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Wilhelm Tell/Fünfter Aufzug

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Wilhelm Tell
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[206]
Fünfter Aufzug
Erste Scene


Oeffentlicher Platz bei Altorf. Im Hintergrunde rechts die Veste Zwing Uri mit dem noch stehenden Baugerüste, wie in der dritten Scene des ersten Aufzugs; links eine Aussicht in viele Berge hinein, auf welchen allen Signalfeuer brennen. Es ist eben Tagesanbruch, Glocken ertönen aus verschiedenen Fernen.

Ruodi, Kuoni, Werni, Meister Steinmetz und viele andre Landleute, auch Weiber und Kinder.

Ruodi
Seht ihr die Feuersignale auf den Bergen?

Steinmetz
Hört ihr die Glocken drüben überm Wald?

Ruodi
Die Feinde sind verjagt.

Steinmetz
 Die Burgen sind erobert.

Ruodi
Und wir im Lande Uri dulden noch
Auf unserm Boden das Tyrannenschloß?
Sind wir die lezten, die sich frei erklären?

[207]

Steinmetz
Das Joch soll stehen, das uns zwingen wollte?
Auf, reißt es nieder!

Alle
 Nieder! Nieder! Nieder!

Ruodi
Wo ist der Stier von Uri?

Stier von Uri
 Hier. Was soll ich?

Ruodi
Steigt auf die Hochwacht, blaßt in euer Horn,
Daß es weitschmetternd in die Berge schalle,
Und jedes Echo in den Felsenklüften
Aufweckend, schnell die Männer des Gebirgs
Zusammenrufe.
(Stier von Uri geht ab. Walther Fürst kommt)

Walther Fürst
 Haltet Freunde! Haltet!
Noch fehlt uns Kunde was in Unterwalden
Und Schwytz geschehen. Laßt uns Boten erst
Erwarten.

[208]

Ruodi
 Was erwarten? Der Tyrann
Ist todt, der Tag der Freiheit ist erschienen.

Steinmetz
Ists nicht genug an diesen flammenden Boten,
Die rings herum auf allen Bergen leuchten?

Ruodi
Kommt alle, kommt, legt Hand an, Männer und Weiber!
Brecht das Gerüste! Sprengt die Bogen! Reißt
Die Mauern ein! Kein Stein bleib auf dem andern.

Steinmetz
Gesellen, kommt! Wir habens aufgebaut,
Wir wissens zu zerstören.

Alle
 Kommt! Reißt nieder.
(Sie stürzen sich von allen Seiten auf den Bau)

Walther Fürst
Es ist im Lauf. Ich kann sie nicht mehr halten.

Melchthal und Baumgarten kommen

Melchthal
Was? Steht die Burg noch und Schloß Sarnen liegt
In Asche und der Roßberg ist gebrochen?

[209]

Walther Fürst
Seid ihr es, Melchthal? Bringt ihr uns die Freiheit?
Sagt! Sind die Lande alle rein vom Feind?

Melchthal (umarmt ihn)
Rein ist der Boden. Freut euch, alter Vater!
In diesem Augenblicke, da wir reden,
Ist kein Tyrann mehr in der Schweitzer Land.

Walther Fürst
O sprecht, wie wurdet ihr der Burgen mächtig?

Melchthal
Der Rudenz war es, der das Sarner Schloß
Mit mannlich kühner Wagethat gewann,
Den Roßberg hatt’ ich Nachts zuvor erstiegen.
– Doch höret, was geschah. Als wir das Schloß
Vom Feind geleert, nun freudig angezündet,
Die Flamme prasselnd schon zum Himmel schlug,
Da stürzt der Diethelm, Geßlers Bub, hervor,
Und ruft, daß die Brunekerinn verbrenne.

Walther Fürst
Gerechter Gott!
(Man hört die Balken des Gerüstes stürzen)

[210]

Melchthal
 Sie war es selbst, war heimlich
Hier eingeschlossen auf des Vogts Geheiß.
Rasend erhub sich Rudenz – denn wir hörten
Die Balken schon, die festen Pfosten stürzen,
Und aus dem Rauch hervor den Jammerruf
– Der Unglückseligen.

Walther Fürst
 Sie ist gerettet?

Melchthal
Da galt Geschwindseyn und Entschlossenheit!
– Wär er nur unser Edelmann gewesen,
Wir hätten unser Leben wohl geliebt,
Doch er war unser Eidgenoß, und Bertha
Ehrte das Volk – So sezten wir getrost
Das Leben dran, und stürzten in das Feuer.

Walther Fürst
Sie ist gerettet?

Melchthal
 Sie ists. Rudenz und ich,
Wir trugen sie selbander aus den Flammen,

[211]

Und hinter uns fiel krachend das Gebälk.
– Und jezt, als sie gerettet sich erkannte,
Die Augen aufschlug zu dem Himmelslicht,
Jetzt stürzte mir der Freiherr an das Herz,
Und schweigend ward ein Bündnis jezt beschworen,
Das fest gehärtet in des Feuers Glut
Bestehen wird in allen Schicksalsproben –

Walther Fürst
Wo ist der Landenberg?

Melchthal
 Ueber den Brünig.
Nicht lags an mir, daß er das Licht der Augen
Davon trug, der den Vater mir geblendet.
Nach jagt’ ich ihm, erreicht ihn auf der Flucht,
Und riß ihn zu den Füssen meines Vaters.
Geschwungen über ihm war schon das Schwerdt,
Von der Barmherzigkeit des blinden Greises
Erhielt er flehend das Geschenk des Lebens.
Urphede schwur er, nie zurück zu kehren,
Er wird sie halten, unsern Arm hat er
Gefühlt.

[212]

Walther Fürst
 Wohl euch, daß ihr den reinen Sieg
Mit Blute nicht geschändet!

Kinder
(eilen mit Trümmern des Gerüstes über die Scene)
 Freiheit! Freiheit!
(das Horn von Uri wird mit Macht geblasen)

Walther Fürst
Seht, welch ein Fest! Des Tages werden sich
Die Kinder spät als Greise noch erinnern.
(Mädchen bringen den Hut auf einer Stange getragen, die ganze Scene füllt sich mit Volk an)

Ruodi
Hier ist der Hut, dem wir uns beugen mußten.

Baumgarten
Gebt uns Bescheid, was damit werden soll.

Walther Fürst
Gott! Unter diesem Hute stand mein Enkel!

Mehrere Stimmen
Zerstört das Denkmal der Tyrannenmacht!
Ins Feuer mit ihm!

[213]

Walther Fürst
 Nein, laßt ihn aufbewahren!
Der Tyrannei mußt’ er zum Werkzeug dienen,
Er soll der Freiheit ewig Zeichen seyn!
(die Landleute, Männer, Weiber und Kinder stehen und sitzen auf den Balken des zerbrochenen Gerüstes mahlerisch gruppiert in einem großen Halbkreis umher)

Melchthal
So stehen wir nun fröhlich auf den Trümmern
Der Tyrannei, und herrlich ists erfüllt,
Was wir im Rütli schwuren, Eidgenossen.

Walther Fürst
Das Werk ist angefangen, nicht vollendet.
Jezt ist uns Muth und feste Eintracht noth,
Denn seid gewiß, nicht säumen wird der König,
Den Tod zu rächen seines Vogts, und den
Vertriebnen mit Gewalt zurück zu führen.

Melchthal
Er zieh’ heran mit seiner Heeresmacht,
Ist aus dem Innern doch der Feind verjagt,
Dem Feind von aussen wollen wir begegnen.

[214]

Ruodi
Nur wenge Pässe öffnen ihm das Land,
Die wollen wir mit unsern Leibern decken.

Baumgarten
Wir sind vereinigt durch ein ewig Band,
Und seine Heere sollen uns nicht schrecken!

Rösselmann und Stauffacher kommen.
Rösselmann (im Eintreten.)
Das sind des Himmels furchtbare Gerichte.

Landleute
Was giebts?

Rösselmann
 In welchen Zeiten leben wir!

Walther Fürst
Sagt an, was ist es? – Ha, seid ihrs Herr Werner?
Was bringt ihr uns?

Landleute
 Was giebts?

Rösselmann
 Hört und erstaunet!

[215]

Stauffacher
Von einer großen Furcht sind wir befreit –

Rösselmann
Der Kaiser ist ermordet.

Walther Fürst
 Gnädger Gott!
(Landleute machen einen Aufstand und umdrängen den Stauffacher)

Alle
Ermordet! Was! Der Kaiser! Hört! Der Kaiser!

Melchthal
Nicht möglich! Woher kam euch diese Kunde?

Stauffacher
Es ist gewiß. Bei Bruck fiel König Albrecht
Durch Mörders Hand – ein glaubenswerther Mann,
Johannes Müller, bracht’ es von Schafhausen.

Walther Fürst
Wer wagte solche grauenvolle That?

Stauffacher
Sie wird noch grauenvoller durch den Thäter.

[216]

Es war sein Neffe, seines Bruders Kind,
Herzog Johann von Schwaben, ders vollbrachte.

Melchthal
Was trieb ihn zu der That des Vatermords?

Stauffacher
Der Kaiser hielt das väterliche Erbe
Dem ungeduldig mahnenden zurück,
Es hieß, er denk ihn ganz darum zu kürzen,
Mit einem Bischoffshut ihn abzufinden.
Wie dem auch sey – der Jüngling öfnete
Der Waffenfreunde bösem Rath sein Ohr,
Und mit den edeln Herrn von Eschenbach,
Von Tegerfelden, von der Wart und Palm
Beschloß er, da er Recht nicht konnte finden,
Sich Rach’ zu hohlen mit der eignen Hand.

Walther Fürst
O sprecht, wie ward das Gräßliche vollendet?

Stauffacher
Der König ritt herab vom Stein zu Baden,
Gen Rheinfeld, wo die Hofstatt war, zu ziehn,
Mit ihm die Fürsten, Hans und Leopold,

[217]

Und ein Gefolge hochgebohrner Herren.
Und als sie kamen an die Reuß, wo man
Auf einer Fähre sich läßt übersetzen,
Da drängten sich die Mörder in das Schiff,
Daß sie den Kaiser vom Gefolge trennten.
Drauf als der Fürst durch ein geackert Feld
Hinreitet – eine alte große Stadt
Soll drunter liegen aus der Heiden Zeit –
Die alte Veste Habsburg im Gesicht,
Wo seines Stammes Hoheit ausgegangen –
Stößt Herzog Hans den Dolch ihm in die Kehle,
Rudolph von Palm durchrennt ihn mit dem Speer,
Und Eschenbach zerspaltet ihm das Haupt,
Daß er herunter sinkt in seinem Blut,
Gemordet von den Seinen, auf dem Seinen.
Am andern Ufer sahen sie die That,
Doch durch den Strom geschieden, konnten sie
Nur ein ohnmächtig Wehgeschrey erheben;
Am Wege aber saß ein armes Weib,
In ihrem Schooß verblutete der Kaiser.

[218]

Melchthal
So hat er nur sein frühes Grab gegraben,
Der unersättlich alles wollte haben!

Stauffacher
Ein ungeheurer Schrecken ist im Land umher,
Gesperrt sind alle Pässe des Gebirgs,
Jedweder Stand verwahret seine Grenzen,
Die alte Zürich selbst schloß ihre Thore,
Die dreißig Jahr lang offen standen, zu,
Die Mörder fürchtend und noch mehr – die Rächer.
Denn mit des Bannes Fluch bewaffnet, kommt
Der Ungarn Königinn, die strenge Agnes,
Die nicht die Milde kennet ihres zarten
Geschlechts, des Vaters königliches Blut
Zu rächen an der Mörder ganzem Stamm,
An ihren Knechten, Kindern, Kindeskindern,
Ja an den Steinen ihrer Schlösser selbst.
Geschworen hat sie, ganze Zeugungen
Hinabzusenden in des Vaters Grab,
In Blut sich wie in Mayenthau zu baden.

[219]

Melchthal
Weiß man, wo sich die Mörder hingeflüchtet?

Stauffacher
Sie flohen alsbald nach vollbrachter That
Auf fünf verschiednen Strassen auseinander,
Und trennten sich, um nie sich mehr zu sehn –
Herzog Johann soll irren im Gebirge.

Walther Fürst
So trägt die Unthat ihnen keine Frucht!
Rache trägt keine Frucht! Sich selbst ist sie
Die fürchterliche Nahrung, ihr Genuß
Ist Mord, und ihre Sättigung das Grausen.

Stauffacher
Den Mördern bringt die Unthat nicht Gewinn,
Wir aber brechen mit der reinen Hand
Des blutgen Frevels segenvolle Frucht.
Denn einer großen Furcht sind wir entledigt,
Gefallen ist der Freiheit größter Feind,
Und, wie verlautet, wird das Scepter gehn
Aus Habsburgs Haus zu einem andern Stamm,
Das Reich will seine Wahlfreiheit behaupten.

[220]

Walther Fürst und mehrere
Vernahmt ihr was?

Stauffacher
 Der Graf von Luxemburg
Ist von den mehrsten Stimmen schon bezeichnet.

Walther Fürst
Wohl uns, daß wir beim Reiche treu gehalten,
Jezt ist zu hoffen auf Gerechtigkeit!

Stauffacher
Dem neuen Herrn thun tapfre Freunde noth,
Er wird uns schirmen gegen Oestreichs Rache.
(die Landleute umarmen einander)

Sigrist mit einem Reichsboten.

Sigrist
Hier sind des Landes würdge Oberhäupter.

Rösselmann und mehrere
Sigrist, was giebts?

Sigrist
 Ein Reichsbot bringt dieß Schreiben.

Alle (zu Walther Fürst)
Erbrecht und leset.

[221]

Walther Fürst (liest)
 „Den bescheidnen Männern
Von Uri, Schwyz und Unterwalden bietet
Die Königin Elsbeth Gnad und alles Gutes“

Viele Stimmen
Was will die Königin? Ihr Reich ist aus.

Walther Fürst (liest)
„In ihrem großen Schmerz und Wittwenleid
Worein der blutge Hinscheid ihres Herrn
Die Königin versezt, gedenkt sie noch
Der alten Treu und Lieb’ der Schwyzerlande.“

Melchthal
In ihrem Glück hat sie das nie gethan.

Rösselmann
Still! Lasset hören!

Walther Fürst (liest)
„Und sie versieht sich zu dem treuen Volk,
Daß es gerechten Abscheu werde tragen
Vor den verfluchten Thätern dieser That.
Darum erwartet sie von den drey Landen,
Daß sie den Mördern nimmer Vorschub thun,

[222]

Vielmehr getreulich dazu helfen werden,
Sie auszuliefern in des Rächers Hand,
Der Lieb gedenkend und der alten Gunst,
Die sie von Rudolphs Fürstenhaus empfangen.“
(Zeichen des Unwillens unter den Landleuten)

Viele Stimmen
Der Lieb und Gunst!

Stauffacher
Wir haben Gunst empfangen von dem Vater,
Doch wessen rühmen wir uns von dem Sohn?
Hat er den Brief der Freiheit uns bestätigt,
Wie vor ihm alle Kaiser doch gethan?
Hat er gerichtet nach gerechtem Spruch,
Und der bedrängten Unschuld Schutz verliehn?
Hat er auch nur die Boten wollen hören,
Die wir in unsrer Angst zu ihm gesendet?
Nicht eins von diesem allen hat der König
An uns gethan und hätten wir nicht selbst
Uns Recht verschafft mit eigner muthger Hand,
Ihn rührte unsre Noth nicht an – Ihm Dank?
Nicht Dank hat er gesät in diesen Thälern.

[223]

Er stand auf einem hohen Platz, er konnte
Ein Vater seiner Völker seyn, doch ihm
Gefiel es, nur zu sorgen für die Seinen,
Die er gemehrt hat, mögen um ihn weinen!

Walther Fürst
Wir wollen nicht frohlocken seines Falls,
Nicht des empfangnen Bösen jezt gedenken,
Fern sei’s von uns! Doch, daß wir rächen sollten
Des Königs Tod, der nie uns Gutes that,
Und die verfolgen, die uns nie betrübten,
Das ziemt uns nicht und will uns nicht gebühren.
Die Liebe will ein freies Opfer seyn,
Der Tod entbindet von erzwungnen Pflichten,
– Ihm haben wir nichts weiter zu entrichten.

Melchthal
Und weint die Königin in ihrer Kammer,
Und klagt ihr wilder Schmerz den Himmel an,
So seht ihr hier ein angstbefreites Volk
Zu eben diesem Himmel dankend flehen –
Wer Thränen ärnten will, muß Liebe säen.
(Reichsbote geht ab)

[224]

Stauffacher (zu dem Volk)
Wo ist der Tell? Soll Er allein uns fehlen,
Der unsrer Freiheit Stifter ist? Das Größte
Hat er gethan, das Härteste erduldet,
Kommt alle, kommt, nach seinem Haus zu wallen,
Und rufet Heil dem Retter von uns allen.
(Alle gehen ab)



Zweite Scene


Tells Hausflur. Ein Feuer brennt auf dem Heerd. Die offenstehende Thüre zeigt ins Freie.

Hedwig. Walther und Wilhelm.

Hedwig
Heut kommt der Vater. Kinder, liebe Kinder!
Er lebt, ist frei, und wir sind frei und alles!
Und euer Vater ists, der’s Land gerettet.

Walther
Und ich bin auch dabei gewesen, Mutter!
Mich muß man auch mit nennen. Vaters Pfeil
Gieng mir am Leben hart vorbei und ich
Hab’ nicht gezittert.

[225]

Hedwig (umarmt ihn)
 Ja du bist mir wieder
Gegeben! Zweimal hab ich dich gebohren!
Zweimal litt ich den Mutterschmerz um dich!
Es ist vorbei – Ich hab euch beide, beide!
Und heute kommt der liebe Vater wieder!
(Ein Mönch erscheint an der Hausthüre)

Wilhelm
Sieh Mutter sieh – dort steht ein frommer Bruder,
Gewiß wird er um eine Gabe flehn.

Hedwig
Führ ihn herein, damit wir ihn erquicken,
Er fühls, daß er ins Freudenhaus gekommen.
(geht hinein und kommt bald mit einem Becher wieder)

Wilhelm (zum Mönch)
Kommt, guter Mann. Die Mutter will euch laben.

Walther
Kommt, ruht euch aus und geht gestärkt von dannen.

Mönch
(scheu umherblickend, mit zerstörten Zügen)
Wo bin ich? Saget an, in welchem Lande?

[226]

Walther
Seid ihr verirret, daß ihr das nicht wißt?
Ihr seid zu Bürglen, Herr, im Lande Uri,
Wo man hineingeht in das Schächenthal.

Mönch
(zur Hedwig, welche zurückkommt)
Seid ihr allein? Ist euer Herr zu Hause?

Hedwig
Ich erwart ihn eben – doch was ist euch, Mann?
Ihr seht nicht aus, als ob ihr Gutes brächtet.
– Wer ihr auch seid, ihr seid bedürftig, nehmt!
(reicht ihm den Becher)

Mönch
Wie auch mein lechzend Herz nach Labung schmachtet,
Nichts rühr ich an, bis ihr mir zugesagt –

Hedwig
Berührt mein Kleid nicht, tretet mir nicht nah
Bleibt ferne stehn, wenn ich euch hören soll.

Mönch
Bei diesem Feuer, das hier gastlich lodert,

[227]

Bei eurer Kinder theurem Haupt, das ich
Umfasse – (ergreift die Knaben)

Hedwig
 Mann, was sinnet ihr? Zurück
Von meinen Kindern! – Ihr seid kein Mönch! Ihr seid
Es nicht! Der Friede wohnt in diesem Kleide,
In euren Zügen wohnt der Friede nicht.

Mönch
Ich bin der unglückseligste der Menschen.

Hedwig
Das Unglück spricht gewaltig zu dem Herzen,
Doch euer Blick schnürt mir das Innre zu.

Walther (aufspringend)
Mutter, der Vater! (eilt hinaus)

Hedwig
 O mein Gott!
(will nach, zittert und hält sich an)

Wilhelm (eilt nach)
 Der Vater!

[228]

Walther (draußen)
Da bist du wieder!

Wilhelm (draußen)
 Vater, lieber Vater!

Tell (draußen)
Da bin ich wieder – Wo ist eure Mutter?
(treten herein)

Walther
Da steht sie an der Thür und kann nicht weiter,
So zittert sie für Schrecken und für Freude.

Tell
O Hedwig, Hedwig! Mutter meiner Kinder!
Gott hat geholfen – Uns trennt kein Tyrann mehr.

Hedwig (an seinem Halse)
O Tell! Tell! Welche Angst litt ich um dich!
(Mönch wird aufmerksam)

Tell
Vergiß sie jezt und lebe nur der Freude!
Da bin ich wieder! Das ist meine Hütte!
Ich stehe wieder auf dem Meinigen!

[229]

Wilhelm
Wo aber hast du deine Armbrust, Vater?
Ich seh sie nicht.

Tell
 Du wirst sie nie mehr sehn.
An heilger Stätte ist sie aufbewahrt,
Sie wird hinfort zu keiner Jagd mehr dienen.

Hedwig
O Tell! Tell! (tritt zurück, läßt seine Hand los.)

Tell
 Was erschreckt dich, liebes Weib?

Hedwig
Wie – wie kommst du mir wieder? – Diese Hand
– Darf ich sie fassen? – Diese Hand – O Gott!

Tell (herzlich und muthig)
Hat euch vertheidigt und das Land gerettet,
Ich darf sie frei hinauf zum Himmel heben.
(Mönch macht eine rasche Bewegung, er erblickt ihn)
Wer ist der Bruder hier?

[230]

Hedwig
 Ach ich vergaß ihn!
Sprich du mit ihm, mir graut in seiner Nähe.

Mönch (tritt näher)
Seid ihr der Tell, durch den der Landvogt fiel?

Tell
Der bin ich, ich verberg es keinem Menschen.

Mönch
Ihr seid der Tell! Ach es ist Gottes Hand,
Die unter euer Dach mich hat geführt.

Tell (mißt ihn mit den Augen)
Ihr seid kein Mönch! Wer seid ihr?

Mönch
 Ihr erschlugt
Den Landvogt, der euch Böses that – Auch ich
Hab einen Feind erschlagen, der mir Recht
Versagte – Er war euer Feind wie meiner –
Ich hab das Land von ihm befreit.

Tell (zurückfahrend)
 Ihr seid –
Entsetzen! – Kinder! Kinder geht hinein.

[231]

Geh liebes Weib! Geh! Geh! – Unglücklicher,
Ihr wäret –

Hedwig
 Gott, wer ist es?

Tell
 Frage nicht!
Fort! Fort! Die Kinder dürfen es nicht hören.
Geh aus dem Hause – Weit hinweg – Du darfst
Nicht unter Einem Dach mit diesem wohnen.

Hedwig
Weh mir, was ist das? Kommt!
(geht mit den Kindern)

Tell (zu dem Mönch)
 Ihr seid der Herzog
Von Oesterreich – Ihr seids! Ihr habt den Kaiser
Erschlagen, euern Oh’m und Herrn.

Johannes Parricida.
 Er war
Der Räuber meines Erbes.

Tell
 Euern Ohm

[232]

Erschlagen, euern Kaiser! Und euch trägt
Die Erde noch! Euch leuchtet noch die Sonne!

Parricida
Tell, hört mich, eh ihr –

Tell
 Von dem Blute triefend
Des Vatermordes und des Kaisermords,
Wagst du zu treten in mein reines Haus,
Du wagsts, dein Antliz einem guten Menschen
Zu zeigen und das Gastrecht zu begehren?

Parricida
Bei euch hofft’ ich Barmherzigkeit zu finden,
Auch ihr nahmt Rach’ an euerm Feind.

Tell
 Unglücklicher!
Darfst du der Ehrsucht blutge Schuld vermengen
Mit der gerechten Nothwehr eines Vaters?
Hast du der Kinder liebes Haupt vertheidigt?
Des Heerdes Heiligthum beschützt? das Schrecklichste,
Das Lezte von den deinen abgewehrt?
– Zum Himmel heb’ ich meine reinen Hände,

[233]

Verfluche dich und deine That – Gerächt
Hab ich die heilige Natur, die du
Geschändet – Nichts theil’ ich mit dir – Gemordet
Hast du, ich hab mein theuerstes vertheidigt.

Parricida
Ihr stoßt mich von euch, trostlos, in Verzweiflung?

Tell
Mich faßt ein Grausen, da ich mit dir rede.
Fort! Wandle deine fürchterliche Straße,
Laß rein die Hütte, wo die Unschuld wohnt.

Parricida (wendet sich zu gehen)
So kann ich, und so will ich nicht mehr leben!

Tell
Und doch erbarmt mich deiner – Gott des Himmels!
So jung, von solchem adelichen Stamm,
Der Enkel Rudolphs, meines Herrn und Kaisers,
Als Mörder flüchtig, hier an meiner Schwelle,
Des armen Mannes, flehend und verzweifelnd –
(verhüllt sich das Gesicht)

Parricida
O wenn ihr weinen könnt, laßt mein Geschick

[234]

Euch jammern, es ist fürchterlich – Ich bin
Ein Fürst – ich wars – ich konnte glücklich werden
Wenn ich der Wünsche Ungeduld bezwang.
Der Neid zernagte mir das Herz – Ich sah
Die Jugend meines Vetters Leopold
Gekrönt mit Ehre und mit Land belohnt,
Und mich, der gleiches Alters mit ihm war,
In sclavischer Unmündigkeit gehalten –

Tell
Unglücklicher, wohl kannte dich dein Ohm,
Da er dir Land und Leute weigerte!
Du selbst mit rascher, wilder Wahnsinnsthat
Rechtfertigst furchtbar seinen weisen Schluß.
– Wo sind die blutgen Helfer deines Mords?

Parricida
Wohin die Rachegeister sie geführt,
Ich sah sie seit der Unglücksthat nicht wieder.

Tell
Weißt du, daß dich die Acht verfolgt, daß du
Dem Freund verboten und dem Feind erlaubt?

[235]

Parricida
Darum vermeid ich alle ofne Strassen,
An keine Hütte wag ich anzupochen –
Der Wüste kehr’ ich meine Schritte zu,
Mein eignes Schreckniß irr ich durch die Berge,
Und fahre schaudernd vor mir selbst zurück,
Zeigt mir ein Bach mein unglückselig Bild.
O wenn ihr Mitleid fühlt und Menschlichkeit –
(fällt vor ihm nieder)

Tell (abgewendet)
Steht auf! Steht auf!

Parricida
Nicht bis ihr mir die Hand gereicht zur Hülfe.

Tell
Kann ich euch helfen? Kanns ein Mensch der Sünde?
Doch stehet auf – Was ihr auch gräßliches
Verübt – Ihr seid ein Mensch – Ich bin es auch –
Vom Tell soll keiner ungetröstet scheiden –
Was ich vermag, das will ich thun.

[236]

Parricida
(aufspringend und seine Hand mit Heftigkeit ergreifend)
 O Tell!
Ihr rettet meine Seele von Verzweiflung.

Tell
Laßt meine Hand los – Ihr müßt fort. Hier könnt
Ihr unentdeckt nicht bleiben, könnt entdeckt
Auf Schutz nicht rechnen – Wo gedenkt ihr hin?
Wo hofft ihr Ruh zu finden?

Parricida
 Weiß ichs? Ach!

Tell
Hört was mir Gott ins Herz giebt – Ihr müßt fort
Ins Land Italien, nach Sankt Peters Stadt,
Dort werft ihr euch dem Papst zu Füssen, beichtet
Ihm eure Schuld und löset eure Seele.

Parricida
Wird er mich nicht dem Rächer überliefern?

Tell
Was er euch thut, das nehmet an von Gott.

[237]

Parricida
Wie komm’ ich in das unbekannte Land?
Ich bin des Wegs nicht kundig, wage nicht
Zu Wanderern die Schritte zu gesellen.

Tell
Den Weg will ich euch nennen, merket wohl!
Ihr steigt hinauf, dem Strom der Reuß entgegen,
Die wildes Laufes von dem Berge stürzt –

Parricida (erschrickt)
Seh ich die Reuß? Sie floß bei meiner That.

Tell
Am Abgrund geht der Weg, und viele Kreutze
Bezeichnen ihn, errichtet zum Gedächtniß
Der Wanderer, die die Lawine begraben.

Parricida
Ich fürchte nicht die Schrecken der Natur,
Wenn ich des Herzens wilde Qualen zähme.

Tell
Vor jedem Kreutze fallet hin und büßet

[238]

Mit heissen Reuethränen eure Schuld –
Und seid ihr glücklich durch die Schreckensstraße,
Sendet der Berg nicht seine Windeswehen,
Auf euch herab von dem beeißten Joch,
So kommt ihr auf die Brücke, welche stäubet.
Wenn sie nicht einbricht unter eurer Schuld,
Wenn ihr sie glücklich hinter euch gelassen,
So reißt ein schwarzes Felsenthor sich auf,
Kein Tag hats noch erhellt – da geht ihr durch,
Es führt euch in ein heitres Thal der Freude –
Doch schnellen Schritts müßt ihr vorüber eilen,
Ihr dürft nicht weilen, wo die Ruhe wohnt.

Parricida
O Rudolph! Rudolph! Königlicher Ahn!
So zieht dein Enkel ein auf deines Reiches Boden!

Tell
So immer steigend, kommt ihr auf die Höhen
Des Gotthardts, wo die ewgen Seen sind,
Die von des Himmels Strömen selbst sich füllen.
Dort nehmt ihr Abschied von der deutschen Erde,

[239]

Und muntern Laufs führt euch ein andrer Strom
Ins Land Italien hinab, euch das gelobte –
(Man hört den Kuhreihen von vielen Alphörnern geblasen)
Ich höre Stimmen. Fort!

Hedwig (eilt herein)
 Wo bist du, Tell?
Der Vater kommt! Es nahn in frohem Zug
Die Eidgenossen alle –

Parricida (verhüllt sich)
 Wehe mir!
Ich darf nicht weilen bei den Glücklichen.

Tell
Geh, liebes Weib. Erfrische diesen Mann,
Belad ihn reich mit Gaben, denn sein Weg
Ist weit, und keine Herberg’ findet er.
Eile! Sie nahn.

Hedwig
 Wer ist es?

Tell
 Forsche nicht!

[240]

Und wenn er geht, so wende deine Augen,
Daß sie nicht sehen, welchen Weg er wandelt!

(Parricida geht auf den Tell zu mit einer raschen Bewegung, dieser aber bedeutet ihn mit der Hand und geht. Wenn beide zu verschiedenen Seiten abgegangen, verändert sich der Schauplatz, und man sieht in der


Letzte Scene


den ganzen Thalgrund vor Tells Wohnung, nebst den Anhöhen, welche ihn einschließen, mit Landleuten besetzt, welche sich zu einem Ganzen gruppiren. Andre kommen über einen hohen Steg, der über den Schächen führt, gezogen. Walther Fürst mit den beiden Knaben, Melchthal und Stauffacher kommen vorwärts, andre drängen nach; wie Tell heraustritt, empfangen ihn alle mit lautem Frohlocken)

Alle .
Es lebe Tell! der Schütz und der Erretter!

(Indem sich die vordersten um den Tell drängen und ihn umarmen, erscheinen noch Rudenz und Bertha, jener die Landleute, diese die Hedwig umarmend. Die Musik vom Berge begleitet diese stumme Scene. Wenn sie geendigt, tritt Bertha in die Mitte des Volks)

[241]

Bertha
Landleute! Eidgenossen! Nehmt mich auf
In euern Bund, die erste Glückliche,
Die Schutz gefunden in der Freiheit Land.
In eure tapfre Hand leg ich mein Recht,
Wollt ihr als eure Bürgerin mich schützen?

Landleute
Das wollen wir mit Gut und Blut.

Bertha
 Wohlan!
So reich ich diesem Jüngling meine Rechte,
Die freie Schweizerin dem freien Mann!

Rudenz
Und frei erklär’ ich alle meine Knechte.

(Indem die Musik von neuem rasch einfällt, fällt der Vorhang)

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