Wildschweins-Jagd (Gemälde der Dresdener Gallerie)
Das alte Antwerpen hatte im Frühlinge des Jahres 1596 einige stürmische Tage erlebt. Die Parteien hatten sich gesondert und standen einander gegenüber; es war zu blutigen Auftritten gekommen, in denen die nationale Partei gegen die dem tirannischen Königshause von Spanien anhängende das Uebergewicht behauptete. Um die katholische Partei vollends niederzudrücken, erschien der Statthalter, Oranien, selbst und streckte über die Stadt seine schon damals eiserne Hand aus. Es ward in den Straßen, wo sonst bis Mitternacht reges Leben zu herrschen [223] pflegte, jetzt mit dem Eintritte der Dämmerung öde und leer, denn Jeder mußte sich den Kriegerhäuflein, welche die Straßen durchzogen, als in Geschäften befindlich ausweisen, außerdem aber eine ordentliche Laterne bei sich führen. Um ein Viertel nach zehn Uhr waren alle Häuser stockfinster; es war Befehl des Feldherrn, die Lichter zu löschen, und wehe den Unbesonnenen, welche etwa nicht gehorcht hätten.
An einem Abende nach elf Uhr durchzogen die Wachen in Abtheilungen von zwölf Mann hoch zu Roß, geharnischt, für den Nothfall mit Stricken versehen, um die eingefangenen widerspenstigen oder muthmaßlichen Verbrecher sofort henken zu können, die schweigenden Straßen. Der Hufschlag der Pferde erdröhnte, die Eisenrüstungen und Schwerter der Mannen klirrten und Anrufe der einander begegnenden Patrouillen und kriegerische Commando’s erschallten. Das Wetter war höchst unfreundlich. Der Sturm fegte die Straßen, und ein feiner, aber dichter Regen veranlaßte die Reiter Oraniens, den Kopf zu den Mähnen ihrer Thiere herabzuneigen und die Mäntel hoch emporzuziehen. Sie wenigstens hätten schwerlich einen Einzelnen bemerkt, wenn er ohne Laterne an den Häusern fortgeschlüpft wäre.
Der Führer einer dieser Abtheilungen jedoch bekümmerte sich um das wahrhaft niederländische Wetter nicht. Er hatte den mit einer Stahlhaube bedeckten Kopf stolz erhoben und ließ seine Augen jeden Winkel durchspähen. Unermüdlich ritt er von einer Straße in die andere, trieb sein Pferd durch enge, verdächtige Gäßchen und schien durchaus nicht geneigt, heute seine Wache vor dem zukünftigen Sonnenaufgange zu beschließen.
Die Soldaten murrten untereinander.
– Ich möchte nur wissen, was er eigentlich sucht heute Nacht. Mitternacht ist ganz gewiß schon vorüber; sagte der vorderste Reiter im Zuge zu seinem dicht neben ihm reitenden Kameraden.
– Der? antwortete dieser; nichts, verlaß Dich d’rauf. Du kannst es ihm ansehen, daß er gar nicht daran denkt, daß wir hier in diesem Seehundswetter spazieren reiten. Den Spanier hat er im Kopfe und den Parma, und da giebt’s noch viele andere Dinge, wie Festungen und so etwas, die ihm verzweifelt im Wege sind.
– Ja, ja; Maas und Over-Yssel wollen auch endlich genommen sein und Nester, wie Fort Grove sind nicht allein dem Oranien, sondern uns Allen ein Dorn im Auge.
– Siehst Du, das wollt ich Dir eigentlich sagen, fuhr der zweite Soldat fort; jetzt denkt er sich’s aus . . .
– Was denn?
– Wie er den Spanier bedienen und Niederland endlich von diesen gelben Hunden befreien will. Du wirst sehen, es dauert nicht lange mehr: so fallen wir wieder über die Katholischen her. Ich hab’s da an „seinem“ Federbusche: er schüttelt ihn immer, wenn’s bald losgehen wird. Gieb nur Acht d’rauf, hat er dies Schütteln, dann kannst Du nur Abschied von Deinen Damen nehmen, denn sicherlich ist in zwei Mal vierundzwanzig Stunden Marschbefehl da.
– Immerhin! sagte der Kamerad mit einem fürchterlichen Fluche, indeß er seinen stürzenden Gaul rauh in die Höhe riß. Besser eine Kugel, als hier zwischen diesen Spelunken sich den Hals brechen.
[224] Der Führer wandte etwas den Kopf und sah kaltblütig in die beiden mit starren Bärten versehenen wilden Gesichter der Reiter.
– Warum meldet Ihr nicht, daß da links oben in den beiden Fenstern Licht ist, statt von meiner Helmfeder zu sprechen? sagte er mit sehr gutmüthiger Stimme, nach einem mächtigen Gebäude mit der Rechten zeigend.
– O, mein Prinz, mein Capitain, wollte ich sagen, es kommt mir, da ich einmal unterwegs bin, auf eine Strafwache gar nicht an. Versichere Euch daher ganz aufrichtig, ich schere mich den Teufel um alle Lichter in den ganzen Niederlanden, wenn Ihr beliebt, Euren Helmbusch zu schütteln.
Der Prinz Moritz murmelte etwas von Gehorsam, von Eseln und Grobianen und schwieg. Die beiden Reiter stießen sich an und nickten sich zu, als wenn sie sagen wollten: – der hat’s aber bekommen. Dann strichen sie ihre Bärte, sahen den Führer mit einem bewundernden, fast zärtlichen Blicke an und brummten für sich: Er ist doch nur einmal da . . . Er hat den Teufel im Leib, aber er ist der Vater über Alle, die da niederländische Kürasse und protestantische Tranchirmesser tragen . . .
Die Reiter hielten jetzt vor dem großen Gebäude, in dessen zweitem Stocke, dem Befehle des Statthalters entgegen, hell und freundlich Licht in die Regennacht hinausstrahlte. Sie ritten in eine Art von Hof hinein und schauten sehr finster nach den hellen Fenstern.
– Wer wohnt hier? fragte Moritz mit klingender Stimme.
– Comte de Lalaing! antwortete ein Soldat; das heißt ein Katholik und Spanier, so gut es einen geben kann.
Mit einer heftigen Bewegung stieg Moritz vom Pferde.
– Sitzt ab; klopft an die Thür, und wird sie nicht augenblicklich geöffnet: so schlagt sie mit den Streitäxten ein, und feuert Euer Faustrohr in’s Schloß ab.
Die Soldaten schienen sich zu freuen. Graf Lalaing hatte jedenfalls eine höchst unangenehme Nacht zu erwarten. In diesem Augenblicke sprang einer der Soldaten klirrend vorwärts und verfolgte einen schnell an der Hofmauer hinschlüpfenden, behenden Schatten. Der Mensch wäre entkommen, aber zwei von den übrigen Reiten verrannten ihm das Thor. Der Fremde warf seinen Mantel vom rechten Arm und zog einen schmalen Degen von anständiger Länge, um sich mit Gewalt Bahn zu machen. Der eine Soldat hielt ihm ein Pistol entgegen.
Ein zweiter aber sprang mit gezücktem Schwerte vor und fiel sofort gegen den Fremden aus, indeß er rief:
– Gleiche Waffen! Klinge gegen Klinge! Thue Deine Schuldigkeit, mein Freund, Du bist auf jeden Fall verloren. Ist mein Faustgelenk besser als das Deinige, so stoß ich Dich nieder, und fährt mir Deine verdammte spanische Klinge durch den Leib: so hängt man Dich!
Das Handgelenk des jungen und schlanken Mannes war das bessere. Sein Degen schnellte die Spitze des Schwertes des Soldaten mit solcher Kraft auf das Steinpflaster, daß die Waffe wie Glas absprang. Die ganze Scene hatte nur wenige Augenblicke gewährt. Als der Fremde sich jetzt umsah, um zu entfliehen, hatten die Soldaten einen Kreis um die Fechter geschlossen. Sie lobten die Parade des Fremden, lachten den Kameraden aus, zeigten aber dem Sieger ein halbes Dutzend entblößter Klingen und nahmen ihm den Stoßdegen ab.
[225] Prinz Moritz trat auf den Entwaffneten zu.
– Ihr seid ein tapferer Kämpfer! sagte er, dem jungen Manne aufmerksam in’s Gesicht sehend, um seine Züge zu erkennen. Finsterer fuhr er fort: Aber diese Eigenschaft giebt Euch, zum Henker, kein Recht, ohne Laterne Nachts die Stadt zu durchstreifen, auf den Anruf nicht zu stehen und Euer Geschäft hier draußen zu beweisen und zuletzt gegen die Wachen des Prinzen Statthalters Euren Degen zu gebrauchen. Man wird Euch lehren, in Zukunft als ruhiger Bürger Euch zu benehmen . . . Macht dem Herrn da einen Strick um die Hand und bindet ihn an den Sattelbogen.
Mit Indignation trat der Jüngling vorwärts bis dicht vor den Prinzen.
– Ich bin ein ruhiger Bürger, sagte er mit bewegter Stimme, und ich bitte Euch, da Ihr ein Offizier seid, mich vor unwürdiger Behandlung zu schützen. Ich fordere eine Unterredung mit Euch allein, um Euch zu überzeugen, daß ich bei meiner Anwesenheit hier nichts im Sinne gehabt habe, was Euch oder dem Prinzen von Oranien irgendwie nachtheilig wäre. Ich berufe mich auf den Statthalter, der es nicht billigt, daß ein unschuldiger Mann wie ein Dieb und Mörder geknebelt wird!
– So? sagte Moritz. Kennt Ihr den Oranien denn so genau?
– Ich kenne ihn nur, wie ihn die ganze Welt kennt; aber ich weiß, daß der Prinz Moritz sich von Feldherren, wie Juan von Oesterreich, wie der Herzog von Parma, die er an Kriegstalent überragt, an Ritterlichkeit nicht übertreffen lassen kann.
– Da könnt Ihr Recht haben, mein zungenfertiger Herr! bemerkte Moritz trocken und trat mit dem Jüngling bei Seite. Jetzt, fuhr er dann fort, kurze und bestimmte Antwort auf meine Fragen. Wie heißt Ihr?
– Peter Paul Rubens.
– Rubens; so hieß ein Maler von Niederland . . .
– Er war mein Vater, erwiderte der Jüngling; und auch ich bin Maler.
– Und was wollt Ihr, mit Eurer Erlaubniß, hier um Mitternacht malen? Gehört Ihr etwa in dieses Haus?
– Nein!
– Aber Ihr wolltet Euch einschmuggeln?
– Mein Herr Offizier! sagte der junge Maler; ich sehe, Ihr seid, Eurem ganzen Wesen nach, mehr Cavalier, als ich nach Eurem ersten Befehle glaubte . . .
– In der That, Ihr habt eine eigenthümliche Art, höflich zu sein, Mynheer! sagte Moritz und legte dankend die gepanzerte Rechte an den Stahlhelm.
– Gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr keinen Mißbrauch von meiner Erklärung machen wollt und ich werde Euch die offene Wahrheit sagen. Ich denke, Ihr werdet Grund finden, mich zu entlassen.
Mit halbem Lachen sagte der Prinz:
– Ich will sehen, was sich thun läßt, Herr Maler; ich gebe Euch das verlangte Versprechen. Beginnt indeß jetzt zu beichten, denn mit dem Herrn dieses Hauses habe ich ebenfalls noch ein Wort zu reden.
[226] Rubens dämpfte seine Stimme, strich sich die nassen Streifen langen Haares aus dem Gesichte und begann:
– Hier wohnt die Gräfin Lalaing.
– Ah, das ist eine Liebesangelegenheit! Ihr habt Madame la Comtesse zu sehen gewünscht?
– Nichts weniger. Die Gräfin ist übrigens Wittwe . . .
– Thut nichts, Herr Maler!
– Und fünfundsechzig Jahre alt.
Der Prinz brach in ein helles Lachen aus.
– Ja das, mein Freund, das allerdings verändert die Sache! bemerkte er sehr heiter werdend.
– Bei dieser Gräfin ward ich, bevor ich noch wußte, daß ich ein Maler war, Page. Ich habe an der Dame eine gütige Herrin, an ihrem Sohne, dem Grafen, fast einen Freund gefunden: so lange, bis Maria von Lalaing, die einzige Tochter der Gräfin, mich mit einer, mir bis dahin fremden, Leidenschaft erfüllte, mich bezauberte und mich fast wahnsinnig machte. Denn Wahnsinn hieß es, daß ich, kaum siebenzehn Jahre alt und dazu weder reich noch adelig, von der Güte der Gräfin die Hand ihrer Tochter erwartete. Von diesem Augenblicke bis zu meinem Abschiede aus dem Dienste erduldete ich eine Art von Höllenqual; die Comtesse und Franz, der junge Graf, suchten mich mit Gewalt festzuhalten, um mir nach allen Kräften mein Verbrechen zu Gemüthe zu führen. Maria erlitt eine Strafe, die sie mir, der aus diesem Hause entfloh, nicht anzuthun vermochten: sie ward für die Unbesonnenheit, einen armen Pagen geliebt zu haben, in ein Kloster der Ursulinerinnen nach Ysselland gesteckt. Ich ward Maler . . .
– Bei welchem Meister? unterbrach ihn jetzt der Prinz.
– Bei Theodor Verhaegt und bei Mynheer van Oort.
– Die Meister sind nicht gut, junger Mann, brummte Moritz; fahrt indeß fort.
– Und während der zwei Jahre, von damals bis jetzt – ich bin neunzehn Jahre alt – schrieb mir Maria aus dem Kloster drei Briefe, in denen sie mir ihr Elend klagte und die Niederländer herbeiwünschte, damit sie das Kloster abbrennen und die Nonnen befreien.
– Das ist ein sehr gutgesinntes und verständiges Mädchen! sagte der Prinz. Aber meine – unsere Leute sind doch, meine ich, in der Ysseler Gegend gewesen; haben auch ziemlich aufgeräumt . . .
– Ihr sagt recht, Herr Offizier: das Kloster, in welchem Maria war, hat Moritz von Oranien geplündert . . .
– O, o! er selbst wird wohl nicht geholfen haben!
– Aber es ist ausgeplündert, wiederholte der Maler. Maria ist geflohen und zu mir. Bereits am andern Tage aber hatten die Lalaing’s ihre Anwesenheit hier erfahren und Gerichtsdiener kamen und führten das Mädchen mit Gewalt fort. Jetzt hat sie mir sagen lassen, wenn ich sie heute Nacht nicht befreien könne: so sei sie verloren; denn sie werde morgen früh von ihrem Bruder mit starker Begleitung nach Valenciennes in ein Kloster gebracht. Da sind ihre Fenster und hier bin ich!
[227] – Sehr gut! Und liebt Ihr die Dame wie früher? Thut mir die Gefälligkeit und antwortet mir ehrlich.
– Nein, Mynheer! Ich liebe sie, aber nicht sie mehr, sondern die Kunst ist mein Höchstes, der Inbegriff aller meiner Empfindungen und Gedanken geworden. Dennoch möchte ich Alles daran setzen, um die Gräfin Maria vor einem Schicksale zu bewahren, das mit ihrem Wesen im directestem Widerspruche steht und sie fernerhin bis zum Tode zu dem elenden Geschöpfe machen wird, als welches sie zwei Jahre nicht gelebt, nein, blos existirt hat.
Moritz wandte sich um.
– Jacob, bewache Du diesen Mann! sagte er in seinem Befehlshabertone. Ihr da öffnet die Hausthür, da die Leute drinnen nicht neugierig genug sind, um aus eigenem Antriebe mit uns Bekanntschaft zu machen.
Einige Streitaxthiebe krachten; da ward die Thür von einer Anzahl von Dienern, die augenscheinlich in nicht geringer Angst geharrt hatten, ob das Erscheinen der Soldaten diesem Hause gelte, geöffnet. Moritz trat rasch ein. Der junge Graf erschien jetzt im Nachtanzuge und erkundigte sich ziemlich hohen Tones nach dem Begehr der nächtlichen Gäste.
– Wißt Ihr nicht den Befehl zum Lichtlöschen, widerspenstiges Volk, so wird er Euch verdolmetscht werden! sagte der Prinz sehr aufgebracht.
– Betragt Euch höflich, rief Lalaing, oder ich werde Euch bei dem Statthalter anklagen! Hier brennt nicht so viel Licht im Hause, außer diesem, das ich eben anzündete, um Euch zu sehen, als ein Johanniswürmchen von sich giebt.
Moritz ging die Treppen hinan zum zweiten Stock, gefolgt von einigen Soldaten.
– Hier muß es sein! sagte er und versuchte eine Thür zu öffnen.
Ein Schrei ertönte drinnen und erst nach der bestimmtesten Drohung wurden die Riegel entfernt. In dem erhellten Zimmer stand bleich, wortlos die Hände gefaltet, ein sehr zarter junger Mann in Reisekleidern. Moritz hatte sogleich begriffen; Comte de Lalaing erkannte seine Schwester jedoch erst nach dem ersten überraschten Anblicken und brach in eine Fluth von Vorwürfen der wüthendsten Art aus.
– Da der junge Herr hier dennoch mehr Licht als ein Johanniswürmchen von sich giebt, in Anwendung gebracht hat: so werde ich denselben als Gefangenen mitnehmen, damit er bestraft wird, wie es den Subordinationswidrigen gebührt.
Lalaing war in Verzweiflung.
– Es ist meine Schwester! rief er. Wagt es nicht, die Hand nach ihr auszustrecken . . .
– Ihr habt da eine merkwürdige Schwester. Wißt Ihr, daß Ihr jeden Augenblick Euch noch verdächtiger macht, als Ihr es schon seid? Dies ist ein Page, und wenn er sich auch in Eure Schwester verwandeln könnte, wie er es nicht kann, so wird er dennoch auf die Wache geführt. Marsch!
Der Graf mußte sich fügen; aber er schwor bei allen heiligen und unheiligen Dingen die furchtbarste Rache an dem Offizier zu nehmen. Er wollte mit zur Wache und ward demgemäß mitgenommen, jedoch sogleich von zwei Mann fortgeführt.
Der schöne Page gelangte mehr todt als lebend in den Hof. Hier erkannte Maria den jungen Maler . . . Sie gewann fast augenblicklich Fassung und Haltung wieder, als ahne sie einen [228] Zusammenhang der Begebenheiten. Moritz ging zu Fuß neben den beiden Gefangenen, welche sich gegenseitig zu trösten und Muth einzusprechen suchten. Er entließ seine Leute bis auf die ersten beiden Reiter, welche ebenfalls absteigen und zu Fuß gehen mußten. Der Prinz fragte nach den genaueren Umständen der von den Lalaing’s gegen dies Mädchen verübten Tyrannei.
– Und Ihr wollt frei sein?
– Ja, so gern ich lebe! flüsterte Maria.
– Wollt Ihr nach dem Haag? Ihr seid da sicher . . .
Das Mädchen willigte ein, da sie, wenn sie frei war, Hoffnung hatte, den Maler wieder zu sehen. Auf dieses Wort hielt der Prinz an und sandte den einen Mann fort. Nach etwa zehn Minuten kam eine gut bespannte Kutsche im Galopp durch die Straßen gefahren und hielt vor der Gruppe der Wartenden still.
– Nehmt Abschied! sagte Oranien und öffnete den Schlag. Aber rasch, sonst stehe ich für nichts.
Maria gehorchte weinend; der Maler und der Statthalter hoben sie in die Kutsche, ungeachtet ihres Sträubens. Maria wollte durchaus nicht ohne den Geliebten abreisen. Moritz flüsterte ihr einige Worte in’s Ohr; das Mädchen schrie laut auf vor Ueberraschung – der Wagen aber rollte fort.
– Wollt Ihr mir sagen, was dies bedeutet? fragte Rubens, welcher glauben mochte, er träume.
– Erinnert Euch, daß ich zu fragen habe! Laßt uns erst sehen, ob Ihr vielleicht nicht eben so die Unwahrheit in Bezug auf Euch gesagt habt, wie der Graf Lalaing wegen des Lichtes log. Wo wohnt Ihr?
Rubens führte ihn nach seinem nahen Quartier.
– Hier! sagte er.
– Nur aufgemacht, damit wir sicher sind.
Der Krämer unten mußte öffnen und hinauf ging’s auf das Zimmer des Malers. Die Soldaten blieben draußen.
– Also das sind Eure Malereien? sagte Moritz, als auf seinen Befehl Licht angesteckt war. Er sah die fertigen Gemälde und eine Masse von Zeichnungen, welche umherlag, aufmerksam durch, war aber augenscheinlich von der Kunst des Gefangenen nicht sonderlich erbaut. Er machte einen lebhaften Ausruf, als ihm Planzeichnungen in die Hände fielen. Mit blitzenden Augen durchflog er sie und urtheilte, daß diese militärischen Sachen bei weitem das Beste von den vorhandenen Arbeiten wären. Eines dieser Blätter zeigte er dem Maler von weitem und sagte sehr kalt geworden:
– Wollt Ihr mir diesen Plan vielleicht verkaufen?
– Was für einer ist’s? sagte Rubens. Die Festung Grove? Ich schenke ihn Euch mit tausend Dank für den kühnen Dienst, den Ihr Marien erwieset . . .
Von jetzt an war Moritz nicht mehr zu sprechen. Er zog noch einige Mal sehr eilig den Plan hervor, erkundigte sich, wer ihn aufgenommen habe, und examinirte den jungen Mann, als er gehört, dieser habe ihn selbst an Ort und Stelle gemacht, ob er auch die Kenntnisse besitze, [229] eine solche Zeichnung richtig zu vollenden. Dann sagte der Statthalter kurz gute Nacht, ohne nur noch ein Wort über etwaige Bestrafung oder dergleichen zu verlieren.
Rubens blieb, von den Vorfällen dieser Nacht ganz betäubt, zurück. Er sah den Officier nicht wieder, die Geliebte eben so wenig, und konnte sich längere Zeit von dem Andenken an diese Begebenheit nicht losmachen. Moritz war auf den Kriegsschauplatz geeilt, und sein erster Schlag, den er führte, war die Eroberung der Festung Grove. Wenige Tage später empfing Rubens durch einen unbekannten Boten hundert Goldgulden und ein sehr tröstliches Schreiben von Marien, die jedoch durchaus nichts erwähnte, wo und in welchen Verhältnissen sie sich befinde.
Bald sollte sich das Dunkel lüften. Der Statthalter kam abermals nach Antwerpen. Vor seiner Wohnung stand er eines Nachmittags, eben im Begriff, sein Pferd zu besteigen. Er war in einer bequemen Bürgertracht, nur führte er einen Degen. Augenscheinlich wollte er einen Spazierritt machen. Zufällig kam Rubens die Straße daher, sah den Prinzen, erkannte den damaligen Commandeur der Wache und blieb sprachlos vor Ueberraschung stehen. Aber auch der Prinz erkannte den Maler. Er winkte ihn zu sich.
– Ich habe mit Dir zu reden, mein Sohn, sagte er mit Hoheit. Ich besitze jedoch keine Zeit für Dich, als eben diese, während welcher ich ausreite. Charles, sagte er zu dem Reitknechte, gieb Dein Pferd; Du kannst zu Hause bleiben. Setze Dich auf, Rubens – so heißt Du doch?
Der Maler gehorchte. Bald waren die Reiter im Freien. Der Prinz hielt erst nach langer Zeit am Rande eines Wäldchens sein Roß an. Der Ritt war so rasch gewesen, daß Keiner ein Wort gesprochen hatte. Jetzt sagte Oranien:
– Mein Freund! es ist Dir gewiß angenehm, daß Du erfährst: Marie ist in dem Hause des ehrwürdigen Senators Beurhelm im Haag und von der Dame des Hauses als Kind angenommen. Sie ist frei und zufrieden. Du aber wirst Dich nicht mehr um sie bekümmern; Ursache: das Niederland braucht solche Maler, wie Du einer werden wirst, um auch im Reiche der Kunst sich selbständig und glänzend zu erheben. Du hast mir einen Dienst geleistet; die Festung Grove verdanke ich Dir und Deiner Zeichnung zunächst, obgleich die letztere nicht so fehlerlos war, wie Du rühmtest. Du wirst es daher billig finden, daß ich Dich dem Meister Otto von Veen übergebe und ein aufmerksames Auge auf Dich richte.
Rubens wagte kaum seinen Dank auszusprechen, und als er einigermaßen mit seiner Rede im Flusse war, da schnitt ihm der Prinz dieselbe durch ein lautes: Hallo! Hallo! ab. Aus dem Walde heraus stürzte ein Rudel von Schwarzwild, Keiler und Bachen, mit aufgesträubten Borsten, glühenden Augen Und schäumenden Rachen, von einer prächtigen Meute wüthend verfolgt. Eine Anzahl von mit Fangeisen bewaffneter Treiber drang schreiend aus dem Walde und suchte einem ungeheuren Keiler beizukommen, welcher mit den schaumbedeckten Hauern einen Hund nach dem andern niederlegte.
Moritz war ein eben so leidenschaftlicher Jäger als Kriegsmann. Während der Maler mit dem Auge seiner Kunst dies herrliche, bewegte Bild sammt der im Vordergrunde malerischwilden, in der Perspektive unvergleichlich klaren, Waldlandschaft betrachtete, setzte der Prinz sein Pferd in Galopp und griff nach dem Degen, um den vordersten Keiler zu stellen.
[230] – Aber hier ist fremde Jagd! rief Rubens, ebenfalls in Galopp versprengend und den Degen, wo nöthig, zum Schutze des Prinzen ziehend.
– Ich muß alle Tage für die Niederländer ihre Feinde, die Spanischen und ihre Alliirten jagen, so werden sie nichts dagegen zu sagen haben, daß ich zur Abwechselung einmal ihre Schweine jage! rief Moritz, dessen Wangen sich bereits vor Jagdlust rötheten.
– Wir sind in der Jagd des Grafen Lalaing! bemerkte Rubens nochmals mit lauter Stimme.
– Lalaing? Er hat es leiden müssen, daß seine Schwester gekapert wurde; ich möchte wissen, wie er es anstellen wollte, zu verhindern, daß wir nicht augenblicklich diese verdammte, schwarze Bestie niederstoßen . . . . Er führte mehrere Hiebe nach dem Thiere, verfehlte es jedoch. Der Keiler hielt nur kurz Stand, dann rannte er wüthend auf die Treiber los, welche an einem großen umgestürzten Baume Stellung genommen hatten. Mit einem halben Dutzend von Hunden am Körper konnte das starke Thier dennoch vorwärts kommen . . . Eben in dieser Secunde kamen, dem Prinzen und dem jungen Maler gerade gegenüber, zwei Reiter mit gezogenen Jagdmessern im Galopp aus dem Walde. Der vordere war Graf Lalaing, welcher im Vorbeisprengen seine Waffe dem Thiere in den Nacken bohrte, dann, unfähig, sein Pferd zu halten, einige Hunde niederritt und sein Thier erst unmittelbar vor demjenigen des Prinzen pariren konnte. Der Keiler ward indeß mit Spießen und Fangeisen zum Hallali gebracht. Rauchend von Blut wälzte er sich sterbend zwischen der siegreichen Hundecolonne.
Lalaing und sein Begleiter schienen sehr unangenehm überrascht, als sie die ungebetenen Jäger betrachteten.
– Ihr, Mynheer! rief Lalaing aus, dann verstummte er. Er erkannte den Maler, trotz der Unordnung, in welche sein Haar nach dem Verluste des Barettes gerathen war; er erkannte den Officier der Nachtpatrouille, dessen Name nie von ihm hatte ausfindig gemacht werden können. Diese Bekanntschaft . . . der Raub seiner Schwester . . . In einem Augenblicke war ihm Alles klar . . . Mit hochgeschwungenem Degen fiel er den Statthalter an.
– Endlich, endlich also . . . schrie er.
– Ja, endlich siehst Du den Prinz Moritz von Oranien! rief Rubens, ebenfalls auf Lalaing eindringend, der Deiner und Deiner Mutter Grausamkeit gegen ein wehrloses Mädchen Grenzen setzte.
– Warum schweigst Du nicht, Gelbschnabel! rief Moritz, einen Meisterhieb als Antwort auf Lalaing’s Stoß nach dessen Kopfe führend. Genirt Euch nicht, Monsieur le Comte; Moritz oder nicht Moritz, wir werden uns schon zusammen verständigen . . .
Lalaing brach das Gefecht ab, wandte kurz sein Pferd und ritt sammt seinem Begleiter in rasendster Carrière waldeinwärts. Er floh über die französische Grenze, weil er die Rache des Prinzen sehr ohne Grund fürchtete.
Der Statthalter warf jetzt einen Blick auf seine Umgebung. Der Keiler war todt; die Jagdmannschaft umstand ihn und hielt die Hunde von ihm ab.
– Die Beute gehört uns! sagte der Prinz. Wir haben sie dem Feinde abgejagt. Bringt das Thier gegen guten Lohn nach dem Palaste Oraniens, Ihr Leute da.
An dem folgenden Schmause ward auch der Maler betheiligt. Es war das erste Mal, [231] daß er sich in den höchsten Kreisen der Gesellschaft bewegte, in denen er später als Künstler und Diplomat so sehr glänzen sollte. Der Statthalter hielt Wort: er wußte von Otto Veenius zu erhalten, daß er den Rubens als seinen besten Schüler mit wahrer Unermüdlichkeit heranbildete, und spätere Vorfälle aus seinem Leben beweisen, daß Oranien, ungeachtet seiner wachsenden Schwermuth und tyrannischen Härte, dennoch den von der Feuerwache aufgegriffenen genialen Nachtwandler nie vollständig vergessen hat.