Wieder einmal der Kuckuck

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Textdaten
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Autor: C. Störmer
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Titel: Wieder einmal der Kuckuck
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 353–354
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wieder einmal der Kuckuck.

Mitgetheilt von C. Störmer.

Beobachtungen über vereinzelt vorkommendes Selbstbrüten des Kuckucks sind in früheren Jahren schon verschiedentlich zur Veröffentlichung gebracht worden; aber diese Mittheilungen drangen über einen engeren Kreis von Fachgelehrten nicht hinaus, da ihre Zuverlässigkeit von anerkannten Gewährsmännern auf dem Gebiete der Vogelkunde in Zweifel gezogen wurde. Im Mai 1888 hatte nun der bekannte Naturforscher Oberförster Adolf Müller das seltene Glück, ein brütendes Kuckucksweibchen während der ganzen Dauer des Brutgeschäftes zu beobachten. Müller hat seinerzeit in der „Gartenlaube“ (1888, S. 413) zuerst über seine Entdeckung Bericht erstattet. Beim Lesen seines Aufsatzes drängten sich mir nun unwillkürlich folgende Fragen auf: „Giebt es einzelne Individuen dieser Vogelart, welche, einem mächtigen Bruttriebe nachgebend, jedes Jahr selbst brüten? Oder besorgt der Kuckuck nur unter dem Zwang äußerer Umstände das Geschäft des Brütens selbst und huldigt zu anderen Zeiten wieder der bequemen Weise seiner Artgenossen?“

Obwohl ich mir sagen mußte, daß es schwerlich jemals gelingen dürfte, unanfechtbare Beweise für die eine oder andere Annahme beizubringen, so war ich doch geneigt, die erste Frage zu bejahen, also als Grund des Selbstbrütens einen individuellen Bruttrieb anzunehmen. Man hat bereits in den Nestern von mehr als 70 Vogelarten Kuckuckseier entdeckt. Der Fall, daß der Kuckuck unter Umständen kein fremdes Gelege, auf dem er sein eigenes reifes Ei ablegen könnte, zu finden vermöchte, dürfte also wohl kaum eintreten; ebensowenig habe ich früher beobachtet oder gelesen, daß sich Nistvögel dem Mißbrauch ihres Nestes seitens desselben mit Erfolg widersetzten. Während des letzten Sommers aber hatte ich Gelegenheit, einen Fall zu beobachten, in welchem letzteres thatsächlich stattfand. Da ich der Ansicht bin, daß das Dunkel, in welches das Leben und Weben des Kuckucks noch immer gehüllt ist, in absehbarer Zeit nur dann gelichtet werden kann, wenn sich neben berufenen Forschern auf dem Gebiete der Thierkunde auch Naturfreunde an der Lösung dieser Frage betheiligen, so bringe ich den erwähnten Vorgang hiermit zur öffentlichen Kenntniß.

Am Nachmittage des 4. Juni vergangenen Jahres machte ich mit meiner Frau einen Spaziergang nach einem in der Gemarkung von Hagen (Westfalen) gelegenen Walde. Wir durchschritten zunächst einen jungen Eichenbestand, der wie im vorangegangenen so auch in diesem Sommer durch die Raupe des Eichenwicklers stark geschädigt wurde. Hier hielten sich seit Wochen einige Kuckucke auf, und ich hatte dieselben durch Nachahmen ihres Rufes und des sog. Kuckucksgelächters zu verschiedenen Malen in meine Nähe gelockt. Ich machte auch an diesem Tage einen Versuch, der aber erfolglos blieb. Wir kamen bald auf eine abschüssige Lichtung. Vor uns lag niedriges Buchen- und Erlengestrüpp, im Rücken hatten wir den erwähnten Eichenbestand; rechts grenzte die Lichtung an einen Wiesengrund, während die letzterem gegenüberliegende Seite mit jungen Buchen und Birken bewachsen war. Plötzlich wurde durch lautes Vogelgeschrei meine Aufmerksamkeit erregt, und ich gewahrte an der höchsten Stelle der Lichtung, am Rande des Buchen- und Birkenbestandes, in einer Entfernung von etwa 60 Metern einen größeren und zwei kleinere Vögel. Da ich glaubte, dieselben würden alsbald im nahen Eichenwalde verschwinden, so beeilte ich mich, meinen Feldstecher, den ich bei meinen Ausflügen in den Wald fast immer bei mir trage, nach der betreffenden Stelle zu richten. Doch meine Besorgniß war grundlos; die Vögel hielten sich hin- und herkreisend längere Zeit auf der Lichtung. Hatte ich im ersten Augenblick den größeren derselben für einen die kleineren verfolgenden Sperber gehalten, so erkannte ich in demselben jetzt deutlich einen Kuckuck und ebenso, daß er nicht der Verfolger, sondern der Verfolgte war. Obwohl sich die Farbe seines Gefieders vor meinem Glase sehr matt darstellte, so war ich doch noch nicht überzeugt, daß ich in demselben ein weibliches Individuum vor mir hatte. Nach einer Weile fußte der Kuckuck auf einer jungen Eiche, hart am Rande der Lichtung, und das Geschrei der kleinen Vögel verstummte während dieser Ruhepause. Auch auf die Gefahr hin, die Gruppe zu verscheuchen, näherte ich mich eiligen Schrittes. Doch das Gefürchtete trat nicht ein. Der Kuckuck, den ich jetzt mit bloßem Auge ganz deutlich als ein Weibchen erkannte, erhob sich zwar, von den kleinen Vögeln, einem Paar Rothkehlchen, mit zornigem Geschrei eifrig verfolgt, strich aber nicht ins Dickicht ab. Es fiel mir auf, daß sich der Kampfesmuth der Verfolger immer steigerte und ihr Geschrei jedesmal heftiger gellte, wenn der Kuckuck an einer bestimmten Stelle dicht an der Erde hinstrich, und ich konnte deutlich bemerken, wie sie bei dieser Gelegenheit einige Male in sein Gefieder bissen. An dem betreffenden Platze glaubte ich das Rothkehlchennest, in welchem der Kuckuck wahrscheinlich sein reifes Ei abzulegen beabsichtigte, mit einiger Gewißheit vermuthen zu dürfen. Des Kuckucks weit aufgesperrter Schnabel, sowie die Dreistigkeit, mit welcher er, seine sonstige Scheu vergessend, fortwährend so dicht an mir vorbeistrich, daß ich das Rauschen seiner Flügelschläge deutlich hören konnte, schien mir mit Bestimmtheit auf ein solches Vorhaben hinzudeuten. Der Leser kann dasselbe Gebaren bei unsern weiblichen Hausvögeln beobachten, wenn dieselben einen geeigneten Platz zum Ablegen eines nahen Eies suchen. Thatsächlich fand ich denn auch an der erwähnten Stelle unter dem Schutze eines morschen Buchenstumpfes in einer Erdvertiefung das Nest, welches ein Gelege von vier Eiern barg. Letztere erkannte ich an der zart gelblichweihen Färbung, den rothen Spritzen und Punkten und dem Kranze von bräunlichen Flecken am stumpfen Ende als sämmtlich vom Rotkehlchen herstammend. Ich zog mich wieder auf einige Entfernung ins Gebüsch zurück und sah, wie das Kuckucksweibchen noch zwölfmal am Neste vorbeistrich. Doch alle Bemühung, auf dasselbe zu gelangen, scheiterte an der Tapferkeit der Eigenthümer, welche ihren Feind immer wieder in das nahe Dickicht trieben. Die Sonne stand bereits tief am Himmel, als der Kuckuck verschwand. Während der folgenden Zeit besuchte ich fast täglich das Nest. Die Zahl der Eier stieg auf sechs, es befand sich aber unter denselben kein Kuckucksei.

Wenn ich den Vorgang richtig aufgefaßt habe, was ich nicht im mindesten bezweifle, so dürfte das Kuckucksweibchen, dank der Wachsamkeit der kleinen Nistvögel, in vereinzelten Fällen die Nöthigung erfahren, sein reifes Ei in irgend einer Vertiefung des Bodens – auch die Brutstätte des von Müller beobachteten selbstbrütenden Kuckucks war eine Bodenmulde – ablegen zu müssen. Sollte es in einem solchen Falle nicht unter Umständen sich entschließen, die übrigen Eier beizulegen und das Gelege selbst zu bebrüten? Ferner halte ich auf Grund des geschilderten [355] Vorganges die Ansicht, daß die kleinen Vögel, welche man häufig im Gefolge des Kuckucks findet, denselben neckisch umschwärmen, für eine irrige, vielmehr wird der Kunckuck als der bestgehaßte Feind, als der Verderber ihrer Brut von ihnen verfolgt. –

*  *  *

Anmerkung der Redaktion. Zu den vorstehenden Beobachtungen macht uns Adolf Müller folgende Mittheilungen: „Die Bebrütung des Kuckucksgeleges außerhalb eines fremden Nestes durch den weiblichen Kuckuck ist eine Ausnahmeerscheinung, deren Ursache schwer zu ergründen sein wird. Es mag ein Rückschlag zu der ursprünglich dem Kuckuck ebenfalls eigenthümlichen Gewohnheit des Brütens sein. Die zuerst aufgeworfene Frage des Verfassers, die er selbst fallen läßt, möchte mit Nein zu beantworten sein, weil Einzelwesen die Eigenthümlichkeit der Art schwerlich so vollständig durchbrechen. Eher liegt ein Grund für die Bejahung der zweiten Frage in der Gegnerschaft des Rothkehlchenpaares gegen das Kuckucksweibchen. Vollkommen bestätigt finden wir hier aber unsere eigenen Beobachtungen an Rothkehlchen, welche sich gegen die Absicht des Kuckucks, das Ei in ihr Nest einzuschmuggeln, nachdrücklich wehren, wie es ja andere Vogelarten ebenfalls thun. Wir begrüßen freudig die mit der unsrigen übereinstimmende Beobachtung, daß gerade die streitbaren, unter Umständen todesmuthigen Rothkehlchen den Kuckuck vom Neste fern zu halten suchen; nur gelang es nach unseren Erfahrungen doch jedesmal dem Kuckuck, sein Ei anzubringen, und die tapferen Streiter ergaben sich schließlich in ihr Schicksal. In dem von Störmer beobachteten Falle kann allerdings der Kuckuck vom starken Legedrang bewogen worden sein, sein Ei auf dem Boden abzulegen. Dasselbe mag bei anderen Verhinderungen und Störungen oder bei dem Mangel an den nöthigen Bedingungen geschehen. Ob aber daraus auch das Bebrüten sich folgern läßt? Die Mögllchkeit möchten wir nicht bezweifeln; bloße Vermuthungen aber lösen die Ursache des Brütens in der Lebensgeschichte unseres geheimnißvollen Vogels keineswegs.

Inzwischen möge hier noch eine Beobachtung angefügt werden, welche ein Licht wirft auf die Erregung der Rothkehlchen in der Brutzeit und auf die veränderlichen Schicksale, welchen der junge Kuckuck ausgesetzt ist. Dieselbe ist mir im August v. J. von Frau Professor Neubaur aus Berlin mitgetheilt worden.

Frau Neubaur begab sich eines Morgens in Begleitung eines Jägers in den Park auf dem Gute ihres Oheims bei Hamburg und hörte dort zankende Vogelstimmen. Sie schlich näher und entdeckte ein Rothkehlchennest, auf dessen Rande die beiden Nistvögel sich gegenübersaßen, das Weibchen in trotziger, das Männchen in zorniger, gleichsam herrischer Stellung. Die Ursache des Streites war ein Kuckucksei, welches bei drei bebrüteten Eiern des Rothkehlchens in dem Neste lag. Von einem nahen Verstecke aus konnte weiter beobachtet werden, daß der weibliche Vogel dem Drängen des Gatten nachgab und das Brutgeschäft fortsetzte. Nach acht Tagen schlüpften drei Rotkehlchen aus, die von den Eltern sorgsam gepflegt wurden. Am dreizehnten oder vierzehnten Tage kroch zur großen Aufregung des Rothkehlchenpaares auch der junge Kuckuck aus. Bald zeigte sich aber, daß er die Nestlinge sehr bedrängte und in stete Gefahr brachte, so daß die Rothkehlchen endlich den Kuckuck mit den Schnäbeln arg bearbeiteten und aus dem Nest zerrten, vor dem er starb. Das Paar pflegte und zog sodann seine Jungen sorgsam groß.“