Wie ich meine Mundart entdeckte

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Autor: Hans Grasberger
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Titel: Wie ich meine Mundart entdeckte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 570–572
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wie ich meine Mundart entdeckte.

Von Hans Grasberger.

Ich hatte bereits das richtige Schwabenalter erreicht und ahnte noch nicht, daß auch ich zum Dialektdichter „berufen“ sei. Nach mannigfachen und großen Umwegen fand ich mich selbst erst und auch das mundartliche Börnlein in meiner Brust. Einmal entdeckt und geweckt, sprang dieses dann allerdings munter hervor, und es wurde auch als klar und echt anerkannt; es hatte aber nur einen kurzen Lauf, und es spiegelte sich keinesweges die ganze heimische Gebirgswelt darin.

Noch wirkt in Klagenfurt ein Gymnasialprofessor, der mich als Studentlein kannte, das sich sichtlich bestrebte, erzählend die halbvergangene Zeit einzuhalten. Ein befreundeter hochgestellter Geistlicher will sich noch erinnern, daß ich mich als fertiger Jurist und junger Leitartikelschreiber einer kernigen Ausdrucksweise beflissen. Mit der Advokatenkanzlei verdarb ich’s unter schadenfrohem Gelächter sämtlicher Kollegen durch eine „poetische“ Satzschrift[1] – es war dies eine „Einrede“, in welcher ich das endlos wiederkehrende formelhafte „Ich widerspreche“ teilweise durch sinnverwandte Ausdrücke ersetzt hatte, der Abwechslung halber. Nach meiner Orientfahrt wollte man meinem Stil zunehmendes Kolorit zuerkennen, und eine Weile danach fiel seitens eines namhaften norddeutschen Germanisten und Lexikographen das gewichtige Lob, daß ich zu denjenigen zähle, die in Süddeutschland „sprachbildend“ wirken.

In Rom traf mich Abbate Liszt auf meinem Dachstübchen, zu welchem die Wipfel des Quirinals hereingrüßten, über den Nachdichtungen der „Rime di Michelangelo“, und mein Uebersetzungseifer wollte in rascher Folge auch an die „Göttliche Komödie“, an Lorenzos de’ Medici lyrische Poesien und an die Satiren [571] Salvator Rosas gehen. Ich war so sehr im Banne der italienischen Litteratur und Sprache, daß mir beispielsweise die Vertraute eines römischen Flüchtlings in Neapel mit der Bemerkung schmeicheln konnte, „man höre gleich, daß ich ein – Römer sei“. Anderer Meinung hinsichtlich meines Mundwerks war allerdings meine römische Quartiersfrau, indem sie mir bedeutete, „man könne nicht wissen, was geschehe, wenn die Garibaldiner hereinkämen; auf alle Fälle, und das ganze Haus sei damit einverstanden, sei ich ihr Neffe; denn dunkel sei ich und zu – reden brauche ich nicht“. Wie dem auch sei, in meinen Erzählungen aus der ewigen Stadt und in meinen Kunstberichten der ersten Zeit brachte ich noch gern italienische Ausdrücke und Wendungen an.

Mit diesen Bemerkungen, die vielleicht nach Eitelkeit schmecken, aber von ihr keineswegs eingegeben sind, soll lediglich dargethan sein, daß damals meine Sprachstudien und mein Sprachgefühl weitab lagen vom heimischen Dialektboden. Ich sah die grünen Berge selten, besuchte mein altes Mütterchen nur für kurze Stunden und bildete mir übermäßig viel ein auf meine Erinnerungen aus dem Orient und auf meine italienischen Fahrten. Nichts durchbrach meine vorherrschende Geistesrichtung als etwa die Regung, welche sich unbewußt in meinem ersten Feuilleton kundgab. Dasselbe war eine Münchner Frucht, handelte vom Hofbräuhaus und fand durch Ludwig Speidel Aufnahme. Es war genrebildlich gearbeitet und hatte Volkstümliches ins Auge gefaßt.

So kam 1878 heran und ich gönnte mir Sommerrast zu Friesach in Kärnten, das mich schon oft angelockt hatte und an dessen unvergleichlichem Ruinenkranze ich doch immer rasch vorübergefahren war. Nun trat mich hier Geschichte und Romantik an, und was ich auflas, brauchte ich nicht mit anderen Eindringlingen zu teilen; denn der Fremde war im Städtchen noch eine Seltenheit.

Friesach dünkt sich älter als Rom und will vereint von einem Friesen und Sachsen gegründet sein. Es hält an dieser volkstümlichen Ueberlieferung lieber, als daß es in seinem Namen eine slavische Wurzel anerkennte. Es hat noch seine Mauern mit Zinnen und Schießscharten, seinen Graben lebendigen, fischreichen Wassers davor, seinen Zwinger zwischen Mauer und Graben und im Hintergrunde gegen die nahe bewaldete Gebirgslehne auf gesonderten Kegeln seine drei, vier Hochburgen, letztere allerdings nur noch in Trümmern. Von der Virgilienfeste südlich ist nur noch der Rumpf einer gotischen Kapelle übrig; an dem benachbarten Blutturm soll unschuldiges Nonnenblut kleben; der herrschaftliche Petersberg mit dem bischöflichen Schloß zu Lavant breitet seine Ruinenmassen fächerförmig aus: Turm, hohläugige Prachtgemächer, Thore, hochragende Giebelmauern – die Fresken an den Innenwänden des Palas lassen wenig mehr erkennen; den Arkadenhof nimmt ein Krautgärtlein mit Bohnenranken und kriechendem Kürbis ein; der geschwärzte Kaminturm erinnert noch an die Münzstätte, von der die „Karantanier“ oder Kreuzer ihren Ausgang genommen. Der Turm des nördlichen Gayerbergs endlich ist der keck herausfordernden Feder auf dem Barett eines Abenteurers vergleichbar.

Und Friesach hat Geschichte. Achthalb Jahrhundert lang war es trotz seiner Lage in Kärnten knapp an der steirischen Grenze salzburgisch, und die erzstiftische Vicedomschaft auf dem Petersberg war ein so bedeutendes Amt, daß sich der Kärntner Herzog und der Gurker Bischof gelegentlich (1131) blutig darum stritten. Im Mai 1216, „da der Wald schon gelaubt stand und die Haide ihr wonnigliches Sommerkleid angelegt hatte“, war in Friesach ein Fürstentag mit viel ritterlichem Tjostiren vor den Thoren. Ulrich von Lichtenstein verstach dabei seine Lanzen „wohl nicht als der Beste, doch auch nicht als der Böseste“, er ergeht sich in seinem „Frauendienst“ des weiteren über dieses Turnier. Aber 60 Jahre später drangsalierte König Ottokar von Böhmen die Stadt; darauf zündeten die Oesterreicher sie an allen vier Ecken an und hausten des Mathias Corvinus Ungarn darin, und kamen die Türken als ungebetene Gäste, und machten sich die Franzosen des gewaltigen Korsen fühlbar.

Sechszehnmal zerstört, ist die Stadt klein geworden – groß geblieben sind nur ihre Kirchen.

Hat man ihre Ruinen abgegangen und ihre Vergangenheit im Geiste durchwandert, so sitzt man abends gern unter der Caféhausveranda auf dem Hauptplatze angesichts des schönen Marmorbrunnens, auf dessen acht Feldern des untersten Beckens sich Reliefscenen nach den „Metamorphosen“ zeigen; die mittlere Schale wird von drei bärtigen, rücklings aneinander geschmiegten Männern, die oberste von drei Knaben getragen, und ein bronzener Neptun krönt das Ganze. Was will aber die Rübe im ornamentalen Beiwerk besagen? Sie deutet an, daß dieser Renaissancebrunnen sein Dasein dem Kärntnerischen Kleinhäuslerssohn verdankt, der als Leonhard von Keutschach um die Wende des 15. Jahrhunderts Salzburg regierte.

Kaum hatte ich mich im Städtchen einigermaßen umgesehen, so luden mich der Sparkassendirektor, der Apotheker und der Wirt von der Veranda gastfreundlich ein, an einem Ausfluge auf die Fladnitz teilzunehmen. Das ergab eine prächtige Wanderung. Zunächst ging’s zu Wagen knapp an der steirischen Grenze das östliche Metnitzthal entlang. Das bescheidene Dörflein St. Stefan will für das klassische Noreja kimbrischen Angedenkens gelten. Die grüne „Römerleiten“ berühmt sich, römisches Weingelände gewesen zu sein. Das Wolfgang-Kirchlein auf der Höhe von Grades – ad gradus sagten die Römer – ist ein Juwel spätgotischer Baukunst. Außen am Oktogon des Karners[2] von Metnitz verblaßt, längst des Schirmdaches beraubt, mehr und mehr ein herrlicher Totentanz.

Und nun bekamen die Pferde Rast und wir stiegen über anderthalb Stunden auf Waldpfaden bergan. Die Römerstraße wendet sich links hin, während wir rechts eine aufragende Felsklippe umziehen. Und kaum an dieser herumgekommen, haben wir in großer Ausdehnung das liebliche Almthal vor uns. Es erstreckt sich den Fuß des „Eisenhut“ entlang, der Ausblick in dreier Herren Länder gewährt. Ein klarer Forellenbach durchschlängelt den Plan. Die Sennhütten liegen zerstreut am Rasenhang und Waldsaum, können sich aber mit Ruf und Wink begrüßen. Sofort sichtbar sind Kirche und Wirtshaus, um so mehr, als beide, obwohl ungleiche Hälften, ungetrennt unter einem und demselben Dache stehen, so daß, wer in den Keller will, zu sehen hat, daß er sich nicht in die Sakristei verirrt. Auch das Jagdhaus hebt sich einigermaßen ansehnlich ab.

Den letzten Sonnenstrahl erspähten wir auf der „Hadnerhöhe“, von der aus die Thäler gegen die Drau zu von einem gemeinschaftlichen Grate rechts und links mit ihren Waldhängen wie Coulissen hintereinander abfallen.

Wir hatten eine Zither mit, denn in der Trinkstube sollten sich ein paar Forstleute zusammenfinden, die über helle Kehlen verfügten. Die bärtigen Gesellen blieben auch nicht aus. Wir luden sie zu uns, wir tranken ihnen zu, wir baten, schmeichelten, neckten, und die Zither klimperte präludierend. Aber die Bursche wurden trockener, je reichlicher sie sich anfeuchteten, tiefsinniger, je eifriger wir ihre Heiterkeit hervorlocken wollten.

Und draußen an Fenster und Thür huschte schon manch eine Sennerin neugierig und lauschend vorüber.

Die stummen Sänger thaten, als merkten sie nichts dergleichen. Da riß mir die Geduld. Ich wollte sticheln, herausfordern und zu sieghaftem Widerspruch reizen, indem ich nach einer bekannten Melodie zu singen begann, was mir soeben durch den Sinn fuhr und von den jüngsten Eindrücken herstammte: <poem> „Af der Fladnitzer Alm Bin i, Woasale, heint, Js a liabkalte Gegend, Wann’s a no so schen scheint; J schaug umi, schaug übri, Tiaf abi in Grabn: Koa Deandl, koa Herzlan, Das mi z’liabast möcht haben!“ – /poem>

Und merkwürdiger Weise: ich wurde verstanden, ich schlug mit diesem Einfall dem Faß den Boden aus; es wurde auf diesen Angriff hin lustig und sangeshell im rauchigen Stüblein, und man blieb beisammen, bis die Kerzen herabgebrannt waren.

Das mitgeteilte ist das erste Schnaderhüpfel, das ich gesungen, das ich, von der Stunde angeregt, improvisiert habe.

Die Ueberraschuug war für mich selbst auch groß. Ich mußte mich auf dem Rückweg von der Alm, der tiefer im Lande am Dom von Gurk vorüberführte, wieder und wieder fragen: sollte ich wirklich über die heimische Mundart gebieten? wäre sie mir, so lange und so kränkend ich sie auch vernachlässigt, all die Zeit her treu geblieben? und ließen sich in sie nicht viele frühe und liebe Erinnerungen kleiden, für die ich bisher vergebens nach Ausdruck gerungen?

[572] Kurz und gut, auf der Fladnitz habe ich meine heimische Mundart entdeckt, und nun mir das passende Instrument, meine Zither zur Hand war, weckten deren Klänge Bilder, Gestalten, Vorstellungen, Ausdrücke, welche samt und sonders bisher gebundenes Erinnerungsgut gewesen.

In vier Wochen hatte ich im wesentlichen das Büchlein „Zan Mitnehm“ beisammen, und als Freund Rosegger, dem ich diese Einfälle zur Beurteilung unterbreitet hatte, mir schrieb, „er müsse wohl glauben, daß die Sächelchen von mir seien, da ich es ausdrücklich sage, sonst hielte er sie für gut gesammelte“, war ich hinsichtlich ihrer ethnographischen Treue und ihrer poetischen Zulässigkeit beruhigt und konnte mir zur Stärkung meines mundartlichen Sprachgefühls bei den gelehrten Kennern des Dialekts Schmeller, Lexer, Hintner etc. weiter Rats erholen.

1884 und 1885 folgten je als Ferienfrüchte „Nix für unguat“ und das erzählende „Plodersam“.

Darüber hinaus habe ich es als Dialektdichter wenig mehr gebracht. Mein Vorrat ist erschöpft, der Quell versiegt; die Fülle, die allseitige Anschauung ländlicher Zustände fehlt mir. Ich bin, einmal der Heimat entnommen, zu sehr Städtmensch gewesen und geblieben. Und so ist meine Dialektdichtung vielleicht doch nur eine Episode in meiner litterarischen Thätigkeit.


  1. Satzschriften heißen in Oesterreich die Eingaben der Parteien im civilrechtlichen Verfahren.
  2. Karner heißen die meist runden romanischen Friedhofs- und Beinhauskapellen.