Am Kinderspielplatz unserer Voreltern
Am Kinderspieltisch unserer Voreltern.
„Der klein Hausrath und Puppending,
Wiewol es ist gar schlecht und gring,
Von Bley gemacht oder von Erdt,
Halten’s die Kinder doch gar werth,
Thun es auch wie ein Schatz bewahren
Und wie fein Gold zusammensparen.“
(Flugblatt aus dem Jahre 1620.)
Es liegt ein eigenartiger Zauber in dem Spiel des Kindes. Alle Keime seines Wesens, alle kleinen und großen Züge seines Charakters offenbaren sich in den Stunden, da es sich in glücklicher Selbstvergessenheit ganz dem Spiele dahingiebt. Mit einer geradezu allmächtigen Phantasie schafft es die unscheinbarsten Dinge zu den großartigsten Herrlichkeiten um, ein Holzklötzchen zur geliebten Puppe, eine Wasserlache zum glänzenden See, einen Wegrain zur stolzen Festung, und unberührt von des Daseins glatter Nüchternheit, wiegt es sich selig in dem goldenen Paradies der Illusion. Unglücklich das Kind, das nicht spielen kann! Es ist arm, bettelarm, und wenn seine Eltern über die Schätze Golkondas verfügten, es darf des Tagelöhners Kind beneiden, dessen Spielzeug mit Pfennigen bezahlt ist.
Ja, Kinderspiel – ein Kinderspiegel! Aber wie das Spiel des Kindes Seele spiegelt, so ist das Kinderspielzeug ein Spiegel der Kultur einer Zeitepoche. Wie oft hat man nicht schon die überfeinerte Kultur der Gegenwart mit der Ueberfeinerung unserer Kinderspielwaren illustriert! Und wenn wir einen Gang an den Kinderspieltischen unserer Vorväter vorbei machen, werden wir noch auf manche Beispiele für diesen verwandten Entwicklungsschritt der allgemeinen Lebenshaltung der Großen und der Spielwaren der Kleinen stoßen.
Solange es Kinder giebt, hat es auch schon Spielwaren gegeben. In der Urzeit waren sie allerdings von sehr einfacher Art, dafür aber auch von größter Billigkeit; die allgütige Mutter Natur war es, die sie in bunten Kieseln, schillernden Käfern, farbenprächtigen Blumen dem Kinde umsonst spendete. Wohl bald haben indessen die Menschen, als sich ihr Formensinn entwickelte, die menschliche Gestalt, thierische Figuren, die Geräthe des täglichen Gebrauchs im kleinen nachgebildet und den Kindern in die Hand gegeben, welche sich damit auf dieselbe Weise beschäftigten, wie sie es von den Eltern sahen. Das alte deutsche Sprichwort: „Die Buben haben Lust zu reiten und zu kriegen, die Mädchen zu Docken und zu Wiegen“, ist unzweifelhaft von jeher bestimmend gewesen für die Wahl des Spielzeugs der Knaben und Mädchen.
Wenn wir freilich aufzählen sollen, was sich an uraltem Spielzeuge erhalten hat, so kommen wir etwas in Verlegenheit, aber ohne unsere Schuld; es sind vielmehr die Kinder selbst dafür verantwortlich, die vor Jahrtausenden ebenso zerstörungslustig oder, zarter ausgedrückt, „wißbegierig“ gewesen sind wie die heutigen Kleinen, die ihr Spielzeug gar zu gern auseinander nehmen, um zu sehen, wie es wohl inwendig ausschaue. Indessen, ganz ohne solche Reste sind wir doch nicht.
Zur Zeit, in der die Bewohner des heutigen Schlesiens die Bearbeitung des Eisens noch nicht kannten, Geräthe und Waffen vielmehr aus goldglänzender Bronze fertigten, also einige Jahrhunderte vor Christi Geburt, da unterhielten sich dort die Kinder mit Klappern in Gestalt von Birnen, von Gänsen und Enten, die aus gebranntem Thone hergestellt waren, im Innern einige Steinchen enthielten und durch eingeritzte Striche oder durch Bemalung ein gefälliges Aeußere erhalten hatten. Und in der merkwürdigen, 2000 Jahre alten Kulturstätte zu Hallstatt im Salzkammergute wurden kleine Thiere aus Bronze gefunden, Ochsen mit großen geschweiften Hörnern, Hirsche mit mächtigen Geweihen, welche wir uns recht gut als Spielzeug denken können, obgleich die Forscher in ihnen Weihegeschenke sehen. Vielleicht sind sie sogar beides zugleich? Opferten doch die Mädchen der Römer, wenn sie erwachsen waren, ihre Puppen der Venus.
Die Puppe, die Docke ist entschieden das vornehmste aller Spielzeuge. Die tiefbetrübte Mutter im heißen Nillande, die ihres Herzens Liebling verloren, wußte demselben keine kostbarere Gabe, keine, die ihm beim erhofften Wiedererwachen mehr Freude hätte machen können, mitzugeben als die so zärtlich geliebte Puppe!
Im sonnigen Indien drückten schon im Alterthume die kleinen Hindumädchen Puppen aus werthvollem Materiale, aus Elfenbein, an ihr braunes Herzchen; und die kleinen Griechinnen gar spielten bereits mit Gliederpuppen, welche die Frau Mama zusammen mit allerhand anderen Figuren genau wie in der Gegenwart auf dem Markte gekauft hatte.
Auch im Mittelalter war die Docke das Hauptspielzeug der Mädchen; sie wird von den althochdeutschen und mittelhochdeutschen Dichtern am häufigsten unmittelbar als Spielzeug angeführt oder zu Vergleichen herangezogen. Aber die kleinen Mütterchen begnügten sich nicht mit ihren lieben Kindchen, die sie aufs prächtigste herausputzten, um mit ihnen Staat zu machen; sie mußten auch allen den Hausrath haben, der zur Pflege eines Kindleins nothwendig war.
Vor allem eine Wiege, in welcher mit melodischem „Eia popeia“ das Puppenkindchen sorgfältig eingeschläfert wurde. Dann mußte die liebe Kleine doch auch spazieren gefahren werden! Und welch nobles Gespann das Dockenwägelchen hatte! Zwei lebendige Mäuschen waren demselben vorgespannt, wie Hugo von Trimberg in seinem „Renner“ um 1300 berichtet.
Eine Anzahl aus weißem Thone gebrannter Puppen, gepanzerte Reiter, Wickelkinder, Puppengeschirre wurden im Jahre 1859 in Nürnberg unter dem Straßenpflaster herausgegraben, ein Fund, der einen interessanten Einblick in das Spielzeug der Kinder im 14. Jahrhundert gewährt und von dem wir einige Proben in unserer Anfangsvignette abgebildet haben. Die kreisrunde Vertiefung, welche die eine dieser Puppen zeigt, war zur Aufnahme des Pathenpfennigs bestimmt.
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Das Seitenstück zur weiblichen Puppe ist der Dockenmann oder der Dockenhansel, dem auch wohl ein Dockengaul zur Verfügung stand. Auch mit diesen spielten die Mädchen gern; Fischart, der große Satiriker, weiß wohl, warum: „Und was ist’s Wunder,“ sagt er, „daß die Weiber so fein wissen, mit ihrem Ehegetrauten umbzugehen, demnach sie es doch von Jugend auf mit Docken und Poppen also gewöhnen, daß sie nachgehends in der Ehe auch solche Poppenspiel mit ihrem Ehegepaarten üben.“
Die Kinder waren im Mittelalter noch nicht so anspruchsvoll wie heute; gefärbte Eier, kleine, aus Holz geschnitzte und bemalte Vögel, mit Erbsen gefüllte Blasen, kleine bewegliche Windmühlen, aus Thon gebrannte Pfeifen in mancherlei Thiergestalt waren dankbar begrüßte, hochwillkommene Geschenke. Die Knaben tummelten ihre Steckenpferde, ließen die aus Papier oder Pergament gemachte Windmühle lustig vom Winde drehen und spielten mit besonderer Vorliebe mit Schussern oder Marbeln, zu welchem Zwecke sie sich Gruben an den Straßen aushöhlten. Schon im 17. Jahrhundert jammerten die Mütter, daß die schweren Steinkügelchen den Knaben die Kleider zerreißen:
„Die Schnellkuglen gfallen den Buben,
Schnelln sie artlich nach den Gruben,
Pflegen ihre Röck’ so voll zu laden
Daß es den Kleidern bringt viel Schaden.“
Waren die Knaben größer geworden, so gingen sie wohl auch mit dem Blaserohre auf die Vogeljagd.
Ein kunstvolleres Spielzeug des Mittelalters beschreibt die Aebtissin Herrad von Landsberg in einer Handschrift des 12. Jahrhunderts. Es war freilich nur solchen Knaben erreichbar, welche in der Wahl ihrer Eltern recht vorsichtig gewesen waren, denn es diente bei der Erziehung von Prinzen und Söhnen hoher Adliger als Vorbereitung zu den ritterlichen Uebungen. Es bestand aus zwei geharnischten Gliederpuppen, die mit Schild und Schwert bewaffnet waren und die man durch Ziehen an Schnürchen mit einander kämpfen lassen konnte. Kaiser Maximilian, der letzte Ritter, hatte als Kind ein ähnliches Spielzeug, doch waren es hier zwei stolze Ritter hoch zu Roß. Die Kunstsammlungen des österreichischen Kaiserhauses bewahren zwei solcher Figuren noch im Original. Es sind Ritter in Rennharnischen des 15. Jahrhunderts, in Bronzeguß ausgeführt und auf Rädern stehend. Man steckte ihnen kleine Stäbchen als Lanzen in die zu diesem Zwecke durchlöcherte Hand und rollte sie dann durch Stöße aufeinander zu, so daß die Stäbchen an den Tartschen zersplitterten.
Wie bei Kaiser Maximilian, dem mächtigsten Förderer des Turnierwesens, so deutet auch bei einem anderen deutschen Fürsten das Spielzeug des Kindes auf die Liebhaberei des Mannes hin. Der jagdliebende Kurfürst August von Sachsen wußte dem zwölfjährigen Kurprinzen zum Christgeschenke nichts Besseres und Schöneres zu geben als eine Jagd. Je vier Sauen, Hirsche, Hirschkühe, Rehe, Füchse, Hasen und Wölfe, verfolgt von 24 Hunden, 6 Jägern zu Fuß und 7 Reitern, denen 10 Pferde und ein Maulesel zur Verfügung standen, sowie ein Schlitten, also ein Jagdzug von 77 Stück, bewegten sich auf dem Schlosse zu Torgau im Jahre 1572 über den Weihnachtstisch des Prinzen Christian, der dann später auch richtig ein leidenschaftlicher Jagdfreund wurde. Die beiden Prinzessinnen, 10 und 5 Jahre alt, erhielten eine außerordentlich reiche Kücheneinrichtung, in welcher namentlich das Zinngeschirr vorzüglich vertreten war, u. a. durch 71 Schüsseln, 40 Bratenteller, 36 Löffel, 106 Teller, 28 Eierschüsseln etc. Von sonstigem Hausgeräthe sind zu erwähnen: Schränke, Tische, Stühle, Nähkissen, eine Wiege aus Draht, Badewannen, Schreibzeuge, Barbierbecken, ferner ein kleiner Hühnerhof.
Um den fürstlichen Kindern aber auch den Ernst des Lebens zu Gemüthe zu führen, hatte der Heilige Christ zwei Ruthen mitgebracht. Alle diese Dinge hatte Herr Bürgermeister Hieronymus Rauscher in Leipzig besorgt.
Den Kindern war mit der Zeit das Weihnachtsfest, an dem sich alles freuen sollte und man sogar die Hausthiere und Sperlinge bewirthete, ohne Leckereien und ohne Spielzeug undenkbar geworden, wenn es auch natürlich im bürgerlichen Hause nicht so hoch herging wie im fürstlichen Schlosse und die Christgeschenke im ersteren zum großen Theile aus Gebrauchsgegenständen bestanden, welche der Herr Papa oder die Frau Mama ohnedies hätten kaufen müssen. So bekamen z. B. die neun Kinder des Christoph Löffelholz v. Colberg in Nürnberg zu Weihnachten 1619 von ihrer Mutter – der Vater war im Januar gestorben – neben einigen Leckereien vor allem Kleidungsstücke und Toilettengegenstände, darunter die sechzehnjährige Anna Sabina schwarzatlasene Zöpfe und ein Spartrühlein, welch letzteres überhaupt damals als Christgeschenk eine große Rolle spielte. Dem vierzehnjährigen Wolf hatte das Christkind u. a. ein halb Dutzend Fatzenedlein (d. s. Sacktücher), eine Schlange in einem Büchschen, ein Messer und ein Wachsstöckchen (beide wiederholen sich auch meist bei den andern Kindern), sowie einen Hirsch von Backwerk beschert; das Backwerk des zwölfjährigen Mathias hatte die Form einer Laute, und statt des Messers hatte er ein Schreibzeug, Papier, rothe Tinte und eine Pfeife erhalten, mit welcher er der Mutter gar arg die Ohren vollgeblasen haben mag. Einen Seiltänzer um sechs Kreuzer hatte u. a. der elfjährige Johannes bekommen. Ganz besonders reich war das siebenjährige Bärbelein, wohl der Mutter Liebling, beschenkt worden. Es hatte gar zwei Messerlein, eine große Puppenwiege nebst Einrichtung, dann einen Hänslabuben (Dockenhansel, männliche Puppe), Schreibzeug, Lineal, Einmaleins, Psalter, Gebetbuch, ein Spinnrädchen, dann an [853] Puppengeschirr eine Küchenschüssel, Häfen, Krüge, Schalen, Flaschen, Becken und silberne Löffel erhalten. Die kleine fünfjährige Maria Salome war mit ihrer Docke, dem Wägelchen dazu, ihrem Katechismus, den Griffeln und einer Schachtel wohl ebenso zufrieden. Auch der ganz Kleinen vergaß das Christkind nicht; stolz zeigte die dreijährige Anna Marie ihr Armkörbchen, ihren Hanselbuben, Geige und Tafel, und das Nesthäkchen, die zweijährige Katharina, unterhielt sich prächtig mit ihrer Docke, beruhigte sie mit der Kinderklapper und schaute fleißig in ihr Spartrühlein, ob denn der Kreuzer sich immer noch nicht vermehrt habe.
Ebenso praktischer Natur waren die Festgeschenke, welche Herr Lucas Friedrich Behaim seinen Angehörigen spendete und über welche er als gewissenhafter Hausvater sorgfältig Buch führte. Die drei Kinder, ein Mädchen von 71/2 und zwei Knaben von 61/2 und 11/2 Jahren, erhielten am Weihnachtsfeste des Jahres 1622 verschiedene Ellen Zeug, Borten, Knöpfe, 100 Nadeln, Faden, „Häcklein und Schleiflein“ (Haken und Oesen), Stiefel, Pantoffel, Schuhe, einen Schurz, einen Schulkorb, Gesangbücher, eine Tafel, eine goldene Haarhaube u. a. Für allerlei „Dockenwaar“ hatte Herr Behaim 6 fl. 33 Kr. aufgewendet. Die Gesammtausgaben für das „Kindleinbescheeren“ beliefen sich auf 68 fl. 28 Kr., wovon die Frau des Hauses die Hälfte bar erhalten hatte. Die unruhige schwere Zeit gestattete einen solchen Aufwand nicht alle Jahre; er betrug 1623 noch 42 fl. 54 Kr., 1626 gar nur 14 fl. 3 Kr. Im Jahre 1625 durften die Kinder zum ersten Male selbst den berühmten Nürnberger „Kindlesmarkt“ besuchen, auf dem sich die Bewohner ganz Frankens und der angrenzenden Länder schon vor Jahrhunderten mit den Herrlichkeiten versahen und zum Theil heute noch versehen, mit welchen sie ihre Kinder zu Weihnachten erfreuen und überraschen wollen. Ein Kapital von acht Kreuzern erhielten die Kinder zusammen für ihre Einkäufe. Als im Jahre 1647 die fünf Enkelein des Herrn Behaim zum ersten Male sich dieses Vergnügen erlauben durften, bekam jedes derselben vom Großpapa sechs Kreuzer; so gut hatten es die Eltern nicht gehabt. Leider zählt Herr Behaim die einzelnen Spielsachen nicht auf, die er für seine Kinder, später für seine „Eniglein“ gekauft hat; es heißt nur immer für „Dockenwaar“ so und soviel. Nur hie und da macht er eine Ausnahme; so 1624, in welchem Jahre die Buben einen Wagen mit zwei Pferden, die Puppe Sabinens ein neues Brüstlein um 15 Kreuzer bekam; es dürfte also eine ganz respektable Puppe gewesen sein. Im Jahre darauf erhielt jeder der Knaben eine Brettleinsgeige, eine Karbatsche und die zehnjährige Sabine u. a. – schrecklich, aber wahr! – ein Paar Zöpfe um einen Gulden!
Die Kinder anderer reicher Patrizierfamilien, namentlich Nürnbergs und Augsburgs, besaßen aber auch geradezu fürstliche Spielzeuge, die sogenannten Puppen- oder Dockenhäuser, um die sie wohl manche Prinzessin beneidet haben dürfte. Heutzutage ist ein Kind recht froh, wenn ihm das Christkindchen ein Puppenzimmer, ein andermal eine Puppenküche bescheert; jenen standen gleich ganze Häuschen zur Verfügung, welche vom Keller bis zum Dachboden in einer Reihe von Stockwerken alle die Räume enthielten, welche in den Häusern ihrer begüterten Väter üblich waren.
Keller, Stall, Waschküche, Badezimmer, Hausflur, Treppenhaus, Kaufladen, Speisekammer, Küche, Mägde- und Schlafkammern, Wohn-, Prunk- und Kinderzimmer, alles war vertreten und aufs sorgfältigste und genaueste ebenso eingerichtet und ausgestattet wie ein Patrizierhaus jener Zeit. In den schön getäfelten und bemalten Zimmern findet sich vom eingelegten und geschnitzten, reich mit Leinwand gefüllten Schrank, dem Stolz der Hausfrau, bis zum Vogelkäfig, von dem Himmelbette mit dem spitzenbesetzten Betttuch und dem mit Einsätzen versehenen Kissen bis zur Mausfalle, vom Spinett bis zu den Kinderspielwaren – Schaukelpferd, Brettspiele, Spielkarten, Klappern, Puppengeschirr, Bälle – alles, was man sich nur denken und wünschen kann. Kein Wunder, daß manche der glücklichen Mädchen, die einen solchen Schatz ihr eigen nannten, damit spielten, bis sie Bräute wurden.
Ein solches „Spielwerk“ kam manchmal über 1000 Gulden zu stehen. Ihre Kostbarkeit ist wohl die Ursache, daß sich noch so manches Puppenhaus – das germanische Museum in Nürnberg besitzt allein vier – erhalten hat; vielleicht wirkte dazu auch der Umstand mit, daß die Kinder eben nur sehr selten mit diesem theuren Spielzeug sich unterhalten durften. Wenigstens ist es so den Kindern des Herzogs Albrecht V. von Bayern gegangen, der 1558 ein [854] Dockenhaus fertigen ließ, es aber dann nicht den Kindern überließ, sondern in seiner weltberühmten Kunstkammer aufstellte. Es hatte neben dem Stall noch ein Wagenhaus mit verschiedenen Fuhrwerken, einen Lust- und einen Thiergarten, ein Tanzhaus, in welchem sich die Paare lustig drehten, und eine reich ausgestattete Kapelle. Ueber ein Puppenhaus, das eine Nürnbergerin, Anna Köferlin, 1631 eingerichtet hatte, giebt ein altes Flugblatt Nachricht. Es war vorzüglich ausgestattet:
„Das wann ich sollt erzählen all’s
Was darinnen zu sehen,
Dieses Papier wäre gleichfalls,
Zu weng, muß selbst gestehen.“
Es war auch ganz besonders reich mit Musikinstrumenten versehen, hatte eine Bibliothek und eine Rüstkammer. Das Flugblatt giebt auch den tiefern Sinn eines solchen Puppenhauses zu verstehen, welches zur Belehrung und zugleich zur Nacheiferung dienen soll:
„So schaut nun an das Kinderhaus,
Ihr Kinder, inn und außen,
Schauts an und lernet bevoraus,
Wie ihr einmal sollt hausen.“
Im selben Jahrhundert war in Nürnberg von Gottfried Hautsch (geb. 1634, † 1703), einem in mechanischen Künsten wohlbewanderten Meister, ein anderes großartiges Spielzeug gefertigt worden, das viel Aufsehen erregte. Nach den Zeichnungen des berühmten Ingenieurs Vauban hatte Hautsch 1660 für den Dauphin von Frankreich eine Schar von etlichen hundert silbernen Soldaten, sowohl Reitern als Musketieren, ausgeführt, welche die gewöhnlichen Exerzitien gar artig machten, sich links und rechts wendeten, die Glieder verdoppelten, das Gewehr senkten, anschlagen, Feuer gaben und sich retirierten. König Ludwig XIV. soll mit Bezug auf diese Leistung gesagt haben: „Man müsse es denen Teutschen lassen, daß sie einen gar guten Verstand hätten.“ Höchst schmeichelhaft!
Mit der Herstellung von Soldaten beschäftigte sich auch der Vater des im Jahre 1695 geborenen berühmten Thiermalers und Kupferstechers Joh. Elias Ridinger. Ein Augsburger Bürger kaufte von ihm ganze Kompagnien der aus Papiermasse gefertigten 6 bis 7 Zoll hohen Figuren: Kürassiere, Dragoner, Husaren, mit vollständiger Feldequipage, mit Kutschen, Sänften, Proviantwagen u. s. w.
Nürnberg und Augsburg waren überhaupt hervorragende Fabrikationsorte für Spielwaren. In ersterer Stadt kommt schon 1400 ein Dockenmacher Ott und 1465 ein Dockenmacher H. Meß urkundlich vor.
Ein Schriftsteller vom Ende des 17. Jahrhunderts schreibt: „Es sind aber wegen Verfertigung fast unzählbarer artig, künstlich und wohlgemachter Spiele und Dockenwaren insonderheit die Augsburger und Nürnberger berühmt, welche fast die ganze Welt damit anfüllen.“
Der „Nürnberger Tand“ bestand also zu großem Theile aus Spielzeug, an dessen Herstellung beinahe alle Handwerke sich betheiligten. Die Goldschmiede fertigten solche aus Silber, die Bildschnitzer und Drechsler aus Holz. Andere Stücke wurden aus Alabaster oder Tragant gefertigt oder von Wachs bossiert: „und absonderlich von selbigen mancherley Thier und Geflügel, der Natur fast ganz gemäß mit rauen zarten Häutlein überzogen und mit Federn sehr artig bekleidet. Derjenigen Docken zu geschweigen, so nach jeder Landesart mit allerley Gezeug von Sammt und Seiden bekleidet, ja sogar die neuesten Moden von Kleidungen und Aufputz des Frauenzimmers durch dergleichen angekleidete Docken aus Frankreich nachzuahmen weit und breit versendet werden. Ja es ist fast kein Handwerk, welches dasjenige, was es groß zu machen gewohnet, nicht auch öfters als kleines Modell und Dockenwerk zum Spielen verfertiget.“
Außer den Spielsachen, die in Nürnberg selbst gefertigt wurden, sind von dieser Stadt als dem Hauptstapelplatz für Spielwaren auch die in Berchtesgaden, Oberammergau und Sonneberg geschnitzten Holzspielzeuge in alle Länder Europas wie der fremden Welttheile vertrieben worden.
Der Name Nürnberg hat deshalb für die Jugend auch einen ganz besonders guten Klang, denn „durch Puppen und Docken kann man aus der zarten Jugend locken, was man will, denn um dieselben zu erlangen, thun sie auch das, wozu sie offt weder durch glatte Liebkosungen, noch rauhe Worte und Drohungen zu bringen gewesen; durch dergleichen Spielwerke kann man dero Gemüth und Liebe gewinnen, daß sie sich nach Willen und Gefallen führen und regieren lassen.“
Es ist ganz unmöglich, alle die Hunderte von Spielwaren einzeln aufzuführen, die von Nürnberg außer den schon genannten oder abgebildeten zu Ende des vorigen Jahrhunderts zur Versendung kamen, um den Weihnachtstisch von Millionen von Kindern zu schmücken.
Und so will ich die Geduld der freundlichen Leser nicht länger mehr durch solche „Dockenwaar“ und „Puppending“ auf die Probe stellen, sondern mich mit den Schlußworten des am Eingange erwähnten Flugblattes empfehlen:
„Und daß ich Euch nicht mehr aufhalt,
So geht, und nehmt mit, was Euch gfallt,
Acht nicht zu kindisch und zu toll
Diß Kinderspiel. Gehabt Euch wohl!“