Weihnachten im Walde

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Autor: Guido Hammer
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Titel: Weihnachten im Walde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 823, 824–825
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eine Jugenderinnerung
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Weihnachten im Walde.
Originalzeichnung von Guido Hammer.

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Weihnachten im Walde.
Eine Jugenderinnerung.


Langer trockener Decemberfrost, den der dabei eisig stürmende Nord um so empfindlicher werden ließ, war vorhergegangen, bis endlich milderes Wetter folgte, welches sich bald zu ausdauerndem Schneefall anließ, so daß mit dem Hereinbrechen des Weihnachtstages der weite Wald in wunderbarer Pracht seines neuen Schmuckes prangte, besonders da sich vorher, etwa gegen Mitternacht, der Himmel völlig geklärt hatte und so die unverhüllt aufgehende Sonne die Haide mit wundersamem Farbenschmelz übergoß. Purpurn angehaucht leuchteten da zuerst die schneebedeckten Fichten- und Tannenwipfel in rosigem Lichte, während weiter herab die frischgefallene Last auf dem niedergedrückten Gezweig der sonst ungebeugt gen Himmel starrenden Baumwelt noch im Halbschatten lag, tiefer aber, unter dem beschneiten Nadeldache, herrschte noch grauendes Dämmern, daß trotz der überall ausgebreiteten lichten Decke das spähende Auge doch nur auf wenige Schritte in das verschwimmende Düster des Waldes eindringen konnte. Aber bald huschte das vergoldende Licht an den hohen Waldwänden und einzelnen Bäumen hernieder, bis es den Boden erreichte und nun in flirrenden Punkten und langen Streifen eindrang in die Tiefen der geschlossenen Holzbestände, darinnen gleichsam vom Boden aus wieder an den Stämmen hinanklimmend, dabei sich halb verlierend, um gleich darauf wieder von Neuem hell aufzuglänzen – fortwährend wechselnd, in nimmer rastender zauberischer Beweglichkeit. Wo aber der Lichtstrom ungehindert über weite Flächen hinfluthete und deren gleichförmig darüber ausgebreiteten Teppich in seiner makellosen Reinheit grell beleuchtete, da ward das Auge um so mehr geblendet, als es hier mit angestrengter Sehkraft etwaiges Gefährt zu erspähen trachtete und solches wohl auch hier und da von den nach Aufhören des Schneefalles noch umhergezogenen Wildgattungen gewahrte. Sonst aber, so weit die Blicke reichten, kein Tritt eines menschlichen Fußes, als der, welchen ich, der einsame Waldläufer, lautlos in das sonst noch so unberührte Edelweiß gefurcht. Aber vorwärts trieb es mich mit unwiderstehlicher Gewalt auf der pfadlosen Wanderung, hingerissen von immer neu auftauchenden Reizen, welche die mit phantastischen Formen umkleideten Bäume, Sträucher, Ranken und Gräser, wie der bestrickende Zauber von Farbenfrische in Wald und Luft mit jedem weiteren Schritte dem Auge boten.

Wie nun schon diese Herrlichkeit das Herz mit tiefster Wonne erfüllte, so steigerte sich der Hochgenuß für mich noch bedeutend durch das Erscheinen der lebendigen Thierwelt, welche bald die stille Einsamkeit belebte.

Zuerst waren es der Krähen zahlreiche Züge, welche aus ihren Horst- und Schlafstätten kommend den weiten Wald überflogen, um Feld und Dorf und Stadt heimzusuchen, dort unter dem tiefen Schnee ihr kärgliches Mahl zu finden. Schweren Fluges und tristen Gekrächzes durchstrichen die geflügelten schwarzen Gesellen die eisige Luft in langgedehnter Reihenfolge – wie Leidtragende hinter einem Leichenzuge – und regten durch den Contrast ihrer Erscheinung zur sonnigverklärten, schneeprächtigen Natur das Menschengemüth unwillkürlich zu ernster Stimmung an. Um so mehr aber ward darnach das Herz erquickt, als die fröhlich zwitschernden und lustig pinkenden Stimmchen der Goldhähnchen und Meisen durch den sonst so tief schweigenden Wald an das Ohr schlugen; begierig suchte mein Auge nach den rastlosen niedlichen Urhebern, welche in den schneebehangenen Zweigen schwirrend hin und her huschten und bald hier, bald da, oben und unten in das Geäst sich einhingen, um Insecteneierchen und Larven zu suchen. Flogen die Leichtbeschwingten wieder davon, dann schnellten die kleinen Zweige den Schnee federgleich empor, andere Schneelagen wehten mit herab und im Nu war die Luft mit Tausenden sonnendurchschienener Krystalle erfüllt und ein entzückendes Glitzern und Flimmern durchglänzte das Dunkel des Waldes.

So setzte ich meine Wanderung fort, bisweilen Wege überschreitend, die etwa zu einem Haidedorfe führten, oder den plumpen Fußspuren der Waldarbeiter begegnend, die in den Holzschlägen noch vollauf Arbeit fanden und deren eintönige Axtschläge den Forst durchhallten. Bald kam ich auch an einer solchen Blöße vorbei, wo die wackeren Leute schon fleißig ihrer schweren Arbeit oblagen, während hinter der haushohen Wurzelwand einer vom Sturme niedergeworfenen Riesenfichte ihr hellflackerndes Feuerchen brannte, dem die knisternden Funken lustig entstiegen, indeß der blaue Rauch die umliegenden mächtigen Waldwände in hoher duftiger Säule überstieg. Von hier aus führte mich mein Weg hinab in ein erlenbestandenes Thal, wo das wilde, über die Kiesel seines Bettes noch ungefesselt rauschende Wasser in schäumender Fluth die schneeigen und an ihren Säumen beeisten Ufer netzte. Später betrat ich wieder die Heerstraße; aus den einsam zur Seite gelegenen Haidedörfern klang der anheimelnde Dreiklang der Dreschflegel; aber weit ab von ihnen, tief im Forste einer meilenweit eingehegten Wildbahn, lag mein Ziel: eine jeglicher menschlichen Wohnung fern stehende Försterei.

Hier endlich angekommen ward ich auf’s Herzlichste willkommen geheißen, und die Kinder, mit denen das Haus vollauf gesegnet war, umsprangen mich fröhlichen Muthes; war ja doch heute das liebe Weihnachtsfest und die Kleinen, Knaben wie Mädchen, die mir herzlich zugethan waren, ahnten wohl, daß ihr Gast an einem solchen Tage nicht leer gekommen sein würde. So verbrachte ich denn den Nachmittag im traulichen, echt waidmännisch geschmückten Stübchen der Försterwohnung, hier und da helfende Hand mit anlegend, wo der Förster für seine Buben noch für den Abend zu schnitzen oder zu leimen hatte. So war der Abend bald herbeigekommen und nun ließen sich die gütigen Förstersleute nicht länger bitten, und es ward die harzduftige, frischglänzende Tanne, bereits geschmückt mit buntem Flitter und vergoldeten und silberbetupften rothwangigen Aepfeln und klappernden Nüssen, hereingebracht. Darunter aber wurden auf schneeweißem Tischtuch die Geschenke für die im Nebenstübchen jubelnden Wildfänge ausgebreitet, dann noch hurtig die Lichter des Baumes entzündet, worauf der Signalruf auf des Vaters Flügelhorn ertönte, der die jauchzenden, sich drängenden Geschwister im Nu zur Thür hereintosen ließ.

Da gab’s denn ein Freuen und Seligsein der staunenden Kleinen. Hier ward der niedliche, so naturgetreue Wildschuppen mit seinen daneben aufgestellten Thieren bewundert, dort die kleinen Flinten und Jagdtaschen gemustert; von den Mädchen aber mit gleicher Wonne die Puppen, Wägelchen, Kochgeschirre etc. in’s Auge gefaßt. Aber auch Höschen und Schürzchen, Strümpfe und Schuhe fanden vollsten Beifall, der sich natürlich auch ganz besonders auf die rosinenreichen Stollen und das andere Naschwerk erstreckte.

Draußen aber war der Mond aufgegangen und beleuchtete die Winterlandschaft mit erst noch bleichem Schein, der von dem lichtglänzenden Stübchen aus fast gespenstig erschien, bis er in hellstrahlender Pracht den grabesstillen Wald überstrahlte. Da rief plötzlich das älteste Mädchen freudig: „Die Hirsche, die Hirsche kommen!“ Und schnell das Schürzchen voll Aepfel nehmend, öffnete es das Fenster, sie ihren Lieblingen zum Leckerbissen auf die äußere Brüstung desselben und die darunter stehende Gartenbank [825] zu legen. Mich aber hatte der Ruf nicht wenig erregt, neugierig spähte ich hinaus und wirklich erblickte auch ich nun die Verkündeten: zwei geweihte stattliche Edelhirsche nebst einem dergleichen Spießer, die von Weitem vertraulich an die Försterei herangezogen kamen, beim Fensteröffnen aber doch verschüchtert ein paar Schritte zurückwichen. Doch nicht lange dauerte es, so kamen sie wieder näher, aber dabei immer erst wieder einmal Halt machend und sichernd, was jedoch, wie mich der Förster versicherte, von ihnen heute nur ausnahmsweise in so zögernder Art geschah, wahrscheinlich weil sie den ungewohnten Lichtglanz des Weihnachtsbaumes scheuten. Endlich, nach ziemlich langem Besinnen, kamen die Forschenden plötzlich trollend heran, und begehrlich, wenn auch immerhin vorsichtig genug, langte der eine von den Hirschen, der, welcher nur sechs Enden auf dem Schädel trug, sofort zu, die schmackhaften Christäpfel sich trefflich munden lassend. Der Spießer hingegen wie der stolze Zwölfender (denn ein solcher war der dritte Mitgekommene) zögerten mißtrauisch noch lange, ehe sie sich entschlossen, die verlockenden Früchte zu berühren. Ich aber schlich mich nun auf des Försters Rath zum Hinterpförtchen hinaus, den seltenen Anblick mit allen seinen Reizen unmittelbar im Freien zu genießen, was mir auch, da ich natürlich gegen den Wind mich stellte, die Hirsche aber überhaupt den Verkehr am Hause gewöhnt waren, im vollsten Maße gelang.

So stand ich denn draußen in monderhellter Waldespracht, vor mir das malerische fichtenumschlossene Jägerhaus mit den alten Linden, hinter deren einem Stamme hervor der Spießer neugierig nach dem lichtschimmernden kleinen Fensterchen der trauten Waidmannswohnung, welche so herzige Kinderlust in sich barg, äugte. Die beiden starken Hirsche aber, die sich seit Langem schon gewöhnt hatten, allabendlich von der nahen Wildfütterung herüber an die Wohnstätte ihres freundlichen Hüters zu kommen, wo ihnen durch dessen Kinder jedesmal noch ein Mund voll Körner, Kastanien, Möhren oder Obst geboten wurde, ließen sich auch heute statt der gewöhnlichen Holzapfel die süßere Christkost der kleinen Geber wohlschmecken, dabei aber mit nicht weniger Verwunderung, als ihr jugendlicher Cumpan, die außergewöhnliche Helle im heimischen Raume betrachtend.

Mir aber ward durch diese Scene eine seltene und unübertroffene Weihnachtsfreude bereitet, und nicht satt schauen konnte ich mich an dem so eigenthümlich fesselnden, herrlichen Bilde. Schier zauberhaft waren die hochgeweihten Häupter der Hirsche von dem goldenen Glanz der Weihnachtslichter angestrahlt, daß die prunkenden Enden ihrer Kopfzier bei jeder Bewegung hell aufblitzten, während die dem Lichtstrom sonst abgewandten Gestalten bläulich glänzende Mondhelle umspielte. Dazu die Stille der geisterhaft durchhellten Waldesnacht, die nur zuweilen durch das laute Aufjubeln der Kinder drinnen im schmucken Stübchen unterbrochen wurde, während der mondbestrahlte Quell den ausgehöhlten Baumstamm im Gehöfte des Försters unter leisem Plätschern geschäftig füllte.

Lange, lange gab ich mich den bestrickenden Eindrücken hin; dann aber rasch, fast wehmüthig von der glücklichen Familie Abschied nehmend, trat ich den weiten einsamen Heimweg an, der mich erst in weit vorgeschrittener Nacht meiner stillen Behausung zuführte.

Guido Hammer.