Wiesel und Hermelin
Ich stand an einer Waldhaide auf Kaninchen an, die allabendlich in das anstoßende Feld „zur Aeßung rücken“. Schon eine Weile fesselte mich das Treiben eines großen Würgers am nahen Dornraine. Eben flattert er wieder von dem Schwarzdorn auf über den Kleeacker hin und hebt sich plötzlich senkrecht etwa dreißig Fuß in die Höhe, um sein „Rütteln“ zu beginnen, das heißt: er hält sich flatternd halbe Minuten lang an einer Stelle in der Luft über einem gewissen Punkte. Der Vogel wendet diese Eigenthümlichkeit mit einigen Raubvögeln bei seinem Fang auf Kerbthiere, Lurche und Mäuse an. Sobald er eine Beute unter sich gewahrt, stürzt er auf sie herab, um sie mit Schnabel und Klauen sofort zu fassen. Mehrere Käfer und eine Eidechse sind von ihm auf diese Weise schon erbeutet. In seinen Klauen hat er die Letztere zu den Käfern auf die Dornhecke getragen und an einem der spitzen Dorne daselbst aufgespießt. Jetzt fährt er mit einem Male wieder schief herunter an den Rain, aber noch einige Fuß von der Erde schreckt er zurück, sein eigenthümliches Geschrei „Gäh, Gähk“ ausstoßend. Auf dem Steingerölle des Raines seh’ ich jetzt Etwas sich mausartig regen. Sonderbar, daß der Würger nicht anpacken will. Wiederholt fährt er auf den Punkt los, wendet aber hart über ihm sogleich um. Sieh! nun erscheint statt der vermeintlichen Maus das niedliche Köpfchen eines Wiesels mit dem grauweißen Schnäuzchen voll kräftiger Schnurren, mit den breiten Muschelohren und den kleinen lebhaften Augen: ein lebendiges Spitzbubengesichtchen.
Nun schiebt sich dem langen weißkehligen Hälschen ein ebenso schlanker Leib in gelenker, bogenförmiger Wendung aus einer engen Steinritze nach. Das ist unser Wiesel, auch Heermännchen oder Hermchen genannt, der kleine braunrothe Racker, der kaum handlange Zwerg mit dem Riesenmuthe und den gewaltigen Mordgedanken in dem kleinen Kopfe. Fürwahr, jede Bewegung, jedes Beginnen dieses Wesens hat etwas Anziehendes, ja Bedeutendes. Selbst das nur anderthalbzöllige Schwänzchen kleidet den beweglichen Gesellen keck und drollig zugleich. Wie auf einem Dreifuß
[149][150] hockt es nun auf ihm und den beiden Hosen, ein allerliebstes „Männchen“ machend, wobei es seine weiße Unterseite zeigt. Diese Stellung des Thierchens kündet, daß es Etwas wahrgenommen. Es ist nichts anderes, als die gespickte Tafel des Würgers, die der scharfsinnige Schlaukopf ausgewittert und nun im Begriff ist zu plündern. Aber eben, als er den Dorn hinaufklettert, stößt wiederholt auf ihn der zänkische, neidische Würger. Wie ein Gedanke flüchtig, springt dem Schreier der kleine Teufel mit einem Luftsatze entgegen, und um ein Haar war der Vogel erfaßt. Die „Fänge“ des Wiesels packten nur den scheckigen Schwanz des Würgers, von dem in kreisenden Bögen die Federn zur Erde fallen. Der verblüffte Vogel sucht mit gestutztem Steiße das Weite, um sein Steuer ärmer, dafür an Erfahrung reicher.
Die bespickten Dorne sind im Nu von dem erobernden Schalk gesäubert, und der kleine Wicht, von dem Genusse des Raubes angeregt, schlägt sich, wohllaunig, wie der spielende Wind bald da, bald dorthin. Hier befragt er ein Mausloch oder einen frischen Maulwurfshaufen nach der Anwesenheit seiner Insassen, dort wird er unter dem Blatt einer Stande unsichtbar; hier wieder untersucht er vorwitzig den vom Grünspecht angebohrten Ameisenhaufen. Alles dies anscheinend nur wie unbewußt, im Spiele – „instinctmäßig“ nach der begriffslosen Sprache der Herren Zweckmäßigkeitslehrer, aber dennoch nicht bedeutungs-, nicht willenlos: denn eben sagt uns das emsige „Winden“ der Nase am Mausloch, jetzt das aufmerksame Horchen des seitwärts geneigten „Gehörs“ am Hügel des Maulwurfs, und hier wieder das Hervorziehen einer Schnecke unter der Staude, dort endlich das Ausbeuten des Nestes von Ameisenlarven, die der Grasspecht in seinem Tunnel bloßgelegt, den steten Verkehr zwischen der Aufnahme der Sinne und der Arbeit des Kopfes in unserem Thierchen, das durch solche lebendige Folge von Wollen und Vollbringen immermehr unser Interesse erregt.
Aber plötzlich lenkt ein leises Poltern meine Aufmerksamkeit auf die Waldhaide. Dort sitzt ein Kaninchen bildsäulenartig. Es ist mich „sichtig“ geworden und stampft von Zeit zu Zeit mit den Hinterläufen vernehmlich den Boden. Ich stehe außer Wind und regungslos. „Vertraut“ geworden rückt das Kaninchen endlich mit seinem eigenthümlich rollenden Gang, eine kleine graugelbe Kugel die Flur. Hier und dort folgt jetzt ein und das andere Kaninchen aus den in der Haide verborgnen Röhren der Baue.
Aber unser Wiesel? Wohl hat es sie alle im Auge, aber besonders das niedliche Pärchen halbwüchsiger Geschwister dort am Wege, wo der Feldhain endet. Halb spielend „äßt sich“ das vertraute Paar im heimlichen Dämmer des Aehrenwaldes am Klee des Weges. Sie ahnen nicht, die still vergeßlichen Kinder des Waldes, die Nähe ihres gefährlichen Feindes. Sie sehen nicht, wie er, immer lüsterner, „einen Kegel macht“ (sich gänzlich aufrichtet), ihre Stelle genau auszukundschaften und den Wind ihnen abzugewinnen; sie „vernehmen“ nicht, wie er sich jetzt in leisen Bogenwindungen aufrafft, gedeckt vom Gras und Gestrüppe des Raines. Schlaff und wie leblos ruhen der Kaninchen „Löffel“ (Ohren) halb im Nacken, halb zur Seite, ein Zeichen, daß sie, behaglich in sich versunken, in ihrer Unerfahrenheit dahinträumen. Wie ein spielendes Lüftchen im Laube hat sich das Heermännchen dem äßenden Pärchen genahet; jetzt trennt es nur noch das letzte Klettenblatt des Raines von seinen Opfern. Doch nun reckt der Kaninchenbruder die Löffel. Hat er das letzte Rascheln des Räubers im Laube vernommen? Wohl erbte er ein Gehör, das leiseste, von den Alten; er besitzt die elterliche Mitgift der feinsten Nase, und diese bekommt nun „Wind“ von dem unerklärlichen und doch so verdächtigen Etwas. Ein Gefühl der Unsicherheit gesellt sich zu der regen Kaninchenfurcht und in jähem Satz springt das Waldbrüderchen abseits aus der gefährlichen Nähe des Lauernden, der sich in demselben Augenblicke aber auch wie ein rother Federball an den Hals des unglücklichen Kaninchenschwesterchens wirft. Verzweifelt klagend rennt dieses, den kecken Reiter auf seinem Halse, hinüber nach dem Bau, in dessen Röhre sein Angstgeschrei verhallt und in der es der kleine Wütherich durch Zerbeißen der Halsader und Aussaugen des Blutes tödtet.
In einer der alten Trifteichen auf einsamer Berghalde hat sich schon eine Zeit lang ein verborgenes Thierleben kundgegeben, durch leises Geräusch und Töne mancherlei Art Wohl verrieth uns die vor Kurzem einer der Höhlungen entschlüpfte Wiesel-Mutter, daß in dem Fuße der Eiche ihr „Geheck“ haust. Ihre lange Abwesenheit auf der Halte sagt uns weiter, daß sie wohl besorgt ist für der jungen Sippschaft Aufkommen, deren Hunger sich nun durch Piepen und Knurren kundgiebt. Eben kommt sie zurück, die Alte, mit ihren sprechenden weiten Bogensprüngen, einen erbeuteten Sperling am Flügel im Rachen. Welch ein fesselnder Anblick, dieses feine, schlanke und doch so kräftig gebaute Thierchen! Wie ein apportirender Hühnerhund, hochaufgerichtet die Beute haltend, steht es da, die Ruthe mit dem schwarzen Fähnchen in lebhafter Erregung schnellend. Wohl finden wir es begreiflich, wenn man es mit einer Schlange vergleicht. Vom niedlichen Kopf bis zur Schwanzwurzel hin – eine aalglatte, gleichdicke gestreckte Leibesgestalt, deren Bewegungen die bogenförmigen Windungen eines Reptils oft täuschend wiedergeben.
Eben hat die Wieselmutter einen murksenden Ton ausgestoßen, und wie durch einen Zauber lockt dieser Ruf das ganze Geheck an’s Licht. Ein allerliebstes nettes Völkchen bietet sich in der wimmelnden Schaar den Blicken dar. Sechs Miniaturbildchen der Alten, den Ritzen und Höhlungen der Wurzelverzweigungen entschlüpft, umgeben die Alte, die das Geheck in kurzen Zwischenräumen mit ihren murksenden Locktönen und dem hochgehobenen Raube anzufeuern bestrebt ist. Einige der Kleinen machen anmuthige Männchen und äugen neugierig mit schiefgehaltenen Köpfchen nach dem Vogel. Ein anderes Schelmchen des Gehecks ist unter früher Regung eines guten Theils Wieselkeckheit an den Raub herangerückt und fährt eben mit einem Sprung nach demselben, den die Alte aber ebenso schnell als geschmeidig dem Andrang durch eine Seitenwendung entzieht. Mit Erstaunen sehen wir, welch eine Gewandtheit und Mordlust das „halbwüchsige“ Geheck entwickelt, das gar bald unter Mitwirkung der Alten den Raub zerfleischt und aufgezehrt hat.
Es ist von manchen Naturforschern der Stube angezweifelt worden, ob das Wiesel seinem Opfer das Blut aus der zerbissenen Halsader sauge, aber wir haben es selbst gesehen. Die Wiesel sind auch hier, wie in so Vielem, vollkommene Marder. Wie sollte der Ritt auf dem Hasen zum Beispiel auch so kurze Zeit nur währen! Das Klagen des „angerissenen“ (angebissenen) Hasen erstirbt längstens in zwei Minuten, meist schon früher, ein Zeichen, daß das Opfer, das nie bei solchem Kampfe „schweißt“ (blutet), nicht an der kaum bemerkbaren Wunde, sondern vielmehr am Verluste seines pulsirenden Lebens stirbt.
Aber noch mehr: die Wiesel saugen sich beim Raube größerer Thiere wie taumelig. In diesem Zustande – der sich mit einem Rausche vergleichen läßt – verbunden mit der großen Erregung des Thieres bei seinem Morden, können wir leicht dasselbe über seinem Raube in unsere Gewalt bekommen. Das sonst so Wachsame, ja Scheue, ist dann wie blind und toll und an der Beute, in die es sich tief einbeißt, oft schwebend emporzuheben, wie wir es in zwei Fällen selbst gethan.
Die eben geschilderten Raubmorde des kleineren Verwandten wiederholen sich in vergrößertem Maßstabe bei dem Hermeline, das etwa von der doppelten Leibesstärke unseres Wiesels, von gleicher Gestalt, Farbe und Charakter, und beinahe ebenso häufig ist. Diese beiden Vetterchen haben kraft ihrer ausgeprägten Räubercharakteristik der ganzen Familie der Marder den Abglanz ihres Namens Mustela (Wiesel) verliehen. Und mit Recht. Denn keiner ihrer nächsten Verwandten, selbst nicht der Marder, kommt unseren Auserwählten an Vielseitigkeit des Wesens gleich. Beide tödten kleinere Thiere durch Zermalmen ihrer Halswirbel, verzehren davon meist alles Fleisch, während sie gewöhnlich kein Wildpret von größerem Raube anrühren. Dabei fällt uns das große Oeffnungsvermögen ihres Rachens beim Beißen auf; es übertrifft das aller Gattungsverwandten, selbst des Iltis, und ist begründet in der großen Beweglichkeit des Unterkiefers, dessen Gelenkmuskeln mit denen der Wangen ungemein dehnbar sind.
Hätte man diese Eigenschaft besser in’s Auge gefaßt so wäre von vornherein nicht die fabelhafte Ansicht über den Eierraub des Wiesels aufgekommen, die sich zäh mit so vielen Irrthümern und Unwahrheiten gerade über das Thun und Treiben unserer einheimischen Thiere fortpflanzt. Das Thierchen soll hiernach ein Hühner- oder Taubenei zwischen Kinn und Hals forttragen! Keiner der Verbreiter dieser Fabel hat sich gefragt, wie das Thier das Ei denn an diese Stelle bringe? Mit den Läufen – den Pfoten? Da müßte es ein Nager sein und selbst dann sollte es ihm schwerlich gelingen. Mit dem Maule? Nun, dann behielte es [151] das Ei doch gleich besser zwischen den Zähnen und trüge es fort; wie es in der That auch nicht anders ist. Hermelin wie Marder packen nach unseren eigenen Wahrnehmungen das Ei zwischen die Zähne, es in dem dehnbaren Rachen in ihre Schlupfwinkel, oft sogar an wenig verborgene Stellen tragend. Hier bewähren sich denn auch unsere Thiere ebenso als Künstler im Entleeren des Eies, wie sie es verstehen, das Blut aus den Adern ihrer Opfer zu saugen. Unter Eierschalen finden sich nicht selten leere Eier mit nur wenig sichtbaren Oeffnungen, aus denen der Inhalt geschickt ausgesogen wurde.
Noch aber haben sich uns Hermelin und Wiesel nur in ihrem Sommerkleide präsentirt. Es bleibt noch ein Wort übrig über ihr Winterkleid. Im Nachsommer und Herbst erscheinen beide nämlich nach und nach im weißen Gewand, das Wiesel ohne Abzeichen, das Hermelin mit dem schwarzen etwa anderthalb- bis zweizölligen Fähnchen an der Ruthenspitze. Diesen in unserem Klima oft im Winter erst beendeten Haarwechsel nennt der Waidmann, wie bei dem Wilde, „das Verfärben“. Es bildet den Thierchen einen ungleich dichteren und längeren „Balg“ (Pelz) als die Härung im Frühjahre. Zu dem vielfach Beachtenswerthen der Wiesel gesellt sich hiermit auch noch die interessante Veränderlichkeit ihrer Färbung. Bei unseren salamanderartigen Räuberchen bequemt sich also auch der Pelz lebendig der Jahreszeit und Umgebung an, der dunkelfarbene der sommerlichen Natur, der weiße dem Schneegewande des Winters.
Ueber solch’ ausgeprägten Thiercharakteren sollte der Mensch seine schützende Hand halten. Hier wäre dem kurzsichtigen Landmanne Schonung zuzurufen, dessen mit Knittel bewehrte Hand sich hebt beim Anblick der netten Thierchen, die ihm hin und wieder ein Hühner- oder Taubenei von einigen Groschen Werthes davontragen, aber auch sein Gehöfte von den schädlichen Nagern befreien, die ihm den Vorrath der Böden und Scheunen viele Thaler hoch zernagen; dort verkennt nicht minder der Jäger einseitig den Nutzen der beiden Geschöpfe, wenn er sie wegen ihres Raubes an jagdbarem Haar- und Federwilde verfolgt. Lassen wir, weitherziger und vorurtheilslos, den Rührigen die Räume drinnen in Haus und Hof und draußen im Freien, die Vielseitigkeit ihres Thuns und Treibens daselbst zu bethätigen. Ist doch für uns das erbeutete Thierchen, namentlich das Hermelin, nichts anderes als ein todter Gegenstand, dessen Pelz nur im hohen Norden den Werth behält, der ihm einst den Ruhm erwarb, königliche Schultern zu zieren.