Weltausstellungsbriefe aus Chicago (5)

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Autor: Rudolf Cronau
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Titel: Ein Rundgang bei den außerdeutschen Nationen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 703–707
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Beschreibung der internationalen Ausstellungen, insbesondere der US-amerikanischen
Serie Weltausstellungsbriefe aus Chicago
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Weltausstellungsbriefe aus Chicago.

Von Rudolf Cronau.
V.
Ein Rundgang bei den außerdeutschen Nationen.


Haben wir in unserem letzten Artikel Deutschlands Antheil an der Kolumbischen Weltausstellung zu schildern gesucht, so wollen wir heute einen gedrängten Ueberblick über die Leistungen der fremden Nationen geben, soweit sie die Weltausstellung beschickt haben.

Schräg gegenüber der deutschen Abtheilung im Industriepalaste erhebt sich der ausgedehnte Kiosk der Franzosen. Nicht ohne eine gewisse Unruhe hatten die deutschen Aussteller der Eröffnung desselben entgegengesehen; als sie endlich erfolgte, durften unsere Landsleute sich hochaufathmend sagen, daß die französische Abtheilung der deutschen keinen Eintrag thue, denn ihr äußerer Aufputz ist keineswegs ein glücklicher zu nennen. Ist auch das große Mittelportal mit der davorsitzenden Statue der Republik von guter Wirkung, so erscheinen doch die Flanken des Kiosks durch die stete Wiederholung der viel zu massiven Karyatiden plump und langweilig. Weitaus glücklicher ist der Schmuck der Innenräume. Hier feiert die französische Dekorationskunst wahre Triumphe, auch verdienen die zur Schau gestellten Gobelins, Bronzen, Limoges- und Sèvresporzellane sowie die Prunkmöbel rückhaltlose Bewunderung. In den Kojen, welche nach der Columbia Avenue zu gelegen sind, hat Königin Mode ihr Reich aufgeschlagen, tagaus tagein versammeln die hier von den berühmtesten Kleiderkünstlern geschaffenen „Kompositionen“ aus Seide, Sammet, Brokat und feinen Pelzen ein dankbares, hauptsächlich aus Damen bestehendes Publikum. Von Wichtigkeit ist auch die im französischen Kommissariatsgebäude untergebrachte Ausstellung der Pariser Gemeindeverwaltung, die sich über alle Gebiete der Gesundheitspflege, Wohlthätigkeit, Erziehung, Polizei, des Bauwesens und der Kanalisation erstreckt und manche neue Anregung bietet. Im Kunstpalast zeigen sich die französischen Maler als unübertroffene Meister in Kolorit und Technik, die Bildhauer überraschen gar häufig durch hohen idealen Schwung und vielfach, besonders bei Wiedergabe kämpfender Thiergruppen, durch eine überaus lebendige Realistik.

Stehen so die Franzosen mit in erster Reihe, so haben die Engländer vielfach Enttäuschung hervorgerufen. Von einem monumentalen Gesamtaufbau ist keine Rede, die englische Abtheilung im Industriepalast tritt nur durch den übermäßigen Flaggenschmuck hervor. Gewiß enthalten die einzelnen Kojen des Schönen und Werthvollen ungeheuer viel, doch vermag England, was die Gesamtwirkung betrifft, nicht mit Frankreich, geschweige denn mit Deutschland sich zu messen. In Bezug auf die äußere Anordnung wird es sogar von allen anderen europäischen Staaten übertroffen, so besonders von Oesterreich, welches die vielfachen Erzeugnisse aller Länder der kaiserlichen und königlichen Krone unter einem prächtigen Monumentalbau vereinigt hat. Besonders schön, reichhaltig und geschmackvoll hergerichtet ist die Ausstellung böhmischer Glaswaren.

Schmuck wie eine von Gebirgsluft umwehte Sennin im Sonntagsgewand zeigt sich die Abtheilung der Schweiz. Vorzügliche Uhren und Musikdosen sowie feine Handarbeiten bilden die wichtigsten Ausstellungsgegenstände des kleinen Ländchens. Einen vornehmen Eindruck macht auch die Koje des Staates Belgien, welcher vorzügliche Fayencen, Teppiche, riesige Spiegelglasscheiben, Spitzen, Jagdgewehre und viele andere Dinge nach Chicago sandte, während Holland ganz besonders in Delfter Porzellan, feinen Likören, in Kakao, Chokolade, Kaffee und anderen Erzeugnissen seiner Kolonien sich hervorthut.

Unsere Nachbarn im Osten, die Russen, haben gleichfalls überraschend Schönes gesandt. Ihre Pelzhändler behaupten auf der ganzen Weltausstellung den ersten Platz; die Steinschleifer haben nicht nur die kostbarsten Schalen aus Jadeït, Nephrit, [704] Rhodonit, Labrador und Bergkrystall geliefert, sondern es auch verstanden, kunstvolle Steinmosaiken zu verfertigen, die wie fein abgetönte Gemälde wirken. Die russische Reichsdruckerei macht in Ausführung der schwierigsten und verwickeltsten Arbeiten derjenigen der Vereinigten Staaten den Rang streitig. Vielfach sind freilich diese Fortschritte von germanischem Geist getragen, nehmen doch vorzugsweife Deutsche die verantwortungsvollen Stellungen an jenen russischen Staatsanstalten ein.

Nicht so glücklich wie die russische Abtheilung sind diejenigen der skandinavischen Völker. Schweden und Norwegen marschieren, obwohl diese Länder politisch in engstem Zusammenhang stehen, scharf getrennt voneinander, auch sind ihre Ausstellungen nicht besonders übersichtlich gruppiert. Schwedens Eisenindustrie, Norwegens Großfischerei, die kräftig entwickelte, allenthalben noch altnordische Motive bewahrende Holzschnitzerei, der Bergbau u. s. w. finden eingehende Berücksichtigung, daneben sind die ethnographischen Eigenthümlichkeiten der Skandinavier durch zahlreiche zu Gruppen vereinigte Kostümfiguren veranschaulicht. In getreuer Weise spiegelt die dänische Abtheilung den Charakter Jütlands und des daneben liegenden Archipels wieder, ferner werden wir gleich am Eingang durch zwei Statuen daran erinnert, daß Dänemark der Welt zwei Männer gab, deren Namen jedem Gebildeten lieb und theuer sind: Thorwaldsen, den Bildhauer, und Andersen, den Märchenerzähler. Die Dänen stellen überdies das berühmte „Flateyjarbok“ aus, eine uralte isländische Pergamenthandschrift, welche als die wichtigste aller Quellen über die kühnen Fahrten der Normannen nach Grönland, Markland und Vinland gilt. Eines der Boote, auf denen jene verwegenen Abenteurer alle europäischen Meere durchstreiften und ums Jahr 1000 sogar das Festland von Nordamerika erreichten, wurde, wie die Leser aus Nr. 24 sich erinnern, von von Norwegen in getreuer Nachbildung angefertigt und von dem Kapitän Magnus Andersen über den Ocean und durch den Eriekanal, den Erie-, Huron- und Michigansee glücklich bis an seinen jetzigen Ankerplatz geführt.

In ausgedehntem Maß haben sich auch die Türken und Südeuropäer an der Weltausstellung betheiligt. Erstere sandten eine kostbare Sammlung älterer Teppiche und Stickereien, die Griechen werthvolle archäologische Sammlungen, während Italiens Stärke in Kunstmöbeln mit eingelegter Arbeit, in Bildschnitzereien, Broncen und ganz vornehmlich in Marmorstatuetten ruht. Weitere Hauptfächer der Italiener sind herrliche Majolikamalereien, duftige, schön gezeichnete Spitzen, von denen besonders die venetianischen durch ihre Feinheit alle Damenherzen überraschen. Unschätzbar an Werth ist besonders die von der Königin von Italien hergeliehene Sammlung alter Spitzen, von denen manche über ein Jahrtausend alt sein sollen.

Spanien und Portugal bieten gleichfalls des Bewundernswerthen die Menge. Unter den kunstgewerblichen Leistungen des erstgenannten Landes fallen ganz besonders zwei große Prachtvasen auf, deren goldinkrustierte Zierate sich entzückend schön von dem mattschwarzen Stahluntergrund abheben. Die eine Vase, im altklassischen Stil gehalten, kostet die Kleinigkeit von 100 000, die andere im Renaissancestil hingegen das runde Sümmchen von 180 000 Mark.

Aehnliche Prunkvasen, deren überreiche Ornamentik mit dem Stichel in Gelb- und Rothkupfer graviert ist, gehören zu den kostbarsten Erzeugnissen Vorderindiens, das außerdem die verschiedensten Theesorten, farbenprächtige Teppiche und Seidenzeuge, Elfenbeinschnitzereien, mit Perlmutter und Elfenbein eingelegte Holzarbeiten, Modelle bizarrer Tempel und Moscheen, wohlriechende Gewürze, kurz alle jene Schätze ausgebreitet hat, welche schon vor Jahrhunderten Abenteurer und Entdecker zu jenem Wunderland am Ganges und zu dem paradiesischen Eiland Ceylon zogen.

Der kalifornische Apfelsinenthurm.

Unter den auf der Kolumbischen Weltausstellung vertr[e]tenen asiatischen Völkerschaften nehmen die Japaner unbedingt den ersten Rang ein; nach der deutschen Abtheilung hat keine so sehr überrascht wie die japanische. Wußten die Bewohner jenes fernen Inselreiches sich schon auf früheren Weltausstellungen große Anerkennung zu verschaffen, so verblüffen sie hier durch wahre Glanzleistungen ihrer eigenartigen Kunst und Industrie. Zum Theil sind diese Leistungen geradezu unerreichbar, so z. B. einige herrliche Vasen in jener Art von Emailmalerei, die man Zellenschmelz oder Cloisonné nennt; ihr Werth beziffert sich nach Tausenden von Dollar. Ferner sind da Gobelinwebereien, welche selbst die feinsten französischen Arbeiten dieser Art noch hinter sich lassen. Unter ihnen fällt besonders ein Teppich auf, dessen 4 Meter langes und 2½ Meter breites Mittelstück einen aus Hunderten von Personen bestehenden Festzug zeigt. Auch die köstlichen Arbeiten in Bronze und Eisen bekunden, daß es für dies Volk fast nichts Unmögliches mehr giebt. Der Künstler Itao Schujiro schuf aus Schmiedeeisen einen lebensgroßen Adler, dessen Flügel aus 3000 einzelnen Federn zusammengesetzt sind, von denen eine jede wieder mit Tausenden von feinen Linien graviert ist, damit größtmögliche Naturwahrheit erzielt werde. Fünf volle Jahre widmete der Künstler diesem Meisterwerk.

Ein anderes, nicht minder bewundernswerthes Stück stellt eine Hühnerfamilie dar. Die Henne lagert mit ihren Küchlein zwischen dem Wurzelwerk eines knorrigen Baumstumpfs, auf dessen letztem nur noch wenige Blätter tragenden Ast der Hahn sich niedergelassen hat. Jedes Federchen, jedes Blättchen, ja selbst die Flechten und das Moos am Baumstumpf sind mit solcher Naturtreue ausgeführt, daß man im Zweifel darüber ist, was bewundernswerther sei, die Beobachtungsgabe des Künstlers oder seine fabelhafte Geschicklichkeit und unermeßliche Geduld.

Daß die Japaner große Naturfreunde und feine Beobachter sind, zeigt sich auch in ihren zahlreichen auf Rohseide, Papier oder Holz ausgeführten Malereien, unter denen Thierstücke und Landschaften den ersten Rang einnehmen. Kämpfende Falken, hinter ihrer Beute herrauschende Adler, stromaufwärts ziehende Fische, Winterlandschaften mit reifbedeckten und vom Nebel umwallten Föhren, malerisch gelegene Herbergen und Theehäuser auf dem Lande – das sind so die Stoffe, in denen die japanischen Maler großartig sind.

Aber auch die Arbeiten der Holzschnitzer erregen großes Aufsehen, so besonders die Bildsäule des unglücklichen Staatsmannes Kamon No Kami Naosuke, der seine erfolgreichen Bemühungen, das Reich des Sonnenaufgangs abendländischer Kultur zu öffnen, mit dem Leben bezahlen mußte. Wenngleich diese japanischen Arbeiten sich von europäischen Kunstwerken himmelweit unterscheiden, so zeugen sie doch allenthalben von dem frischen Geist, der heute in Japan lebendig ist.

Daß dieser Geist noch nicht in das benachbarte China eingezogen ist, lehrt ein Blick auf die Erzeugnisse dieses Reiches. Allenthalben ein Verharren in uralten überkommenen Formen, die, weil jede Befruchtung von außen fehlte, durchweg ins Groteske, Bizarre ausarteten und nur selten das Auge zu erquicken vermögen. Noch schärfer treten die Folgen der thörichten Sucht, sich gegen fremde Einflüsse abzuschließen, in der Ausstellung des Reiches Korea vor Augen. Nur darum vermögen die Ausstellungsgegenstände desselben besondere Aufmerksamkeit zu erregen, weil es das erste Mal ist, daß Korea sich an einer Weltausstellung betheiligt. Nicht nur hatte Korea bisher alle Annäherungsversuche der Europäer und Amerikaner zurückgewiesen, sondern sich sogar gegen seine unmittelbaren Nachbarn China und Japan so erfolgreich [705] abzuschließen gewußt, daß kaum irgendwelche Wechselbeziehungen zwischen diesen verwandten Ländern stattfanden. Unter solchen Verhältnissen kann es nicht befremden, daß die Erzeugnisse der Koreaner sich nicht im entferntesten mit denjenigen der Chinesen, geschweige denn mit denen der Japaner vergleichen lassen. Nur der kühnen Entschlossenheit eines koreanischen Naosuke könnte es vielleicht gelingen, dies Land aus dem Sumpf zu erlösen, in den es dank der thörichten Politik seiner chinesischer als chinesisch denkenden „Staatsmänner“ geraten ist.

In der japanischen Porzellanausstellung.

Einen höchst erfreulichen Gegensatz zu jenem Lande bildet ein Staat, der als der einzige unter den englischen Kolonien Australiens sich an der Weltausstellung betheiligt hat: Neu Süd Wales. Ein jugendfrischeres Auftreten ist bei keinem Staatswesen zu bemerken. Legt der junge Staat selbstverständlich das Hauptgewicht auf die Ausstellung seiner Naturerzeugnisse und ist er demgemäß in den Hallen für Bergbau, Gartenbau und im Landwirthschaftsgebäude am stärksten vertreten, so wird doch auch in den anderen offiziellen Gebäuden die Flagge von Neu Süd Wales nirgendwo vermißt. Besonders sehenswerth ist die mineralogische Sammlung, in welcher sich unter anderem ein Klumpen gediegenen Goldes im Gewicht von 3040 Unzen befindet.

Auch Englands Kolonien in Sübafrika fehlen nicht in dem friedlichen Wettkampf der Völkerschaften. Kapland sandte werthvolle Felle, Straußenfedern, Elfenbein und Tausende von rohen Diamanten, die aus den berühmten Minen der Kimberley Region stammen. 150 Tonnen diamanthaltiger Felsen und Erde wurden von Südafrika nach Chicago geschleppt, lediglich zu dem Zwecke, um es zu ermöglichen, den Besuchern der Weltausstellung den Prozeß des Auswaschens vorzuführen. Zu gleicher Zeit veranschaulichen mehrere der besten Diamantschleifer die Kunst, jene kostbaren Edelsteine zu schneiden, zu polieren und marktfähig zu machen. –

Wenden wir uns nun dem Welttheil Amerika zu. Die süd- und centralamerikanischen Republiken beschränken sich in der Hauptsache auf die Ausstellung ihrer vielartigen Naturerzeugnisse; hier und da treten archäologische und ethnographische Sammlungen hinzu, während Photographien und Oelgemälde Scenen aus dem Volksleben, Landschafts- und Städtebilder vorführen. Die Republiken Brasilien, Venezuela, Columbia und Mexiko haben sich durch ganz merkwürdige und umfassende Beiträge ausgezeichnet, können sich aber selbstverstänblich, was Pracht und Mannigfaltigkeit betrifft, nicht im entferntesten mit ihrer Schwester germanischen Stammes, der Republik der Vereinigten Staaten von Nordamerika, messen, deren Abtheilungen recht eigentlich den Kernpunkt der Kolumbischen Weltausstellung bilden.

Es ist freilich ungemein schwer, einen Gesamtüberblick über die Leistungen der Amerikaner zu gewinnen. Sie brachten nicht nur ihre Landesprodukte und gewerblichen Erzeugnisse massenhaft zur Ausstellung, sondern diese Ausstellungsgüter sind auch über sämtliche amtlichen Bauten, über mehrere Einzelpaläste sowie über 46 Staatsgebäude verstreut. Die Möglichkeit, das Gesamtbild in so übersichtlicher Weise abzurunden, wie etwa die deutsche oder französische Abtheilung es thut, war von vornherein ausgeschlossen, und so leidet die amerikanische Abtheilung unstreitig an einer Zersplitterung, die es ungemein erschwert, das Facit zu ziehen. Nur dann ist es möglich, einen Begriff von der erdrückenden Wucht des Gebotenen zu gewinnen, wenn man ohne Rücksicht auf ungeheuren Zeitverlust daran geht, sämtliche amerikanischen Abtheilungen der Reihe nach ernstlich zu studieren. Dann wächst und wächst die Achtung vor der Leistungsfähigkeit des amerikanischen Volkes, und fast könnte einem die Frage zu schaffen machen, was aus uns Bewohnern der Alten Welt werden soll, wenn dies gewaltige Volk wirklich einmal dahin gelangt sein wird, seine Kräfte und Fähigkeiten, den unerschöpflich scheinenden Reichthum seines Landes völlig auszunutzen.

Entthronte Götter.

Amerikas Wohlstand fließt in erster Linie aus der riesigen Ertragsfähigkeit seines Bodens. Die glänzendsten Beispiele hierfür bieten wohl die Staaten Kalifornien, Washington, Iowa, Kansas und Illinois, welche wir nicht nur an den Gesamtausstellungen im Gartenbau-, Landwirthschafts- und Bergbaupalast sowie im Forstgebäude betheiligt finden, sondern welche auch in ihren eigenen Staatsgebäuden Ausstellungen veranstaltet haben, die ein so völlig abgeschlossenes Bild von dem Können und Vermögen des Staates bieten, daß man sich fort und fort bedauernd fragt, warum nicht auch die anderen zur Union gehörenden Staaten diesen schönen Vorbildern folgten, statt ihre Repräsentationsbauten zu bloßen Klubhäusern zu machen. Wie lehrreich würde sich eine derartige Staatenausstellung haben gestalten lassen, wie würden die Europäer, ja die Amerikaner selber erstaunt gewesen sein über die Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse, welche die Union hervorzubringen vermag! Man betrachte z. B. nur einmal die mustergültige Ausstellung des jungen Staates Washington. Sprühender Unternehmungsgeist [706] leuchtet allenthalben hervor; die gewaltigen Baumstämme, aus denen das kolossale Blockhaus gefügt ist, sind aus dem fernen Staat hierhergeschafft worden; der 65 Meter hohe und über einen Meter im Durchmesser haltende Flaggenmast neben der Eingangspforte wuchs gleichfalls in den immergrünen Wäldern Washingtons; im Innern des Gebäudes sehen wir auf riesigen Gemälden die wundervollen Landschaftsbilder des Staates, die Ufer des gigantischen Columbiastroms, die aus Wolkenhöhe herniederrauschenden Wasserfälle, die stillen Buchten des entzückenden Puget Sundes, in dessen Wassern sich die schneeüberlagerten Berggipfel des Mount Tacoma und der Olympic- und Kaskadengebirge spiegeln. Mitten in der Haupthalle des Blockhauses steht das 2000 Quadratfuß einnehmende Modell einer Musterfarm, ein Riesenspielzeug. Rings umher sind die verschiedenen im Staat gezogenen Getreidearten gruppiert, zugleich legen unzählige mit Früchten und Konserven gefüllte Glasbüchsen Zeugniß von dem gewaltigen Fruchtreichthum Washingtons ab. Eine höchst eigenartige Holzbibliotek macht uns mit sämtlichen in Washington wachsenden Holzarten, ihrer Geschichte und ihrem Werth bekannt; an anderen Orten sehen wir eine ausgezeichnete Sammlung ausgestopfter Thiere, die nicht nur den an den urweltlichen Riesenhirsch erinnernden 700 Kilogramm schweren Elk enthält, sondern auch sämtliche Raubthiere, Nager, Amphibien, Vögel und Fische. Ein weiterer Raum ist ausschließlich mit den verschiedenen Minenerzeugnissen gefüllt. Gold-, Silber-, Blei- und Eisenerz liegt zu Bergen aufgeschichtet, auch sehen wir einen Kohlenklotz von 8 Metern Länge, 1½ Meter Höhe und Breite im Gewicht von 50,250 Pfund.

Die Sonderausstellung Kaliforniens lag nicht minder in guten Händen. Galt Kalifornien bisher als ein Goldland, so ist es heute noch mehr ein Fruchtland. Unter seinem ewig blauen Himmel, in seinem milden Klima nehmen alle Obstsorten eine so fabelhafte Größe an, daß man sich thatsächlich scheut, dieselbe mitzutheilen, um nicht in den Verdacht der Aufschneiderei zu kommen. Pflaumen, groß wie Gänseeier; Aepfel, Pfirsiche und Aprikosen im Format von Kinderköpfen; Apfelsinen, von denen einzelne einen Umfang von 45 Centimetern erreichen; Birnen im Gewicht von 2–3 Kilogramm, Trauben, welche an diejenigen erinnern, die von den Kundschaftern aus dem Lande Kanaan heimgebracht wurden – das sind neben 1½ Fuß langen Tannenzapfen, Bergen von Goldquarz, Pyramiden aus Weinflaschen und Konservengläsern, Riesenthürmen aus lauter Orangen die hervorragendsten Schaustücke jenes Edens am Gestade des Stillen Oceans.

Die Mittelstaaten der Union, Dakota, Nebraska, Kansas, Iowa, Illinois und andere, haben ihre Stärke in prachtvollen Getreidearten; sie haben aus diesem Material nicht nur ganze Paläste aufgeführt, sondern mitunter auch aus Aehren und Samenkörnern große Bilder zusammengesetzt. So enthält z. B. das Gebäude von Illinois ein derartiges, eine Farm darstellendes Riesenbild, dessen Rahmen aus lauter Maiskolben gebildet und dessen Vorhang aus den Rispen verschiedener Gräser gewebt ist.

Bieten die Südstaaten Zuckerrohr, Baumwolle und Tabak, so haben die sogenannten „Minenstaaten“ Kolorado, Nevada, Wyoming, Montana, Idaho und andere ihre reichen Erze im Palast für Bergbau ausgestellt, wo auch fast sämtliche anderen Staaten ihre Mineralien, verschiedene Steinsorten, Kohlen und Petroleum niederlegten.

Von hohem Interesse ist auch ein Besuch des Forstgebäudes, wo wir sämtliche Hölzer Amerikas in rohem und verarbeitetem Zustande finden. Aeußerst lehrreich ist z. B. die von New York veranstaltete Sammlung sämtlicher in diesem Staat wachsenden Bäume und Waldpflanzen. Von ersteren finden wir nicht nur große Photographien, welche den betreffenden Baum mit und ohne Laub darstellen, sondern gleich daneben wird sein anatomischer Bau durch vorzüglich ausgeführte Quer-, Tangential- und Radialschnitte veranschaulicht und zugleich werden durch eingeheftete kleine natürliche Zweige die Blätter, Blüthen und Früchte der betreffenden Holzart gezeigt.

Haben die Vereinigten Staaten durch den Massenertrag ihrer Landwirthschaft und ihres Bergbaus bereits einen bestimmenden Einfluß auf den Weltmarkt gewonnen, so ist ihr ganzes Streben dahin gerichtet, auch mit ihrer Industrie nicht nur von der Alten Welt unabhängig zu werden, sondern dieser eigenen Industrie den Weltmarkt zu erobern. Bereits im Jahre 1880 konnte die Union als der größte Industriestaat der Welt gelten, da ihre industriellen Erzeugnisse schon damals einen Werth von 1112 Millionen Pfund Sterling darstellten gegen 818 für England und 2600 für die Produkte ganz Europas. Und seit jener Zeit hat sich die Industrie Amerikas noch gewaltig entwickelt! Es giebt kaum einen Zweig, in welchem die Amerikaner nicht mehr oder minder erfolgreich thätig wären, und wenn sich auch unter den ausgestellten Erzeugnissen vieles Minderwerthige befindet, so ist doch sehr viel Gutes, Werthvolles und Praktisches darunter. So wetteifert Amerika z. B. in der Herstellung von Pianos, Geldschränken, Möbeln, Uhren, allerhand Hausgeräth, Betten, Koffern, Eisen-, Stahl- und Lederwaren, Filzen, Papier und vielen anderen Dingen mit den besten europäischen Firmen, in einigen Zweigen des Maschinen-, Eisenbahn- und Wagenbaues zeigt es sich sogar überlegen. Nur in kunstgewerblichen Arbeiten steht es noch weit zurück und reicht nicht im entferntesten an die wundervollen Erzeugnisse der Alten Welt hinan.

Betrachten wir dagegen wieder die graphischen Künste, den Stahl- und Kupferstich, den Holzschnitt und die anderen vervielfältigenden Verfahren, so müssen wir gestehen, daß Amerika uns in manchem überholt hat.

Zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Weißen Stadt gehört unstreitig das im Kapitolstil aufgeführte Regierungsgebäude, dessen Abtheilungen von den verschiedenen Ministerien der Bundesregierung eingenommen werden. Das Kriegsministerium zeigt in zahlreichen Figurengruppen die Uniformen der amerikanischen Armee vom Tage der Unabhängigkeitserklärung ab bis heute, ferner alle Waffen vom kleinsten Revolver bis zur 50-Tonnenkanone, endlich zahllose Trophäen und Reliquien aus früheren Kriegen und Forschungszügen. Das Staatsministerium sandte die werthvollsten geschichtlichen Dokumente. Das Ministerium des Innern veranschaulicht in Verbindung mit dem Smithsonian Institut durch wundervolle Figurengruppen das Leben der Indianer Nordamerikas; das Generalpostamt erlaubt uns einen Einblick in die Geheimnisse seiner Verwaltung, und ebenso bieten das Ministerium des Ackerbaus, das Schatzamt, das geologische und das Patentbureau ungemein reiche Schätze.

Außerhalb des Regierungsgebäudes, und zwar auf einer getreuen naturgroßen Nachbildung des Schlachtschiffes „Illinois“, hat die Ausstellung des Marineministeriums Platz gefunden.

Auch in allen Zweigen des geistigen und künstlerischen Schaffens herrscht bei den Amerikanern ein ungemein reges Leben. So bekunden z. B. zahlreiche, im Gebäude für Anthropologie vereinigte Sammlungen den großen Eifer, mit dem man bemüht ist, die Vorzeit der Neuen Welt aufzuhellen. Diese Sammlungen sind die Ergebnisse großartiger Expeditionen, die eigens nach Yucatan, Guatemala, Nicaragua und dem alten Inkareich geschickt wurden, damit sie all das sammeln möchten, was über das Leben der altamerikanischen Kulturvölker Licht verbreiten könnte. Zahllose große Photographien, Modelle und Abgüsse zeigen uns die kaum zugänglichen Behausungen der längst verschollenen Klippenbewohner Utahs und Arizonas, die phantastischen, von Urwald überwucherten Ruinenstädte und Paläste der Mayavölker von Yucatan, die Heiligthümer und Friedhöfe der peruanischen Inkastämme. Zu Dutzenden sind auch die Steinbilder der alten Gottheiten jener Länder hier versammelt. Sie, denen in den Tagen ihres Glanzes ganze Kohorten warmblütiger Menschen zum Opfer gebracht wurden, blicken jetzt mit ihren steinernen Augen starr ins Leere, als vermöchten sie nicht zu fassen, daß auch Götter und Religionen dem Gesetz der Vergänglichkeit unterliegen.

Auch dem Erziehungs- und Schulwesen haben die Amerikaner einen breiten Raum gewidmet. Die auf der Westgalerie des Industriepalastes veranstaltete Sammelausstellung der verschiedensten Hoch-, Volks- und Privatschulen ist eine der umfassendsten und lehrreichsten, die je zusammengebracht wurde.

Sehr zahlreich erscheinen auch die amerikanischen Künstler auf dem Plan. Wenn ihre Abtheilung durchaus nicht frei ist von Mittelmäßigem, so enthält sie doch auch eine ganze Reihe vorzüglicher Werke, die zu den größten Erwartungen für die Zukunft berechtigen. Uns will es scheinen, als ob die amerikanischen Maler und Bildhauer gerade dann die schönsten Erfolge erzielen, wenn sie sich heimischen Stoffen zuwenden und ihre Motive den einsamen Wäldern, den unermeßlichen Prairien, den Höhen der [707] Felsengebirge, dem eigenartigen Volksleben der Neger, der westlichen Ansiedler und der Urbewohner entnehmen. Ist die Richtung der amerikanischen Kunst noch schwankend, neigt sie sich bald diesen, bald jenen fremdländischen Einflüssen zu, so zeigt sich doch bereits ein festes Bemühen, sich von diesen Einflüssen loszuringen. Bei diesem Ringen, bei dem ausgesprochenen Streben nach unmittelbarer Naturwahrheit wird zweifellos auch die amerikanische Kunst dereinst einen nationalen Charakter gewinnen.

So wird auf allen Gebieten des Lebens mit Eifer und Kraft gearbeitet, aber auch nirgendwo ist stetes Fortschreiten so sicher zu beobachten wie hier. Es giebt Leute, welche prophezeien, daß der Schwerpunkt der Kultur eines Tages nicht mehr auf europäischem Boden ruhen, sondern nach dem der Vereinigten Staaten gerückt sein werde. Möge dem sein, wie ihm wolle, sicherlich sollten wir Europäer es nicht unterlassen, unsere Blicke häufiger als bisher nach jenem Welttheil, nach jenem jungen Kulturland zu richten, auf dessen Boden vielleicht noch die größten und wichtigsten Fragen der Menschheit zum Austrag kommen werden.