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Weihnachtsgeplauder

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Textdaten
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Autor: Emil Peschkau
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Titel: Weihnachtsgeplauder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 855
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[855]

Weihnachtsgeplauder.

Von
Emil Peschkau.

In der Mitte der Wohnstube auf dem großen runden Tische steht der Christbaum. Gold- und Silberfäden, Sterne und Glaskugeln blitzen und flimmern aus dem grünen Gezweig, aber die Lichter sind bereits verlöscht. Die Bescherung ist längst vorüber, und nun sitzen wir im Speisezimmer um den festlich gedeckten Tisch herum – Papa, Mama, die Großmutter und „wir“, die Freunde des Hauses. In den Tannenduft, der traulich herüberweht, mengt sich schon das Aroma eines kräftigen Punsches, „Onkel Rath“ hat bereits sein Bedürfniß, jemand leben zu lassen, gestillt, und nun wird weiter geplaudert, bald fröhlich, bald ernst, über die Kleinen, die Großen und wieder die Kleinen, und es ist, als ob die Lichter immer noch leuchteten und der wundersame Zauber kein Ende finden sollte.

„Ja, die Kinder – die Kinder!“ sagt die Großmutter mit einem wehmüthigen Lächeln. „Als ich so an die acht Jahre war, da schrieb ich dem Christkind ein Briefchen, es möchte mir doch eine Feder bringen, mit der man – schön schreibt. Ich machte nämlich ganz abscheuliche Kratzfüße, und so oft wir Schreibstunde hatten, gab es auch immer ein paar Klapse. Und das Christkind hatte ein Einsehen – ich bekam die Feder wirklich, und von dem Tag an schrieb ich besser und immer besser. Es war ja natürlich eine ganz gewöhnliche Feder, aber der Glaube daran gab mir die Sicherheit, die mir bis dahin gefehlt, ich empfand keine Angst mehr, wenn ich ans Schreiben ging, und so hat sich die Feder bewährt sammt den übrigen: denn unter dem Christbaum lag nicht bloß eine einzige, sondern gleich eine ganze Schachtel voll. Es war eine schöne, schöne Zeit … und wie das alles wieder auflebt, wie man’s vor Augen sieht, wie man’s wieder fühlt! Ja, man wird eben wieder jung, wenn die Weihnacht da ist, und darin liegt der wundersame Zauber dieses Festes.“

„Aber nicht der ganze Zauber, liebe Großmama,“ entgegnet der Vater. „Du vergißt die kleinen Leute, die nicht jung zu werden brauchen. Was uns diese Zeit so köstlich macht, das ist das Gefühl für die Familie und die Freunde, dem wir uns ein paar Tage lang ganz überlassen. Wir denken nur mehr an unsere Lieben und zumeist wohl weniger an das, was wir von ihnen empfangen werden, als an das, was wir ihnen schenken. Und daß eben all unser Denken sich in diesen Tagen oder Stunden nur darauf richtet, darin liegt der Zauber des Christfestes.“

Papa hat noch nicht ausgesprochen, da wird schon der alte Doktor unruhig, und ironische Blicke zucken über das graubärtige Gesicht.

„Weihnachtsgeschenke!“ fällt er ihm ins Wort. „Darüber ließe sich auch ein Kapitel reden! Ist es immer die Liebe, die giebt? Ist nicht auch das Weihnachtsfest schon zu einer leeren Form erstarrt, oft nur zu einer lästigen Verpflichtung? Was mich betrifft, so würde ich gegen ein und das andere aufrichtige, herzliche Wort gern auf viele der Geschenke verzichten, die mir ins Haus geschickt werden. Und dann ist es doch einmal so: mit dem besten Herzen kann man etwas recht Dummes schenken!“

Dieser Meinung ist nun freilich Mama nicht – sie schüttelt nachdrücklich den Kopf und wir lachen. Dann wird eine Weile hin und wider gestritten, wem es besser gelinge, sich in die Herzen der anderen hineinzudenken – dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht – und endlich erzähle ich eine Geschichte von bestraftem … Weihnachts-Egoismus.

Es ist die Geschichte einer Spieluhr, die mir zu meinem größten Entsetzen einmal als „Christkindl“ ins Haus kam und die nun als lästiges Möbel verstaubt in einem Winkel stand. Da verfiel ich auf den Gedanken, sie wieder als Weihnachtsgeschenk zu verwerthen, und klopfte in einer befreundeten Familie vorsorglich an. Ich brachte das Gespräch darauf, wie hübsch das sei, eine Spieluhr, wie man sich durch diese Melodien jeden Augenblick aus einer unangenehmen Stimmung in eine freuudliche bringen lassen könne u. s. w. u. s. w. Man gab mir auch recht, man begann sich für Spieluhren lebhaft zu interessieren, und am Weihnachtstage, als ich gerade daran war, frohen Muthes meinen „Rumpelkasten“ einzupacken, kam ein Dienstmann und brachte mir als Geschenk der Familie – eine Spieluhr. So kommt es, daß ich jetzt glücklicher Besitzer von zwei solchen „Rumpelkästen“ bin.

Meine Geschichte wird mit Lachen aufgenommen, und dann füge ich ernster hinzu, daß ich trotz des Spieluhr-Attentats den Jungen, dem das Geschenk bestimmt war, herzlich lieb habe, daß ich nur schenken wollte, in der Hoffnung, wirklich Freude zu machen, und daß das Schenken eben eine schlimme Sache sei, wenn man zu denen gehört, die sich ihren Taglohn sauer erwerben müssen.

Jetzt nickt der alte Doktor und plötzlich schwindet das ironische Blitzen aus seinem Gesicht.

„Weil wir schon am Geschichtenerzählen sind,“ sagt er, „will ich auch eine zum besten geben. Ihr dürft nicht glauben, daß ich nicht mit Euch empfinde, daß nicht in mir auch die Jugend wieder auflebt an diesem Tage – daß ich fühllos bin für die Poesie des Familienlebens, die zu Weihnachten ihren Zauber am mächtigsten entfaltet. Hört, was mir vor vielen Jahren einmal an einem Weihnachtsabend begegnet ist. Ich war recht verdrossen und unwirsch an diesem Abend. Die Christbäume hinter den Fenstern, die einsamen Straßen, die leeren Wirthshäuser – alles ärgerte mich, und nach Hause wollte ich nicht. Ich hatte das Gefühl, als müßte ich in meiner Stube erfrieren. Lieber weiter in dem rieselnden Schnee, hinaus auf die Landstraße, weiter, immer weiter! Ich dachte an meine armen Eltern, die damals einen Buben hatten und kein Geld, während ich heute Geld hatte und keinen Buben. Warum war ich denn so einsam geblieben? Warum besaß ich keine Familie? Warum hatte ich dieses Glück nicht gefunden? Und wie ich so weiter stürmte, sah ich plötzlich vor mir in dem leisen Schneegeriesel einen kleinen Burschen, wie er sich vom Wege aufraffte und weiter lief. Ein armseliges dünnes Röckchen hatte er an und ein zerlumptes Wolltuch um den Kopf gewickelt. Noch nie hatte ich das menschliche Elend so empfunden wie in diesem Augenblick, da ich das arme Kerlchen so mutterseelenallein durch den Schnee laufen sah. Aber wohin wollte er nur? Er hatte die Straße verlassen, und da stand doch nirgends ein Haus? Rasch entschlossen folgte ich ihm und dann – dann stand plötzlich ein schrecklicher Gedanke vor mir, ein unglaublicher Gedanke. Ich hörte das Rauschen des Flusses und ich fragte mich, ob es denn möglich sei, daß ein Kind an Selbstmord denke. Zugleich aber fing ich doch auch an, zu laufen und … es war wirklich so. Er stand schon zwischen den Weiden im Wasser, als ich ihn am Genick packte … er wollte ‚in den Himmel‘. Und als ich ihm dann ein gehöriges Wetter machte, wie er denn seiner Mutter so etwas anthun könne, da sagte er weinend, daß er ja keine Mutter habe und auch keinen Vater und daß es seinem Herrn ohnedies schlecht genug gehe, denn der habe sechs Kinder und könne ihnen nicht einmal ein Bäumchen kaufen … Na, ich habe dann das Meinige gethan für die Leute. Für das Kerlchen war es freilich zu spät, es wurde krank, und ein paar Monate nachher ist es doch in den Himmel gekommen. Aber seit diesem Tage ist mir Weihnachten mehr als ein Familienfest, mehr als ein Tag des Zurückträumens, und ich denke, es wäre alles besser, wenn die Christbaumkerzen das ganze Jahr leuchteten, wenn sie ihren Schein aus den engen Stuben hinaus in die weite Welt verbreiteten. Ich bleibe nicht zurück und ich weiß ja, daß Ihr alle das Eure thut, aber es giebt so viele, die tausendmal mehr thun könnten und dabei noch immer ganz behaglich als „Egoisten“ zu leben vermöchten …“

Der Doktor schweigt und blickt in sein Punschglas. Mama aber wendet sich rasch zu ihm – sie hat Thränen in den Augen, als sie spricht:

„Sie haben recht mit allem, was Sie gesagt haben.“

Und dann wird gesammelt und eine kleine Expedition, bestehend aus dem Doktor, Papa und meiner Wenigkeit, rüstet sich aus, um noch irgendwo draußen … Christbaumkerzen anzuzünden …

Das war unser letztes Weihnachtsgeplauder und so hat es geendet.