Was die heutige Wissenschaft vom Blitz erzählt

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Autor: Hermann Joseph Klein
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Titel: Was die heutige Wissenschaft vom Blitz erzählt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 536–539
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[536]
Was die heutige Wissenschaft vom Blitz erzählt.


Von H. J. Klein.


Ueber das Gewitter, so denkt gar Mancher, läßt sich nicht viel Neues mehr sagen, denn das ist eine allbekannte Erscheinung, die Jeder hundertmal erlebt hat. Diese Meinung ist eine grundfalsche, denn das Gewitter ist eine Naturerscheinung, welche selbst der heutigen, so weit fortgeschrittenen Wissenschaft noch sehr viel Geheimnißvolles bietet. Freilich, wäre es mit dem bloßen Erleben eines Gewitters gethan, so würde man diese großartige Erscheinung längst genau genug kennen. Aber was giebt das bloße Sehen des Blitzes und das Hören des Donners für einen Aufschluß über die Natur des Gewitters? Unter tausenden von [537] Fällen gar keinen. Ja, sollte man es glauben, der Anblick eines Blitzes, der zuckend aus einer Wolke zur Erde herniederfährt, giebt gar keinen sicheren Anhaltspunkt darüber, ob der Blitz aus den Wolken zur Erde herabstürzte oder von der Erde gegen die Wolken herauffuhr. Und wenn auch Tausende einen Blitzstrahl aus einer Wolke zur Erde herabfahren sehen, so hat die übereinstimmende Wahrnehmung dieser Tausende noch ganz und gar keine Bedeutung für die Entscheidung der Frage, nach welcher Richtung sich der Blitzstrahl bewegte, ob von der Wolke zur Erde oder von der Erde zur Wolke. Unter Hunderttausenden von Blitzschlägen gestatten nur verhältnißmäßig wenige einen sicheren Schluß über die Richtung der Bewegung des Blitzes, nämlich ob aufsteigend oder niedersteigend. In dieser Hinsicht kann sich Niemand die Bedingungen der Erscheinung wählen, sondern muß dieselbe beobachten, wie sie eben auftritt; denn der Blitz ist, wie Voltaire sagt, ein großer Herr, dem man sich nur mit äußerster Vorsicht nahen kann, der es aber durchaus nicht duldet, daß man mit ihm Versuche anstellt. Trotzdem hat eine genaue Untersuchung vieler tausend Blitzschläge nunmehr eine Anzahl von Fällen ergeben, aus welchen sich hinterher ziemlich sichere Schlüsse über die Richtung der Bewegung des Blitzes oder richtiger über die Lage seines Ausgangspunktes ziehen ließen. Ich will einige solcher Fälle anführen.

Im Sommer 1787 wurden bei dem Dorfe Tacon in der Gegend von Beaujolais zwei Menschen, die sich während eines Gewitters unter einen Baum begeben hatten, vom Blitze getödtet. Man fand die Haare der Unglücklichen hoch auf dem Baume, und ein eiserner Ring aus dem Holzschuh des Einen hing an einem hohen Zweige. Am 29. August 1808 schlug der Blitz in das Gartenhaus einer Schenke hinter dem Spitale der Salpetrière in Paris. Ein Arbeiter, der sich zufällig dort befand, wurde. getödtet; man fand Stücke seines Hutes in der Decke haftend. Ein Mann hielt sich zur Zeit eines Gewitters im zweiten Stockwerk eines aus Backsteinen gebauten neuen Hauses auf, als ein Blitz durch das erste und zweite Stockwerk hindurchschlug und den Mann sofort tödtete. Seine Mütze wurde emporgeschleudert und fand sich andern Tages an der Zimmerdecke zwischen den Latten.

Noch andere Beispiele habe ich in meiner Schrift „Das Gewitter“ gesammelt, aber schon die angeführten beweisen, daß mitunter der Blitz aus dem Boden hervordringt und in die Luft hinaufschlägt. Im Allgemeinen muß man annehmen, daß bei jedem Blitzschlage gleichzeitig ein Strahl aus der Wolke und aus dem Erdboden hervorbricht und beide sich in der Luft vereinigen. Die ungeheure Geschwindigkeit des Blitzfunkens verhindert jede genauere Wahrnehmung beim directen Anblick. Aus den Untersuchungen von Wheatstone hat sich ergeben, daß die wirkliche Dauer des Blitzes noch nicht den tausendsten Theil einer Secunde beträgt. Beim unmittelbaren Anblick des zuckenden Blitzes ist Jeder gern geneigt, demselben wenigstens eine Dauer von einer Secunde zuzuschreiben und den Blitz selbst für einen langen, im Zickzack dahinfahrenden Feuerstreifen zu halten. Allein diese Wahrnehmungen sind nichts als Täuschungen. Wenn man ein kleines Stückchen glühender Kohle rasch herumschwingt, so glaubt man eine ununterbrochene glühende Kreislinie zu sehen, weil der Lichteindruck von jedem Punkte des Weges der glühenden Kohle längere Zeit im Auge andauert, als die Kohle gebraucht, den ganzen Weg zurückzulegen. Ganz ebenso verhält es sich mit dem Blitz. Derselbe ist ein gewaltiger elektrischer Funken, der einen zickzackförmigen Weg durch die Luft zurücklegt. Dieser Weg stellt sich aus dem soeben angegebenen Grunde als eine leuchtende zickzackförmige Linie dar, und die Zeit von etwa einer Secunde oder weniger, während welcher diese zickzackförmige Linie sichtbar wird, ist daher nicht die Zeitdauer des Blitzes, sondern die Zeitdauer, während welcher die Lichtempfindung im Auge haften bleibt.

Eine Folge der ungeheuren Schnelligkeit des Blitzes ist die Thatsache, daß nach Allem, was wir hiervon wissen, der Tod durch den Blitz völlig schmerzlos ist. Man hat viele Beispiele, daß Menschen vom Blitze getroffen und betäubt, jedoch nicht getödtet wurden. Als sie wieder zu sich kamen, wußten sie nichts von Dem, was mit ihnen vorgegangen war; sie hatten weder den Blitz gesehen, noch seine Wirkung verspürt. Ein Mann, der vom Blitze getroffen worden, wußte sich, als er zum Bewußtsein kam, des Vorganges nicht zu erinnern, sondern fragte verwundert, wer ihn geschlagen habe. Am 22. Januar 1849 schlug der Blitz in der Nachbarschaft von Clermont ein und richtete große Verwüstungen an. Herr Desormery ritt gerade die Landstraße entlang, als ein heftiger Schlag erfolgte. Er selbst, ohne übrigens irgend etwas davon zu vernehmen, stürzte herab, und ebenso wurde sein Pferd zu Boden geschleudert. Wie lange Herr Desormery ohnmächtig am Boden gelegen, vermag er nicht anzugeben; als er wieder erwachte, spürte er keinerlei Schmerz und war ganz ohne Verletzung davongekommen. Der Blitz hatte seine seidene Börse durchlöchert und mehrere silberne Geldstücke zusammengeschweißt. Eine der nebenan befindlichen Pappeln war gänzlich niedergeschmettert. Die Rinde derselben erschien wie von Menschenhand abgeschält, und die Zweige waren zerrissen. Eine in der Nähe befindliche Ziege war von demselben Blitzstrahl erschlagen worden. Man fand sie auf den Beinen stehend an einer Hecke angelehnt und noch ein grünes Blatt im Munde haltend, das sie im Augenblicke des Schlages abgeweidet hatte. Reimarus berichtet einen Fall, wo zwei Menschen, die, um dem Gewitter zu entgehen, hinter einer Hecke Schutz gesucht hatten, dort vom Blitz erschlagen wurden. Man fand sie ganz in ihrer früheren Lage, mit offenen Augen; der Eine hielt noch ein Stück Brod in der Hand, das er einem Hunde, der auf seinem Schooße saß und mit ihm erschlagen wurde, reichen wollte.

Diese Beispiele, welche ich leicht vermehren könnte, beweisen daß der Tod durch den Blitzschlag so schnell eintritt, daß der Getroffene nicht Zeit hat, auch nur eine einzige Bewegung auszuführen. Das Gleiche ergiebt sich auch aus folgender Ueberlegung.

Das Nervensystem ist bekanntlich der Apparat, mittelst dessen alle Empfindung zu Stande kommt. Die Nerven leiten jeden Eindruck zum Gehirne, wo er als Empfindung zum Bewußtsein gelangt. So schnell nun auch dieser Rapport überbracht wird, so bedarf es doch immer einer gewissen Zeitdauer. Mittelst sehr sinnreicher Vorrichtungen, auf deren Beschreibung ich aber hier nicht eingehen kann, hat man gefunden, daß die Geschwindigkeit, mit welcher eine Bewegung in den Empfindungsnerven fortgepflanzt wird, ungefähr hundert Fuß in der Secunde beträgt. Die Geschwindigkeit des Blitzes ist um viele Hunderttausend Mal größer, da er den Beobachtungen zufolge in weniger als einer tausendstel Secunde einen weiten Weg durch die Atmosphäre zurücklegt. Nachdem dies einmal feststeht, begreift man leicht, daß ein Blitzstrahl das Nervensystem und seine Empfindungsfähigkeit gänzlich zerstören kann, ehe die Empfindung dieses Vorganges selbst bis zum Gehirn fortgeleitet und hier wahrgenommen werden könnte. Man darf also dreist behaupten, daß der Tod durch den Blitz die angenehmste Art und Weise von allen sein muß, das Leben zu verlieren. Indessen verliert Niemand gern sein Leben, selbst wenn dies auf die angenehmste Weise von der Welt geschehen sollte; deshalb denn die Angst sehr Vieler, wenn während des Gewitters Blitze das Firmament durchzucken und vollends Donnerschläge ihnen folgen. Wenn solche ängstlichen Leute das vorstehend Gesagte gehörig überlegen, so können sie daraus eine sehr große Beruhigung schöpfen. Denn da der Blitzschlag momentan das Bewußtsein aufhebt, so ist klar, daß ein Blitz, den man sieht, nicht mehr zu fürchten ist.

Unmittelbare Bekanntschaft mit dem Blitze zu machen, dazu bietet sich in den überwiegend meisten Fällen keine Gelegenheit. Sehr interessant ist es daher, die Berichte von Leuten zu hören, die unfreiwillig in nähere Berührung mit Gewitterwolken kamen, indem sie auf hohen Bergen von Gewittern überfallen wurden. Gegenwärtig sind indeß nur wenige Beispiele bekannt, daß Menschen sich eine Zeitlang mitten in Gewitterwolken befanden, und diese wenigen Fälle haben noch dazu einen sehr verschiedenartigen Ausgang gehabt.

Ich will die merkwürdigsten dieser Fälle hier mittheilen.

Herr Apotheker Pfeffer ging in Begleitung eines Bekannten am 15. Juli 1839 über den Col de Balan nach Chamouny. Als Beide gegen vier Uhr Nachmittags noch etwa eine halbe Stunde von der Paßhöhe entfernt waren, wurden sie von einer schon vorher aufgestiegenen Gewitterwolke überfallen, die sich immer tiefer herabsenkte und die beiden Wanderer umhüllte. Ein heftiger Regen durchnäßte sie bald bis auf die Haut, und dabei war es so finster und nebelig, daß sie kaum fünf Schritte weit zu sehen vermochten. Blitze fuhren hin und her, doch vernahm man keinen Donner.

[538] „Wir hatten,“ schreibt Herr Pfeffer, „unser Leben aufgegeben, marschirten deshalb, obgleich dadurch die Gefahr vergrößert wurde, mit aufgespanntem Regenschirme, und ich betrachtete Alles mit einer gewissen stoischen Ruhe. Wir hörten nur ein starkes Knistern der Blitze, die, so dick wie schwache Strohhalme, bald von einer Wolkenschicht zur andern, bald in die Tiefe fuhren, aber häufig in Entfernungen von zwei bis vier Fuß uns umzüngelten. Plötzlich fuhr ungefähr anderthalb Fuß vor mir ein Blitzfunken aus der Erde, der sich etwa drei bis vier Fuß erhob und sich hier mit einem aus der Wolke kommenden Funken vereinigte. Ich stand im ersten Augenblicke wie geblendet und in einer starken Dunstatmosphäre. Der Funken war beinahe aus derselben Stelle des Bodens gekommen, wo ich gerade meinen Fuß hinsetzen wollte. Nachdem wir nun ungefähr eine Viertelstunde weiter marschirt waren, kamen wir plötzlich über die Wolken und sahen über uns ganz klaren Himmel und Sonnenschein.“

Am 5. Juli 1832 befand sich Herr Oberst Buchwalder auf dem Gipfel des Säntis in der Schweiz, um daselbst ein für die Vermessungen dienendes Signal aufzurichten. Es regnete und aus der Ferne ließ sich rollender Donner vernehmen, der näher und näher kam. Herr Buchwalder war mit seinem Gehülfen aus dem Zelte getreten, um das Unwetter zu beobachten; allein die heftigen Blitze veranlaßten sie, sich wieder zurückzuziehen. Bald war die ganze Spitze des Berges in eine düstere Wolke eingehüllt. Die Luft, von ununterbrochenen Blitzen erhellt, schien in Flammen zu stehen; unaufhörlich rollte der Donner und wurde in tausendfachem Echo von den Bergwänden zurückgeworfen. Buchwalder’s Gehülfe gerieth in die größte Aufregung. Um ihn zu beruhigen, erzählte ihm sein Vorgesetzter, daß auch Biot und Arago bei ihren Vermessungen in Spanien auf den Gebirgshöhen von Gewittern überfallen worden seien, daß aber die Blitze an dem Zelte herab in den Boden gegangen seien, ohne Jemanden zu beschädigen. In diesem Momente erschien auf dem Boden des Zeltes zu den Füßen des Gehülfen eine feurige Kugel; dieser erblickte sie und rief aus: „Ach Gott!“ Dann stürzte der Feuerball auf ihn zu und warf ihn zu Boden. Herr Buchwalder selbst empfing eine heftige Erschütterung an seinem linken Schenkel, und ein allgemeines Zittern seiner Glieder stellte sich ein. Ungeachtet der eigenen Schmerzen versuchte er, seinem Begleiter beizustehen, aber alle Bemühungen waren vergeblich. Derselbe war todt. Seine linke Seite zeigte braune und röthliche Flecken; Haare, Augenlider und Augenbrauen waren zum Theil verbrannt. Herrn Buchwalder war es selbst zu Muthe, als wenn er sterben müsse, doch war die Gefahr vorüber, und mühsam schleppte er sich bis zum Dorfe Saint Johann.

Von der Ebene aus erblickt man die Gewitterwolken hoch und meist in majestätischer, düsterer Größe durch die Luft dahinziehen; wie hoch sie sich über dem Boden befinden, das entzieht sich hier natürlich der unmittelbaren Beurtheilung. Es ist aber interessant und wissenschaftlich von einer gewissen Wichtigkeit, die Entfernung einer vorüberziehenden Gewitterwolke vom Beobachter zu kennen. Mancher glaubt aus der Stärke des Donners auf die Entfernung der Gewitterwolke schließen zu dürfen, aber das ist ganz unrichtig; die Heftigkeit des Donners giebt für diese Entfernung gar keinen Maßstab ab. Um dieselbe einigermaßen zu ermitteln, bedient man sich einer einfachen Methode. Man zählt nämlich die Anzahl der Secunden, welche zwischen dem Aufleuchten eines Blitzes und dem nachfolgenden Donner verfließen. Multiplicirt man diese Secundenzahl mit tausend, so erhält man annähernd die gerade Entfernung des Ausgangspunktes jenes Blitzes vom Beobachter in Pariser Fuß. Auf diese Weise kann man im Allgemeinen beurtheilen, ob ein Gewitter näher kommt oder sich entfernt. Will man genau die Höhe einer Gewitterwolke über der Erdoberfläche erfahren, so geschieht dies durch Hülfe einer kleinen mathematischen Rechnung, auf die ich aber, meinem Zwecke gemäß, hier nicht weiter eingehe.

In unseren Alpenländern ziehen die Gewitter meist in Höhen von fünf- bis sechstausend Fuß dahin. Doch kommen auch weit höhere Gewitterwolken daselbst vor. So fand ich zum Beispiel am 24. Juli 1861 die senkrechte Höhe des Anfangspunktes zweier Blitze zu neuntausendvierhundert Fuß. Beide Blitzstrahlen durchliefen einen Weg von mehr als einundzwanzigtausend Fuß und stürzten sich auf ein kleines Gartenhäuschen, in dessen Nähe eine Frau erschlagen wurde. Am 26. August 1827 entlud sich über dem Kloster Admond in Steiermark ein Gewitter aus einer Wolke, die nur neunundachtzig Fuß hoch schwebte und noch nicht fünfundzwanzig Fuß dick war. Die herausfahrenden Blitze tödteten zwei Priester im Chore der Klosterkirche. Man ersieht aus diesen Beispielen, wie verschieden die Höhen sein können, in welchen Gewitterwolken schweben. Natürlich ist damit, unter übrigens gleichen Umständen, auch die Gefahr, vom Blitze getroffen zu werden, eine verschiedene. Nehmen wir eine Gewitterwolke in sechstausend Fuß Höhe schwebend, eine andere aber in dreitausend Fuß Höhe an, so ist im ersteren Falle eine viermal so große Fläche der Gefahr des Blitzschlages ausgesetzt, für jeden einzelnen Punkt ist also diese Gefahr viermal geringer als im letzteren Falle. Dazu kommt noch, daß mit zunehmender Höhe überhaupt die Anzahl der auf die Erde herabfahrenden Blitzstrahlen geringer wird. Denn nur der weitaus geringste Theil der bei einem Gewitter entstehenden Blitze schlägt überhaupt auf den Erdboden herab; die meisten verlöschen in der Luft, oder um richtiger zu sprechen, die meisten Blitze haben ihre beiden Ausgangspunkte in den Wolken, und nur bei einigen wenigen liegt ein Ausgangspunkt in der Gewitterwolke, der andere befindet sich auf der Erde.

Wie dem aber auch immer in jedem einzelnen Falle sein möge, so viel steht fest, daß der Weg des Blitzes niemals ein zufälliger, sondern stets ein durch bestimmte Umstände vorgeschriebener ist. Die unterirdischen Wassermassen, die mit Flüssen und Meeren durch die verschiedenartigsten Canäle in Verbindung stehen, sind das gemeinsame Reservoir der sich gegen die Erde entladenden Gewitterwolken. Um dieses Reservoir zu erreichen, durchläuft der Blitz seine Bahn, und zwar benutzt er hierbei alle die Gegenstände, welche ihm eine gute Fortleitung gewähren, also Metalle, feuchte Luftschichten, spitze, hoch hervorragende Gegenstände, Bäume u. dgl. Solchen Körpern hat man daher beim Gewitter vorzugsweise aus dem Wege zu gehen, um sich nicht zufällig in die Bahn des Blitzes zu begeben und daher von diesem getroffen zu werden. Solche Vorsichtsmaßregeln, besonders das Vermeiden von Bäumen während des Gewitters, kennt heutzutage Jedermann; nichtsdestoweniger liest man jeden Sommer in den Zeitungen über Unglücksfälle durch den Blitz, die in Folge der eigenen Unvorsichtigkeit der Erschlagenen sich ereignen. Lichtenberg hatte sehr Recht, als er bemerkte: „Die Menschen werden vom Blitze erschlagen, weil sie es nicht anders haben wollen.“

Es giebt gewisse Orte, welche häufiger von Blitzschlägen heimgesucht werden als andere; der Grund hiervon ist in der geologischen Beschaffenheit und den Terrainverhältnissen dieser Gegenden zu suchen. Eine solche Localität ist z. B. „el Sitio de Tumba barreto“ in der Nähe der Goldmine von „Vega de supia“ in Neu-Granada (Südamerika). Niemand hält sich hier zur Zeit der Gewitter gern auf. Als Boussingault diese Gegend bereiste, streckte ein Blitzstrahl den Neger, der ihn führte, an seiner Seite zu Boden. Bei Popayan befindet sich eine Localität, „Loma de Pitago“, die ebenfalls wegen der Häufigkeit der dort einschlagenden Blitze verrufen ist. Ein junger schwedischer Botaniker, Planchemann, der trotz der Warnungen der Eingebornen während eines Gewitters diesen Ort besuchte, wurde daselbst vom Blitz erschlagen. Bei uns kennt man ebenfalls gewisse Localitäten, welche mehrfach vom Blitz getroffen wurden. Den Förstern sind mannigfache Beispiele bekannt, daß Blitzschläge wiederholt die nämlichen Bäume mitten im Walde treffen. In allen solchen Fällen sind es locale Ursachen, welche vorzugsweise den Blitz anziehen; je bedeutender eine solche Anziehung ist, oder mit anderen Worten, je besser die Leitung ist, welche an einem bestimmten Punkte dem Blitze nach den unterirdischen Wassermassen hin geboten wird, um so sicherer wird ein Blitzstrahl hierhin seinen Weg nehmen, statt nach einem benachbarten Orte.

Auf dieser Thatsache beruht auch die ganze Wirksamkeit der Blitzableiter. Diese so überaus einfachen und doch bei richtiger Construction so sicher wirkenden Apparate haben keineswegs, wie Viele irrthümlich meinen, den Zweck, den Blitz von dem Orte, woselbst sie angebracht sind, abzuhalten, sondern ganz im Gegentheile ziehen sie den elektrischen Strahl an. Indem sie aber den Blitz anziehen, bieten sie ihm gleichzeitig den bequemsten Weg in die Tiefen der Erde, so daß der etwa herabstürzende Strahl dem [539] Ableiter folgt und weder Gebäude noch Menschen in dessen Nähe beschädigt. Gegenwärtig ist die Wissenschaft über den großen Nutzen der Blitzableiter längst einig, aber im Publicum trifft man noch vielfach die unrichtigsten Ansichten in dieser Beziehung. Manche, die von der anziehenden Wirkung des Blitzableiters gehört haben, glauben, daß ein mit einem solchen Apparate bewaffnetes Gebäude mehr bedroht sei als jedes andere. Um die Grundlosigkeit dieser Meinung darzuthun, will ich den gegenwärtigen Artikel mit einem Beispiele schließen, das auch selbst sehr voreingenommene Gemüther überzeugen dürfte.

Palästina ist ein Land, in welchem sehr zahlreiche und heftige Gewitter vorkommen, trotzdem ist im Verlaufe von tausend Jahren der Salomonische Tempel zu Jerusalem nicht ein einziges Mal vom Blitze getroffen worden. Dieser Tempel besaß ein mit stark vergoldetem Cedernholze getäfeltes Dach, das von einem Ende bis zum andern mit langen, spitz zulaufenden und vergoldeten Eisenstangen besetzt war, um, wie Josephus berichtet, die Vögel abzuhalten sich darauf niederzulassen und dasselbe zu verunreinigen. An den Seiten war das Gebäude ebenfalls allenthalben mit stark vergoldetem Holze bekleidet, und unter dem Vorhofe befanden sich Behälter, in denen sich das vom Dache ablaufende Wasser, durch Metallröhren fließend, ansammelte. Das Ganze stellte also einen Blitzableiter im größten Maßstabe dar, und ohne eine Ahnung hiervon zu haben, hatte der Baumeister des jüdischen Tempels denselben so gut gegen den Blitz geschützt, daß nur wenige Gebäude der Gegenwart eine ähnliche Sicherheit durch Blitzableiter darbieten. In der Verschonung des Salomonischen Tempels von Blitzschlägen innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahrhunderten besitzen wir also einen der schönsten Beweise für die schützende Wirksamkeit dieser Apparate.