Wie ein Trunkenbold curirt wird

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Autor: Otto Beneke
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Titel: Wie ein Trunkenbold curirt wird
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 332–334
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[332] 
113. Wie ein Trunkenbold curirt wird.
(1682.)

Um diese Zeit lebte ein wohlhabender Bäckermeister in Hamburg, in der Gegend des Schweinemarktes. Dieser gute Mann, an dem sonst kein Fehler und Makel war, verfiel leider aus angeborener Dursthaftigkeit nach und nach in das unglückselige Trinken, dem er sich so sehr ergab, daß er fast keinen Abend nüchtern, und sehr oft völlig von Sinnen zu Bette kam. Ja, mitunter brachte ihn unter Spottgeschrei und Hohnlachen, zur höchsten Verkleinerung der Familien-Ehre, eine Schaar gottloser Buben nach Hause, die ihn aus einem Rinnstein aufgelesen, darin er, einem Schweine ähnlich, gelegen. Sie sangen Spottlieder auf ihn, und einer der Buben brachte das schöne kurze Gedicht mit der lieblichen Melodie auf, das noch heute als Hamburger Nationallied bei solchen Anlässen gesungen wird:

„Bring’ dat Swin na’n Swinmarkt hen, ho ho ho!“

Vergebens bemühten sich seine Eheliebste, Kinder und Freunde, denen das lästerliche Trinken des werthen Mannes sehr zu Herzen ging, ihn davon zurückzubringen; es wurde immer ärger damit, und er begann schon in Folge solcher Völlerei, etwas dummerhaftig zu werden.

Endlich gingen die Seinigen mit dem Haus-Barbierer und ihrem Beichtvater ordentlich zu Rathe, und beschlossen, einen curiosen Versuch zu machen, den Kranken zu heilen; der Barbierer, ein flinker gewandter Mann, richtete Alles dazu in die Wege. – Als er nun eines Abends toll und voll gesoffen ist, daß er gar nichts mehr von sich weiß, da nehmen sie ihn vor, ziehen ihm seine Wäsche und Kleidung aus und legen ihm fremde herrenmäßige dafür an; dann waschen sie ihn einmal recht sauber; scheeren ihm sein Haupthaar kurz ab [333] und stülpen ihm dafür eine neumodische schöne Paruque auf den Kopf; und also tragen sie den bewußtlosen Mann in das ihm ganz unbekannte Haus einer abgelegenen Neustädter Straße, die er vielleicht noch niemals betreten hatte, zu Leuten, die ihm ebenfalls wildfremd waren. Diese hatte man natürlich für das löbliche Vorhaben gewonnen und genau unterwiesen, wie sie sich dabei benehmen sollten.

Wie nun der Bäcker seinen Rausch ausgeschlafen und sich beim Erwachen in einem fremden Gemache und in ganz anderer Gestalt findet, fällt er aus einer Verwunderung in die andere; bekuckt sich oftmals von oben bis unten, schüttelt den Kopf, zupft sich bei der Nase, zu sehen, ob er träume oder wache, – stellt sich an den Spiegel und schneidet davor immer ängstlichere Gesichter vor innerer Herzensangst, die bei seinem natürlichen Katzenjammer bösartig genug gewesen sein mag. Das Schlimmste für ihn war, daß die Leute im Hause gar nicht befremdet thaten, sondern freundlich mit ihm verkehrten, wie man mit Jemandem umgeht, der zum Hause gehört und gesund in seiner richtigen Haut steckt. Obschon, er ihnen die Frage nahe legte: was er für Einer wäre und wie er hieher gekommen? so fragten sie ihn doch nicht, sondern überließen den verwirrten Mann seiner eigenen Speculation. Nach einigen Stunden aber, als sie ihn immer tiefer in Wehmuth und Melancholie versinken sehen, lassen sie sich mit ihm in einen Discurs ein, und thun ihm den Gefallen, zu fragen: was für Einer er wäre? Er antwortet mit Seufzen und Betrübniß: vor der Hand wisse er’s noch selber nicht genau, weil es ihm als ein Traum verkomme, daß er früher im Leben andere Kleider und sein eigen Haar gehabt, jetzt aber kostbare Kleider und eine Paruque trage, weswegen er schlechterdings nicht für gewiß sagen könne, wer er eigentlich wäre, noch was er vorstelle, viel weniger, wo er zu Hause gehöre. [334] Die Leute ließen das wieder auf sich beruhen, thaten, als sei es eben nichts Besonderes, und kümmerten sich wenig um den Gast, der immer confuser darüber simulirte, was für Einer er wohl eigentlich wäre, wobei er reichlich gestöhnet und still geweinet. Nach einigen ohne alles Verlangen nach Bier oder Wein verbrachten Tagen voll stillen Grams oder lauten Jammers hat er die Leute gebeten: sie möchten doch in die – Straße gehen und nachfragen, ob ein gewisser Bäckermeister R. N. allda wohne und augenblicklich gegenwärtig sei. Und wenn Derjenige zu Hause wäre, dann schwüre er einen theuern Eid, daß dann Gott allein wisse, was für Einer er wäre, – sonst schwebete ihm im Sinne, daß er eben derjenige Bäcker in Person leibhaftig selber sein könnte.

Als nun die Ausgeschickten zurückkommen und ihm melden, jener Bäcker sei seit etlichen Tagen nicht zu Haus gewesen, da kommt er etwas wieder zu Ruhe und verholt sich. Indem aber erscheinen auch die Seinigen und umfassen und begrüßen ihn, wie man einen wiedergefundenen Vermißten begrüßt, und nehmen ihn mit sich nach Hause. Es dauerte dann einige Zeit, ehe der gute Mann den Zusammenhang der Sache völlig begriff; dieselbe aber hatte auf ihn einen so tiefen Eindruck gemacht, daß er in der That dem Trunke gänzlich entsagte, und sich fortan allewege als ein rechtschaffener Amtsmeister und honnetter Bürger aufgeführet hat. Die Paruque, die dazu so wesentlich beigetragen, hat er nicht wieder abgelegt.

Anmerkungen

[387] Nach einer handschriftl. Fortsetzung von Tratziger’s Chronik.