Was Hannchen im Walde erlebte

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Autor: Elsbeth Montzheimer
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Titel: Was Hannchen im Walde erlebte
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aus: Märchen
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Entstehungsdatum: 1923
Erscheinungsdatum: 1927
Verlag: Leipziger Graphische Werke A.-G.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
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[76]
Was Hannchen im Walde erlebte.

Hannchen, das Kind einer armen Witwe, mußte eines Tages einen Botengang in das Nachbardorf tun.

Das Osterfest war nahe, darum beeilten sich Baum und Strauch, ihre grünen Knospen zu entfalten, dazu zwitscherten die Vögel muntere Frühlingslieder.

Hannchen beachtete all dieses Frühlingsweben, denn sie war ein aufgewecktes Kind, das viel Sinn für Gottes schöne Natur hatte. Als sie den Wald erreichte, galt es, auf den Weg zu achten. Eilig schritt sie weiter.

Da hämmerte der Specht in einer Buche und rief dazu:

„Käferlein, Larven, kommt schnell heraus!
Möchte euch haben zum Osterschmaus!“

Doch Hannchen mußte weiter. Aber siehe da: In einem Haselbusch hüpfte ein Fink, der mit drollig schnarrendem R vergnüglich zwitscherte:

„Trief, trief, trief,
Lenz lang schlief,
Doch jetzt holleria –
Preis ihm! Er ist da!“

Hannchen zog ihr Vesperbrot hervor und streute dem Vöglein Bröckchen hin, ehe sie weiter ging.

Nicht lange, so erblickte sie eine reizende Blaumeise, der sie ebenfalls im Vorbeigehen einige Krümchen hinwarf. Meislein hüpfte zutraulich näher, dabei zwitschernd:

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„Hab’ Dank, liebes Kind;
Jetzt duck’ dich geschwind!“

Was sollte das bedeuten? Aber gehorsam folgte sie Meisleins Weisung.

Wie Hannchen nun vorsichtig durch das Unterholz spähte, was erblickte sie da? Ein wunderhübscher Hase kam eilig durch den Wald daher, aber nicht auf allen Vieren, sondern gar zierlich auf den Hinterläufen. Auf dem Rücken trug er einen Rucksack. Schon wollte Häslein an dem Gebiet der Meise vorbeieilen, als diese den seltsamen Schnelläufer mit aller Kraft ihrer Vogelkehle anrief, so daß sich folgendes Zwiegespräch entspann:

Meise: „Du gehst auf die Reise?“
Hase: „Ei freilich, Frau Meise.“
Meise: „Willst weit du noch heute?“
Hase: „Besuch’ viele Leute.“
Meise: „Was trägst du im Bündel?“
Hase: „Manch’ Ei für die Kindel.“

Häslein schob bei diesen Worten die Hülle auseinander, um der Fragenden den Inhalt zu zeigen. Hannchen machte bei dieser Gelegenheit natürlich einen noch längeren Hals als die neugierige Meise, um alles recht deutlich sehen zu können. Da leuchteten ihr dann die bunten Eier in allen Farben des Regenbogens entgegen.

So etwas Schönes hatte Hannchen noch nie gesehen, denn daheim hatte sie zu Ostern kaum einmal ein weißes Hühnerei gefunden. „Ei, wie wunderschön!“ jauchzte sie daher in begreiflichem Entzücken.

Häslein hüpfte erschrocken hinter den nächsten Baum und äugte verstohlen durch das Gestrüpp.

Aber Hannchen erschrak nicht minder über ihren unbedachten Ausruf. Doch jetzt galt es, Mut zu fassen.

„Ich tue dir kein Leid, lieber Osterhase!“ rief sie leise. Da ließ der gute Kinderfreund schnell eine Anzahl der bunten Eier [78] aus seinem Rucksack in das Moos rollen, deutete mit dem Pfötlein darauf hin und rief im Davonhüpfen:

„Die Eierlein
Sind alle dein;
Mein Angebind’
Für’s brave Kind!“

Hannchen konnte es kaum fassen, daß die herrlichen Eier für sie sein sollten. Und das Schönste war dabei, daß der Osterhase selbst sie ihr gespendet hatte, den einmal zu erblicken schon oft ihr Wunsch gewesen war. Ihre Dankesworte hörte Häslein wohl nicht mehr, denn es war nirgends zu erblicken. Auch Meislein wandte suchend das Köpfchen und zwitscherte:

„Ziziderie, ziziderie,
Osterhase nicht mehr hie!“

Hannchen barg vorsichtig die schönen Eier in ihrem Körbchen; sie mußte jetzt eilen, in das Nachbardorf zu kommen.

Auf dem Heimweg von ihrem Botengang dämmerte es schon, als sie wieder durch den Wald kam, doch sie fürchtete sich nicht, denn ihr war dort ja nur Gutes begegnet.

Da gewahrte sie ein früher nie bemerktes Hüttchen, fürchtete daher, sich verirrt zu haben. In der Hoffnung, dort jemanden nach dem rechten Wege fragen zu können, ging sie näher. Aber konnten denn Menschen darin wohnen? Sonderbarerweise schien das Hüttchen immer kleiner zu werden, je näher Hannchen kam.

Sie sah jetzt auch, daß es nur aus Birkenstämmen und Moos bestand und ein einziges winziges Fenster besaß. Im Hüttchen hockte auf dem Erdboden ein winziges Männlein mit langem grauen Bart. Inmitten zahlreicher Farbentöpfe hantierte es eifrig mit einem großen Pinsel. Gleichzeitig hörte die kleine Lauscherin[1] seinen seltsamen Sang:

[79]

„Oster-Oster-Osterzeit,
Eierlein macht euch bereit!
Seid der Kinderlein Verlangen,
Sollt in bunten Farben prangen.
Osterzwerg hat viel zu tun;
Osterhas’ läßt ihn nicht ruh’n,
Kommt mit seinem Rucksack oft,
Weil er neue Füllung hofft,
Die er zu den Kleinen bringt.
Hei, jetzt kommt er! – Wie er springt!“

Und jetzt kam Osterhäslein mit leerem Rucksack angehüpft. Hannchen belauschte nun beider Zwiegespräch:

Hase: „Osterzwerg, bin wieder zur Stelle!“
Zwerg: „Sehe ich, du Wandergeselle.“
Hase: „Osterzwerg, siehst du hier leeren Rucksack?“
Zwerg: „Osterhas’, bist ein wirklicher Schlucksack,
          Quälst den Alten bis aufs Blut,
          Bis er dir den Willen tut.“

Fast hätte Hannchen sich wieder durch einen Ausruf des Entzückens verraten, als der gute Zwerg die schönsten Eier aus seinem Vorrat nahm und den Rucksack so voll packte, daß die Lauscherin fürchtete, der vierfüßige Kinderfreund möchte unterwegs einen Teil verlieren. Der rief eben noch:

„Hopp, hopp, hopp über Stock und Stein,
Dank, dank, dank, liebes Zwerglein mein!“

Hannchen stand noch einen Augenblick unschlüssig, was sie tun sollte. Der Zwerg tat ihr leid. Gern hätte sie ihm geholfen, aber dazu fühlte sie sich viel zu ungeschickt. Der kleine Farbenkünstler handhabte den Pinsel so geschickt, daß der förmlich zu tanzen schien. Der fleißige Osterzwerg erwies sich hier als Kinderfreund, also würde er ob ihres Eindringens gewiß nicht zürnen.

[80] Schüchtern pochte sie an die kleine Tür, die sich von selbst öffnete. Der Zwerg schien über ihre Anwesenheit nicht böse zu sein, denn er winkte ihr freundlich, näher zu kommen. Sie grüßte den Kleinen ehrerbietig. Wie fleißig er doch ohne Aufhören schaffte; das Kind stand bewundernd. Dann faßte es sich ein Herz und bat: „Lieber Osterzwerg, sage mit doch den Weg nach meinem Dorf; ich muß mich verirrt haben, und Mutter ängstigt sich, wenn ich so spät heimkomme.“

Osterzwerg schob die Hornbrille hoch und antwortete:

„Kenne dich und kenn’ dein Haus;
Such’ dir nur ein Ei hier aus.“

Da zeigte Hannchen die vom Osterhasen erhaltenen Eier und erzählte, wie sie dazu gekommen war. Doch als der gute Zwerg seine Aufforderung wiederholte, suchte sie sich bescheiden das allerkleinste und in der Farbe unscheinbarste Ei aus.

Da nickte der Zwerg zufrieden lächelnd und riet:

„Leg’s nicht zum großen Hauf’;
Heb’s ganz besonders auf.“

Hannchen folgte gewissenhaft dieser Weisung, dankte auch dem Spender dieser Gabe herzlich.

„Bescheid’nes Kind
Nach Hause find’t,“

lautete Osterzwergs Antwort. Dann warf er ein leuchtend rotes Ei auf den Weg, wo es weiter rollte.

„Mein Eilein, springe munter,
Zu Hannchens Hütt’ hinunter!“

rief er dem flinken Dinge zu, dann zu Hannchen gewandt, rief er:

„Verlier’s nicht aus den Augen;
Zum Führer mag es taugen,
Das bunte Rund-Gesellchen;
Nun folge schnellchen, schnellchen!“

[81] Hannchen konnte kaum dem guten Osterzwerg danken, denn das Ei rollte so hurtig weiter, daß sie laufen mußte, als ob sie das Osterhäslein selbst gewesen wäre, um das rote Ding nicht aus den Augen zu verlieren.

Ehe Hannchen wußte, wie es zuging, hatte sie mit ihrem seltsamen Führer die Hütte ihrer Mutter erreicht. Das Ei hüpfte sogleich über die Schwelle in das Stübchen hinein gerade vor die Füße von Hannchens Mutter, die eben von der Arbeit heimgekehrt war und es kaum wagte, das bunte Ding anzufassen.

Als Hannchen nun folgte und der Mutter ihre Erlebnisse berichtete und ihre Ostereier zeigte, da schlug die Frau die Hände über dem Kopf zusammen, immer rufend: „Hannchen, Hannchen, mein Lebtag hab’ ich so etwas nicht gehört!“ Dann legte sie die zwei Eier ganz besonders sorgfältig fort und sagte: „Die zwei darfst du nimmer aufschlagen; die heben wir zum Andenken auf. Die andern magst du essen, sonst nimmt’s gar der Osterhas’ übel.“

Am anderen Morgen wurde Hannchen durch das Geläut der Osterglocken geweckt. Daher kleidete sie sich schnell an, um zur Kirche zu gehen. Die bunten Eier lagen vor ihr, so daß sie sich wieder daran erfreuen konnte.

Als aber die Mutter nochmals nach den beiden andern Eiern sah, da schrie sie vor Entzücken und Erstaunen auf, denn die Eier hatten sich in Gold verwandelt.

Nun brauchten Mutter und Kind keine Not mehr zu leiden. Sie taten aber beide viel Gutes, besonders alljährlich in der Osterzeit in dankbarem Gedenken an jenen Ostertag, der ihnen einst so viele Freude gebracht hatte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Labscherin