,
Von der Teilung der Arbeit und des Erbes
Für alle Menschgeborenen!
Und sicher ist sein Sieg.
IV.
Wie Orgelklang hört ich’s tönen,
Und laut in den innersten Tiefen der Seele
Vernahm ich ein feierlich Wort,
Das wie ein Echo von diesen Wänden
Es war das Wort aus dem alten Gesang
Des mutigen Mönches vergangener Zeit,
Der mit diesem Lied seine Zelle geweiht.
„Und ob die Welt voll Teufel wär’
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es muß uns doch gelingen!“
Ja, Luther hat vor Menschen nicht gezittert
Und nicht vor einer Welt voll Teufel!
Da faßte der kühne Mann das Tintenfaß
Und warf’s dem Dämon siegvoll hin.
So hat er protestirt gegen die Lügenbrut
So protestieren wir: schleudern die Tintenflut
Gegen all die Philister und Spukgestalten
Die’s mit dem Teufel halten,
Der wider Recht und Pflicht
Wir werden nimmer die Waffen strecken
Bis alle Feinde rings vernichtet
Und alles Dunkel aufgelichtet.
Gilt’s nicht zu handeln – gilt es doch zu schreiben.
„Das Reich Gottes muß uns bleiben! –“
V.
Sinnend stand ich, traumverloren
Vor dem kleinen Altar in der Kapelle.
Schwarze Gewitterwolken waren aufgezogen
Mitten in die purpurne Abendröte
Zuckten goldene Blitze flammend in Siegesgewißheit,
Und dennoch schnell verschwindend –
Also zuckte durch meine Seele,
Eine Gedächtnistafel schwarz-rot-golden
In meinem Innern enthüllend.
Und auf der Tafel stand mit leuchtender Schrift:
Tausend achthundert und siebzehn.
Vor dem damals die deutsche Jugend
Siegesmutig gestanden,
In allgemeiner Liebesverbrüderung
Sich die Hände gereicht und das vaterländische Bündnis
Und ich stand vor dem Altar
Thränenden Auges!
Und doch fühlt ich wie sie, wie die hoffende Jugend,
Jugendkraft in den Adern
Für die heilige Sache des Vaterlands! –
Aber ich stand und weinte.
Auch das mutige Aufjauchzen
Aus dem Herzen der deutschen Jugend
Durfte es damals nicht – darf es auch heute nicht –
Denn es will mich bedünken:
Als habe der Argwohn selbst eine Burg erbaut
Mitten im deutschen Land – auch eine Wartburg!
VI.
In den mauerumgebenen Schloßhof,
Die nichts gesehen von der vergangenen Tage Herrlichkeit,
Von der vergangenen Tage Leid.
Schaute noch einmal ruhig strahlend hervor,
Die unvergängliche Klarheit der Sonne.
Und beleuchtete zu meinen Füßen,
Ein Werk der spielenden Natur,
Ich pflückt’ es als Angedenken – als vierfaches
An diese Burg, die erinnerungsreiche,
Und that dabei einen Schwur, einen vierfachen:
Elisabeth, die Heilige,
In allumfassender Menschenliebe
Der Armen mich zu erbarmen.
Und in dem Sängerkrieg, dem neuen, heiligen
Will ich stehen und fechten, bis mit dem letzten Lied
Und protestieren will ich nach Luthers Wort,
Und für den freien Glauben
Mit freier Rede in die Schranken treten! –
So steh ich ernst und frei vor allem Volk.
Und wollt Ihr nun mich höhnen und verdammen,
Weil nur die schwache Jungfrau zu Euch spricht:
Nicht löschen könnt Ihr der Begeist’rung Flammen,
Und wenn mein Herz von Euch verstoßen, bricht,
So bricht’s mit Luthers Worten doch zusammen:
„Gott helfe mir! – doch anders konnt ich nicht!“ –