Johann Nepomuk von Nußbaum (Die Gartenlaube 1890)

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Textdaten
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Autor: M. N.
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Titel: Johann Nepomuk von Nußbaum
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 353-354
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Johann Nepomuk von Nußbaum.

Wenn man die Namen der bedeutendsten Aerzte und Chirurgen der Gegenwart aufzählt, muß wohl Geheimrath und Universitätsprofessor Dr. von Nußbaum zu München, dessen Ruhm weit über die Grenzen von Deutschland gedrungen ist, in vorderster Reihe genannt werden.

In Nachstehendem wollen wir versuchen, mit kurzen Strichen das Bild des Lebens und Wirkens des Mannes zu entwerfen, dem die ärztliche Wissenschaft so viel verdankt, und der sein Dasein unablässig dem Wohle der Menschheit weiht.

Geboren am 2. September 1829 zu München, bezog Nußbaum 1849 die Universität seiner Vaterstadt, um sich nach philosophischer und naturwissenschaftlicher Ausbildung der Heilkunde zu widmen. Auf Grund tüchriger anatomisch-physiologischer Studien erlangte er ausgezeichnete chirurgische Kenntnisse, die er an den Universitäten Würzburg und Berlin erweiterte, und zu deren praktischer Ausübung ihm 1851 als Assistent im Dr. Haunerschen Kinderspitale, dann von 1852 ab auf der chirurgischen Abtheilung des allgemeinen Krankenhauses zu München, sowie durch seine rasch angebahnte Privatpraxis reichliche Gelegenheit geboten war. 1853 verfaßte er eine Abhandlung über künstliche Hornhaut, der er 1855, in welchem Jahre er promovirte, eine größere Arbeit über Hornhauttrübungen folgen ließ. 1857 habilitirte er sich als Privatdocent an der Universität München für Chirurgie und Augenheilkunde; auch wurde ihm um diese Zeit die Stelle als operirender Arzt in dem oben genannten Kinderspitale übertragen, woselbst er zahlreiche Operationen aller Art mit meist glücklichem Erfolge ausführte. Nachdem er Ende Dezember 1859 eine Berufung an die Hochschule Zürich abgelehnt hatte, wurde er anfangs 1860 zum ordentlichen Professor der Chirurgie zu München ernannt und mit der Leitung der chirurgischen und der damals noch damit verbundenen Augenklinik betraut.

Johann Nepomuk v. Nußbaum.

Seitdem unermüdlich thätig, erwarb er sich durch seine glänzenden Eigenschaften als Arzt und Operateur, durch Forschungen auf dem Gebiete seiner Wissenschaft und durch seine anregenden, geistsprühenden und dabei theoretisch wie praktisch höchst lehrreichen Vorträge im Hörsale und am Krankenbette den Ruhm als Chirurg und Kliniker ersten Ranges. Hiermit verbindet er vermöge seiner idealen Auffassung der Heilkunde, die der Philosoph Schelling als die Krone und Blüthe aller Naturwissenschaften bezeichnet, die größte Humanität, und er bethätigt in seiner Person den von Galenus aufgestellten Satz, daß nur der das Ziel der Wissenschaft erreichen kann, welcher sie erlernt, um ein Wohlthäter der Menschheit zu werden. Wer Nußbaum je auf seinen Gängen durch die Krankensäle begleitet oder ihn sonst in seiner Berufsthätigkeit beobachtet hat, konnte wahrnehmen, wie außerordentlich liebevoll er auf das Wohl seiner Patienten ohne Unterschied des Standes bedacht und für deren Bedürfnisse besorgt ist. In seinem Ordinationszimmer drängt sich täglich während der Sprechstunden eine große Anzahl unbemittelter Kranker, welchen er, obwohl mit Berufsgeschäften überhäuft, Zeit und Arbeitskraft opfert und denen er häufig auch Verbandstoffe, orthopädische Apparate, Arzneien und Lebensmittel spendet.

Schreiber dieser Zeilen war Zeuge, wie Nußbaum zur Weihnachtszeit arme Pfleglinge in seiner Privatheilanstalt und im Kinderspitale aufs freigebigste mit Erquickungen, Kleidungsstücken, Unterhaltungsbüchern und allen möglichen Spielsachen beschenkte, die er in seinem Wagen und in seinen weiten Taschen mitgebracht hatte. Ohne den Dank abzuwarten für die Freude, die er bereitet hatte, fuhr dann der Vielbeschäftigte wieder davon.

Leute aus den verschiedensten, den höchsten wie den niedersten Gesellschaftskreisen, welche mit dem edlen Manne in nähere Berührung kamen, rühmen seine seltene Herzensgüte, seine Uneigennützigkeit und seine bis zur Selbstverleugnung gehende Bescheidenheit. Durch sein allzeit liebenswürdiges Entgegenkommen hat er sich die unbegrenzte Verehrung und Zuneigung seiner Fachgenossen und Schüler erworben, durch seine werkthätige Betheiligung an allen menschenfreundlichen Bestrebungen und seine Bereitwilligkeit, jedem zu nützen, die Liebe der ganzen Bevölkerung seiner Vaterstadt gewonnen.

Nur kurze Zeit unterbrach Nußbaum im Jahre 1866 die Friedensthätigkeit, um seinen unter den Waffen stehenden Mitmenschen seine Dienste zu widmen. Bei Beginn des Feldzuges veröffentlichte er „Vier Briefe an seine in den Krieg ziehenden ehemaligen Schüler“, welche die Grundsätze der damaligen Kriegschirurgie enthalten. Er selbst eilte nach dem Gefechte von Kissingen auf den Kriegsschauplatz und übernahm aus den dortigen Spitälern eine größere Anzahl Schwerverwundeter, die er durch geeignete Verbände beförderungsfähig machte und dann in fünfzehn von ihm zweckmäßig eingerichteten Wagen nach München verbrachte, um daselbst ihre weitere Behandlung zu besorgen.

Eine ungleich größere Thätigkeit entfaltete Nußbaum im deutsch- französischen Kriege, in welchem er vom Ausmarsche an dem Führer des 1. bayerischen Armeecorps General von der Tann als Oberstabsarzt beigegeben war; an dessen Seite hat er mit eiserner Ruhe und Unerschrockenheit an allen Schlachten und Gefechten theilgenommen. Rastlos arbeitete er im Wetteifer mit den Militärärzten auf den Verbandplätzen und in den Feldspitälern, in denen er als konsultirender Arzt wirkte.

Augenzeugen wissen zu erzählen, wie er in den Tagen von Sedan, keine Ruhe sich gönnend, zu Remilly und in dem in Brand geschossenen [354] Bazeilles viele auf Aeckern und in Gärten liegende Verwundete, die wegen Ueberfüllung der wenigen belegbaren Gebäulichkeiten nicht mehr untergebracht werden konnten, untersuchte, mit Verbänden versah, dann deren Verbringung an gesichertere Orte veranstaltete und unter den erschwerendsten Umständen die nöthigen Operationen vornahm. Die gleiche aufopfernde Thätigkeit entwickelte Nußbaum bei und nach den Kämpfen um Orleans. „Den Tapfersten der Tapfern“ nannte einst Napoleon I. seinen obersten Wundarzt Larrey; auch Nußbaum war eines solchen Ehrentitels würdig.

Vom Kriegsschauplatz zurückgekehrt, setzte Nußbaum seine Fürsorge für die in seine Privatheilanstalt aufgenommenen Schwerverwundeten fort; noch vor wenigen Jahren haben einige daselbst unentgeltlich in Pflege und Behandlung gestanden.

Daß Nußbaum unermüdlich an der Vervollkommnung seiner Wissenschaft arbeitete und alle Fortschritte derselben kennen zu lernen trachtete, darf uns bei einem Manne wie er nicht wunder nehmen. Aus seinen vielfachen wissenschaftlichen Forschungen und den Ergebnissen seiner praktischen Thätigkeit, die er in fruchtbarster Weise litterarisch verwerthete, entstanden über hundert Abhandlungen und Monographien, welche die verschiedensten Zweige der medizinischen Wissenschaft betreffen; viele Verbesserungen von Heilverfahren und Operationsmethoden hat darin Nußbaums schöpferischer Geist zu Tage gefördert, Erfindungen, die zum großen Theile für den Stand der ärztlichen Kunst bahnbrechend geworden sind.

Ein großes Verdienst hat sich Nußbaum als einer der ersten festländischen Anhänger und Verfechter der von dem Engländer Lister ersonnenen „antiseptischen Wundbehandlung“ erworben; trotz der vielen dagegen erhobenen Bedenken hat er diese Methode in richtiger Erfassung ihres unschätzbaren Werthes am 1. Januar 1875 auf eigene Kosten in ausgedehntestem Maße in seiner Klinik eingeführt; der Erfolg war geradezu verblüffend. Operationen, deren Ausführung ehedem wegen ihrer Lebensgefährlichkeit für tollkühn oder gar für verbrecherisch gegolten hätte, konnten nunmehr gefahrlos vorgenommen werden, die Wundkrankheiten wurden fast vollständig gebannt, die Sterblichkeitsziffer sank bedeutend, der Heilungsprozeß ward wesentlich beschleunigt, sodaß sich die Aufnahmefähigkeit der Krankenhäuser entsprechend steigerte. Nußbaum war es auch, der sofort den hieraus entspringenden gewaltigen Nutzen für die Behandlung der im Felde Verwundeten erkannte.

Zur rascheren Verbreitung des antiseptischen Verfahrens, welches heute zum Gemeingute aller Aerzte geworden ist, hat Nußbaum wesentlich beigetragen, nicht nur durch seine klinischen Vorträge, sondern auch durch eine ganze Reihe von Schriften, darunter das prächtige Buch „Leitfaden für antiseptische Wundbehandlung“, welches bereits in fünfter Auflage erschienen und in fünf Sprachen übersetzt worden ist.

Als Lister im gleichen Jahre, in dem sein Verfahren zum ersten Male im Krankenhause zu München in Anwendung gekommen war, diese Stadt besuchte, wurde zu Ehren dieses Mannes eine Festversammlung veranstaltet, und Nußbaum war es, der in einer glänzenden Rede den hochverdienten Gast feierte.

Dem Bestreben, gemeinnützig zu wirken, entstammen Nußbaums mit größtem Beifall aufgenommene, echt volksthümliche Vorträge, die er in Volksbildungs- und in anderen Vereinen gehalten hat, sowie seine sonstigen Veröffentlichungen über Gesundheitspflege und verwandte wissenschaftliche Stoffe, Aufsätze, die zum Theil auch in der „Gartenlaube“ erschienen sind.

Die von ihm verfaßte, bereits in mehreren Auflagen erschienene „Kleine Hausapotheke“ ist ein wahres Schatzkästlein goldener Lehren der Gesundheitspflege; vor kurzem ist sogar in Amerika eine Ausgabe davon veranstaltet worden, wodurch das gediegene, auf neuester wissenschaftlicher Grundlage beruhende Werk auch über dem Meere gar vielen zu Nutz und Frommen dienen wird.

Alle seine Schriften zeichnen sich durch Schärfe der Auffassung, Klarheit und Deutlichkeit der Darstellung und einen bei aller Einfachheit reizvoll schönen, fesselnden Stil aus.

An Auszeichnungen und öffentlichen Ehrungen der verschiedensten Art hat es Nußbaum nicht gefehlt. Den höchsten Lohn jedoch sieht er in der Liebe und Verehrung seiner Mitbürger, seiner Amtsgenossen und Schüler und in der Dankbarkeit der vielen Tausende, denen er Helfer und Retter geworden ist.

Und sie alle sind es, die heute mit uns das gütige Schicksal preisen, welches diesen seltenen Mann von schwerem Krankenlager wieder erstehen ließ zum Heile der Wissenschaft und zum Segen seiner Mitmenschen; die mit uns bewundernd aufschauen zu dem Menschenfreunde, der stets sein ganzes Glück in der Beglückung anderer gesucht und gefunden hat. M. N.