Worte aus dem Buche der Bücher

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Textdaten
Autor: Nikolai Abramowitsch Fürst Putjatin
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Titel: Worte aus dem Buche der Bücher
Untertitel: oder über Welt- und Menschenleben;
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Herausgeber: Dr. August Wilhelm Tappe
Auflage:
Entstehungsdatum: 1802-1824
Erscheinungsdatum: 1824
Verlag: Arnoldische Buchhandlung
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Erscheinungsort: Dresden
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Worte


aus dem


Buche der Bücher,


oder
über Welt- und Menschenleben;
niedergeschrieben
vom


Fürsten N***,


herausgegeben
von


Dr. August Wilhelm Tappe,


Professor und Ritter des St. Annen-Ordens, R. K. Rathe, Mitgliede der kurländischen Gesellschaft für Literatur und Kunst, der Kaiserlich-Russischen mineralogischen Gesellschaft zu St. Petersburg, der Großherzoglich Sachsen-Weimarschen zu Jena und der Naturforschenden Gesellschaft in Leipzig




Gottheit, Weltall, Ordnung und Gerechtigkeit.




Dresden,

in der Arnoldischen Buchhandlung.

1824.


[I]

Schön ist das Leben, wenn reine Gefühle, wenn vernünftige Gedanken und edle Handlungen, ein gesundes irdisches Dasein verklären! Dann offenbart der Mensch an sich der Gottheit Ebenbild, und unsere Heimath wird zum Paradies. Im Himmel und auf Erden, in Deinem eigenen Herzen, steht es mit Flammenzügen geschrieben; lies solche Worte im Buche der Bücher; mache sie lebendig in Deinem Innern, und der Himmel steht Dir offen, mit aller Seligkeit!


[III]

Vorbericht.

Der Durchlauchtige Verfasser dieser Schrift hat, während diese Zeilen niedergeschrieben werden, schon volle Dreiviertheile eines Jahrhunderts durchlebt. Bis in sein vierzigstes Jahr war die große Welt der Schauplatz Seines ruhmvollen Wirkens; und nicht Seinem ahnherrlichen fürstlichen Stamme, sondern vielmehr Seinen ausgezeichneten Geistesanlagen, verdankte Er die stufenweise erlangten höhern Aemter in Militär- und Civil-Diensten Seines Vaterlandes. Zu eben der Zeit aber, als Er zu noch höhern Würden erhoben werden sollte, da entzog Er sich auf einmal allem Glanze des Hofes; mächtig erwachte in Ihm der rastlos strebende Geist, der nach etwas Besserem, als blos nach irdischen Dingen, sich sehnend, von nun an vorzüglich höhere Wahrheiten und bleibende Güter suchte. Er ging daher allererst eine Zeit lang auf Reisen. Der Süden, so wie der Norden, [IV] Deutschland, Frankreich, England und Italien wurden jetzt, um den Kreis der äußern Welt- und Menschenkenntniß noch zu erweitern, von unserem hohen Reisenden besucht, und mit prüfendem Geiste durchforscht. Vor Allem war es das innere Wesen der menschlichen Gesellschaft, in ihren mannichfachen Gestaltungen, so wie das eigenthümliche Denken und Handeln in den verschiedenen Ländern Europa‘s, auf welche alle Aufmerksamkeit des menschenfreundlichen Beobachters gerichtet wurde.

Herrliche Geistesbande, zwischen dem erfahrungsreichen Autor dieser Schrift, und den gelehrtesten und edelsten Männern des Zeitalters, wurden auf diesen vielbegünstigten Wallfahrten geknüpft, und durch Correspondenzen unterhalten. Zwei starke Bände gesammelter Briefe von Männern, die als hohe Staatsbeamte, oder als große Welt- und Menschenkenner, sich auszeichneten; oder von solchen, welche als berühmte Gelehrte und Kunstkenner der letzten dreißig inhaltreichen Jahre auf das ruhmvollste in der gebildeten Welt bekannt sind, befinden sich als Ergebnisse jener Bestrebungen in den Händen des Herausgebers. Schon in diesen Blättern dürfen einige Mittheilungen, und in der Folge wohl noch mehr, aus diesem merkwürdigen brieflichen Verkehr, hoffentlich nicht [V] ohne Interesse für das Publikum, freimüthig mitgetheilt werden. (Vergl. im Anhange Anmerkung 1. 8. 11. 14. und 15.)

Daß nun unter so günstigen Umständen ein großer Reichthum an Erfahrungen und Ideen, mannichfacher und oft ganz eigenthümlicher Art, Statt finden könne, das ist wohl einleuchtend. Immer dachte, fühlte und handelte der fürstliche Verfasser dieser Schriften, welcher noch jetzt für alles Wahre, Schöne und Gute mit Jünglingsfeuer glüht, auf die alleroriginellste Weise. Ihn aber völlig zu verstehen, so wie Er die Wesen und die Dinge vielseitig durchdacht, durchfühlt und gleichsam durchlebt hat; Seinen Scherz vom hohen Ernst des Lebens gehörig zu unterscheiden, das möchte wohl nicht einem Jeden, bei der ersten flüchtigen Ansicht und Bekanntschaft, gegeben sein.

Wie nun der Autor, so sind auch seine Schriften. Der Herausgeber bittet daher die unbefangenen Leser, nicht unfreundlich aburtheilen zu wollen, wenn Einzelnes, oder etwa schon die ersten vier oder fünf Kapitel, nicht gleich ansprechen sollten, d. h. in die eigenen Ansichten eingreifen und damit übereinstimmen; sondern vielmehr den Geist des Ganzen, und seine [VI] lobwerthe Tendenz, für das wirklich Gute und Wahre, genau zu prüfen, und dann erst, mit Gerechtigkeit und Liebe, gewissenhaft zu urtheilen. – Genannt, oder näher bezeichnet zu werden, hat der Fürst nicht gewünscht.

Sollte aber bei sehr strengen Richtern das hier Angedeutete den Glauben veranlassen, der Herausgeber urtheile zu günstig über den Urheber dieser Schrift, so beliebe man, mit dem gebildeten eigenen Urtheile, und mit dem Obigen, auch Einiges zu vergleichen, was in dieser Hinsicht schon früher von mehreren edel- und tiefdenkenden Männern schriftlich, so wie es vor uns liegt, ausgesprochen wurde.

Als der Fürst im August 1803, bei seiner Anwesenheit in Göttingen, einen Theil seiner Schriften dem gelehrten, bekanntlich aber eben nicht schmeichelnden, berühmten Professor und Ritter Dr. August Ludwig von Schlözer mittheilte, da sprach jener große Mann unter Andern Folgendes schriftlich aus: „Meine vier Feierwochen weihte ich unablässig dem Studio des mir, zu meiner größten Ehre, anvertrauten Manuscripts. Ich las nicht nur jede Seite, nicht nur jede Zeile, sondern jedes Wort, mit der größten Aufmerksamkeit; notirte mir Alles, was mir besonders gefiel; was ich [VII] bewunderte; auch wo ich, nach meiner individuellen Ansicht, die freilich unrichtig sein kann, anderer Meinung war. – Einzelne Gedanken, die ich entweder selbst auch gehabt, oder denen ich, wenn ich sie zum erstenmale las, auf der Stelle meinen ganzen Beifall gab; – Ideen und Bemerkungen, entweder ganz neu, oder doch neu ausgedrückt, hinreißend durch ihre Klarheit, gefallend durch ihre Feinheit, stießen mir in Menge auf. Ausgezogen, gesammelt und neben einander gestellt, würden sie einen lehrreichen Esprit de *** geben, wie man einen Esprit de Montesquieu, de Rousseau u. s. w. hat. – Die unzähligen warmen und mit hoher Beredtsamkeit ausgedrückten Gefühle des Verfassers für Moralität, und die schöne Christus-Religion, entzünden in jedem gutartigen Leser eine aufrichtige Hochachtung und Liebe für den edlen Verfasser.“ –

„Das Originelle und Excentrische, das ich in meinem langen Leben, bei vielen einzelnen bemerkt habe,“ schrieb Schlözer späterhin an einen Freund, „treffe ich bei diesem Manne vereint an; doch so vereint, daß man ihn lieb haben muß.“

Mit Herder, dem Hochbegabten, kam unser Autor erst vier Monate vor dessen Tode in nähere Berührung. [VIII] Aber: „Bald stimmten ihre Herzen und Sinne auf das innigste zusammen. Es wurden zwischen beiden die Abrede getroffen: Nach sechs Monaten sich in Weimar wieder zu treffen, und dann der Wahrheit, mit gemeinschaftlichen Kräften, zeitlebens zu huldigen. Jedoch Herder, der Unvergleichliche, ach, er starb, noch vor dieser beiderseits so sehnlich gewünschten Vereinigung.“ – So erzählt der Verfasser selbst, mit größter Wehmuth. Noch am 12. September 1803 schrieb indeß Herder Folgendes: „Je vous estime, mon Prince, pour Votre esprit vaste, hardi et original; mais je Vous aime pour Votre coeur et pour Vos principes moraux; ils forment la métaphysique du coeur, pour moi la plus vraie et peut-être l’unique à l’humanité.“[1]


∗          ∗          ∗


Der ehrwürdige Reinhard urtheilte über mehrere in den Jahren 1805 und 1806 ihm mitgetheilte Arbeiten des Verfassers unter Andern also: „Man kann nichts Edleres, Heilsameres und Erhabeneres denken, [IX] als die Resultate, zu welchen manche hier aufgestellte Raisonnements führen. Wer daher mit den Prämissen auch nicht immer einverstanden ist, wird doch die Gesinnungen und Absichten des erlauchten Verfassers ehren; und sich in diesen Zeiten der Selbstsucht und der Gewalt des Wunsches nicht erwehren können, daß doch die hier erklärten Grundsätze mit Flammenschrift in jedem Herzen, und insonderheit in der Brust derer stehen möchten, die das Schicksal der armen Menschheit in den Händen haben.“ –


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Der geistvolle Königlich schwedische Minister in Konstantinopel, früher in Dresden, Ritter von Palin, bekannt durch seine Forschungen über egyptische Hieroglyphen, sprach, bei verschiedenen Gelegenheiten, unter mehreren Urtheilen auch Folgendes schriftlich aus: „L’ouvrage sublime, que Vous avez-eu la bonté de me communiquer, mon Prince, demande d’être jugé par le sentiment, qui l’a dicté. Jamais auteur ne mit plus le lecteur en société avec ses pensées que Vous. – Partout des vues grandes et belles, dans la lumière d’un style vivant et vrai. – Vous Vous placez entre l’univers et les hommes, le miroir de la verité à la main. – Votre échelle est l’immensité, mais bien des lecteurs n’en voient pas les deux bouts. – Dans les rayons du vrai [X] Beau que Vous faites rejaillir sur les choses, l’espoir cherche déjà à rétablir le trône du vrai Bon. – Mais le néophyte ne doit pas raisonner si longuement devant le Pythagore!“[2]


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Der kenntnißreiche und edelgesinnte Baron von B. schrieb dem Herausgeber im Spätjahre 1823: „Mit vielem Interesse habe ich die Manuscripte des Fürsten gelesen, und den Werth und Nutzen dieser tief und edelgefühlten originellen Schriften kennen gelernt. Bald war mir zu Muthe, als hörte ich Donnerschläge einer erschütternden Sprache; bald, als sähe ich auf jedem [XI] Schritte Blitzstrahlen, die sich durchkreuzen. Und wenn es dann rings um mich her stürmte, so kamen mir plötzlich und unerwartet wieder Sonnenblicke entgegen, die mich erwärmten. – Ein feiner Tact der Seele im Urtheil findet sich hier überall, im schönsten Vereine mit den wohlwollendsten Gefühlen, und man wird mit Liebe erfüllt zu dem Genius, der hier spricht!“


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Der unlängst verstorbene gelehrte und so vielseitig gebildete Staatsmann, Baron von Just, Königlich Sächsischer Minister in London, sprach über die Schriften des Fürsten folgendes Urtheil aus: „Vous m’avez demandé franchise et sévérité. D’abord je professerai en face de tout le monde, que Vos aperçus sont pleins d’idées originales, heureuses, fines, ingénieuses et souvent même profondes. Tout Votre ouvrage respire l’amour du bien, le désir de combattre le monstre de l’Irréligion et de l’Immoralité, nourris des principes de la fausse Philosophie. On y voit une Imagination vive et brillante.“[3]

[XII] Der originelle Denker, Herr Professor Thom. Thorild in Greifswalde, rühmlich bekannt durch seine Schrift: Maximum, sive Archimetria, Berlin 1799. 8. sprach sich über die Geisteswerke unsers Verfassers oft mit der größten Begeisterung aus: „Bewundern muß man, sagte er, die unzähligen Blitze und Strahlen des Genie’s, die seltenste Größe des Blicks, die Neuheit und Tiefe der Wahrheiten; – die Stimme der Güte, wie vom Himmel des Friedens, welche man mit Rührung und Freude hört. – Das Herrlichste in der Welt würde der wahrhaft große Geist des Verfassers entdecken, und das Wichtigste für die Menschheit darthun, wenn er sich mit allen andern großen Geistern lieber vereinte, als entzweite. Nichts ist gewisser als seine große Einstimmigkeit mit Socrates, Baco von Verulam, und überhaupt mit allen höhern Philosophen und Humanisten. Locke fand Alles in der Natur, Malebranche Alles in Gott: und Wer da sagt: „Tout en Divinité!“ diese Divinité aber in der Natur findet, wie weit ist Der noch von jenen beiden entfernt? – Das erste Hauptwort unseres Verfassers [XIII] ist Devoir; Pflicht ist aber auch das Hauptwort Kant’s; sein zweites Hauptwort: Conscience, Bewußtsein, ist gerade auch das Hauptwort Fichte’s; und sein drittes Hauptwort: Monde-un, Alles-Eins, ist gerade auch das Hauptwort Schellings. Eben so ist das Gute auch die Grund-Idee des Platonismus, des Mysticismus, des Schwedenborgianismus u. s. w.“


∗          ∗          ∗


Der scharfsinnige Philosoph und gelehrte Sprachforscher, Herr Dr. Carl Christian Friedrich Krause, jetzt in Göttingen, früher in Dresden, übersetzte einen Theil der Handschriften des Verfassers aus dem Französischen in’s Deutsche, und fügte mehrere lehrreiche Anmerkungen hinzu. Von letzteren werden daher im Anhange Auszüge mitgetheilt; und die Uebertragung wurde, stets mit den Originalen verglichen, benutzt, in wie weit sie ausreichte, und in den Plan des unterzeichneten Herausgebers paßte. Von seinen Urtheilen über den Verfasser und dessen Schriften, stehe hier nur Folgendes: „Lehren und Aussprüche, eines der geistreichsten und originellsten unserer Zeitgenossen, enthalten diese Schriften. – Der Verfasser, dessen Geist seine Kraft und Schönheit auch im höhern Alter erhalten hat, nennt sich, als Autodidact, einen Ungelehrten, der aus dem Buche der Bücher, d. i. durch eigene Betrachtung der Wesen und der Dinge; des [XIV] Universums in und außer uns, die Wahrheit unmittelbar erforschte. – Auch das Herbe und Harte, was, unter sonst sehr günstigen äußern Verhältnissen, Ihm mitunter auf seinem Lebenswege begegnete, scheint Dasjenige bei Ihm bewirkt zu haben, wodurch die Vorsehung auserlesene Menschen mitten durch die Verderbnisse der Gegenwart zu der Vollendung des Guten und Schönen führt.“




Mehrere und ausführlichere Auszüge wagt der Herausgeber nicht in diesem Vorberichte mit aufzunehmen. Nur noch einige Andeutungen mögen hier mit ausgesprochen werden. Bei der Anordnung des Ganzen, so wie bei der Dolmetschung aus drei von einander sehr verschiedenen Sprachen, in welchen der Fürst dachte, sprach und schrieb, kam es nicht blos auf grammatische, sondern auch auf philosophische und sachgemäße Richtigkeit in Wörtern und Phrasen an. So viel für Diejenigen, welche verschiedene Cahiers des Verfassers in der französischen Urschrift seit 1802 bis 1824 gelesen haben. Das Ganze durfte nicht undeutlich und schwerfällig, wie eine steife Uebersetzung, gegeben werden, vielmehr mußte es sich, einiger Maßen als ein deutsches Original, möglichst leicht lesen lassen. Das war nun freilich eine eben nicht leichte Aufgabe. – Einige im Anhange hinzugefügte [XV] Anmerkungen sollten theils Mittheilungen aus dem brieflichen Verkehr des Fürsten mit berühmten Männern enthalten, z. B. Anmerkung 15. Seite 152; theils sollten sie den im Texte oft sehr kurz angedeuteten Sinn erläutern, und dem Ganzen wo möglich noch einiges Interesse, auf die eine oder auf die andere Art, geben. [4]

Als Autoschediasmata entwarf der fürstliche Verfasser die verschiedenartigsten Abhandlungen und Aphorismen über Welt und Menschen, so wie der Geist es eben eingab. Kühne Gedankensprünge, wie Seneca, Hippel, Jean Paul, und ähnliche Gewaltige im Gebiete des Geistes, sich solche erlauben, wird man auch hier bemerken. Möge man daher, mit dem dazu geeigneten Maße, und nicht nach den strengsten Regeln der Schule, messen wollen. Der geneigte Leser versuche immerhin selbst seinen Adlerflug, und baue sich Gedankenbrücken, wenn er hier und da noch, zwischen [XVI] einem Hauptgedanken und dem andern, eine Kluft gewahrt, wie zwischen himmelhohen neben einander stehenden Bergen. Ein geistvolles Denken, nicht streng consequent, sondern verleiblicht, und oft auf blütenreichen Nebenwegen lustwandelnd; Betrachtungen über die höhern Angelegenheiten der Menschheit, wie solche in der gebildeten großen Welt bisweilen gesprächsweise verhandelt werden, findet man hier treulich dargestellt, und auch das hat wohl einigen Werth. Uebrigens sollen ja auch alle Geistiggesinnte: „Summa ope niti, vitam silentio ne transeant. Nam divitiarum et formae gloria fluxa atque fragilis est, virtus clara aeternaque habetur![5]“ Freuen muß man sich also, wenn Männer von so hohem Range, wie unser Fürst, auch durch geistige Beschäftigungen der Art sich über das Gebiet des blos Sinnlichen und Eiteln, in Wort und That, edel zu erheben suchen!

Geschrieben, Tharant am Johannistage, 1824.
[XVII]
*          *          *


Da der Herausgeber dieser Schrift, früher eine Zeit lang im Auslande lebend, anfangs genöthigt war, einige seiner Schriften, … welche nun auch in der Arnoldischen Buchhandlung in Dresden mit zu haben sind, … als Selbstverlag auf seine Kosten drucken zu lassen, so möge es ihm erlaubt sein, solche auf dem Umschlage und (weil dieser bei den gebundenen Exemplaren wegfällt) hier, statt anderer Buchhändler- und Zeitungs-Anzeigen, mit in Erinnerung zu bringen:

1) Neue theoretisch-praktische Russische Sprachlehre für Deutsche, mit vielen Aufgaben zum Selbstunterricht, 5te Auflage, nebst Formenlehre, 2 Thlr. 4 Gr.

2) Neues Russisches Elementar-Lesebuch, durchaus accentuirt, mit slawonischen Schriftstellen, 6te Auflage, 18 Gr.

3) Untrügliches Heilmittel wider den Biß toller Hunde, nebst Kupfer, aus dem Russischen des Herrn von Swinjin übersetzt, 8 Gr.

[XVIII] 4) De Regno Dei, a Jesu Servatore in terris condito, 6 Gr.

5) Vom Göttlichen und Ewigen im Menschen, oder vom Reiche Gottes auf Erden, dritte Auflage, 12 Gr.

6) Tableau abrégé de l’Histoire de Russie, oder: Karamsin’s Geschichte Rußland’s im Auszuge, russisch, mit Commentar in deutscher und französischer Sprache, 2 Theile, 3 Thlr. – Von diesem letztern Werke soll nun, sobald als möglich, vom Verfasser selbst eine deutsche Bearbeitung geliefert werden.


Dr. August Wilhelm Tappe, Professor.

[1]


Worte
aus dem
Buche der Bücher.



[2]


Θείου νοῦ, τὸ ἀεὶ διαλογίζεσθαι καλόν. Ὁ σοφὸς μόνος ἱερεὺς καὶ θεοφιλὴς.
      

Septem Sapientum sententiae.








Immer auf etwas Gutes sinnen, verräth einen göttlichen Geist.
Der Weise allein ist ein Priester und Freund Gottes.

Sprüche der sieben Weisen.


[3]

Das erste Kapitel.


1. Wahlspruch. – 2. Uebereinkunft mit dem Leser. – 3. Die Trugvernünftelei und die Wahrheit. – 4. Das Schöne und das Gute.


1. Ich empfinde und nehme wahr; – ich nehme wahr und beziehe; – ich beziehe und denke; – ich denke und die Sachen und die Wesen selbst erscheinen; – sie erscheinen und sprechen; – sie sprechen und ich schreibe.

2. Wer Du auch seist, geliebter Leser, wenn es bei meinem reinen Eifer für Dein und mein Wohl; bei der Offenherzigkeit, die ich verehre; bei der Einfachheit, die ich in allen Dingen liebe; wenn es mir dessen ungeachtet begegnen sollte, daß ich, ohne es zu wollen, wider Dich spräche, so wisse, daß ich dann auch wider mich selbst spreche. – Wie sollten wir uns auch nicht irren, in dem Meere von Verkehrtheiten und Irrthümern aller Art, in welches sich [4] die Menschen unaufhörlich einander stürzen! Unterlassen wir es wenigstens nicht, darüber nachzudenken: Was wir sind, und was wir sein könnten und sollten. Dieß allein schon wird weit würdiger und unendlich vortheilhafter für uns und Andere sein, als wenn wir uns immer selbst gefallen wollten, in der treulosen Hingebung an alles Herkömmliche und Gewöhnliche, wie verkehrt es auch sein mag.

3. Die geistige Ausschweifung unseres Geschlechts ist oft von der Art, daß die spitzfindigen Trugvernünfteleien aller Gattungen, die menschliche Vernunft unaufhörlich in ein Chaos von Vorurtheilen und Irrthümern jeder Art zu stürzen drohen. Um sich einem solchen Übel mit Erfolg zu widersetzen, giebt es nur ein kräftiges Mittel, nämlich: Die Wahrheit redlich zu erforschen, und dann treu und besonnen darzustellen; das wirklich Wahre und Gute in seiner himmlischen und entzückenden Reinheit und Schönheit auszusprechen; das Scheinwahre und Böse dagegen in der vollen und schrecklichen Häßlichkeit dessen, was eben bezeichnet werden soll, je nachdem es der Gegenstand verlangt.

4. „Wahrheit zum Heil“ wollen wir also suchen, denn:

[5]

„Das wirklich Wahre nur ist schön,
Lobwerth allein das Wahre!“

sagt Boileau. Dieser geistreiche Mann indeß sprach als Dichter; die gute Wahrheit aber, die an sich weder Reim noch sonstige poetische Schminke bedarf, sagt in einfacher Prosa: Nichts ist im höhern Sinne schön, als das wahre Gute; dieses Gute allein ist heilbringend und liebenswürdig, im erhabensten Sinne des Wortes!


Das zweite Kapitel.


1. Das Buch der Bücher. – 2. Die Sprache der Sprachen. – 3. Mittel zum Verständnisse. – 4. Die Hölle und der Himmel.


1. Das Buch der Bücher ist das Weltall, das heißt: Die Gesammtheit aller Wesen, Sachen oder Dinge. – Bei allen Wesen und Dingen kommt es aber vorzüglich darauf an, wohl zu beachten: Was sie wirklich sind, und wie sie erscheinen; sei es durch Selbstbestimmung, oder durch Wirkung und Gegenwirkung.[WS 1] – Noch ein Anderes ist das Verhältniß der Wesen und der Dinge unter einander; so wie der [6] weise oder unweise Gebrauch derselben. Davon hängt alle Harmonie und Disharmonie ab; und ob etwas für uns, in Ordnung und Gerechtigkeit, als echt gut und wahrhaft schön, oder ob es im Gegentheil als böse und häßlich erscheine, das wird dadurch bedingt und bestimmt.

2. Die Sprache dieses Buches ist die Sprache der Sprachen; und darunter verstehen wir: Die Handlungen und Wirkungen aller Wesen und Dinge im Universum; so wie alle Gegenhandlungen und Gegenwirkungen der Wesen und der Dinge überall, mit den Ergebnissen derselben. Wer diese große Natursprache nicht versteht, dem kann auch nie irgend eine Wortsprache ganz klar und deutlich werden; und alle Bücher in der Welt, ohne Übereinstimmung mit jenem großen Buche der Bücher, sind weder wahre noch gute Bücher. – Worte aus dem Buche der Bücher heißen diese Aussprüche, … dem Geiste nach, der in diesen Blättern wehen sollte; … um einzuladen, zum Buchstabiren in jenem großen Buche; und dann zum Lesen und Wiederlesen in demselben aufzumuntern.

3. Fähigkeiten und Mittel jene Gottessprache zu verstehen, und wohl anzuwenden, sind: Verstand, Gefühl und ein edles Verlangen. Geahnet werden [7] muß aber auch bei dem Verständniß aller Sprachen immer gar Vieles, um das Rechte gehörig zu fassen, um den fremden Geist mit dem seinigen zu vermählen, und um das Wort leicht in die That zu übersetzen. Damit man glücklich in dieser Kunst sei, muß man, nicht blos Scharfsinn, sondern eben so wohl ein gutes Herz, als ein reines Bewußtsein haben und bewahren. Dann erst hat man den wahren Beruf, etwas recht zu begreifen und zu benutzen; zum Besten für sich selbst, und für alle Anderen. Denn nie soll der gute Mensch sich absondern von allen anderen guten Menschen; und nie soll er irgend einen anderen Guten, durch eigenes Verschulden, von sich abwendig machen.

4. Alles Gute und Schöne, alles Böse und Häßliche, geht, in Wechselbeziehung, von den Wesen und von den Dingen selbst aus. Ein unreines Gemüth, ein schlechtes Herz und ein böses Gewissen erzeugen einen falschen Geschmack, ein unrichtiges Verstehen und Begreifen, und verschließen das Verständniß jener Gottessprache im Buche der Bücher. Daraus entsteht dann unvermeidlich das Böse und das Häßliche, das Marternde und Unselige, in jeder Art und Beziehung. Die Hölle ist selbst unter uns auf Erden, wenn Verstand, Gefühl und Begehren umnebelt [8] und vergiftet sind; ein Paradies und einen Himmel finden wir dagegen auf Erden, wenn Ordnung und Gerechtigkeit, mit Einsicht und Umsicht, uns immer auf den seligen Weg der Pflicht hinleiten. Darum, Lehrer der Menschheit, Gesetzgeber und Regierer der Völker, erleuchtet, veredelt und stärket die Gemüther; das ist die Kunst der Künste, und die Wissenschaft aller Wissenschaften! Aus dem Buche der Bücher aber schöpfet, geliebte Leser, mit hellem und reinem Geist, so wie mit gesunden Sinnen, wie aus einem unerschöpflichen Brunnquell alles Heilbringenden und Seligen, das Schöne und das Gute, ohne aufzuhören. Alle Quellen des Bösen und des Häßlichen dagegen vermeidet, oder verstopfet sie; denn ihr, und alle Anderen, würdet sonst, früher oder später, gewiß nur Marter und Qual daraus trinken.


Das dritte Kapitel.


1. Die Wortsprachen. – 2. Sache und Wesen; äußerer und innerer Mensch. – 3. Die Zweieinigkeit. –


1. Alle Wort- und Schriftsprachen enthalten blos übereinkunftliche Zeichen für Sachen und Wesen. So könnte z. B. die Eigenschaft „roth“ in [9] der Wortsprache auch wohl „gelb“ genannt werden; und das, was wir „Güte“ nennen, könnte auch wohl „Liebe“ heißen. Die Sachen und die Wesen sind indeß immer dieselben, und bringen auch überall dieselben, oder doch ähnliche Vorstellungen hervor. Benannt aber werden sie in den verschiedenen Sprachen sehr verschieden. Ein Mann aus Neapel z. B. kann die Sprache eines tatarischen Mandschu nicht verstehen, im Fall er sie nicht gelernt hat; und eben so wenig versteht er die Keilschrift von Persepolis. Dagegen die aufgehobene Keule in der Hand, so wie der glühende Zorn im Angesicht; oder: Entgegeneilende offene Arme; so wie der Ausdruck der himmlischen Güte in einem Menschenantlitz, darüber werden sich der Mann aus Neapel, so wie der Mandschu-Tatar, leicht und vollkommen mit Andern verständigen.

2. Sache oder Ding heißt dasjenige, was einen Körper oder Leib hat, als umgebenden Stoff, das ist: das Aeußere. Wesen dagegen heißt dasjenige, was in einem Körper oder Leibe sich befindet, als inwendige Eigenschaft oder Geistigkeit, das ist: das Innere. So ist es z. B. weit verständlicher, zu sagen: Der innere und der äußere Mensch, als: Seele und Leib, worunter man an sich nicht leicht das Rechte versteht. Der Ausdruck: „innerer [10] Mensch“ ist hier weit bedeutungsvoller; und eben so auch der Ausdruck „äußerer Mensch.“ Das Wesen „Gedächtniß,“ ist eben so bezeichnend und wohlverständlich, als die Sache „Magen;“ desgleichen: das Urtheilen, wie die Verdauung; das Denken, wie der Blutumlauf; der Gedanke, wie eine Geberde; der Scharfsinn, wie das gute Gesicht; der Schönsinn, wie der Schmecksinn; … und so entsprechen sich Inneres und Äußeres, Zug für Zug. – Das Ganze und seine Theile, der Einklang und der Mißklang, die Vollständigkeit, so wie die Verstümmelung, finden sich im innern, so wie im äußern Menschen; das Eine ist im Anderen enthalten. – Nimm dem äußeren Menschen den Magen, … und er hört auf zu sein; nimm dem inneren Menschen das Gedächtniß, … und auch er hört auf zu sein!

3. Da nun kein Äußeres ohne ein Inneres ist, noch sein kann, eben so wenig als ein Inneres ohne ein Äußeres, so giebt es auch keine Sachen ohne Wesen; und keine Wesen ohne Sachen, und kann keine geben. Alles Gedachte kann nur im Geiste entstehen; es kann sich nur durch die Sachen oder Dinge: Zunge, Geberde, Feder, Grabstichel, u. s. w. offenbaren; und nur durch die Dinge: Schrift, Buch, Marmor u. s. w. kann es aufbewahrt werden.

[11]
Das vierte Kapitel.


1. Das Unbegreifliche. – 2. Die volle Genüge. – 3. Die Spaltungen. – 4. Himmlisch oder Höllisch. – 5. Geist und Leib. –


1. Ein Mann von einem sehr großen Fassungsvermögen hat gesagt: Die Gottheit könne er wohl begreifen, nicht aber die Materie. Weit richtiger und bestimmter wäre es wohl, wenn man sagte: Die Materie, so wie die Geistigkeit; das Physische, so wie das Moralische; die Sachen, so wie die Wesen, sind gleich unbegreiflich, aber doch nachweisbar, gewiß, verbindend und anwendbar; … und das ist hinreichend!

2. Alles Hinreichende aber ist genug; was darüber ist, das ist vom Übel; und zwar in allen Dingen und Vorfällen des Lebens! Die allzugroße Begierde erzeugt Kampf; der Kampf veranlaßt Spaltungen, und oft Vernichtung.

3. Spaltungen aber, die man ohne dringende Noth und Gerechtigkeit veranlaßt, sind entweder unbedeutend und nichtsnutzig; oder thöricht und störend; oder wohl gar höchst verderblich und heillos.

[12] 4. Die Dinge: „Stoff“ oder „Materie,“ können himmlisch oder höllisch sein; und eben so kann auch das Wesen „Geist“ entweder göttlich oder satanisch sein. Das Eine oder das Andere ist es dann, wodurch alles Selige oder Unselige im Leben hervorgebracht wird.

5. Weder den Geist, als Wesen, noch den Leib, als Sache, sollte man jemals zu sehr oder zu wenig schätzen. Beide aber von einander, als völlig getrennt, sich immer denken wollen, das ist ein Irrthum von sehr verderblichen Folgen. Eine solche Vorstellungsart verwirrt eine jede richtige Ansicht der Welt und des Lebens; und alle Verkehrtheiten der einseitigen Materialisten und Spiritualisten sind daraus entstanden, und werden dadurch noch jetzt, oft sehr nachtheilig, von einem Geschlecht auf das andere, vererbt.


Das fünfte Kapitel.


1. Gerechtigkeit als Loosung. – 2. Die echte Praxis. – 3. Das höchste Wissen.


1. Freimüthigkeit, Strenge und Gerechtigkeit, das sei unsere Loosung! Gerechtigkeit, im [13] weitesten und erhabensten Sinne des Wortes, ist, in gewissen Hinsichten, das Allerhöchste für den Menschen. Selbst unsere Empfindungen, in allen ihren mannigfachen subjectiven Schattirungen, so wie in ihrem Lautwerden, gehören mit in das Gebiet der Gerechtigkeit; wofern man sich solche gestehen darf, vor seinem Gewissen, und selbst vor dem Throne des Allerhöchsten!

2. Auf Wesen und Sachen, nicht auf Worte kommt es an, wenn etwas geschehen soll; handeln, nicht reden, das ist die Hauptsache im Leben. Das Allgute soll gethan, und nicht blos besprochen und zersprochen werden. Auf Intelligenz und Handlung, auf Ordnung und Gerechtigkeit, stützt sich die Allmacht, so wie das ganze Weltall.

3. Was sein wird, fragst Du wißbegierig? Die allumfassende Antwort darauf vermag nur die Allwissenheit zu geben. Unnütz und schädlich aber ist es, daß der Schleier der Zukunft uns enthüllt werde. Der Mensch soll, ohne Unterlaß, sich nur damit beschäftigen, zu erlernen und wohl zu wissen: Was sein soll. Das Was? Warum? und Wie? soll er zu erkennen suchen; und dann auch, als ein braver Mann, darnach handeln. – Man wisse also [14] immer nur das recht, was man wissen muß; und man thue nur immer das richtig und kräftig, was man thun soll; alles Übrige ist unwichtig, zwecklos, und oft sogar verderblich.


Das sechste Kapitel.


1. Alles in Gott? Das ist die große Frage. – 2. Das Unerforschliche. – 3. Die Vereinigung mit Gott.


1. Alles in Gott! … Gott in Allem! … Alles von Gott! – – Das Gute also und das Böse wäre von Gott? Und dennoch ist Gott allgut und allweise? Wie kann man denn sich’s denken, daß Gott das Böse duldet? Der Allmacht ist ja Alles möglich; könnte denn wohl das Gute nicht ohne das Böse sein? –

2. Jedes denkende Wesen kann nicht anders, es muß sich diese inhaltschweren Fragen einmal vorlegen. Ist aber die Beschränktheit des Menschen-Geistes, im Vergleich mit dem Allweisen, einmal aufrichtig anerkannt; und läßt man sich über den Ursprung des Bösen, durch keine Fabel von der Büchse der Pandora mehr täuschen, so findet man auch bald, daß die [15] allerhöchste Wahrheit, so wie das allerhöchste Wissen, nur allein in Gott, dem Allerhöchst-Wissenden, in seiner ganzen Fülle und Klarheit sich befinde. Für jedes endliche Wesen dagegen ist die allerhöchste Wahrheit ein undurchdringliches heiliges Lichtmeer; aus welchem jedoch immer, wie unerforschlich es auch im Ganzen sei, die allerwesentlichsten Grundwahrheiten, für jedes zeitliche Wesen, wie Glanzstrahlen des ewigen Urlichtes, zur vollen Genüge ausströmen.

3. Sterblicher, vergiß es also nicht, daß Du dermalen ein noch gar kurzsichtiges Wesen bist! Hüte Dich vor dem Wahne, zu meinen: Du könnest mit den Schwingen deines Geistes dich bis zum Allerheiligsten erheben. Begnüge dich mit den dir verliehenen himmlischen Glanzstrahlen; sie sind für dich echte Gottesoffenbarungen; sie sind der Inhalt des Buches der Bücher; sie sind hinreichend, dich mit Gott und seiner Welt vertraut zu machen, und allinnigst zu vereinigen. Mehr zu wissen brauchst du nicht; und mehr aufzufassen vermagst du nicht; du würdest sonst dem großen Gedanken unterliegen; ja, du könntest wohl gar darüber bis zum Wahnsinn herabsinken. – O ihr Menschenkinder, seid also doch genügsam, auch in euren geistigen Bestrebungen! Vergeßt es aber nimmer: Daß ihr in Gott lebt, und Gott in euch! [16]

Das siebente Kapitel.


1. Die Selbstbetrachtung. – 2. Das Wechselleben. – 3. Die ewige Seligkeit.


1. Gehe hin, Freund des Wahren und des Schönen, gehe hin an die Quelle der Quellen, zum Buche der Bücher; das erste Wort, der erste Buchstabe in ihm, das bist du selbst. Doch hüte dich ja wohl, allzu lange und allzu oft an dieser Quelle zu verweilen. Es führt zur Vereinzelung deines Wesens; zur Schwermuth oder zum Hochmuth.

2. Blick’ um dich her und siehe: Welch’ eine unendliche, unzählbare Menge von Wesen giebt es, die da leben wie du, und Wohlsein wünschen wie du! Welch’ ein Anblick! Nicht zwei Blätter, nicht zwei Sandkörner, oder zwei Sonnenstäubchen sind einander völlig gleich. Alles ist überall und immer verschieden; die Wesen sind mannigfach verschieden, so wie die Wünsche und die Gedanken der Intelligenzen. – Jedoch nur mit und durch einander können alle Wesen und Dinge ihr Dasein erhalten, und sich selig fühlen. Aber auch mit und durch einander versinken alle Körper und Geister wieder in ein Meer von Verderbnissen und Leiden. Denn gegenseitig wird Alles geschaffen [17] und erhalten; und gegenseitig wird auch Alles wieder verderbt und zerstört.

3. Ein Grausen ergreift mein Inneres! Hier ein Entstehen, und dort ein leidenvoller Untergang. Welch’ ein Chaos! Und doch geht die Welt nicht unter; und doch sind Wohlsein und Seligkeit nicht blos möglich, sondern allerdings erreichbar und wirklich? Ja, sie sind erreichbar und wirklich, und zwar durch Ordnung und Gerechtigkeit, und durch göttliche Allmacht, welche überall im Reiche der Dinge und der Wesen herrlich walten.


Das achte Kapitel.


1. Die Ordnung. – 2. Die große Harmonie. –


1. Was Ordnung ist, fragst Du? Ordnung im allgemeinen ist die Zusammenstellung des Gleichartigen, um ein harmonisches Ganzes zu bilden. Bei den Intelligenzen kommen aber noch folgende Merkmale mit hinzu: Es muß ein jeder Theil zum Wohl, zur Schönheit und zur Seligkeit des Ganzen mitwirken; und das Ganze muß zum Wohl, zur Schönheit [18] und zur Seligkeit aller Theile da sein und dienen. Von diesen Bedingungen hängt alle Ordnung ab; und damit die einmal bewirkte Harmonie auch fortdaure, so ist es nothwendig, daß jedes Glied des Ganzen zum gleichartigen Theile, oder wenigstens doch zum Theilchen, einer größern Harmonie werde.

2. Ein Finger ist ein harmonisches Ganze, wenn man ihn an und für sich betrachtet; im Ganzen jedoch ist er nur ein Theil der Hand. Die Hand ist ein harmonisches Ganze, als solche; im Ganzen aber ist sie nur ein Theil des Armes. Eben so ist ein Arm auch nur ein Theil des Körpers, der zur vollen Harmonie eines Menschen mit gehört. Allein auch diese volle Harmonie, genannt Mensch, würde für sich allein allelend, und sogar verderblich und schädlich sein und werden, wenn sie, von einer höhern und umfassendern Harmonie sich abtrennend, nicht auch zum gleichartigen Theile, oder Theilchen, des größern Ganzen, d. i. der menschlichen Gesellschaft würde. So ist z. B. der Soldat, als solcher, und als Mensch, eine volle Harmonie in sich; in Beziehung aber ist er nur ein Theil seiner Compagnie. Die Compagnie dagegen ist ein Theil des Regiments; das Regiment ist ein Theil der Armee; die Armee ist ein Theil des Staats; der Staat ist ein Theil unserer Erdenwelt; unsere [19] Erdenwelt ist ein Theil des Weltall’s; und das Weltall endlich selbst ist wiederum nur ein Theil oder ein Ausfluß von der Allharmonie, d. i. von Gott.


Das neunte Kapitel.


1. Der Revolutions-Unfug. – 2. Die Scheidung in der Bewegung. – 3. Wo ist die Hülfe?


1. Alles Gute, Schöne und Selige wird allein, in allen einzelnen Theilen, so wie im Ganzen, durch heilige Ordnung und Harmonie bewirkt. Will aber je ein einzelner Theil abgesondert eine volle Harmonie für sich allein vorstellen; … es sei nun ein Finger, als der Theil eines Ganzen (vergl. Kap. 8.); oder ein Wurm, als ein selbstständiges kleineres Ganze; oder ein Mensch, als ein vollständigeres Ganze; oder eine Gesammt-Armee, als ein sehr bedeutendes Ganze, … dann geht alles bald vom Schlimmen zum Argen und Ärgsten über, weil ein einzelner Theil es unternimmt sich abzusondern, und fortan nicht mehr ein Theil, oder ein Theilchen, der größern Gesellschafts-Harmonie sein und bleiben will. Dann, o dann entstehen gar bald faulende Glieder, Krebsschäden und Scorpione, Banditen und Räuberhorden, Nerone und Aly-Pascha’s! [20] Solche Mißgeburten sind die Producte der Trennung und Unordnung; denn Unordnung ist es, welche alle Häßlichkeit und Schlechtigkeit, welche jeglichen Frevel, welche Jammer und Elend aller Art erzeugt. Millionen von Wesen gehen durch jene entarteten und heillosen Kinder der Unordnung unter; und die Unglück-schaffenden Unholde selbst, mögen sie auch eine Zeit lang so hoch glänzen wie sie wollen, die giftige Natter der Unseligkeit nagt an ihrem Innern; begraben werden sie alle, früher oder später, unter den Trümmern ihres fluchwürdigen Beginnens! So will es eine unsichtbare und ewige Ordnung der Dinge!

2. Bewegung ist Leben; alles Zeitliche lebt in einem bestimmten Raume, es bewegt sich in ihm, und ist bewegend. Eben deshalb nun wirkt Alles, wie Wohl oder Wehe sich offenbarend, wechselseitig auf einander ein. Alle zeitliche Wesen und Sachen würden daher bald einander aufreiben und in ein Chaos versinken, wenn nicht die göttliche Allmacht, in Ordnung und Gerechtigkeit, mit Weisheit und Liebe über sie wachte, auf sie einwirkte und durch Dissonanzen nur verwandelte. – Alles Gute, Schöne und Selige im Universum wird einzig und allein, durch jene göttliche Ordnung hervorgebracht; das Häßliche [21] und das Böse soll durch uns, in Thätigkeit, davon abgesondert, und also vermindert, oder auch wohl, wenn es möglich ist, ganz vertilgt werden.

3. Darum, o Menschheit, … Regenten, Gesetzgeber, Gottesgelehrte und Weltweise, … suchet die heilbringende Überzeugung zu gewinnen, für Euch und für alle Andere: Daß alle Wesen und Dinge das Princip und Kleinod der allerwohlthätigsten und folgenreichsten Wahrheiten in sich selbst tragen. Wie jenes Kleinod heiße, wollt ihr wissen? Gottheit, Weltall, Ordnung und Gerechtigkeit, das sind die leuchtenden Gestirne dieses Princips, welches allein uns Waffen giebt und Schutz gewährt, wider alles Häßliche und Böse auf Erden. In diesem Kleinod findet man die wahre Religion, d. i. die Allharmonie, die Quelle aller Seligkeit, das Paradies, und selbst den Himmel auf Erden!


Das zehnte Kapitel.


1. Das Geschehene. – 2. Die dunkle Zukunft. – 3. Die Wahrsagerei.


1. Alles, was geschah, das ist nach unabänderlichen Gesetzen der Wesen und der Dinge, durch Kampf [22] und Harmonie, vollbracht worden. Unvermeidlich also war es, und es mußte eben so durchaus nothwendig geschehen, als wenn zwei Sonnenstäubchen, oder zwei der größten Planeten, im Weltall sich in Harmonie aufwiegen; oder als wenn jene zwei Sonnenstäubchen ein einziges, im großen Raume allein umher schwimmendes, vereint überwiegen. Gottes Wage ist allrichtig, allzart, und allstark zugleich! Also stehet geschreiben im Buche der Bücher; und wer ein sicheres und wohlthätiges Wissen sich erwerben, und wer im Guten sich innig stärken und erheben will, der lese fleißig, so wie er lesen soll, in jenem großen Buche der Bücher.

2. Das, was sein wird, das weiß die Gottheit nur allein; zeitliche Wesen können das Zukünftige nicht wissen, und zum Wohlsein der Menschheit ist das auch nicht nothwendig. Ja, es ist dieses Nichtwissen selbst ein großes Glück für uns; denn, ein sicheres Vorauswissen der Zukunft würde uns entmuthigen, und das Gute entweder vermindern, oder wohl gar vernichten. Die schwächliche Ungeduld, ein kindischer Übermuth, so wie die Pein einer erwartungsvollen Einbildung, wirken oft gar nachtheilig auf uns ein. Alles Böse aber, wüßte man es als unabänderlich zum voraus, würde dadurch noch vermehrt werden; [23] und das sichere Vorgefühl einer trüben Zukunft könnte sogar unser ganzes Dasein vergiften.

3. Ist uns nun die Zukunft, zu unserem eigenen Heil, verborgen, o ihr Menschenkinder, wie könnet ihr denn die Wahrsager und Wahrsagerinnen dulden, oder wohl gar aufsuchen, und ihnen Gehör geben? Wehe euch, bei einer solchen wahnvollen Denkart! Wisset ihr nicht, daß alle Wahrsagerei und Zauberei Lug und Betrug sind; daß sie ein wahres Gift wider eure Ruhe und Zufriedenheit werden? Sagte Dir z. B. ein solcher falscher Prophet Tag und Augenblick eines furchtbaren Todes voraus, und Du wolltest es glauben, so gäbe es von Stund’ an keine Ruhe, keinen Frieden, und keine Freude mehr für Dich. Allen Martern des peinlichsten Todes würdest Du fortan unterworfen sein; und das Beste, was Dir, unter solchen Umständen, noch geschehen könnte, wäre: Daß Du geschwinder stürbest. Oder meinest Du, es sei besser, und das könne doch wohl auch einmal der Fall sein, wenn Dir ein Wahrsager, oder eine Wahrsagerinn, voraus verkünde: Die erste Krone der Erde solle einst Dein werden? Mit nichten! Denn würdest Du solches, als ein Leichtgläubiger, für wahr annehmen, so wäre es von nun an um Dein ganzes Lebensglück geschehen. Trugbilder des Wahnsinns würden mit Deiner [24] fieberhaften Phantasie grausam spielen, und Dein ganzes Leben würde Dir zum Giftborn werden. Gelangtest Du aber in der That, durch irgend einen Zufall, der freilich nicht mit berechnet werden kann, wirklich zu jener ersten Krone der Erde, … o des Glanzes und des Jammers zugleich; des Hochverrath’s und des unermeßlichen Meeres von Leiden! Nur eine Dornenkrone, und ein Dornenlager, würdest Du auf Deinem Throne finden. Krösus Schätze, und Tamerlan’s Macht, könnten Dir zu Gebote stehen, aber Du selbst, Unglücklicher, Du selbst würdest nichts mehr taugen; denn zu allem Guten würdest Du von nun an unfähig sein; ein Fieber-Wahnsinn würde Dir, in Überhebung, oder in Verzweifelung, ein wahres Marterloos bereiten!


Das elfte Kapitel.


1. Ne quid nimis, oder: Das Allzuviel. – 2. Das Vergangene und die Ewigkeit. – 3. Wer ist bereit? – 4. Die große Herrschaft.


1. Was wollt ihr denn, ihr Menschenkinder, so übermäßig hinauf und hinab geschraubt, um das Unerforschliche euch abmühen im Forschen? Wohin führt es doch, wenn ihr mit euren Kräften so weit zurück [25] zu schreiten euch erkühnt? Ist es nicht eben so unweise, als wenn man immerdar den Schleier der Zukunft vermessen zu lüften wagt? Getrübt wird durch ein solches Beginnen der Blick, und geschwächt wird der Muth und die Kraft für alles das, was sogleich gethan werden sollte.

2. In den Trümmern der Vergangenheit sich ganz zu vergraben, das ist nicht heilsam! Die Zukunft keck und frevelhaft durchdringen zu wollen, das ist sehr unweise! Besseres, und unendlich Höheres, ist den vernünftigen Wesen bereitet: Ewigkeit, selige Ewigkeit, ist ihre Bestimmung!

3. Nie, liebe Menschen, nie quäle euch jene unweise Wißbegierde, welche die Geisteskraft aufreizt, Alles zu erforschen, was die Zukunft geheimnißvoll in ihrem Schooße trägt. – Das Beste, was sich denken und wünschen läßt, unaufhörlich vorzubereiten, und anzuordnen, das allein ist eurer würdig, und gewährt dem Menschen oft eine himmlische Freude. Bereit sein, zu Allem was kommen wird, oder kommen könnte; das verleiht männlichen Muth, und gewährt uns wahre Ruhe der Seele. Bereit sein, Gutes zu empfahen, ohne es je zu mißbrauchen, weil Mißbrauch auch das Allerbeste verdirbt; bereit sein, [26] wenn das Böse über uns einbricht, und dann nicht kleinmüthig sofort zu klagen und zu verzagen; sondern das Böse entweder abwenden, oder es mit Heldenmuth ertragen; das ist die große Aufgabe für den Weisen! Denn manches Böse kann auf diese Art, wenn man es ernstlich will, von uns entweder vermindert und zerstört werden; oder man kann es, durch Weisheit und Heldenmuth, selbst in eine Quelle des Heils für uns umwandeln.

4. Um das Vergangene bekümmere dich nur dann, wenn Du fähiger und würdiger dadurch für das Gute werden kannst. Das allein, was nach Vernunft und Erfahrung sein kann; so wie das, was nach den ewigen Gesetzen der Ordnung und Gerechtigkeit, für Dich und Andere, sein soll und muß, nur das allein beschäftige Dich ernsthaft, in den Weihestunden Deines irdischen Daseins. Also lebe: Als würdest Du ewig hier sein. In einem jeden Augenblicke sei aber auch zu sterben bereit. So nur kannst Du Dir Ruhe, Wohlsein und ewige Seligkeit verschaffen; und zwar in jedem Momente Deines Fortwerdens, genannt Gegenwart. Durch diese Kunst allein gelangst Du auf den guten Weg, die Zukunft selbst zum voraus anzuordnen, zu gestalten, und zu beherrschen. Denn wer die rechten Mittel für die besten Zwecke [27] immer genau kennt, und solche zur wohlgewählten Zeit anwendet, mit Weisheit, in Ordnung und Gerechtigkeit, der ist der Allmacht Sohn, und göttlichen Geschlechts!


Das zwölfte Kapitel.


1. Die Gottessprache. – 2. Der offene Sinn. – 3. Die Weltwunder und die Verstocktheit.


1. Noch immer spricht Gott, überall im Weltall; noch nie hat er sich uns verborgen! Wer etwas Anderes behauptet, der ist entweder unfähig, irgend etwas Vernünftiges zu behaupten; der ist ein Betrogener, oder selbst ein Betrüger. Denn: Nie hat Gott aufgehört sich zu offenbaren! Aber die Menschen wollen nur allzuoft Gott nicht hören; und sehr oft verstehen sie auch Gottes Offenbarungen nicht. Die Gottessprache, welche sich überall vernehmen läßt, ist eben kein einzelner Dialekt, oder irgend eine menschliche Sprechart; sondern sie ist die Sprache der Wesen und der Dinge, mit ihren Wirkungen, Gegenwirkungen und Erfolgen. Göttliche Offenbarungen sind alle jene zahllosen und unaufhörlichen Wunder, in welchen die Wesen und die Dinge im Universum anfangen, fortdauern, und sich umwandeln.

[28] 2. Das einzige Ohr, welches dieses ewige Wort, oder diese Sprache Gottes, vernimmt, versteht und verstehen kann, ist: Das reine, gute Herz! Nur einem solchen Herzen sind fühlbar, klar und wohl verständlich jene ewigen Wunder, als wahre Gottessprache. Wehe dem, der dieses Ohres beraubt ist, und der nicht hört! Das einzige Auge, welches diese Wunder wahrzunehmen vermag, ist der lautere fromme Sinn; der unaufhörlich sucht und forscht nach der unendlichen Weisheit, im Reiche der Dinge und der Wesen. Und ob er dann auch nicht Alles erforschte, er wird doch diese Wunder Gottes wohl ahnen und weise benutzen, in Ordnung und Gerechtigkeit; für alle Andere, so wie für sich; vom Morgen bis zum Abend; in jedem Alter, so wie in jeder Lage des Lebens.

3. Das Wunder aller Wunder ist die Fortdauer dieser Welt, unserer Mutter Erde; so wie aller Welten, in den unendlichen Räumen des Himmels! Aber wer hat den rechten Sinn dafür, und wer achtet darauf, wie er es sollte? Die zahllosen Wunder Gottes, in jedem Augenblicke, die sieht und hört der Weltling nicht; weil sie ihm zu nahe liegen; und weil er oft viel zu gedankenlos, und viel zu undankbar ist. Athmen, fühlen, denken, sprechen und verstehen; leben, lieben und geliebt werden; Wonne und Seligkeit in [29] seinem Innern fühlen, und den Himmel selbst auf Erden finden; das Alles sind hohe Wunder, und herrliche Gottes-Offenbarungen! Und darauf sollte man nicht achten? Aber man sehe einmal auf die Menge, wie sie’s treibt! Sie tödtet ihre Gefühle, und wird matt; sie überspannt ihr Denken, und wird verrückt; sie hört und sieht schlecht, und sie begreift und versteht noch schlechter; sie spricht sehr viel, und sie weiß selbst nicht was sie sagt; sie liebt eigennützig und sträflich, und sie wird mit Hohn und Verrath belohnt; sie läuft sich unnütz außer Athem, und sie rennt eitel und elend dem Tode entgegen. O des Jammers, bei einem solchen Leben und Treiben! Darum, liebe Menschen, veredelt eure Wünsche und Bestrebungen; wachset in allerlei Erkenntniß des Guten, und belehret einander in Liebe. Ihr seid ja doch die besten unter den bekannten Wesen auf Erden! Merket auf die Wunder Gottes, die euch überall umgeben; Höret auf die Sprache Gottes; denn noch immer spricht Gott zu uns. Benutzet diese höhere Weisheit, für euch selbst, und für alle Andere, in Ordnung und Gerechtigkeit. Denn: Wer dieser Stimme nicht gehorchen will, der geht verloren; er eilt unvermeidlich seinem Verderben entgegen. Alle Künste und Wissenschaften der Welt; alle verrätherischen Raffinerien im Gesellschafts-Leben; aller Glanz und prahlender Pomp, können das Bessere im [30] Menschen nicht retten; sie unterdrücken und verderben es vielmehr; und Leiden und Qual aller Art finden dann die Weltkinder überall, statt Wonne, Himmel und Seligkeit. Wahrlich, wahrlich, so ist es!


Das dreizehnte Kapitel.


Die weise und die unweise Thätigkeit; – die süße Ruhe, und die Lethargie.


Es giebt keine wahre Ruhe, als die durch Thätigkeit errungene Ruhe; auch giebt es keine echte Thätigkeit, als die durch Ruhe geweckte Thätigkeit. Daher ist der Ruhe erster Schutz und Schirm die Thätigkeit; und der Thätigkeit erste Spannkraft ist die Ruhe. Man soll also thätig sein, um sich Ruhe zu verschaffen, und um sich solche zu sichern; ausruhen dagegen muß man, um seine Thatkraft neuschöpferisch zu stärken, und um neue Plane zu machen, für andere Richtungen seiner Kraft. Thätig soll man sein, um das Beunruhigende, Ungewisse, Hindernde, und alles Übel jeder Art, aus dem Wege zu räumen; ausruhen aber muß man, um sich mit neuer Kraft zu wappnen, um alles Gute jeder Art wirklich zu machen, und alles Übel jeder Art zu vermindern, oder [31] zu vernichten. Nur diejenige Arbeit, welche sich auf Pflicht und Sittlichkeit, vollbracht in Ordnung und Gerechtigkeit, gründet, ist wahre und edle Thätigkeit; und nur jenes erquickende und stille innere Wohlsein, nach einer solchen Arbeit, ist eine wahrhaft gedeihliche und erfreuliche Ruhe. Nur das rechte Ebenmaß der wahren Arbeit, so wie des innern echt erquicklichen Wohlseins, bewirken es, daß Glückseligkeit entstehen, aufblühen, und an Umfang, so wie an Gewißheit, gewinnen und immer zunehmen kann. Das ist es, was hier unter Thätigkeit in Ruhe, und unter Ruhe in Thätigkeit verstanden wird. – Jede andere Thätigkeit ist keine echte Thätigkeit, sondern: Fieber-Tollheit, Sünden-Wahnsinn, und Unsinn der Leidenschaften ist es, erzeugt von schimpflichen, schuldvollen oder verbrecherischen Irrthümern mancher Art. Jede andere Ruhe ist keine gedeihliche Ruhe, sondern todähnliche Schlafsucht nach dem Fieber, schlaffes Hinbrüten in der Faulheit, Geisteslähmung nach der schmachvollen Schande, oder Betäubung nach der Albernheit. – Wohl giebt es Sophisten, welche, aus losen Scheingründen, allerlei Meinungen verfechten, und so unter andern auch die zügellosen Leidenschaften, als Hebel menschlicher Thätigkeit, rühmen und höchlich anpreisen. So etwas kommt heraus, wenn Menschen, ohne gehörige Einsicht und Umsicht, aus bloßer Selbstsucht, [32] oder aus Systemliebe, Trugvernünftelei treiben. Sinnlose und halbwahre Behauptungen verwirren im Denken eben so sehr, als im Handeln. Darum mache man doch ja zwischen guten und bösen Dingen und Wesen immer den gehörigen Unterschied, und suche die Begebenheiten, als Folgen, immer aus ihren wahren Ursachen abzuleiten. Gar manches Böse, was sich die Menschen einander zufügen, kommt oft blos daher: Daß sie Genuß verlangen, ohne ihn zu verdienen, und daß sie Ruhe haben wollen, ohne ihrer durch Arbeit würdig zu sein.


Das vierzehnte Kapitel.


Der wahre Friede, und der gerechte Krieg.


Gedeihliche Ruhe ist der wahre Friede; und die nothwendige Thätigkeit ist der gerechte Krieg. Nur nach gerechtem Kriege ist ein wahrer Friede denkbar und möglich; und gerecht ist nur ein Krieg für wahre Ruhe. Im Frieden muß man sich daher gehörig kunstgerecht mit dem Kriege beschäftigen; und in jedem Kriege soll der wahre Friede einzig und allein das letzte Ziel aller Bestrebungen sein. – Ein jedes Einzelwesen sei wohl auf seiner Huth: Gegen sich selbst, [33] gegen die Seinen, so wie gegen alle Wesen und alle Dinge, im Kreise seines Wirkens. Nie indeß bleibe es unbeachtet: Daß oft auch ein festes und wohlangebrachtes Vertrauen, für bessere und höhere Wesen, zur Leben-erzeugenden Quelle edler Gesinnungen und Thaten werde. – Zum Kampfe wider das Böse soll ein Jeder immer vorbereitet sein; der Geringste wie der Höchste, bis hinauf zum Staatsoberhaupte. Mit dem einen Fuße kann man auf der Erde im milden Frieden stehen, den andern aber muß man immer zum gerechten Kriege aufzuheben bereit sein. Ein jeder Krieg anderer Art ist heillos, und wird gar leicht in Räuberei und Vandalismus ausarten. Nenne man die egoistischen und gallsüchtigen Fehden, Zwei- und Vielkämpfe, wie man will, philosophische, ecclesiastische, poetische, litterärische, artistische, oder politische; sie tragen alle den Keim des Bösen in sich. Ein Friede mit dergleichen Parteien geht gewöhnlich bald zu Ende, und ist nicht selten ein höchst gefahrvoller Zustand. Die Streitaxt solcher Kämpfer ist fast immer aufgehoben, und bereit den Todesstreich zu vollenden. Ein Vulkan ist, im Verkehr mit dieser Art von Menschenkindern, unter unsern Füßen, welcher jeden Augenblick sich zu öffnen und uns gierig zu verschlingen droht.

[34] Die Beschlüsse der Allmacht für unser Geschlecht tiefer und erschöpfend zu durchdringen, das ist uns nicht erlaubt; wohl aber sollen wir im Schweiße unseres Angesichts, … das ist: pflichtgetreu mit der Erde und den Elementen ringend, … säen und ernten, in die Scheunen sammeln, aufbewahren, und das Errungene zum Wohlsein für uns und Andere, mit Überlegung und Liebe, verwenden. Es ist der Allmacht ewiger Beschluß: Nur im gerechten und unaufhörlichen Kampfe wider das Böse unserem Geschlechte den wahren Frieden zu gewähren. Erhaben, und selbst tröstend, sind diese Wahrheiten! Aber nur angedeutet ist hier Einiges; der denkende Leser wird aus diesen Bruchstücken vielleicht mehrere Nutzen stiftende Folgerungen ziehen.


Das fünfzehnte Kapitel.


Die Sirene Belohnung und das wahre Verdienst.


Que causa que? oder: (wie man in Languedok spricht) „Was ist’s denn?“ … Je nun, so laß doch sehen, du Vogel Belohnung, wer und was du denn eigentlich bist; aber nicht was du in deinem [35] Gaukel-Gewande zu sein scheinst. Vorgenommen hab’ ich es mir nun ein Mal, die Dame Belohnung so recht in’s Auge zu fassen, und genau in der Nähe zu betrachten.

Das Reich deiner Umtriebe ist von gar weitem Umfange; und viele Jahre deiner Herrschaft zählst du schon. Aber du herrschest ja nur durch Verführung und Täuschung; und schon dieß mag hinreichen, den Flitterstaat deines Gefieders zu verdunkeln, mit welchem du dein Innerstes, das nur Verderbliches birgt, zu verbrämen suchst. Genug also, um den Trug deines lockenden Gesanges, der das ganze Wesen der wahren Gesundheit des inwendigen Menschen berauscht und untergräbt, zu offenbaren.

Seit du die Welt regierest, grausame Sirene Belohnung, haben da wohl jemals Weisheit und Tugend mit dir zu Rathe gesessen? Haben nützliche Kenntnisse, reine Liebe, und treue Erfüllung der Pflichten, vor deinen Altären wohl jemals die Knie gebeugt? Oder: Bist du wohl, irgend ein Mal, dem wahren Verdienste freundlich entgegen gekommen, um ihm den Preis und die Huldigungen zu gewähren, die ihm gebühren? O gewiß nicht, das thut die Sirene Belohnung nun und nimmermehr!

[36] Das wahre Verdienst handelt immer nach Grundsätzen, d. i. aus höheren Beweggründen: Aus Anerkennung des Guten, so wie aus Liebe zur Pflicht, zur Ordnung und Gerechtigkeit, das heißt: Weil Weisheit und Tugend es ihm, als absolut, gebieten.

Du aber, grausame Sirene Belohnung, du häufest nur Schätze auf Schätze, um sie an Günstlinge zu verschwenden, welche zu heucheln und zu schmeicheln verstehen; oder um sie unter Thoren zu vergeuden, die du verblendest, damit sie dir, als blinde Werkzeuge der Selbstsucht, um so williger dienen. Gimpel suchst du zu verlocken, durch deine Scheingüter, um die Einfältigen noch mehr irre zu leiten, und blos knechtisch dienende Werkzeuge aus ihnen zu machen. Ja, sogar die junge Welt verblendest du bisweilen mit deiner Lockspeise, und machst aus ihnen Gauner und Verruchte, die, mit dem Dolche in der Hand, dich selbst zwingen, daß du, auf Gnade oder Ungnade, dich ihrer Willkühr ergebest.

Und so geht denn der Weltlauf, wie er zu gehen pflegt, d. h. die allerelendeste Selbstsucht sitzt am Ruder des Großthuns; der Eine ist verblendet, wie der Andere, und sucht seinem Nächsten rücklings nur gewisse Streiche beizubrinen, um solche desto furchtbarer [37] selbst wieder zu bekommen; sei es von irgend einem schlauern, oder glücklichern andern Bösewichte.

Das wahre Verdienst bleibt, bei solcher argen Verkehrtheit, dann gewöhnlich unerkannt. Auf dem himmlischen Pfade der Pflicht beharret es wohl; aber leider, ohne alle Fortschritte bleibt es. Es vermag die Göttlichkeit seiner Kraft, welche nach Ausdehnung strebt, nicht glorreich in Wirksamkeit zu setzen; um die Welt mit himmlischen Früchten zu erfreuen! Der Weg ist ihm versperrt, von Günstlingen und Bevorrechteten; von kecken Idioten und schmeichelnden Augendienern jeder Art.

O ihr Häupter, Gesetzgeber, Bildner und Vertreter der Völker, … ihr seid ja alle, eurer Natur und Bestimmung nach, göttlichen Geschlechts, … stürzet die ungerechte und nur nach Gunst handelnde Sirene Belohnung, als verführenden Geist der Erde, von ihrem Throne der Finsterniß herab! Zertrümmert alle ihre unheiligen Altäre, und errichtet statt ihrer dem wahren Verdienste geweihte Tempel. Sammelt in diesen heiligen Hallen dann alle Schätze des Überflusses, und spendet sie aus nach den Gesetzen einer höhern Ordnung der Dinge.

[38] Die zuerkannte, und angewandte Gerechtigkeit, sie sei fortan das leitende Princip, und das immerwährende Palladium der Menschheit! – Dem Bösen dagegen versperret den Weg; schlagt es nieder mit dem Fluche der Unfruchtbarkeit! Ein strenger Unterschied werde immerdar gemacht, zwischen den guten und den bösen Dingen und Wesen; man scheide sie beide von einander; so wie solches mit der Ordnung und Unordnung im Kriegsdienste geschieht. Denn: Das Böse verhindern, und ernstlich bestrafen, das heißt: Gerecht sein; das heißt: Das Gute in Aufnahme und zur Blüte bringen!

Sich wohl für das Gute bestimmen; jedoch einzig und allein nur deswegen: Um dafür belohnt zu werden; das ist ein sehr unreines Motiv, und eben nicht viel besser, als wenn man sich mit den genuesischen Banditen verbindet, und für etliche Zechinen einen Gerechten ermordet; um sich selbst, und dem Verruchten, welcher dingt, einen Gefallen zu thun; oder in der Einbildung, die Gerechtigkeit Gottes zu handhaben.

Heil daher allen denen, welche auch ohne Begünstigung der Sirene Belohnung unabhängig leben, und zu leben sich bemühen! – Nur im Kreise der [39] warhaft Edeln und Guten kann und soll der höher gesinnte Mensch sich gefallen. Allen Umgang mit den blos selbstsüchtigen und erzbösen Kreaturen soll man dagegen verabscheuen, und ihn vermeiden, so viel es möglich ist. Denn nur diejenigen, welche, ohne entehrenden Eigennutz, in Ordnung und Gerechtigkeit, ihre Pflichten erfüllen, und Wohlwollen mit Liebe und Weisheit ausüben, die sind es, welche im Lichte wandeln, und, als geschaffene Wesen, selbst der schaffenden Gottheit ähnlich zu werden suchen.


Das sechszehnte Kapitel.


1. Die Furie der Strafen. – 2. Der schlaffe Gutmüthige und die Verruchtheit. – 3. Der Preis und die Leistungen. – 4. Exempla illustrant.


1. Von Strafen soll die Rede sein? – Wort und Sache sind furchtbar! Höchst verderbliche Verirrungen, und genug Mißbrauch der Gewalt, haben sie schon unter den Menschen veranlaßt! Selbstsucht, Haß und Rache, als Instrumente aus der Hölle, haben sie gemißbraucht.

2. Der schlaffe Gutmüthige, d. i. der gewöhnlich sogenannte gute Mensch, lehnt sich daher immer wider [40] alles Bestrafen auf. Allein die schlaffe Gutmüthigkeit, welche oft blos aus Schwäche und Furchtsamkeit entsteht, veranlaßt nicht minder Böses. Durch Unbesonnenheit wird sie des Bösen selbst theilhaftig, und dann auch mit verdammlich. Gerade diese Schwäche des Charakters ist es, welche den Hochmuth und die Selbstsucht vorzüglich durch Belohnungen zu gewinnen sucht; wie eitel ein solches Hinhaltmittel des Eigennutzes auch sein mag. Zu allem frühern Übel fügt eine solche Gutmüthigkeit dann auch noch das neue mit hinzu: Daß sie für das Böse in ihren Lohnspenden sich erschöpft, und nichts mehr übrig behält, um das Gute zu unterstützen und aufzumuntern. – Der Lasterhafte und Verruchte dagegen bemächtigen sich oft des Wortes, so wie der Sache, „Strafe;“ um ihre unerlaubten Zwecke, durch Drohungen und Furcht, desto leichter zu erreichen; um ihren Lüsten zu fröhnen, und alles mögliche Böse auch wirklich zu machen. So wird gar oft in der Welt die Gewalt mißbraucht!

3. Dem Verdienste gebührt edle Anerkennung. Auf diese folge dann: Ein den Leistungen angemessener Preis, der in Gerechtigkeit bestimmt und ertheilt werden muß; und durch Edelsinn und Hochherzigkeit gesteigert werden kann. Ein solcher Preis ist es, welcher Talente und Verdienste weckt, und das Beste der [41] Wesen und der Dinge mit göttlichem Sinne befördert! – Bestimmte Leistungen aber, über welche man in Gerechtigkeit mit einander überein kam, welche jedoch von dem einen, oder dem anderen Theile, nicht erfüllt wurden, verdienen keinen Preiß. Man kann es daher auch nicht Strafe nennen, wenn man, unter solchen Umständen, eine Preisertheilung versagt. Denn wenn, statt der gerechten Leistungen, Treulosigkeit und vollendeter Betrug ihr Unwesen treiben, so wird dadurch ja eitel Böses veranlaßt, und man ist vielmehr durch das Gewissen verpflichtet, solches zu unterdrücken, und zwar dadurch, daß man es eines jeden Preises für unwerth, oder für verlustig erklärt. – Gerechtigkeit werde anerkannt, und zuerkannt, in allen Verhältnissen des Lebens! Auch die erhabenste Güte, so wie ein himmlisches Erbarmen, setzen die strengste Gerechtigkeit voraus.


4. Seit ich denke und wirke; seit ich mehr oder weniger Vorgesetzter und Familien-Oberhaupt bin, habe ich niemals, einem innersten Triebe zufolge, irgend Jemanden bestraft. Überzeugte ich mich aber, daß es die Pflicht gebiete, hier oder da strenge Gerechtigkeit in Anwendung zu bringen, dann setzte ich sie auch sofort unerbittlich in’s Werk, und litt oft schmerzhaft selbst dabei. Der Erfolg dieses Verfahrens hat meinen [42] Erwartungen immer entsprochen; ja, er war oft noch weit erfreulicher, als ich es selbst zu hoffen wagte.


Das siebenzehnte Kapitel.


Dankbarkeit, Selbstverläugnung und Undankbarkeit.


Dankbarkeit ist der ursprüngliche Adel der Menschennatur; Undankbarkeit dagegen ist Zernichtung der Menschenwürde, ist Pöbelhaftigkeit und Verworfenheit.

Jedes neue Aufgehen der Sonne soll uns ermuntern, zum Danke gegen die Allgüte und Allursache der Wesen und der Dinge, die Gottheit. Denn sie ist es, welche jenes große und wohlthätige Gestirn hervorbrachte, und ihm seinen Lauf anwies, der eben so regelmäßig als fortdauernd ist. – Wohl kann man behaupten, daß Dankbarkeit die Grundlage aller besseren Gefühle und edleren Regungen des menschlichen Gemüthes bestimmen.

Mit diesem wahren Adel der Menschennatur steht aber auch die hohe Selbstverläugnung im Bunde, durch welche die reine Dankbarkeit noch mehr zur Thätigkeit und Beharrlichkeit ermuthigt wird. Insbesondere [43] nothwendig ist ein hochherziges Verzichtleisten bei den Gewaltstreichen der Undankbarkeit, jener eigentlichen Verworfenheit des Menschen, welche gar oft Ursache des heillosesten Übels wird. Dankbarkeit und Selbstverläugnung sind daher religiös-heilige Pflichten.

Mit der Dankbarkeit, so wie mit der Selbstverläugnung, sind auch noch folgende Verpflichtungen auf das unzertrennlichste verbunden; erstlich: Nie soll man auf die Dankbarkeit der Menschen Anspruch machen; denn blos aus dem zweideutigen Beweggrunde der Wiedervergeltung handeln, heißt: Verächtlich eigennützig sein. Die Pflicht gebietet: Alles Gute wirklich zu machen, ohne Furcht und Hoffnung, wo und wie man es kann. Dasselbe gilt auch von der Vermeidung und Verminderung des Bösen. Zweitens: Nie soll man Jemanden seine Undankbarkeit vorwerfen, und noch weniger soll man daran denken, sie zu bestrafen. Denn solches zu wollen oder zu thun, das wäre ja eben so viel, als wenn man Jemanden seine Häßlichkeit vorwerfen, oder ihn deshalb sogar bestrafen wollte.

Die einzige Erwiederung, welche man der Verworfenheit des Undanks entgegen stellen kann, ist: tiefe Verachtung, als Lehre für die Zukunft! [44]


Das achtzehnte Kapitel.


Die Verachtung


Es ist etwas Erhabenes und Großes um die Verachtung! In ihr ist jene ewige und edle Mäßigung begründet, die wider alle unweise Übereilung und Übertreibung jeder Art schützt.

Verachten heißt, in der wahrhaften Sprache der Wesen und der Dinge, so viel als: Etwas moralisch vernichten, oder es für seine Person Null und nichtig machen. Verachten heißt: Sich von einem verachtungswürdingen Dinge oder Wesen ein für allemal los und ledig fühlen und erklären; ohne weiter nöthig zu haben, sich ferner darum zu bekümmern; ohne sich ihm widersetzen zu müssen, um es auf einen andern Weg zu leiten, oder es durch Kampf zu zerstören.

Ein solches passives Verhalten und Verachten kann indeß nur da, und so lange, Statt finden, als der Gegenstand der Verachtung es sich nicht einfallen läßt, und wohl gar eigensinnig dabei beharret, uns den Weg der Ordnung und Gerechtigkeit zu erschweren, oder selbst zu versperren. So lange uns die [45] sittliche Möglichkeit dazu übrig bleibt, müssen wir die ganze Atmosphäre meiden, oder fliehen, welche durch ein Wesen verpestet ist, das wir im vollen Sinne des Wortes verachten.

Daß es aber in dieser Hinsicht mehrere Abstufungen und gar zarte Schattirungen giebt, das versteht sich von selbst. Alles Gute hat an sich ein volles Recht, das Böse zu verachten; denn es giebt gar mancherlei Fälle, in welchen das Gute, um des Guten willen, sich von der Pflicht, gegen das Böse zu Felde zu ziehen, lossagen darf.

Das Böse dagegen verachtet das Gute nicht, und kann es nicht verachten. Da nun aber das Böse gezwungen wird, das Gute wider Willen zu achten, so bemüht es sich, dem Guten zu schaden, so viel es kann; es sucht dasselbe zu vernichten, und aus dem Wege zu räumen. Und dazu wird dann alle Kriegslist angewandt; es werden Bündnisse gestiftet, und alle Leidenschaften und Laster rüsten sich, und ziehen zu Felde. Neid, Schadenfreude, Haß und Rachsucht erheben sich, mit in den Kampf zu ziehen, wider das Gute; und das Feldgeschrei dieser Rotte ist: „Es lebe die Freiheit und die Gleichheit; es lebe die Selbständigkeit und die Natur!” Das heißt: Es lebe [46] die Frechheit und die Tollheit; es lebe die Zügellosigkeit und die Bestialität! Dann wird, von aller Pflicht und Tugend ganz entbunden, bald mein sein, was jetzt dein ist; und Alles wird so recht darunter und darüber gehen! Das sind die frevelhaften Wünsche der gottlosen Frechheit.


Das neunzehnte Kapitel.


Ein hundert Gnomen und Aphorismen, in zehn Dekaden.


1. Die guten und schlechten Verhältnisse.

Weit besser ist es, mit dem Pöbel in schlechten, und mit sich selbst, so wie mit einigen Freunden, in guten Verhältnissen zu stehen; als mit dem Pöbel in guten, und mit sich selbst in schlechten Verhältnissen zu leben.


2. Das Heulen mit den Wölfen.

Mit den Wölfen heulen, darf man nur so lange, als es eben nöthig ist, um nicht von ihnen erwürgt zu werden. [47]


3. Die wahre Verlegenheit.

Will man weder ein Betrüger, noch ein Betrogener sein; weder ein Schelm, noch ein Narr; o, wahrlich! dann wird man oft recht böse auf dieses Erdgetümmel, und man weiß kaum mehr, was man mit sich selbst anfangen soll.


4. Gut und klug

Willst Du sehr gut sein, so mußt Du auch sehr klug sein. Gut sein ohne Klugheit, ist Dummheit.


5. Weise und glücklich

Wer mehr glücklich, als weise, zu sein verlangt, der hat sehr Unrecht.


6. Talent und Himmel.

Wo Geist, Talent und Reiz die hohe Tugend zieren,
Da wird die Gottheit selbst ihr Kind gen Himmel führen.


7. Talent und Hölle.

Wo Geist, Talent und Reiz das arge Laster schmücken,
Da wird die Hölle selbst ihr Schooskind bald entrücken.


8. Das Thierische im Menschen.

Es ist in Wahrheit ein inhaltschwerer Grundsatz: Gewisse Menschen, in gewissen Verhältnissen, gerade [48] zu wie Thiere zu behandeln. Aber ja wohl verstanden und richtig angewandt will dieser Grundsatz sein.


9. Bitte des Verfassers.

Spricht der Verfasser dieser Andeutungen bisweilen in einem Tone, der eben nicht gefällt, so mag man ihm das nicht gehässig verargen, denn seine Absicht war rein und gut. Glückte es ihm aber, sich hier und da bisweilen gut und wohlgefällig auszusprechen, so gebührt das Verdienst davon nicht ihm, sondern der Gesammtheit aller guten Wesen und Dinge, von welchen und durch welche er sprach; und ist es denn nicht auch eine gar süße Freude, jenen mit anzugehören?


10. Der Unwandelbare.

Mit einem Schwerte kann man wohl das Herz des Guten spalten; nie aber ihn zu einem Meineid zwingen! Mit einer Keule kann man wohl des Edlen Haupt zerschmettern, nie aber ihm des Irrthums Last aufbürden! [49]


Das zwanzigste Kapitel.


11. Der Glückliche.

Wohl dem, der in Fried’ und Freundschaft lebt mit seinem Gewissen, mit seinem Magen, und mit seinem Bette.


12. Der größte Thor.

Thöricht sind und handeln die Menschenkinder alle, mehr oder weniger. Derjenige aber, der über Andere lacht, und sich selbst, in seiner Thorheit, doch für den Klügsten hält, der ist gewiß der größte Thor.


13. Arm und unglücklich.

Glück bedarf man gerade nur so viel, als eben nöthig ist, um nicht völlig unglücklich zu sein. Vermögen ist nur in so weit wünschenswerth, als solches unumgänglich nothwendig ist, um eben nicht ganz arm zu sein.


14. Die berühmten Menschen.

Ließt man die wahre Geschichte berühmter Menschen, so kann man sich wohl ihre guten Eigenschaften wünschen, auf keinem Fall aber ihr Schicksal.


15. Das wohlthätige Alter.

Alte geistvolle Leute können sich nur unter denjenigen Personen wohlgefallen, welche sie jung gekannt [50] haben; nur in solchen Verhältnissen bleibt das Alter noch eine erfreuliche Wohlthat.


16. Was ist schön?

Alles Schöne ist nur dann vorzüglich schön, wenn es, vom Nützlichen hervorgebracht, selbst wieder recht gute Kinder hat.


17. Was sollte man wissen.

Man weiß durchaus nicht, wie man als geistiges Wesen in diese sonderbare Unterwelt gekommen ist; aber wissen sollte man früh und immer, wie man mit Ehre wieder hinaus kommt.


18. Was ist zu thun?

Daure aus, mein Bester, und warte die Erfolge Deiner wohlüberdachten Bestrebungen ruhig ab. Geduld, Überlegung und Muth, das sind die besten Waffen im Kampfe des Lebens.


19. Der Anti-Egoist

Wehe dem, der allein, und mehr für sich, als für alle Andere, oder für einen Andern, oder auch nur für irgend eine Sache, leben will. Denn nur dann, wenn man für irgend eine gute Sache, oder für irgend ein anderes Wesen, oder für alle andern Menschen, als höhere Mitgeschaffene, mehr lebt und [51] leben will, als für sich allein; dann, nur dann lebt man am besten für sich.


20. Was ist besser als Gold.

Jene himmlische Gewalt der Ordnung und Gerechtigkeit ist es, die es bewirkt, wenn man in und mit derselben freudig lebt und handelt, daß die gutgeordnete Hütte des ärmsten Landarbeiters weit mehr Freude gewährt, als Nero’s Goldpallast!


Das ein und zwanzigste Kapitel.


21. Die wahre Philosophie.

Was für mich die Philosophie sei, soll ich aussprechen? Das ist, nach meiner Ansicht, die Offenbarung einer echt praktischen Philosophie: Was ein Jeder in sich und für sich selbst ist und sein kann; und was er dann im schönsten Lichte, so wie die allbelebende und erwärmende Sonne, auch auf Andere wieder überstrahlt.


22. Die Vielwisserei.

Wehe dem guten, edlen und gefühlvollen Wesen, das da Viel wissen muß! Je mehr man lernt, desto mehr wird oft das Gefühl schmerzhaft verwundet, das [52] Herz grausam zerrissen, und der Geist verzweiflungsvoll niedergebeugt; wofern man nicht durch das echte Wissen selbst bis zu einer neuen Geburt durch den Geist gelangt.


23. Das Leben in Andern.

Du bist ganz mein; und ich bin ganz Dein! Wer das mit voller Gewißheit und Wahrheit, mit Sittlichkeit und mit reinem Gemüthe sagen kann, der hat das größte äußere Gut des Lebens errungen; der hat den Himmel auf Erden! Alle übrigen Güter, ohne diesen wahren Schatz unseres Daseins, sind gewöhnlich sehr unbedeutend.


24. Die Sparkasse.

Eine Sparkasse für würdige Arme, in einer jeden Familie eingeführt, das wäre gewiß etwas sehr Gutes!


25. Die Schöpfung mit Erfolg.

Um Etwas zu erschaffen mit gutem Erfolg, muß man aufhören das zu sein, was man ist; um ganz das zu werden, was man hervorbringen will.


26. Die Vorherbestimmung.

Nicht die Menschen sind es, welche große Begebenheiten hervorbringen; sondern die Begebenheiten [53] sind es, welche große Menschen hervorbringen. Alle Begebenheiten aber sind immer als gewisse Folgen des Vergangenen zu betrachten, und insofern in den Wesen und Dingen, nach unwandelbaren Gesetzen, vorherbestimmt. Beide, die Wesen und die Dinge, umwandeln also ihren Naturgang; sie offenbaren sich und die Begebenheiten finden Statt.


27. Gelehrt und verkehrt.

Je gelehrter, kann man bisweilen sagen, desto verkehrter; je verkehrter, desto eitler; je eitler, desto hochmüthiger; je hochmüthiger, desto übermüthiger; je übermüthiger, desto verblendeter und vermessener, und dann dem Falle nahe. Die bloße Gelehrsamkeit, als solche, ist gewöhnlich nur ein Wörter-Foliant, welcher, mit heller Einsicht und guten Grundsätzen, trefflich benutzt werden kann; als todte Masse aber hat die Gelehrsamkeit gewiß sehr wenig Werth.


28. Das kluge Geheimniß.

Sei immerhin in Dir und für Dich selbst, was Du zu sein vermagst, und was Du, nach reiflicher Überlegung, für’s Beste hält’st. Andern aber offenbare Dich ja nie in allen Stücken. Einer geliebten Person z. B. erscheine immer nur im Lichte des reinsten Wohlwollens und des Rechtthuns.


[54]
29. Hoffen und verzweifeln.

Wer zuviel hofft, der täuscht sich nicht selten, bis zur Verzweifelung! Willst Du also nie in Verzweifelung gerathen, was immer sehr unwürdig ist, so sei nicht thöricht im Hoffen. Vertraue dagegen, in allen möglichen und wirklich guten Dingen, der allliebenden Gottheit; sie ist Dir nahe, und spricht durch Dein eigenes Herz.


30. Heroismus der Tugend.

Sei immer denkend und thätig, so viel als möglich, und suche in Allem das Gute zum voraus anzuordnen, und dadurch gleichsam vorher zu bestimmen. Allem Bösen dagegen beuge vor, so viel du kannst; oder zernichte es, wenn Du es im Stande bist. Auf solche Weise gerüstet wirst Du immer wacker und fähig sein, das Gute freudig hin zu nehmen, ohne es je zu mißbrauchen. – Kühn wirst Du dagegen, wenn es Noth thut, dem unvermeidlichen Bösen die Stirn bieten, und es … als ein Held des Guten, zu besiegen wissen.


[55]

Das zwei und zwanzigste Kapitel.


31. Das Gebet und die Religion.

Gott danken, und Gott vertrauen, immer, überall, und unwandelbar; … das heißt beten, und Religion haben; das heißt in Gott leben! Also stehet geschrieben im Buche der Bücher.


32. Die Gestirne des Lebens.

Denken und Arbeiten; und dann: Muth, Geduld und Vertrauen auf Gott, … das sind die leuchtenden Gestirne, in der dunkeln Nacht des Erd-Lebens, die unsern Pfad erhellen zum wahren Leben im Osten der Ewigkeit.


33. Die Gotteserkenntniß.

Erwirb Dir Gotteserkenntnisse, durch eine höhere Anschauung Deines Geistes, wie und wo Du es kannst, immer mehr und mehr; dann wirst Du die Werke Gottes, als heilige Offenbarungen, bewundern und die Gottheit lieben lernen; dann wirst Du ihr vertrauen und sie anbeten; muthig dulden und hochherzig ausharren; dann wirst Du Ruhe für Deine Seele, und ein Himmelreich in der Anschauung, so wie im Denken finden!


[56]

34. Die Tugend als die höchste Kunst.

Deine Pflichten lerne kennen, lieben, und in allen Verhältnissen des Lebens getreulich ausüben. Das Tugendleben ist für den Menschen die höchste Kunst und Wissenschaft. Wer die Gebote der Tugend erfüllt, der erreicht das höchste Gut im All!


35. Die nothwendigen Fragen.

Was ist das, was ich außer mir wahrnehme? – Warum und wozu ist es da? – Wie verhält sich dieses Wesen oder diese Sache zu seiner Umgebung, und zu allen übrigen Wesen und Dingen? – Was folget daraus für mich, als Grundsatz für mein Handeln? – So sollte man, wenn man nicht gedankenlos in die Welt hinein leben will, immer bei allen Dingen fragen.


36. Der Furchtlose.

Der Bösewicht hat Alles zu fürchten, selbst seinen eigenen Schatten. Der Gerechte fürchtet nichts; er ist blos auf seiner Hut.


37. Gewohnheit und Grundsätze.

Gelegenheit macht Diebe; sie ist es, welche die meisten Menschen verführt. Das gute Beispiel allein ist selten ein ausreichendes Mittel zum beharrlichen Gutsein; und noch weniger zur Besserung. Ja, [57] selbst die hochgepriesene Erfahrung nützt oft wenig. Die gute Gewohnheit, und wohlverstandene und in’s Leben übergegangene Grundsätze, sie sind es, welche den Menschen schützen und bewahren können vor dem Bösen.


38. Die Religion und ihre Formen.

Religion und Kirchenthum mit einander nachtheilig vermengen, heißt: Wesen und Sachen mit Form und Zeichen verwechseln. Reines Gold und reine Liebe, ohne Zusatz, bleiben immer was sie sind; und wenn auch ihre äußere Form in unendlicher Gestalt erschiene. Mit Religion und Kirchenthum verhält es sich eben so. – Die reine Tugendlehre des göttlichen Stifters unserer Religion, ist allgemein-menschlich, und deshalb ewig; sie ist ein Feuer-Meer voll göttlichen Licht’s, und leuchtet heller als die Sonne am Firmament; sie erwärmt und belebt alle edlen Pflanzen im Reiche der Geister, und verleiht ihnen Wachsthum und ein fröhliches Gedeihen. Pfleget sie also, diese herrliche Gotteslehre, mit Einsicht und mit treuer Liebe! Schaffet Gutes, wie sie es gebietet, im weitesten Sinne des Wortes, und die wahre Religion wird euch erfreuen; und ein belebendes und himmliches Licht wird euch erleuchten, bis in eine höhere Ordnung der Dinge!


[58]
39. Der Sectengeist.

Was ist eine Secte? Gewöhnlich ist es eine Anzahl betrogener oder betrügender Thoren; angeführt und geplündert von einem oder einigen Unredlichen oder Besessenen. Mit Recht hat also wohl jeder Mann von Kopf und Herz einen innigen Widerwillen gegen allen Zwiespalt und Sectengeist.


40. Zum Denken und Nachdenken.

O Allmacht! O Ursache der Ursachen! Ich bete Dich an; aber ich bitte um nichts. Lieben kann ich Dich nur; und unbegrenzt ist mein Vertrauen! Danken muß ich Dir unaufhörlich, für Deine zahllosen Wohlthaten; freudig will ich sie genießen; aber immer werd’ ich mäßig und genügsam leben. Soll ich leiden, so werd’ ich dulden, so lange und so viel ich es kann; ohne Aufhören aber will ich thätig sein für das Gute. Alles, was da war und fortdauert, das hast Du, o Allmacht, mit ewiger Liebe in seiner Höhe und Tiefe, in seinem Raume und in seiner Dauer, mit Deiner unerforschlichen Weisheit, schon zum voraus angeordnet. Alles, was sein wird, das steht allein in Deiner Hand! Nur das, was sein soll, das ist mein Zweck und die Triebfeder meiner Handlungen. Meine Pflichten gegen Alle, und die Pflichten Aller gegen mich, werde ich immer suchen [59] besser kennen zu lernen, wohl zu erwägen, und dann gewissenhaft zu erfüllen. So lebt der Greis; so will er leben; Dir vertrauend, in der Gegenwart ruhig und allgewiß, das ist ewig!


Das drei und zwanzigste Kapitel.


41. Der Nachruhm.

Im guten Andenken der Nachwelt leben, das ist gewiß ein edler Wunsch, und keine blos eitle Sehnsucht. In der Zukunft mit Ehre leben, heißt: Schon die Gegenwart besser genießen; in der Zukunft mit Schande leben, heißt: Schon in der Gegenwart mit einer düstern Aussicht leben.


42. Das Leben und die Ehre.

„Man muß leben und leben lassen,” hört man oft sagen. Nun ja! Aber mit Ehre soll man leben, und auch mit Ehre soll man leben lassen. Nur in diesem Falle ist es erfreulich und ersprießlich zu leben; sowohl für uns selbst, als für Andere.


43. Dank und Undank.

Die meisten Menschen sind sehr undankbare Geschöpfe; man vergilt ihnen dann wieder mit Undank, [60] und beide Theile bleiben einander nichts schuldig. Der eine ist heute undankbar, und morgen ist man es wieder gegen ihn. Jeder Undankbare wird immer wieder mit Undank bezahlt, und so gleicht sich Alles in dieser Welt aus, sogar unter den schlechten Kreaturen.


44. Weisheit und Dummheit.

Weit besser und wünschenswerther ist es, für jedes Einzelwesen, so wie für alle Menschen überhaupt, mehr weise, als glücklich zu sein. Das Glück an sich hat einen eigenthümlichen Gang; Einfalt und Thorheit allein umwandeln es in Unheil und Unglück; die Weisheit dagegen verhundertfältigt das Glück, auf dem Wege einer wohlüberdachten Mäßigung.


45. Die Verkennung.

Ein großer Mann ist oft überall ehrenvoll bekannt; nur da, wo er lebt, da ist er entweder ganz ungekannt, oder oft gehässig und verkannt. Indeß, was liegt daran? Es ist die Feuerprobe einer edlen Resignation, durch welche man lernen soll, das Gute um des Guten willen zu thun.


46. Der Freund und die Freunde.

Einen Freund zu haben, das ist ein wahres Gut und Glück des Lebens. Allein: Mehrere Freunde [61] haben wollen, das ist sehr thöricht, und veranlaßt oft selbst die grauenvollsten Fallstricke für uns.


47. Wie wird man der Dinge Herr?

Nicht gierig den Freuden des Lebens nachjagen, heißt: Ihnen gebieten, uns den Hof zu machen und sich zur Auswahl uns selbst anzubieten. Unannehmlichkeiten, Gefahren und Trübsalen kühn die Stirn bieten, heißt: Mit ihnen wohl fertig werden können; heißt: Sie selbst wo möglich in etwas Gutes umwandeln.


48. Die Erfahrung und das wahre Licht.

Nicht die zufälligen und übereinkunftlichen Meinungen der Menschen, sondern eigenes Nachdenken, und eine lange Erfahrung,... indem ich die Wesen und die Dinge immer aufmerksam und genau von mehreren Seiten beobachtete,... haben mir in vielen Dingen das einzig Gültige und Bleibende im Leben enthüllt. Losreißen muß man sich aber oft aus der gewöhnlichen Sphäre der Ansichten und Gedanken, um Alles, so wie es ist, im wahren Lichte zu erblicken, und die allgemeinen Beziehungen zu finden, in welchen das Einzelne zum Ganzen steht.


49. Vorwärts oder Rückwärts?

Am besten ist es, bisweilen einen Schritt zurück zu gehen, um einen Sprung machen zu können, wie [62] er sein muß. Wer unbedachtsam allzuweit vorschreitet, kann bei seinem Vorhaben sehr leicht zu Falle kommen.


50. Wissen und nichts wissen.

Auf das Wissen kommt’s nicht immer an; aber viel kommt oft darauf an: Daß man klug genug ist, nichts zu wissen.


Das vier und zwanzigste Kapitel.


51. Die Glückseligkeit und das Glück.

Denkt und handelt man nicht immer mit aller Besonnenheit und Umsicht, so ist das Glück sehr oft ein furchtbares Gift wider alle Glückseligkeit. Das Unglück dagegen befördert nicht selten die wahre Glückseligkeit am allerbesten. Mit Recht kann man also sagen: Nimm Dich vor dem Glück in Acht!


52. Stürme und Sonnenschein.

In trüben Tagen soll man nicht aufhören, sich heitere und gute Tage, Alles wohl anordnend, vorzubereiten; in glücklichen und guten Zeiten aber soll man die trüben Tage, welche da waren, oder kommen können, nie ganz vergessen. [63]


53. Verstand und Glück.

Mehr Glück haben, als Verstand, heißt: Sehr Unrecht haben. Aber mehr Verstand haben, als Glück, das heißt: Vollkommen Recht haben!


54. Die Brennus-Arithmetik.

Eins und zwei sind drei. So pflegt der rechtliche Mann zu zählen. Der Schlechte dagegen sagt: Eins und zwei sind ... fünf! Wenn er es nicht noch ärger macht.


55. Herzvoll und herzlos.

Kann man nicht herzig und traulich leben; darf man dann lieblos und herzlos leben? – – Inwendig lebt ein wüster Mensch gar nicht, deshalb lebt er blos auswendig.


56. Das Herkules-Hemd.

Die Erinnerung ist das brennende Hemd des Herkules, das er nicht anders los werden konnte, als ... mit seinem Leben.


57. Das geheime Recht.

Immer suche, so viel als möglich, nie Unrecht zu haben. Aber bemühe Dich auch zugleich, daß man es ja nicht merke, daß Du immer Recht hast. [64]


58. Die talentvollen Taugenichtse.

Die talentvollsten Menschen sind leider sehr oft durchtriebene Schlauköpfe, oder Taugenichtse; – jedoch wohlverstanden, auch hier gibt es keine Regel ohne Ausnahme.


59. Zu Fuße oder im Wagen?

Die Tugend in Lumpen gehüllt, ist unendlich vorzüglicher, als das mit Juwelen umkleidete Laster. Ganz gewiß ist es also weit besser, mit rechtlichen Leuten zu Fuße zu gehen, als mit den Unredlichen im schönsten Wagen zu fahren.


60. Die fixen Ideen.

„Das sind fixe Ideen,“ hört man oft sagen; als ob alle fixe Ideen schlecht und verwerflich wären! Sind wir denn nicht Alles, was wir sind, vortrefflich oder erbärmlich, durch fixe oder feste Ideen? Bedenkt das doch, ihr großherrlichen Dictatoren, und sucht ja, so viel ihr es immerhin könnt, alle gute Ideen, recht bald und recht dauerhaft, überall zu fixiren.


[65]

Das fünf und zwanzigste Kapitel.


61. Das beste Princip.

Wirklich gut sein, und gut handeln, ... man regiere ein Reich, oder man mache Schuhe und Stiefel; – man sei ein Gesetzgeber, oder ein Küchengärtner; – man lebe glücklich, oder unglücklich; – man siege auf dem Schlachtfelde, oder man beuge sein Haupt auf dem Hochgerichte!... Das, ihr Herrn, das ist ein Princip, höher, als zahllose andere; herrlicher, als alle jene treulosen und oft selbst gottlosen Träumereien der Partheigänger. Man nenne die verschiedenen äußern Formen ascetisch oder häretisch, oder wie man sonst will; darauf kommt es, im Gutsein und Guthandeln, eben nicht an. Jenes Princip befindet sich im Menschen selbst, es steht in seiner Gewalt, es ist das erfolgreichste von allen möglichen und denkbaren. Wecket es also, oder säet es aus in junge Herzen, sobald als möglich;... mit zartem Sinne, ohne es eben einzwängen zu wollen; und ihr erzeigt dem Einzelwesen, so wie der ganzen menschlichen Gesellschaft, die allergrößte Wohlthat.


62. Der Böse haßt die angewandte Moral.

Menschen, welchen man ein Mal einen Spiegel zur Selbstbeschauung und Beschämung vorhielt, die [66] werden selten wieder ganz mit uns versöhnt, und können uns, bei einer gutmüthigen Annäherung, selbst sehr gefährlich werden. Man thue jenes also nie, wenn Pflicht, oder sonstige Nothwendigkeit, es nicht durchaus gebieten. – Die wahre Weisheit, d. i. die rechte Erkenntniß und wirkliche Ausübung seiner Pflichten, ist gewiß das Allerherrlichste für den Menschen, und bleibt sonnenhell und rein, so lange sie auf uns selbst allein eingeschränkt bleibt, und mit uns gleichsam im Stillen lebt. Die angewandte Tugend aber, als die Ausübung der wohlerkannten Pflichten, auch in Hinsicht Anderer, kann nicht ohne Antagonismus und Kampf sein und bleiben. – Nie indeß sollte die wirkliche Tugend irgend eine nothwendige Form, oder eine den Dingen in gewissen Verhältnissen und Zeiten wohl angemessene Art und Weise, ohne dringende Noth angreifen und verletzen. Auch die herrlichste Tugend könnte sonst ohne Blüte und Frucht bleiben, für uns und für alle Andere; ja, inwiefern sich Leidenschaftlichkeit mit einmischte, könnte sie so gar selbst Fehler, Laster und Verbrechen erzeugen.


63. Das Müssen und Sollen.

Das oft so peinliche: Du mußt! ist leider immer gleich bei der Hand. Das schöne pflichtgebietende: Du sollst! Wo ist es alleingeltend? Und [67] wo gehorcht man immer dieser höhern Stimme, ohne Ausnahme?


64. Die wahre Subordination.

Alle echte Subordination ist auf das Princip der Ordnung und Gerechtigkeit gegründet, und geht von der Adoration aus, d. i. von einer anerkannten höhern Würde und Würdigkeit. Jede andere, auf Unordnung, Anmaßung, und Ungerechtigkeit gebaute Unterordnung, ist Zwingherrschaft, die alle Welt verabscheut, und aufzuheben sucht, sobald sich nur irgend eine Gelegenheit dazu findet.


65. Der rechte Sinn im Streben.

Besser sein wollen, in einer bloßen hochfliegenden Einbildung, als die Bessern und Besten aller Zeiten; über diese, wenn sie in unserer Nähe sich befinden, wohl gar noch den Meister spielen wollen; das kann nur Irrthum und Selbstsucht zu verlangen sich erdreisten. Aber das sein zu wollen, was man im höhern Sinne sein soll; nur unter und mit den wahrhaft guten Wesen leben wollen; es von ganzem Herzen verabscheuen, sein Spiel mit den Bösen und Lastervollen traulich zu treiben; das, das ist der Typus, das Maß und der Messer, der wahren menschlichen Größe; das ist der Weg, in gerader Richtung, [68] auf welchem ein Wesen der Gottheit ähnlich werden kann.


66. Leiten oder vertilgen.

Leiten, zurechtweisen, unterdrücken, oder vertilgen, das sind verschiedene Begriffe und nothwendige Abstufungen für Wesen und Dinge, in Rede und That. Leitung für den schwachen Geist ist unentbehrlich; zurechtweisen muß man den Irrenden; unterdrücken darf man den bösen Sinn und Geist, oder ihn irdisch ganz vertilgen, wenn man es vermag, und wenn es unwidersprechlich gewiß ist, daß man sich in seiner Beurtheilung nicht irrt. Nur auf diese Weise entstehen die rechten und zahllosen Richtungen, in welchen alle gute Geister unendlich Viel zu denken und zu wirken haben, in alle Ewigkeit.


67. Die Verschiedenheit der Dinge.

Wärme und Kälte, Feuer und Eis, das Flüssige und das Feste, so wie das Verhältniß ihrer Mischung, bewirken die Abänderungen der unbelebten Dinge. Freude und Leben, Apathie und Erstarrung, verursachen die Modificationen der belebten Wesen. Die Qualität und Quantität der höhern und niedern Elemente, ihre Vermählung mit einander, so wie ihre besondere Eigenthümlichkeit in den verschiedenen Wesen und Dingen, im Vergleich mit der Allgemeinheit derselben [69] im All, kann man als die Träger des Ganzen betrachten. – Sehr Vieles läßt sich aus diesen Voraussetzungen erklären, nur nicht die erste Causalität von Wärme und Kälte selbst, und von den Elementen überhaupt. Das ist aber auch nicht nothwendig.


68. Haben und Wissen.

Haben und Wissen (avoir et savoir) finden sich selten bei einander. Welches von Beiden ist denn wohl das Bessere: Etwas zu haben, und nichts zu wissen; oder: Etwas zu wissen, und nichts zu haben? Genau erwogen, ist doch wohl das Letztere das Bessere; denn es ist das Sicherste, und zugleich auch etwas Productives oder Selbstschaffendes.


69. Das wohlfeile Glück.

Zur wahren Glückseligkeit kann man gewöhnlich mit sehr wenig Kosten gelangen. Nur etwas schlichter Menschenverstand, und vor Allem ein gutes Herz, gehören dazu, um sich das nothwendige Kaufgeld für sie zu erwerben. Hiermit hängt es auch zusammen, daß das Heimweh manche Menschen so schrecklich plagt und quält. Sie erinnern sich und fühlen es, daß sie einst so fröhlich und so selig waren, und zwar um einen so geringen Preis, mit der Balalaika in der Hand, oder beim Kuhreigen auf der Alp. Die wahre [70] Glückseligkeit, … der erhabenste aller Zustände und Empfindungen, ein Dasein ohne Furcht und Tadel, … liegt also nicht blos in den Dingen und Wesen außer uns, sondern sie liegt vielmehr im Menschen selbst. Völlig gleich aber ist es, wodurch dieser Zustand hervorgebracht wird, sei es durch eine Krone, oder durch eine Hirtenflöte; wenn er nur hervorgebracht wird, und in der That Statt findet. Die Glückseligkeit ist das Allervollkommenste, was es für fühlende Wesen geben kann; und doch ist sie so wohlfeil! Die Wissenschaft, welche es lehrt, zu ihr zu gelangen, ist unstreitig die erste unter allen; und diese Wissenschaft ist: Die echte und wohlangewandte Moral.


70. Das wahrhaft Schöne.

Nur dann sind Sachen und Wesen wirklich schön, wenn ihre Güte, d. i. ein echter innerer Werth, auch mit Anmuth erscheint. Diese Anmuth soll aber nicht blos ein reines Wohlgefallen, sondern auch eine Belebung edler Vorsätze und eine wohlangeordnete Thätigkeit, bei ihrer Anschauung, mit einflößen. Alle gute Wesen und Dinge stehen dann zugleich im Einklange mit jener großen und seligen Harmonie der himmlischen Naturen.


[71]
Das sechs und zwanzigste Kapitel.


71. Die wirklich schönen Künste.

Die schönen Künste zu lieben, das ist sehr gut; aber ihnen thöricht zu huldigen, daß ist sehr unweise. Vor allen Dingen muß man einen Unterschied machen, zwischen den wahrhaft nützlichen, und zwischen den frivolen Künsten und Künsteleien. Die ersteren soll man unterstützen, in’s Leben rufen, und ihnen gern den verdienten Preis zuerkennen und ertheilen. Geschähe das nicht, so würde das geistige Kunstleben in Schmarotzerpflanzen hinüberwuchern; der Baum des Lebens würde erkranken, absterben, und sein Untergang brächte dann auch allen Sybariten den Tod.


72. Die Stufen des Guten und Bösen.

Es giebt gar mancherlei Arten und Abstufungen des Guten und Bösen, von der nutzreichen Cacaofrucht, und dem schuldlosen Täubchen, bis hinauf zur allguten Gottheit; – vom pesthauchenden Baume Bohan Uppas, und der giftigsten Schlange, bis hinab zum erzbösen Geiste. Mit den verschiedenen Abstufungen des Häßlichen und Schönen verhält es sich eben so; je nachdem das Häßliche verächtlich ist an sich, abstößt, und Schaden anrichtet in der Außenwelt; oder: Je nachdem [72] das Schöne in seinem ihm eigenthümlichen Liebreize erscheint, unwillkührlich anzieht, und seinen Preis erringt in der Wirklichkeit.


73. Das verborgene Schöne und Häßliche.

Für das ungeübte Auge, und jedem nicht völlig Hellsehenden, giebt es überall sehr viele verborgene geistige Schönheiten. Eben dasselbe ist auch der Fall mit gar manchen widrigen psychischen Häßlichkeiten aller Art. Jene nun glücklich spähend aufzufinden, und diese warnend zu entlarven, das ist von allen schönen Künsten gewißlich die allerschönste Kunst; das ist in That und Wahrheit die höchste Kunst der Künste.


74. Das Gute und Böse im Verborgenen.

Gar viele erzböse Wesen und Dinge erscheinen mit verführerischen Reizen, in übertünchter Schönheit; und zusammengesetzt ist ihre Wesenheit aus Abscheu, Jammer und Verderben. Zum Beweise des Gesagten dienen die Teufel in Venus- und Adonis-Gestalten, zu allen Zeiten, und an allen Orten. Gar viele gute Wesen und Dinge erscheinen aber auch ohne alle vorleuchtende und gleich in die Augen fallende Schönheit. Dessen ungeachtet ist die echte und höchste Schönheit in ihnen wirklich enthalten, aber verborgen und noch gebunden, wie ein gefesselter Prometheus. [73] Zum Beweise des Gesagten diene das ungeschminkte, edle und vortreffliche Weib. Wer das süße Glück hatte, eine solche liebe und treue Seele kennen zu lernen, der wird am Göttlichen im Menschen nicht länger zweifeln und verzweifeln. Über diesen Gegenstand recht viele glückliche Erfahrungen zu machen, das ist gewiß sehr wünschenswerth.


75. Die edlen und die gemeinen Naturen.

Es giebt gemeine Naturen, die ihre Reize nur zur Schau tragen, um niedere Begierden und Leidenschaften einzuflößen. Von Grazie kann bei solchen Wesen nie die Rede sein. Übersättigung und Überdruß, wenn’s gelingt; Raserei und Verzweiflung, wenn’s mißlingt, das sind die Kakodämonen dieser wüsten Geschöpfe. Es giebt aber auch edle Naturen, mit welchen die Grazien unzertrennlich im Bunde stehen. Die reinsten Wünsche vermählen sich bei ihnen mit Zartsinn, Maß und Ziel. Dauer und Vollendung sind die herrlichen Folgen einer solchen harmonischen und naturgemäßen Ausbildung.


76. Du oder die Klapperschlange?

Alle Wesen und Dinge können betrachtet werden, als mehr oder weniger einander ähnlich und anziehend; oder als einander unähnlich und abstoßend. Aber sie [74] sind einander nie völlig gleich, und können daher immer einander gegenseitig stören und aufheben; oder begünstigend und forthelfend auf einander einwirken. Deshalb müssen sie ja wohl gegen einander auf ihrer Hut sein. Mit einer Klapperschlange z. B. darfst Du nicht in nahe Berührung kommen; und wenn die Klapperschlange nicht davon geht, so mußt Du davon gehen, oder Du mußt sie umbringen. Thust Du das nicht, so bringt sie Dich um. – Mehr oder weniger verhält es sich eben so, mit allen geselligen Verhältnissen mit irdischen Wechselleben. Das Ganze ist durchaus in und durch einander begründet, und also unvermeidlich. Es muß daher in eine nothwendige Ordnung gebracht, und mit Gerechtigkeit erhalten werden. Geschieht das nicht, so wird es in Unordnung gerathen, und sich wechselseitig tyrannisiren, und endlich völlig zerstören.


77. Verzeihen und vergessen.

Einem Verbrecher verzeihen, heißt: Einen Unschuldigen bestrafen; etwas Böses leicht vergessen, heißt: Sich auch des Guten nicht erinnern wollen.


78. Die angeborne Güte.

Gewiß, die Menschen sind im allgemeinen gut; und sie beweisen es, daß sie gut sind, durch Handlungen [75] sowohl, als durch Gesinnungen und Selbstverläugnungen mancher Art. Wären sie nicht wirklich gut, dann würden Treulosigkeit, Rachsucht, Raub, Mord und Hochverrath bald überall zu Hause sein. Bedenkt man überdies noch, welche schlechte Grundsätze so viele Menschen nach und nach in sich selbst ausbilden, oder von Andern annehmen; welche Falschheit oft im Innersten ihres Herzens verborgen ist; wie sie immer tiefer sinken, und in der Nacht des Wahns und der Irrthümer aller Art wandeln; und wie sich dennoch jene angeborne Güte erhält, wächst, blüht und Früchte trägt; dann wird es uns recht einleuchtend, wie groß und festbegründet jene angeborne Güte sein muß. O wahrlich, ohne diese Güte, die vom Himmel stammt, würden Furcht und Strafen bei weitem nicht hinreichen, die Menschen vom Allerbösesten noch länger abzuhalten; es würden alle moralische und juridische Abhalt- und Corrections-Mittel nur traurige Palliative, und oft selbst neue Sünden-Impfmittel sein und werden. Ein innerer Trieb des Wohlwollens und des Edelsinnes im Menschen ist es vielmehr, welcher es verhindert, daß Treulosigkeit und Lust zu Gewaltstreichen nicht alle bestehende gute Ordnung umkehre; daß der herrischen Gewalt nicht wieder Gewalt, und der Ungerechtigkeit nicht immer gleich wieder Ungerechtigkeit entgegen gesetzt [76] werde; daß nicht alle Großmuth, Geduld und hochherzige Resignation, so wie einst Adrastea, von der Erde ganz entfliehen!


79. Wer hat sein Pfund vergraben?

Es giebt Menschen, deren einziges Bestreben es ist: Geld zusammen zu scharren, z. B. alle Geizhälse, an der Kette ihres Geldkastens. Andere dagegen giebt es, welche mit Mühe immer nur so viel erarbeiten, als zur Leibesnahrung und Nothdurft eben nothwendig ist. Das Letztere ist es, was die allermeisten Menschen thun. Noch Andere endlich giebt es, welche nur insofern in das Leben mit eingreifen, in wiefern sie, auf eine wohlanständige und oft edle Art, für sich und Andere, ihr Geld in Umlauf bringen. Zu dieser Klasse gehören die wahrhaft edelgesinnten reichen Leute. Den Unterschied dieser drei Abstufungen im Menschenleben gehörig zu würdigen, das verlangt mehr Einsicht und Erfahrung, als man gewöhnlich glaubt. Wenn aber Voltaire zum Minister Choiseul sagte: „Depeschen für das Staatsschiff schreiben, so wie Sie; oder Verse machen, aus eigener Lust und Liebe, wie ich, und sich dafür bezahlen lassen, das kommt auf Eins hinaus,“ – so ist das doch sehr unwahr.


[77]
80. Nachtheile der Raisonnirsucht.

Der große Haufe darf nicht klügeln, viel Worte machen und überhaupt raisonniren wollen; das ist, für alle Verständige, eine längst ausgemachte Sache. Das gemeine Volk, welches doch immer in allen Ständen bei weitem die Mehrzahl ausmacht, kann unmöglich, nach Erfahrung und Vernunft abgemessen, richtig und vielseitig etwas überdenken und beurtheilen. Der große Haufe empfindet entweder Ehrfurcht gegen Andere, gehorcht, und handelt dann auf seine Weise recht und gut; oder er fängt an, unzufrieden zu murren, falsch zu urtheilen, und falsch zu schließen; er wird dann ungehorsam, empört sich, und handelt unrecht und schlecht. Der gute Herr, und der gute Diener, werden sich dagegen immer wechselseitig beglücken; und das Volk und seine Gebieter sollten dasselbe thun. Geschähe solches, so würden Beide bald ein erwünschtes, harmonisches und erfreuliches Gemeinwesen darstellen.


Das sieben und zwanzigste Kapitel.


81. Schlau und schlecht.

Man kann sehr witzig und gelehrt sein; man kann sehr zungen- finger- und federfertig werden, [78] und dessen ungeachtet ist ein Mensch mit solchen Fertigkeiten dennoch oft ein ... Pecus campi, oder: Er wird durch List und Bosheit, etwas noch weit Schlechteres. Dergleichen Leute sind dann nicht blos überspannte Sophisten, und raffinirte Materialisten, sondern gewöhnlich wahre Bestialisten.


82 Gold und Gift.

„Der und der hat doch wirklich vortreffliche Sachen gesagt!“ „Ei wohl; jedoch so, wie man bisweilen auch Gold und Diamanten gebraucht, um Gift zu mischen!“ –


83. Stadt und Land.

Selbst das Gold wird in den Städten Dung; auf dem Lande dagegen wird auch der Dung zu Gold.


84. Sein und Schein.

Der freiwillige und unberufene Aufenthalt in einer Stadt hat den Zweck, glücklich zu scheinen; der Aufenthalt auf dem Lande dagegen hat den Zweck, in sich selbst auch wahrhaft glücklich zu sein. Wer also seine Zwecke in einer Stadt wirklich erreicht, der hat doch nur nach dem Schemen und Schein eines glücklichen Lebens gehascht; wer aber seine vorgesetzten Zwecke erreicht auf dem Lande, der ist in der That ein glücklicher Mensch. [79]


85. Die Theokratie.

Ob eine theokratische Regierung, wie etwa die des Dalai-Lama in Tibet, wohl nicht weit besser sei, als viele Europäer bisher geglaubt haben, das ist eine Frage, die sich eben nicht so leicht beantworten läßt, wie wohl viele im Dünkel ihres Wissens meinen.


86. Verständniß der Rede und That.

Ein Mensch, welcher spricht, Begriffe entwickelt und Gedanken mittheilt, ist ein ganz anderer, als eben derselbe Mensch, wenn er handelt. Das Reden und das Handeln ist wohl bisweilen, jedoch sehr selten, eins und dasselbe; und wenn solches wirklich Statt findet, dann ist auch die Rede klar und lichtvoll. Oft dagegen erscheinen Rede und That als zwei ganz verschiedene Dinge; und dann ist das Wort völlig leer, und wird auch nicht beachtet werden; oder es ist grundböse, sowohl in Hinsicht auf seine Falschheit, als auf seine Ursache und Wirkung. Die allermehrsten Ungewißheiten, Varianten und Variationen; aller Kampf über leere Worte und thörichte Meinungen, werden gewöhnlich dadurch veranlaßt. In den Handlungsweisen der Menschen dagegen giebt es bei weitem nicht so viele Verschiedenheiten, und sie stimmen viel leichter mit einander überein. Das kommt aber daher, weil recht oder unrecht, gut oder böse [80] handeln, als Phänomena oder Erscheinungen, besser in die Augen fallen; und deshalb vom großen Haufen auch viel leichter begriffen und beurtheilt werden können.


87. Worte, Schrift und That.

Worte sind Blitze, deren Spur sich leicht ändert und bald verschwindet. Die Schrift ist ein bleibendes Bild von Thaten, Wesen und Dingen; sie entwischt uns nicht mehr, denn man kann sie fest halten. Handeln dagegen, und zwar recht und gut handeln, das ist das höchste Urbild von Wort und Schrift.


88. Wahrheit und Schmeichelei.

Alle übertriebenen Lobeserhebungen sind nichts Anderes, als geschmückte Lügen, welche Heuchelei und Eigennutz mühsam aufputzen, um Wesen oder Dingen einen Scheinwerth beizulegen, oder sich solchen selbst anzumaßen. Erzählen, was da war, und was wirklich ist, das gehört in das Gebiet der Geschichte. Geschichte aber sollte nichts Anderes sein, als: Offenbarung von ewigen Wahrheiten, zur rechten Zeit und am rechten Orte, für gerechte und tugendhafte Zwecke, im hellsten Lichte dargestellt. Jede andere Art von Erzählungen geht leicht in das Gebiet des unfruchtbaren Wissens, der Fabel, der Mährchen, oder [81] der Romane über; sie wird heute ein Elogium, und morgen ein Libell, je nachdem die Wetterfahne weht.


89. Das Kastengeist.

Es gab von jeher viele Priester und Philosophen, welche wider einander zu Felde zogen; und Manches, was sie feindlich gegen einander behaupteten, das war allerdings völlig richtig und wahr. Was ergiebt sich aber daraus für den Beobachter? Vielleicht Folgendes, erstlich: Kein einzelner Mensch ist im Besitze der vollen Wahrheit; zweitens: Allen diesen und ähnlichen streitenden Parteien, war es leider selten um die Wahrheit selbst zu thun, sondern nur um irgend ein persönliches Interesse. Die herrlichsten Geistesgaben werden aber bei solchen Gelegenheiten oft unverantwortlich gemißbraucht, und die Wahrheit, so wie das Wohl der Menschheit, werden auf diese Weise dem Egoismus, oder dem Kastengeiste, aufgeopfert.


90. Wer weiß, was er ist?

„Nie ist man ein besserer Philosoph,“ pflegen einige zu sagen, „als wenn man es ist, ohne es eben selbst zu wissen.“ Warum nicht gar? Die Thiere haben ja auch sehr viele gute Eigenschaften, von welchen einige fast ein Analogon von Urtheilskraft andeuten, ohne daß sie es selbst wissen. Kann [82] man aber deshalb wohl sagen: Die Thiere sind auch recht gute Philosophen; und zwar um so mehr, als ihnen das Bewußtsein von dem fehlt, was sie sind? Gewiß nicht.


Das acht und zwanzigste Kapitel.


91. Es ist, wie es war.

Die Welt bleibt sich so ziemlich im Ganzen immer gleich, sowohl im Schlechten, als im Guten. In unserer Jugend gleiten wir aber über das Schlechte leicht hinweg; im Alter dagegen schreiten wir wohlbedächtig langsam daran vorüber. Daher kommt es, daß wir uns die Vergangenheit zurück wünschen; daß wir uns über die Gegenwart beklagen, und daß wir thöricht genug sind, Besseres von der Zukunft zu erwarten, ohne doch zu einer guten Ernte guten Samen ausgestreut zu haben.


92. Die üble Laune.

Über gewisse Gebrechen mit übler Laune seinen Unwillen zu erkennen geben, das ist eine zu entschuldigende menschliche Schwachheit. Aber ein Beweis von großer Kränklichkeit oder Verzogenheit ist es, aus bloßer übler Laune, über Lappalien gleich verdrießlich oder jähzornig zu werden.


[83]
93. Die Beste Welt.

Damit unsere Erdenwelt noch besser sei, als sie ist, vielleicht die allerbeste, die sich denken läßt, bedarf es weiter nichts, als daß ein jedes Wesen immer gut sei, und freundlich und fröhlich. Kommt nun bisweilen ein kleiner wohlerlaubter Sinnenrausch noch hinzu; eine süße edle Wahlverwandtschaft, welche überall im Universum Statt finden kann; ein Wechseltausch des Überflüssigen, in Liebe, Wohlwollen und Gerechtigkeit; o dann, beim Himmel, ich wüßte nicht, wie es wohl noch eine bessere Welt geben könnte!


94. Die Amtsgeschäfte.

Die Amtsgeschäfte, welche Hufeland als das beste Mittel zur Erhaltung der menschlichen Gesundheit empfiehlt, beweisen zur Genüge, daß eine völlige Unabhängigkeit und zügellose Freiheit eben so vermessen an sich, als nachtheilig für die Menschen sind. Denkt man unbefangen über diesen Gegenstand nach, so wird sich’s finden: Daß man des Lebens Süßigkeit, und allen Hochgenuß der Ruhe, nie besser kostete, als nach abgethaner Arbeit, und nach erfüllter Pflicht. Selbst der Leibeigene, in seiner Ruhe nach der Arbeit, ist bei weitem glücklicher, als sein Zwingherr, der, in ausschweifender Ungebundenheit, sich frei und selbständig träumt. Es verhält sich mit [84] diesem Wohlsein, wie mit der Gesundheit, deren Werth man erst nach einer Krankheit völlig kennen lernt.


95. Der Wein und die Poesie.

Ein Glas guten Wein’s, zur Stärkung und Gesundheit des Leibes genossen, ist wahrlich eine gar köstliche Gabe des Himmels. Alle Trinkgelage dagegen sind durchaus verwerflich, denn sie sind Verderben bringend, für Leib und Seele zugleich. Unsere schöngeistige Literatur, Poesie und Beredsamkeit, ist nichts Anderes, als Wein für den Geist. Ihr Genuß, in gehöriger Qualität und Quantität, kann sehr wohlthuend werden. Die gewöhnliche Romanleserei dagegen, so wie alle planlose Lectüre überhaupt, ist noch weit schädlicher, als das lasterhafte Besaufen der Trunkenbolde.


96. Ehrfurcht und Liebe,

Zuerst erwirb Dir Achtung; dann Ehrfurcht; dann imponire, so daß man Dich selbst fürchte. Dann endlich suche Dich beliebt zu machen; jedoch nicht mehr, als eben nöthig ist, und auch nur bei solchen Personen, die Dir wirklich lieb und werth sind. Nur so kann man mit den Menschen auskommen! Den Troß muß man in gehörigem Respect zu erhalten wissen; denn auf den Pöbel wirkt nur Furcht, sehr [85] selten die Liebe. – Es mag die theure Gebieterinn Deines Herzens; es mögen Deine wahren Freunde und guten Nachbarn Dich lieben; aber von Mehreren, oder gar von Vielen geliebt zu werden, daß ist nie gut; das sollte man sich sogar verbitten.


97. Der Unverschämte. Ein Zwiegespräch.

„Als Freund werde ich Sie betrachten!“ – (sagte einst Jemand zu mir.) – „Mit Ihnen klagen, mit Ihnen weinen werd’ ich! Mein Schicksal, ich theile es mit Ihnen; mein Leben, ich wage es für Sie! Geben Sie mir nur“ ... „Mein Herr,“ war die Antwort, „ich beklage Sie! Weinen möcht’ ich Ihretwegen! Da ich aber noch anderweitige Verpflichtungen habe, so muß ich ernstlich mein Vermögen berechnen, um sicher zu wissen, was ich für Sie thun kann, und für Sie thun soll, und das werd’ ich dann, nach reiflichem Erwägen und eingezogener Erkundigung, mit Vergnügen thun.“ – Der Mann kommt wieder, und welche Sprache mußt’ ich führen? „Unglücklicher, nur bedauern kann ich Dich! Um Dich weinen möcht’ ich! Aber ... an den Galgen mußt Du doch, zu Deinem, so wie zu anderer Leute Besten. Denn auch für Dich ist es eine Wohltat, Dir ein Leben zu nehmen, das Du verworfen gemacht hast, für Dich nicht minder, so wie für alle Andere!“


[86]
98. Die weise Wohlthätigkeit.

Ein Jeder, welchen der Himmel mit Gütern des Lebens segnete, der gleiche der allbelebenden Sonne. Immer indeß soll das System des Wohlthuns den Mitteln angemessen bleiben, und das zu begründende Wohlsein muß zugleich auch auf gute Sitten und Genügsamkeit basirt werden. Wer auf solche Weise ein Wohlthäter werden kann, und wirklich wird, der hat nicht nur eine der schwierigsten Aufgaben im Leben gelös’t, sondern er hat auch in der That Barmherzigkeit und Liebe geübt.


99. Wie viel soll man für Andere thun?

Alles, was man für einen Andern in Ordnung und Gerechtigkeit thun kann und darf, das soll man auch wirklich thun, denn solches ist ein heiliges Gebot der Pflicht. Nur darauf kommt es vorzüglich an, genau zu bestimmen: „Was und wie viel man wirklich thun kann und darf.“ Für den Sophisten und Egoisten, d. i. bei schlechten Gesinnungen und Grundsätzen, ist das eine fast unauflösliche Aufgabe. Für ein wahrhaftes, zartfühlendes, und gleichsam hellsehendes Wohlwollen, d. i. bei guten Gesinnungen und Grundsätzen, ist dagegen die Antwort, um jene Aufgabe zu lösen, fast noch früher da, als die Frage.


[87]
100. Das Epitaphium.

Zu sehr hab’ ich gefühlt; –
Zu sehr geliebt; –
Zu sehr gehaßt. –

Zu hoch schlug ich meinen Werth nie an; –
Doch war der Werth Anderer nicht viel größer! –
Wanderer! Wer Du auch seist,
Du hast kein Recht Dich zu rühmen;
Aller Ruhm gebührt einzig der Ursache aller Dinge; …
Einzig nur IHM, einzig dem Allweisen!
Also, Wanderer, wer Du auch seist,
Überhebe Dich niemals, doch immer sollst Du
Alles Gute gebrauchen,
Nie aber irgend Etwas mißbrauchen!


Im Originale lautet diese Grabschrift also:

J’ai trop senti; –
J’ai trop aimé; –
J’ai trop haï.. –

Je n’ai pas valu grand’ chose; –
Tous les autres n’ont pas valu mieux que moi. –
Passant! Qui que tu sois,
Tu n’as à te glorifier de rien; –
Toute gloire est à la cause des causes seule...

[88]

A la Toute-cause seule,
A la Toute-intelligence seule! ...
Donc Passant! Qui que tu sois,
Ne te prévale de rien, et toujours
 De tout Bien use,
 Mais jemais de rien n’abuse!


Das neun und zwanzigste Kapitel.


Gott, oder: Keine Wirkung ist ohne Ursache.


Eine jede endliche Ursache, die eine Wirkung hervorbringt, ist selbst wieder Wirkung von einer frühern Ursache. Steigen wir also immer höher, von Ursache zu Ursachen, so müssen wir doch endlich bei einer All-Ursache der Wesen und der Dinge anlangen und stehen bleiben; und diese All-Ursache ist Gott. Über Gott hinaus ist weiter kein Gedanke mehr möglich. In Gott selbst aber finden wir die Quelle alles Seins und Werdens, die Tiefe der Weisheit und die Fülle alles Lebens und alle Seligkeit!

Das Dasein des Weltall’s ist ein Wunder sondern Gleichen. Die Fortdauer des Ganzen aber, mit allen neuen Zeugungen und Bildungen desselben im [89] Reiche der Dinge, beweis’t es auf jedem Schritte, und bei jedem Blicke, daß diese wundervolle Einheit und Harmonie nur von einer einzigen und unveränderlichen Kraft hervorgebracht sei, und in ewiger Verjüngung und Jugend erhalten werde.


Wer diese große Wahrheit einmal gefunden und empfunden hat, der bedarf kein höheres Wissen mehr, denn er ist im Besitze der allerhöchsten Erkenntniß; er ist unsterblich, und eilt somit, in Ordnung und Gerechtigkeit, selbst einer Ewigkeit des Wohlseins entgegen.


Wer eine solche Gotteserkenntniß sich erworben hat, der ist im Besitze der wahren Theologie. Wer zu der sichern Überzeugung gelangte: Daß Alles voll ist von Gott; und wer nun auch selbst voll zu werden sucht von Gott, der hat die wahre Religion. Unendlich Gott zu lieben und zu vertrauen; Ihn recht anbeten zu lernen, und ewig auf die rechte Weise zu danken, das ist die seligste aller eingeübten Wissenschaften!


O, wahrlich! Ginge erst all’ unser Wissen, so wie jede Handlung; ginge erst alle Politik im Großen, so wie jedes Einzelne in allen Staatsvereinen von solchen Grundsätzen aus; dann, o dann lebten [90] wir in einer wirklich heilbringenden Theokratie; in welcher das ganze Menschengeschlecht nur eine einzige Gottesfamilie darstellen würde. Streuet daher früh, ihr Wohlthäter der Menschheit, einen solchen Samen in die Herzen der Menschen, damit er bald keime, aufgehe, und unerschöpfliche und beseligende Früchte trage.


Das dreißigste Kapitel.


Wer hat Recht?


Fast immer pflege ich zu forschen; fast unaufhörlich suche ich meine Pflichten gegen Alle, und gegen Alles um mich her, genau kennen zu lernen und gehörig zu erwägen. Dasselbe geschieht in Hinsicht der Pflichten Anderer, und der Leistungen aller Dinge außer mir. Ist Beides gehörig vollbracht, dann erst fasse ich bestimmte Entschlüsse und fange an zu handeln. Mach’ es eben so, mein Bester, in Hinsicht Deiner Pflichten; machet es alles so, meine Theuren, im Betreff eurer Pflichten. Denn nur Derjenige, welcher solches in Wahrheit von sich aussagen kann, nur der allein hat Recht, und thut recht.


Suchet das Gute überall; werdet nie müde es zu suchen, und ihr werdet es finden. Redet, schreibet [91] und lasset das Niedergeschriebene drucken, wenn es solches werth ist, d. h. wenn es allgemein wichtig und gut ist oder werden kann, und man wird euch schon hören; klopfet an, und euch wird aufgethan.


Würde von den Bessern nichts mehr unternommen und gethan, dann würde das allheilige und göttliche Licht der Wahrheit und des Rechts bald unter uns ausgelöscht werden, und von der Erde verschwinden. Finsterniß würde dann die Stelle des Lichts zu vertreten suchen, und Alles umnebeln und ertödten. Kein Gesetz würde mehr gelten; alle Grundfesten des Bestehenden würden erschüttert werden und erbeben. Jenes egoistische, bald selbst angreifende, und bald zur bloßen Selbstvertheidigung auftretende: „Es rette sich, wer sich retten kann, und wie er es kann!“ („Sauf qui peut, et comme il peut!“) würde dann bald die verzweiflungsvolle Loosung aller Kreaturen werden.


Auf Pflichten beruht also jedes Gute, und geht von ihnen aus. Alles Übrige, was aus einer andern Quelle entspringt, das ist etwas Gleichgültiges, oder ein Nichtgut, das heißt ein Übel. Pflichten kennen und anerkennen, das ist Weisheit; die Pflichten lieben, ist Tugend; und in der Ausübung [92] der Pflichten seine höchste Freude finden, das ist Seligkeit.


Das, was Berechnungen und Münzen für den Handel sind, das sind die Pflichten für unser Denken, Fühlen und Hervorbringen. Alles Innere und Äußere soll von uns immer auf Pflichten bezogen werden; es soll von ihnen ausgehen, und in ihnen weiter fortschreiten. In den ewigen Gesetzen des Weltall’s finden wir dieselben Gebote für das Allgemeine, mit höchster Strenge angeordnet und beobachtet. Alles Abgesonderte, eine jede blos individuelle oder theilweisige Ansicht führt, als Einseitigkeit, immer in’s Verderben. Das Vergangene, durch welches alles Zukünftige vorbereitet wird, beweiset es hinreichend, wie jedes Getheilte, und alles eigensüchtige Individuelle, über ein Kleines völlig verschwindet, und wie nur die ernsten Ergebnisse der strengen Pflicht, als Erfüllung der Gebote des Weltall’s, da stehen bleiben und walten, wo etwas Gutes jemals war oder geschieht.


Lieber Leser, befreunde Dich mit diesem Gegenstande des Nachdenkens so lange, bis Du dasselbe Thema in Deinem eigenen Geiste findest, mit allen seinen unendlichen Variationen. Es ist ein herrliches [93] Rondo! Alles Denken und Handeln soll von ihm ausgehen; und zu ihm zurückkehren, in allen Verhältnissen, und in jedem Augenblicke unseres Daseins. Wer so gesinnet ist und solches thut, der thut wohl; der hat und behält immer Recht!


Das ein und dreißigste Kapitel.


1. Die verschiedenen Religionen. – 2. Die Sprachen und die Religionen. – 3. Die Religionsvereinigung.


1. Wenn Jemand offen und treuherzig zu Dir sagte: Ja tebé lublú; oder: Φιλέω σέ; oder: I lóve yoú; oder: Je Vous aime; oder: Mínä rákastan sínua; oder: Ich liebe Dich u. s. w., und wenn man nun dieser Jemand Dir solches beharrlich und aufrichtig wiederholte, jedoch immer in seiner Muttersprache, so wie oben, aus dem einfachen Grunde: Weil er keine andere Sprache versteht, würde er sich Dir nicht endlich verständlich machen? Oder würdest Du wohl, blos seines fremden Dialekts wegen, je auf ihn zürnen können? Ich meine: Nein! Siehe, kurzsichtiger, aufbrausender Fanatiker, die verschiedenen Religionen sind auch blos verschiedene Sprachen und Dialekte, in welchen der wahrhaft edle Mensch unaufhörlich zur [94] Gottheit spricht: „Ich liebe Dich, und will es gern und immerdar beweisen, daß ich Dich lieb habe!“


2. Wenn Deine Muttersprache, welche schon in Deiner frühesten Jugend ihren Einfluß auf Dich ausübte, reich, rein und wahrhaft schön ist, so mache von ihr einen würdigen Gebrauch; aber hüte Dich ja wohl, deshalb eingebildet und hochmüthig zu werden; oder dieses Dir verliehene Gut wohl gar zu mißbrauchen. Eine jede Sprache ist nur Form und Zeichen; keineswegs das Wesen und die Sache selbst. Nectar und Ambrosia ist die Sprache, im Munde eines edlen Wesen; Gift und Pest ist sie, auf den verbrecherischen Lippen des treulosen Heuchlers. Mit der Religion verhält es sich nicht anders; sie ist Sprache, d. i., in ihren äußern Gestalt, blos Form und Zeichen, mit welchen sich die bessern Wesen an die Gottheit wenden. Die Wahrheit, Reinheit und Güte des Innern, welche die äußere Form verklären sollen, offenbaren erst den wahren Geist der Religion eines jeden Einzelwesens.


3. Vereinige rasch alle Religionen mit einander, und die höchte Irreligiosität ist da! – Eine jede Religion, wenn sie eine weise Anwendung findet, kann [95] gute Erfolge hervorbringen. Aber die Religion unserer Väter, so wie die herrschende Religion im Vaterlande, ist für uns doch immer die erste und beste. Man kann, wie die Erfahrung lehrt, ein braves Staatsmitglied, ein edler Freund, und ein vortrefflicher Ehegatte sein, ohne eben einer und derselben Confession anzugehören.


Das zwei und dreißigste Kapitel.


1. Der Geselligkeitstrieb und sein Mißbrauch. – 2. Wie ging es, und wie geht's? – 3. Die Meister und ihre Jünger. – 4. Die Sansculotten und die Tiger.


1. Es liegt tief in der Natur der Menschen, obgleich sie in Geselligkeit und Einsamkeit abwechseln, daß sie sich doch immer gern einander nähern und gemeinschaftlich, so wie die Bienen und Ameisen, bei einander leben. Auf diesen Trieb zur Geselligkeit, ... welcher oft auch als eine sehr ungesellige Geselligkeit erscheint, ... verbunden mit dem Verlangen nach Sicherheit, gründen sich alle größern und kleinern Staatenvereine. Allein jener Geselligkeitstrieb sowohl, als die Wohlthat des Zusammenlebens in einem Staate, beide werden gar oft gemißbraucht. Die tiefe Nacht eines ungeregelten Vorstellens und Begehrens, veranlaßt [96] Irrthum, Ungerechtigkeit und Elend aller Art; welche Übel sich dann von Geschlecht zu Geschlecht oft forterben. Der Eine verdirbt im geselligen Zusammenleben den Andern, wie alle größern und kleinern Gesellschaften solches zur Genüge beweisen; und selbst Staat und Kirche, die uns auf den gefahrvollen Wegen des Lebens als Stützen dienen sollen, werden von den undankbaren Menschen dann, als Mittel zur Befriedigung ihrer Selbstsucht, gemißbraucht.


2. Die ganze Geschichte unseres Geschlechts ist voll von Verirrungen in der Nacht des Geistes. Priester und Philosophen finden wir, nicht in ewigem Frieden, sondern in unaufhörlicher Zwietracht; und Thür und Thor bleiben dann, bei solchem Hader über unser höchstes Gut, der Unwissenheit und dem Irrthume aufgethan. – In China trägt man sich mit ungereimten Traditionen aller Art; und von Griechenland aus werden zahllose kindische Mythen verbreitet, welche eben so unrein in ihren Quellen, als verderblich in ihrer Anwendung sind. – Der Britte preis’t oft seinen Patriotismus, und nicht selten ist dieser doch nur, genau betrachtet, ein kaufmännischer Egoismus. Der Franke rühmt sich seines politischen Wissens; aber wie gar oft ist solches nicht schon ausgeartet in Schwindelgeist, und dann furchtbar gemißbraucht [97] in Rede und Schrift? Von solchen traurigen Erscheinungen ist der Occident noch eben so voll, als der Orient.


3. Was es nicht Montesquieu, welcher in seinen Lettres Persannes zuerst die Fürsten proscribirte, und in seinem Esprit de Loix Religion und Theologie, Gesetz und Moral von einander trennte? Voltaire ergötzte die Welt durch verführerische Trugbilder, und verdarb die Geister am Born des Lebens. Helvetius predigte treulose Selbstsucht; und Jean Jacque Rousseau verwirrte Alles durch trostlose Träume, und fieberkranke Paradoxien. Diderot lös'te, so viel er es vermochte, die Bande aller geselligen Verbindungen auf; und Condorcet, welcher vorzüglich die Philosophie der Encyklopädisten zu concentriren suchte, führte Alles auf bloße Empfindung, d. i. auf Vergnügen und Schmerz zurück. Lalandes schrieb ein Wörterbuch der Atheisten; und Volnay, in seinen Ruinen, will das Unbegreifliche wohl anerkennen, aber nicht ein Wesen aller Wesen. Thomas, in seinem sogenannten Vrai Ami des hommes möchte gern kein Staats-Oberhaupt mehr haben; er verlangt dagegen Volkssouverainität. Die Jakobiner, als getreue Jünger dieser Meister, haben zur Zeit der Revolution in Frankreich in diesem Tone weiter fortgepredigt.

[98]

4. Man sagt freilich: „Nicht die Encyclopädisten, sondern die Sanscülotten waren es, welche alle jene ungeheuern Verbrechen in der französischen Revolution begingen.“ Allein ich entgegne: Waren denn nicht eben jene Barschenkler die Kinder und Werkzeuge der Encyklopädisten? In Rede und Schrift war das Gift längst unter die Geister ausgesäet; die guten Grundsätze suchte man zu untergraben; alle geselligen Bande wurden frevelhaft zerrissen, und so wurde die Feuersbrunst bald allgemein. Nun konnte es freilich nicht anders kommen, wie es kam; denn ist der Tiger im Volke erst einmal los gelassen, dann treiben alle böse Leidenschaften bald überall ihr furchtbares Spiel. Personen und Dinge zu mißbrauchen, oder sich selbst mißbrauchen zu lassen, das geschieht am häufigsten dann, wenn alle guten Grundsätze von Außen erschüttert sind; oder: Wenn man sich einbildet, es gefunden zu haben, daß Alles nicht wahr sei, was uns früher eingeprägt wurde! Die arme verführte Heerde wird dann bei solchen Gelegenheiten immer, entweder das Schlachtopfer, oder ein Mit-Tiger.


[99]
Das drei und dreißigste Kapitel.


1. Was ist Zufall? – 2. Das Homogene und das Heterogene. – 3. Die Dintenflasche. – 4. Die vorherbestimmte Anordnung. – 5. Der Blick des Sehers.


1. Es giebt keinen Zufall, und es kann keinen geben. Das, was man gewöhnlich so zu nennen pflegt, das ist eine Grille. In der Wirklichkeit der Wesen und der Dinge verhält es sich aber auf folgende Weise: Es giebt ein gewisses Zusammentreffen, und eine gewisse Verbindung von Wesen und Dingen, welche vom kleinsten Atom, bis zum größten Planeten und Fixstern, in Wechselbeziehung gedacht werden müssen. Denn alles Große und Kleine im Weltall beharret im Raume, oder es durchläuft seine Bahn; wie der ihm innewohnende Beweger es ordnet oder treibt.

2. Modificirt kann aber Alles werden, durch Hindernisse, oder durch andere äußere Bewegungen und Concidenzen. Das Eine überflügelt dann oft durch Geschwindigkeit das Andere im Lauf; oder es nähert sich ihm durch Attraction, wenn eine Homogenität, d. i. Liebe, Statt findet. Oder beide stoßen sich einander ab, wenn sie ganz heterogen sind, und deshalb sich verabscheuen und hassen. Oder die Wesen und die Dinge befreunden und begegnen sich nothwendig [100] mittels vorhergangenen Ursachen, deren Wirkung dann als unausbleiblich erfolgen muß.

3. Ein Beispiel, von gewöhnlichen Dingen hergenommen, kann hier einige Punkte dieses Gegenstandes in ein helleres Licht setzen: Eine Dintenflasche ist in Gährung geraten; der Stöpsel fliegt in die Höhe; die Flasche wird durch die Erschütterung umgestürzt, das Obere kehrt sich nach unten; das Glas ist dünn und bricht; die Dinte wird ausgegossen und läuft in Abschüssigkeit dahin. Im weitern Fortlaufen wird aber diese Dinte durch irgend ein Hinderniß aufgehalten; nun nimmt sie eine ganz andere Richtung; sie bildet einen kleinen See; sie verdirbt und schwärzt Alles, was ihr nahe kommt; nach und nach endlich vertrocknet sie, oder sie wird von andern Dingen eingesogen; oder sie vermischt sich mit andern Feuchtigkeiten, u. s. w. Mit einem Worte: Diese Flasche, so wie die darin befindliche Dinte, wirkt, ihrer innern Natur nach, als nothwendig; es wird auf sie eingewirkt, und sie modificirt sich durch solche Gegenwirkungen. Bliebe aber jene Flasche in sich selbst unversehrt, würde sie dagegen durch einen Beweger von außen umgeworfen, und nicht weiter aufgehalten, auch dann würde alles Obige auf ähnliche Weise geschehen, und zwar nach unabänderlichen Gesetzen. [101] Eben so verhält es sich nun mit allen Wesen und Dingen, auf welche durch einen Beweger von innen oder außen eingewirkt wird; und zwar erfolgt Alles immer und ewig im Verhältniß von Ursache und Wirkung, d. i. als weitere Erfolge von frühern Veranlassungen.

4. Alle Wesen und Dinge sind vorhanden und bestehen durch irgend eine vorherbestimmte Anordnung (Arrangement pré-établi), und Alles ist in und durch einander bedingt. Man gelangt nie bis zu Nummer zwei, wenn man nicht zuvor in derselben Zahlordnung bei Nummer Eins anlangte, und in ihr gut bestand. Eben so gelangt man auch nicht eher, auf dem geraden Wege, in eine dritte Ordnung der Dinge, wenn man nicht zuvor eine zweite gehörig abgethan hat. Und so geht es in der ganzen Reihenfolge immer fort. Wollte man aber, ohne allem Vorhergehenden völlige Genüge geleistet zu haben, sich erheben, darauf losstürmen und Alles erzwingen, insbesondere bei solchen Wesen und Dingen, welche unterdrückt oder unterstützt sind durch mehrere Andere, dann wird Alles in Trümmern verheerend durch einander stürzen, wie ein in den Grundvesten untergrabenes Gebäude; und Alles würde, voll von Irrthum und Finsterniß, zernichtet und zernichtend, in ein Chaos zurück sinken. [102]

5. Große und heilsame Wahrheiten ergeben sich aus diesen Betrachtungen, welche uns mit trefflichen Grundsätzen der Klugheit, der Behutsamkeit, des Zumvorausberechnens und Vorhersehens auszurüsten im Stande sind. Aller Wahnglaube an jenes Hirngespinnst, genannt Zufall, wird durch diese Lehre zernichtet. Aufgemuntert werden wir dagegen, zu einer unumgänglich nothwendigen und beharrlichen innern und äußern Thätigkeit, um schlechten Begegnissen und bösen Conjuncturen auf alle mögliche Weise entgegen zu arbeiten.


Das vier und dreißigste Kapitel.


Venus-Urania und Venus-Pandemos


Der Zweck der reinen Liebe, ist Liebe; alles Übrige ist blos wohlthätige Folge derselben. Die edle und wahre Liebe ist deshalb auch nicht blind, so wie die unedle Liebe; vielmehr beobachtet sie überall Maß und Ziel; sie steht mit Ehre und Zartgefühl im Bunde, und bahnt uns einen Rosenpfad zu allen Tugenden.

Auf dem Wege der Erotomanie, d. i. der unedlen Liebesucht, wird man dagegen sehr leicht ein vollendeter Bestialist, d. i. ein bloßer Thiermensch. [103] Die Erotomanie ist die niedrigste und gefahrvollste aller thierischen Leidenschaften, und eben so sehr verschieden vom wahren Genusse, als ein erquickliches Erwärmen von der Mordbrennerei; als ein wohlthätiges Erwerben von der Dieberei; und als eine belebende edle Kost von der verächtlichen und todbringenden Schwelgerei.

Die reine und wahre Liebe, jenes Allerheiligste im Gemüthe der Menschen, wird durch die Erotomanie entheiligt, verunehrt und zerstört. Ein Blick, ein Wort, ein Händedruck ist in der reinen Liebe oft himmlische Nahrung für Tage, Monate und Jahre; in der Erotomanie dagegen sind alle Mittel sehr kostenvoll, und durch keines von allen wird irgend ein guter Zweck erreicht. Tod und Verderben sind, für das Einzelwesen, so wie für das Allgemeine, das furchtbare Ergebniß einer jeden unkeuschen Liebe. Das Gold und die Diamanten der wahren und reinen Liebe gehen in der Erotomanie in zerstörende Auflösung über, in Verwesung hauchende Fäulniß und Pestilenz.

Für die wahre und reine Liebe werden die Menschen nie zu alt; für die Erotomanie dagegen ist das Leben sehr kurz. Ja, es giebt gar kein Leben für jene entehrende Leidenschaft, sondern nur einen Zustand [104] der Raserei, so lange die strafbar gemißbrauchten Kräfte noch ausreichen. Sind aber diese Kräfte einmal dahin, und das ist gewöhnlich sehr bald der Fall, dann hinken nur Ekel und Überdruß noch hinten nach.

Der dem Menschen inwohnende fromme und heilige Trieb der reinen Liebe ist, seinem Wesen nach, ein himmlischer Funke, welchen uns die Allgüte verlieh, nicht zum brennen und verbrennen, sondern vielmehr um eine allbelebende Wärme in uns unterhalten. Jede Erotomanie dagegen ist der schändlichste Frevel, weil sie jenen himmlischen Funken zum Lodern, und bis zur zerstörenden Feuersbrunst anfachte.

Alles sollte daher geschehen, auf daß jener herrliche uns inwohnende Trieb einer reinen Liebe, unangetastet in seiner noch unentweihten Natur, zur möglichst spätesten leiblichen Entwickelung gelange. Nicht reizen, aufrütteln, oder zerstören soll man ihn; sondern in den gehörigen Schranken und Richtungen soll man denselben zu erhalten suchen, damit er zur seligen Belebung des Ganzen diene; zu einem das Leben verlängernden Princip in uns werde, und sich vergeistige zur Liebe gegen Kinder und ältere Freunde, gegen Wesen und Dinge, gegen das Weltall, und allzumal gegen Gott!


[105]
Das fünf und dreißigste Kapitel.


1. Die Frauen im Oriente. – 2. Die Geliebte des Weisen. – 3. Der richtige Takt.


1. Die Frauen im Oriente sind weit besser daran, als man bei uns gewöhnlich glaubt; sie sind oft selbst viel glücklicher, als die Frauen in Europa. Man bilde es sich ja nicht ein, daß das europäische schöne Geschlecht, durch sein freies Betragen außer dem Hause, wie es ihnen die übereinkunftliche Sitte unseres kleinen Welttheils gestattet, eben viel gewinne. Aus dem Allgemeinen entsteht sehr oft auch das Gemeine. - Wer sein Glück nicht in sich selbst trägt, der hat keines; und wer es außer dem Hause, und außer sich überhaupt sucht, der findet keines. Ließe man die Töchter und Frauen der Türken überall so frei umher irren, wie solches bei uns erlaubt ist, so würden die Schwachen und Unbesonnenen unter ihnen, bei üppiger Lectüre zum Zeitvertreib, wohl bald werden, was alle orientalische Männer von einer solchen Lebweise, vom Nichtsthun und von der Geschwätzigkeit, fürchten. Scheint also auch das Äußere der Orientalen oft eine Hölle zu sein, so ist das doch nur Schein. Das Paradies steht ihnen vielmehr immer offen, und zwar im Harem, in welchem die Frauen die Göttinnen sind.

[106] 2. Nur der Weise hat eine geliebte Gebieterinn seines Herzens, und er allein kann eine solche haben; denn er ist ihrer werth, und er weiß sie gehörig zu würdigen. Verdorbene Männer dagegen haben gewöhnlich nur ein ihnen ähnliches Weibchen.

3. Es giebt einen gewissen feinen und richtigen Takt, im Denken, Fühlen und Handeln, welchen man auch das Gewissen nennen kann, dessen sorgfältige Bildung und Pflege gewiß von der allerhöchsten Wichtigkeit ist. Will man das reine Bewußtsein nie trüben, so muß man sich im geselligen Wechselleben gar sehr in Acht nehmen, um ja nicht mit in den Strudel so vieler bösartigen Gewohnheiten und Einflüsse hinein gezogen zu werden. Frechheit oder Entmuthigung, das sind die Klippen, an welchen die Mehrzahl der Menschen gewöhnlich scheitert. Der wahre Takt hat seine Quelle im innersten Heiligthum eines reinen Gemüths; dort sprühen die Funken der Himmelsflamme, welche sich oft als Denksprüche offenbaren, einen Jeden freundlich mahnend: Sei weise im Denken, edel in Deiner Gesinnung, und handle gerecht im Kreise Deines Wirkens, für alle Andere, so wie für Dich selbst; und wenn Du Nützliches hervorbringst, so denke nie an Dich allein.



[107]
Das sechs und dreißigste Kapitel.


1. Der Staat als Körper – 2. Das Leben als Harmonie – 3. Die Mechanik im Universum.


1. Das Herz ist es, welches im Gemüthsleben das Amt eines oberherrlichen Regenten verwaltet; der Kopf stellt die schiedsrichterliche Oberbehörde dar; der Körper mit seinen Herkules-Muskeln, ist das Bild des gemeinen Volkes! Überdenke das, sinnreicher Leser, entwickele es weiter, und mache den Schluß, z. B. Ein Körper ohne Herz und Kopf, geistig verstanden, was ist das, und was kommt heraus? Unsinn, Tollheit, Volkzügellosigkeit und desgleichen.

2. Die Musik ist das wahre Bild des menschlichen Lebens, in seinen Erscheinungen. Die Melodie ist die Methode, oder die gute Aufeinanderfolge der Dinge, für einen Jeden. Die Harmonie ist das Bild der allgemeinen Ordnung und Glückseligkeit. Die Dissonanzen stellen die Übergänge von einer Harmonie und Ordnung zur andern dar. Die einfache Melodie ist das Bild eines isolirten Wesen; das Duett stellt ein glückliches Ehepaar vor; das Trio, so wie das Quartett u. s. w. sind das Sinnbild einer ganzen Familie. Der Virtuose, welcher [108] ein Concert giebt, ist das befehlende Landes-Oberhaupt; eine wohlausgeführte Symphonie ist das, was eine weise Gesetzgebung im Staate ist; die größte, vollständigste und beste musikalische Darstellung aber ist, der wohlgeordnete Staat. Der Takt ist das Bild der Gerechtigkeit; concentrirt und personificirt in der Person des Regenten. Eine Symphonie ohne Takt würde die Mißtöne einer Schamanen-Trommel-Musik hervorbringen, und ein Staat ohne Regenten müßte bald zur Mördergrube werden. Das Gesetz für den Takt ist der Rhythmus, und dieser ist für den Regenten enthalten in Ordnung und Gerechtigkeit. – Arme Publicisten, und staatenumwandelnde Helden in der Einbildung, wie oft habt ihr schon geirrt, weil ihr an gar keine höhere Ordnung und Harmonie gedacht habt? Wer Ohren hat zu hören, der höre!

3. Es giebt nur eine einzige große Mechanik des Himmels und der Erde, welche der Materie, und allen Welten in den weiten Räumen des Universums ihre ewigen Gesetze vorschreibt. So giebt es auch nur eine einzige Moral, gleichsam eine psychische Mechanik, oder ein Urprincip der Bewegung im Reiche der Geister, welches alle Intelligenzen nach ewigen Gesetzen verpflichtet. Aus denselben Gründen giebt [109] es auch nur eine allerhöchste Intelligenz, welche für die Fortdauer und harmonievolle Erhaltung des Ganzen wacht. Diese allerhöchste Intelligenz aber ist die Ursache aller Ursachen; sie ist der Urgrund aller Gründe, das ist: Die Gottheit! Je edler und vortrefflicher ein Wesen ist, desto leichter gelangt es zu dieser ewigen Urquelle aller Liebe und alles Lebens. Ohne sie wäre das Weltall wüste und leer; kein Licht würde die Finsterniß erleuchten; und kein Geist würde sich gottinnig seines Lebens freuen. Nur die gedankenloseste Unwissenheit, so wie die roheste Bosheit, kann den Menschen so tief erniedrigen, daß er, taub und blind gegen alles Höhere, keine Gottesstimme vernimmt, und daß ihn kein Licht aus der Höhe jemals erleuchtet und erwärmt.


Das sieben und dreißigste Kapitel.


1. Einfach, aber nicht gleich. – 2. Mißbrauch der Gewalt. – 3. Gerecht und gut.


1. Alle wahrhaft großen Menschen jeder Art suchen sich gewöhnlich gern auf die einfachsten Bedürfnisse des Lebens einzuschränken. Der wirklich große Feldherr ißt und trinkt, so wie der gemeine Krieger, und theilt freudig Alles mit ihm. Dadurch soll [110] aber keinesweges angedeutet werden, als ob wir mit jenen phantastischen, revolutionären Freiheits- und Gleichheitsmännern ein Lied nach ihrer Weise sängen. Das Beginnen solcher Leute ist Thorheit und Frevel zugleich! Die Natur der Wesen und der Dinge veranlaßt selbst schon eine Verschiedenheit der Personen und der Sachen, durch welche gewisse Auszeichnungen des Einen vor dem Andern, als durchaus nothwendig, entstehen. Mit den verschiedenen Würden in der geselligen Ordnung der Dinge, verhält es sich nicht anders. Die natürlichen Auszeichnungen sowohl als die politischen gehen also, von einem höhern Standpunkte betrachtet, in Pflicht, Ordnung und Gerechtigkeit verliehen, selbst von der Gottheit aus.

2. Man zürne doch nicht gleich, wenn sich uns die Dinge in der Welt so zeigen, wie sie nun einmal sind; und nicht immer so, wie sie, nach einem höhern Maßstabe gemessen, sein sollten. Der gewöhnliche Mensch mißbraucht jede Gewalt gar leicht. Theopomp z. B. ist in Gefahr, zu ertrinken; Bruno ist glücklicher Weise in der Nähe, und in der Lage, ihm Hülfe leisten zu können. Er thut, was er soll; er rettet dem Theopomp das Leben; jedoch nur unter der Bedingung, daß er dafür sein Leibeigener werde. Nun entsteht die Frage: In wiefern hat Bruno in [111] diesem Falle Recht oder Unrecht? Die Antwort scheint eben nicht schwer zu sein. Dieses ganze Beispiel ist aber nur ein schwaches Bild der Lage Desjenigen, der durch einen Zusammenfluß von günstigen Umständen, den Vorrang vor irgend einem Andern bekam, und der dann lieblos einen schlechten Gebrauch davon machte.

3. Hast Du Vermögen und Kraft, so darfst Du Beides wohl gebrauchen; keines von Beiden aber sollst Du mißbrauchen. Gehst Du mit Mißbrauch um, so bringst Du Deine eigenen Rechte um! (Qui abuse, tout son droit use!) – Überall und immer seine Pflichten genau kennen und treulich erfüllen, das allein heißt: In That und Wahrheit klug sein, und innig und seelenfroh das nothwenige Wissen lieben.


Das acht und dreißigste Kapitel.


1. Das absolute Gericht. – 2. Die Degradation. – 3. Das wahre Erbrecht.


1. Der Gerechte, so wie der Bösewicht, ist das, was er ist, durch Vorher-Anordnung (le pré-arrangement, vergl. Kap. 33.). Der richtige Begriff einer gerechten Belohnung und Bestrafung, muß also wohl, in dieser Beziehung, ein ganz anderer sein, [112] als der, welcher in der gewöhnlichen Meinung der Menschen dafür gilt, und welcher oft so viel Willkürliches in sich enthält. Der Gerechte ist, als ein solcher, schon hinreichend beglückt, und also hochbegnadigt; der Bösewicht dagegen, als ein wirklich Unseliger, trägt in sich selbst die Verdammmung, welcher er nie zu entfliehen im Stande ist.

2. Wird aber irgend ein Bösewicht, nach göttlichen und menschlichen Gesetzen, sogar zur öffentlichen Hinrichtung verurtheilt, so handelt die Obrigkeit, in einem solchen Falle, im Namen des Staats, nach positiven und in der Endlichkeit höchst nothwendigen Gesetzen. Nie indeß sollte ein Mensch, als Mensch, zum Tode verurtheilt werden. Wenn aber je ein Frevler offenkundiger Schandthaten und Verbrechen überwiesen ist, so wäre es sehr wünschenwerth, daß ein solcher criminaliter vor seiner Hinrichtung erst ganz entwürdigt werde, und daß man ihn z. B. zum gemeinen Tiger, zur Hyäne, zum Scorpion, u. s. w. förmlich degradirte. Dann aber gälte es nicht mehr dem Menschen; sondern nur die niedrige Bestie, der verächtliche Lurch, das giftige Gethier würde aus dem Wege geräumt. Nie also würde ein Edler im Volke, ein Diener der Religion, u. s. w. auf dem Hochgerichte sein Leben verlieren; nie würde die Person und [113] der Mensch entehrend hingerichtet; sondern nur ein Nichtswürdiger, eine listige giftige Schlange, ein furchtbares Ungeheuer würde aus der menschlichen Gesellschaft gestoßen.

3. Auch das unter den Menschenen geheiligte Erbrecht sollte, nach der Analogie einer höhern Gesetzgebung, noch weit sorgfältiger bestimmt und geordnet werden. Gültige Rechtsansprüche müßte der geborne, so wie der adoptive Erblehnträger, sich immer erst selbst erwerben. Von vorn herein, ist ein solcher weiter gar nichts, als ein bloßer präsumtiver oder muthmaßlicher Erbe. Alle übrigen Rechte müssen durch Autopragie und eigene Würdigkeit verdient werden. Dann erst tritt der Würdige, als ein wirklicher Promotus, in das nach höhern Gesetzen verlangte Alter, wenn er es durch wohlbegründete Examina, und andere vollgültige Proben, hinreichend documentirte, daß er, als ein echter und rechter Erblehnträger, auch gediegen und reif genug dazu sei.



[114]
Das neun und dreißigste Kapitel.


1. Giebt’s noch was Neues? – 2. Die Coterien. – 3. Die kluge Frau. – 4. Die Gestaltungen der Mimik. – 5. Der würdige Mercier.


1. Oft hört man von gepriesenen Belletristen und Kunstrichtern die verzweifelte Behauptung aussprechen: „Aller Stoff für neue Schauspiele ist schon längst erschöpft!“ Aber, meine Herren, um’s Himmelswillen, bedenken Sie doch: Läßt sich denn das Universum wohl ausschöpfen? Gewiß nicht; es wäre ja sonst nicht unendlich. Molière z. B. hat einen Geizigen auf die Bühne gebracht; kann man aber wohl behaupten: Dieser Dichter habe die Millionen und aber Millionen Arten von Geiz, welche es giebt, oder geben kann, mit allen Merkmalen völlig erschöpfend charakterisirt; er habe alle Verhältnisse und Lagen, in welchen jeder Geizige auf seine ihm eigenthümliche Weise geizig ist oder sein kann, in allen Nüancen schon aufgefaßt, und ganz unübertrefflich dargestellt? Mit nichten. Hundert, und hunderttausend Schriftsteller, welche Geist und Gewandtheit haben, wie Molière, können eben so viele Geizige, nach ihrer Art, auf die Bühne bringen, und wir erhalten immer ein neues und eigenthümliches Stück. Eben so verhält es sich auch mit jedem andern Stoffe unserer [115] Bühnenarbeiten. Der Geist und das Menschenleben sind unerschöpflich, so wie das Universum; wenn man nur daraus zu schöpfen versteht.

2. Eine auserlesene Gesellschaft, nicht zu groß, und nicht zu klein; in welcher jedes Mitglied etwas Eigenthümliches hat, oder uns doch Wohlgefallen einflößen kann; in welcher überall ein guter Ton, Wohlanständigkeit und Frohsinn vorherrscht; kurz: Eine Gesellschaft, in der man Alles findet, was die Annehmlichkeiten des Lebens vermehren kann; was jeden lästigen Fesselzwang entfernen, und den Menschen wirklich zum Guten zu führen, und zum Bessern zu erheben, im Stande ist; und zwar dieß Alles um so leichter und gewisser, je angenehmer der Weg an sich ist; in einer solchen Gesellschaft findet sich der Stoff zur wahren Dramaturgie. Einen einzigen Abend, z. B. in Paris, in einer Coterie der Art zugebracht, heißt: Eine wahrhaft gute Komödie gesehen haben. Freilich giebt es in ähnlichen Kränzchen des Mechanischen sehr wenig; keine geistlose Gesellschaftsspiele, und keine Coulissen-Künste; desto zufriedener und ruhiger bleibt aber das reine Gemüth; und desto besser, glücklicher und seelenfroher wird man aus einer solchen Gesellschaft nach Hause gehen, was sonst nicht immer der Fall ist.

[116] 3. Eine Frau, die man auch als schöngeistig lobpreis’t, soll von einem sehr geistvollen Manne gesagt haben: „Mein Himmel, wie kann so ein gelehrter Kopf doch ein so erbärmlicher Tropf sein!“ Aber umgekehrt könnte man auch wohl fragen: „Mein Himmel, wie kann solch’ ein Köpfchen, mit so einem Tröpfchen von Geiste, doch so derb sein?“

4. Plastik und Zeichnungskunst vermögen es, selbst den trägsten Stoffen ein freundliches Leben einzuhauchen, welches oft in Verwunderung setzt, entzückt und beseligt. Je länger man z. B. einen Christus von Dannecker, oder eine Madonna von Raphael betrachtet, desto lebendiger wird ihr Leben, desto inniger wird man davon ergriffen, und man muß sich wohl in Acht nehmen, um Herr seiner Begeisterung zu bleiben. Die allerkunstreichste Mimik dagegen bringt oft aus dem Leben Tod hervor. Nach den ersten Augenblicken der Überraschung flößt uns auch die größte mimische Künstlerin Mißbehagen und Überdruß ein. In der Handlung erscheint eine solche, wenn man ihr etwas länger zusieht, als eine Fieberkranke; im ruhigen Stillestehen wird sie zur repräsentativen Leiche. Kurz: Mimik ohne Musik ist widerlich, und nur der Ungeschmack kann so etwas dulden, oder wohl gar bewundern.

[117] 5. „Mercier ist zwar ein berühmter Schriftsteller, aber ein Narr war er doch!“ So hört man oft unverständig und lieblos, im absprechenden Tone, reden. Nun ja, mag man den edlen Mann schelten wie man will; aber läugnen kann man es doch nicht: Daß er wenigstens ein ganz unschädlicher und sogar ein sehr liebenswürdiger Narr war. Mercier’s Schriften erfreuen die Seele, sie erheben und belehren zugleich; und keine einzige seiner Abhandlungen hat eine schädliche Tendenz. Zahllose andere, und oft laut ausposaunte Schriftsteller, sind nicht werth, ihm die Schuhriemen zu lösen. Hätte es Mercier nur verstanden, immer zu rechten Zeit aufzuhören, und das gehörige Maß zu beobachten, so wäre er gewiß einer der allervortrefflichsten Schriftsteller in Europa.


Das vierzigste Kapitel.


Die Richtigkeit der Gegenwart.


Unbeschadet aller Achtung, welche man den Priscianern, Stoikern, Hebräern, und allen Philologen, Philosophen und Antiquaren in der Welt schuldig sein mag, so bedeutet doch, nach einer ganz untrüglichen Grammatik, das Verbum „sein“ (être) so viel als [118]gewesen sein“ (avoir été), und „fortfahren zu sein“ (continuer d'être). –

Fortfahren zu sein“ Das will aber sehr viel sagen, denn es heißt gerade so viel als: Unaufhörlich selbst handeln, und unaufhörlich Handlungen mit in sich aufnehmen; wie solches im Universum geschieht. Günstige Agentien müssen dann immerdar wachen, damit keine zerstörenden Einflüsse mit einwirken, welche die Dingen entnaturen (dénaturer), der Anschauung entziehen, und in einer All-Atmosphäre gleichsam völlig verallgemeinen.

Es giebt also in dem Verbum „sein“, d. i. „gewesen sein“ und „ferner sein,“ kein Präsens; wie solches auch viele Sprachen beweisen. Die Gegenwart ist eine bloße Berührung des Vergangenen mit dem Zukünftigen; und der Augenblick, in welchem man spricht, ist im Nu schon weit von uns entfernt.

Die Lehre von der Nichtigkeit der Gegenwart enthält sehr folgenreiche Wahrheiten! Nichts berichtigt viele unserer falschen Vorstellungen besser, und zernichtet gründlicher so manche Irrthümer, als eben diese Lehre von der Nichtigkeit der Gegenwart. Sie zeigt uns mit einleuchtender Klarheit: Daß man nur [119] leben soll, um gut gelebt, um gut gehandelt, und um gut die Dinge für die Zukunft angeordnet zu haben. Alles Übrige kann uns entrissen werden; nur nicht jener kostbare Schatz: „Gut gelebt, und gut gehandelt zu haben!“ Dies allein ist ein Erbgut, größer als alle Erbgüter in der Welt! Verstockt sein kann wohl der böse Mensch eine Zeit lang; allein das Bewußtsein, schlecht gelebt und schlecht gehandelt zu haben, tilgt nie ein Sophismus aus.


Das ein und vierzigste Kapitel.


1. Der geschürzte Knoten. – 2. Gedanken beim Treppensteigen. – 3 Das Gold und das Amalgam. – 4. Geist und Materie.


1. Man knüpft im gewöhnlichen Leben oft einen Knoten, in Bänder, in Fäden, u. s. w. Ein solcher gut in einander geschlungener Knoten hält fest, und läßt sich im Nothfall auch wieder leicht auflösen. Ein schlecht gemachter Knoten dagegen hält nicht, oder er verwirrt sich, und wird oft ganz unauflöslich, so wie jener gordische Knoten. Mit den geistigen Knoten verhält es sich eben so; sie sind leicht geschürzt, doch schwer gelös’t, wenn sie sind nicht sorgfältig und kunstsinnig geschlungen wurden. Wer hat nicht schon bei der Auflösung der verwirrten Knoten des Lebens sich [120] abgemüht, gelitten, oder mit ihnen blos getändelt und gescherzt!

2. In meinem Hause befinden sich zwei Geheimtreppen. Als ich jüngst auf der einen von diesen ziemlich nachlässig hinaufstieg, da wäre ich beinahe rücklings herunter gefallen, und zwar sehr gefährlich. Bei einigem Nachdenken darüber fand ich nun: Daß man immer, wenn man eine Treppe hinaufsteigt, seinen Rücken hübsch beugen muß, um nicht rückwärts wieder herunter zu fallen; wenn man aber herunter geht, so muß man dagegen seinen Kopf stolz in die Höhe richten, und die Schultern einziehen, um nicht auf’s Angesicht zu fallen. Mit dem Treppensteigen im geselligen und geistigen Leben verhält es sich nicht anders.

3. Vor geraumer Zeit wünscht’ ich einmal Etwas vom allerreinsten Golde zu besitzen, wo möglich 24 karatig. Eine Tabatiere wäre mir am liebsten gewesen. Mehrere Goldarbeiter aber glaubten, die Arbeit nicht machen zu können. Endlich indeß fand sich einer, der es übernahm; und aus großer Freude darüber bestellte ich sogleich zwei statt einer. Mit Ungeduld wartete ich darauf. Sie werden mir endlich gebracht; aber leider, sie biegen sich beide, und zergehen [121] mir fast unter den Händen! Also: Auch Gold, ohne das nöthige Amalgam, läßt sich nicht verarbeiten? Also: Ein Zusatz von unedlen Metallen ist durchaus nothwendig? Ja, so ist es. Allein auch hier ist Maß und Ziel die Bedingung, damit das Gold nicht Kupfer werde, oder etwas noch Schlechteres. Verhält es sich nicht eben so mit unserem Golde im geistigen Leben.

4. Du, Sophronizon, willst blos an die Materie glauben und verwirfst allen Geist? Da hast Du aber sehr Unrecht. Du, Theokles, willst blos an den Geist glauben, und verachtest dagegen alle Materie. Da hast Du aber eben so Unrecht. Ich, meines Theils, ich glaube an Geist und Materie zugleich; und das allein scheint mir der rechte und beste weg zu sein. Beide, Körper und Geist, sind auf das unzertrennlichste mit einander verbunden.


Das zwei und vierzigste Kapitel.


Was ist Wahrheit?


Offenherzigkeit, Strenge, Gerechtigkeit und Nachsicht, (Franchise, Sevérité, Justice et Indulgence), das sei die Losung des braven Mannes! [122] Was ist Wahrheit? Antwort: Alles ist Wahrheit, was wirklich ist. Wie, also auch die Täuschung, die Lüge und der Betrug sind Wahrheiten? Allerdings, in wiefern man es nämlich einsieht, daß die Täuschung nur Täuschung in sich enthält; daß die Lüge eine Lüge ist; und daß der Betrug wirklich Betrug ist. Erkenntnisse der Art sind zugleich sehr wichtige Wahrheiten.

Alle Worte, im strengsten Sinne, sind eigentlich Wechselbriefe. Kann nun ein solcher Wort-Wechselbrief wirklich realisirt werden, so ist er ein gültiger Wechsel. Können aber dergleichen Wort- und Bücher-Wechselbriefe durchaus nie realisiert werden, so sind sie nichts anders, als Lug und Trug, wodurch die Gläubiger sowohl als die Schuldner genöthigt werden, früher oder später bankerott zu machen.

Sehr wichtig für die Wahrheit ist der Beweis. Beweisen muß man aber nicht blos durch Worte: Denn selbst die Mathematik braucht ja reelle Ziffern und Linien; sondern beweisen muß man die Wahrheit der Worte durch Wesen, Sachen und Thaten. Nur Beweise der Art sind es, welche das wirklich leisten, was sie leisten sollen. [123] Da nun aber alle Wahrheiten, überhaupt betrachtet, unendlich verschieden sind, so gehören zum Beweise der Wahrheiten auch unendlich verschiedene Wesen, Dinge, Thaten und sprechende Organe. Der vollständige Codex, der alle Beweise für eine jede einzelne Wahrheit in sich enthält, findet sich allein in den Wesen und Sachen selbst, d. h. im Buche der Bücher. Alle Thaten, so wie alle Wirkungen und Gegenwirkungen, sind dann zugleich Sprache der Sprachen. Ein phantasiereicher Idealist, welcher blos mit Worten und Phrasen spielt, wird daher durch Wesen, Sachen und Thaten sehr oft vom Gegentheil seines unrichtigen Denkens überführt.

Wundervoll ist der Beginn aller Wesen, Sachen und Thaten; und aus ihnen entstehen, auf die geheimnißvollste Weise, all’ unsere Vorstellungen und Gedanken. Treten aber diese unsere Gedanken aus allen Wechselverhältnissen mit den Wesen, Dingen und Thatsachen im Universo, dann sind und werden sie sehr leicht Täuschung, Vorurtheil und Irrthum. Bleiben dagegen unsere Vorstellungen mit allen jenen Grundlagen der Erfahrung im nothwendigen Zusammenhange, so ist das Product von beiden: Die lebendige Wahrheit in Allen!

[124]


Das drei und vierzigste Kapitel.


Der Idealismus und die Realität.


Wären Plato, Kant oder Fichte im Dunkeln, d. h. in völliger Unbekanntschaft mit Welt und Menschen, geboren, aufgewachsen, gealtert und gestorben; hätten sie nie irgend Etwas gesehen, gehört und gefühlt, als blos sich selbst, als etwa nur ihr Ruhebett, ihr Essen und Trinken, und dergleichen; hätten dann Plato, Kant oder Fichte, wohl solche und so viele Vorstellungen und Gedanken jemals gehabt und haben können, als sie nun dermalen, unter den stattgefundenen ganz andern Umständen, wirklich gehabt und uns mitgetheilt haben? Ich meine: Nein. Denn, hätte es nicht außer ihnen Sachen, Wesen und Verhältnisse gegeben, durch welche sie zu jenem Denken veranlaßt worden sind, so würde es auch nie dergleichen Platone, Kante und Fichte’s gegeben haben, so wie es nun solche gegeben hat. So viel ist wohl unwidersprechlich gewiß.

Alles in der Welt verhält sich zu einander, für alle Geschöpfe, wie Ursache und Wirkung. Auch alle Vorstellungen der Menschen sind Wirkungen von gewissen zunächst vorhergegangenen Ursachen. Die [125] menschlichen Vorstellungen sind also allerdings Etwas; indeß sind sie noch bei weitem nicht Alles! Auch nicht blos eine einzige Ursache, sondern eine Concurrenz von gar vielen Ursachen gehört dazu, um Vorstellungen in’s Leben zu rufen und zu behalten. Dergleichen Ursachen sind z. B. ein eigenthümlicher Körper, ein individuelles Leben, Apperception oder ein geistiges Innewerden, Gedächtniß, u. s. w. Verschiedene Ursachen und Concurrenzen müssen also auch verschiedene Vorstellungen, als Wirkungen derselben, hervorbringen.

Ein bloßer Idealist sollte eigentlich nie irgend Etwas realistisch sehen, hören, anrühren, erkennen oder behaupten wollen; er sollte nie, in einer für ihn so öden Wirklichkeit, weder zu schlafen, noch zu essen verlangen. Um übereinstimmend mit sich selbst zu sein und zu handeln, müßte er immer blos mit sich allein und mit seinen Gedanken vorlieb nehmen; er müßte zu Jedermann sagen: „Du bist nichts; und ich selbst, als Körper, bin nichts; und die ganze Welt ist auch nichts; nur mein Ich allein, das ist Alles!“

Das Subjective und Objective in dieser Welt steht immer in Wechselbeziehung, und zwar in gewissen Qualitäten und Quantitäten, welche die Verhältnisse [126] beider zu einander näher bestimmen. Alles im Universum, außer Gott, ist nichts Anderes, als eine vielfache und oft unendliche Zusammensetzung von Theilen der Sachen und Wesen. Sogar unser Gewissen, und selbst die Wahrheit für uns Menschen, ist zusammengesetzt; und von der Concurrenz der vielfachen Ursachen hängt alle Größe und Kleinheit, alle Vortrefflichkeit und Schlechtigkeit der Wesen und der Dinge ab. Dagegen aber sind jene bedingenden Vorstellungen von einem absoluten Raume, und einer absoluten Zeit, in welchen beiden das höchste Subjective und Objective zusammenfallen, und in welchen selbst Materie und Geist sich vereinen, von der allergrößten Bedeutung und Wichtigkeit.


Das vier und vierzigste Kapitel.


Die Natur und das Universum.


„Die Natur!“ ... Welch’ ein inhaltschweres, und doch gewöhnlich so sehr mißverstandenes Wort! Dichter und Philosophen haben es nicht selten, eben so wie der große Haufe, völlig unrichtig angewandt, und sehr nachtheilig gemißbraucht. Das in den meisten Fällen richtigere und bedeutungsvollere Wort „Universum“ oder Weltall wird dagegen noch sehr [127] selten gebraucht. Immer indeß bezeichnet dieser Ausdruck um Vieles besser das Gebiet der Unendlichkeit, als das so sehr abstracte Wort Natur.

Den verdienstvollen naturforschenden Schriftstellern hab’ ich immer gern meine volle Achtung bezeugt; aber gar viele ihrer Redensarten sind nicht selten eben so lächerlich, als die Tiraden der Dichter in ihren Hymnen auf die Natur. Was soll es z. B. heißen, wenn diese Herren in ihren Schriften von einem „Naturmenschen“ reden? Kann man wirklich sagen: „Das ist ein Naturmensch?“ Nun, so muß man auch mit eben dem Rechte sagen können: Das ist ein Naturelephant, oder: ein Naturscorpion, ein Naturvogel, ein Naturbaum, u. s. w. So pflegt sich aber kein Mensch auszudrücken. Es ist also auch falsch, wenn man sagt: „Das ist ein Naturmensch.“ Wohl kann man sagen: Das ist ein wilder, ein zahmer, oder ein abgerichteter Elephant; also kann man auch sagen: Das ist ein wilder, ein gebildeter, oder ein ungebildeter Mensch. Von einem Naturmenschen dagegen sollte, vernünftiger Weise, nie die Rede sein.

Einst hörte ich die Behauptung kühn aussprechen: „Alles ist in der Natur; und außer der Natur ist nichts!“ Ton und Miene endeten die Phrase, völlig [128] im atheistischen Sinne. Das betrübte mich sehr im Geiste.

Die Sprache des Menschen beweiset schon die unendliche Hoheit seines Wesens; wird aber diese große Gottesgabe so sehr entwürdigt und gemißbraucht, wie in diesem Falle, und in so vielen ähnlichen, dann erniedrigt sie den Menschen, bis zum allerärgsten Verbrechen. Es ist gewiß, daß eine jede Sprache etwas sehr Mysteriöses in sich enthält; nur gewisse Strahlen unserer hochgeistvollen Sprache, können wir hier und da auffassen, und dann allmählich lernen, was sie bedeuten, und wohin sie zielen. Diese Lichtstrahlen der Sprachen sind ihre Wörter, das ist: Die geistigen Bilder aller wirklich wesenden Personen und Dinge. Daß man aber allen unbestimmten Ausdrücken immer einen jeden beliebigen Sinn sehr leicht unterzuschieben im Stande ist, das können die ehemaligen Sansculotten und Septembriseur’s wohl zur Genüge beweisen.

Als ich einst jene Behauptung: „Alles ist in der Natur, und außer der Natur ist nichts!“ zum ersten Male hörte, da hatte ich, in Hinsicht des Mundes, welcher sie aussprach, und aller Umstehenden, welche sie mit anhörten, Gelegenheit genug, zu bemerken: [129] Wie heillos dergleichen Redensarten oft werden können. Der ganze dreiste Ausspruch war indeß, genau betrachtet, eine zwar hochtönende, aber doch ganz inhaltleere Phrase. Zum Beweise dieser meiner Behauptung führe ich nur Folgendes an:

Die Natur, als ein Etwas, welches in Allem ist, kann unmöglich wieder Alles in sich enthalten. Denn dieses Etwas, welches immer verschieden ist, je nachdem es sich in dem einen oder in dem andern Dinge befindet, wird ja bis in’s Unendliche vermannichfacht, und hört eben dadurch auf ein einziges Ding zu sein. Es wird die Natur gerade dadurch zu mehreren, gleichsam zahllosen Wesen und Dingen; denn sie erscheint selbst in einem und demselben Objecte oft als ein Vielfaches. Hat es nun mit der Natur, in diesem Sinne, eine solche Bewandniß, darf man denn dieses Wort wohl mit Recht als ein Collectivum gebrauchen? „In der Natur“ giebt es nichts; wohl aber befinden sich die Naturen in Allem. Diese Naturen sind aber nichts Anderes, als: Alles Eigenthümliche und Wesenhafte desjenigen Gegenstandes, von welchem eben die Rede ist. Ein Stein z. E. hat mehreres Eigenthümliche und Wesenhafte, als Eigenschaften, d. h. er hat Naturen, als da sind: Trägheit, Schwere, Dichtheit, Härte, Theilbarkeit, Beweglichkeit, u. s. f. [130] Das Wort Natur, welches als eine einzige Bezeichnung alles Dasjenige ausdrückt, was einem Dinge innig und wesentlich zukommt, hat also einen viel zu weiten Umfang der Bedeutung, als daß man es in einem so schwankenden Sinne noch ferner anwenden sollte, wie es diejenigen Leute zu thun pflegen, welche fast immer, so ziemlich gedankenlos, das Wort Natur im Munde haben.

Alles im Weltall hat seine Natur, oder vielmehr seine vielfachen Naturen, d. i. Wesenheiten und Eigenschaften. Ein Marc-Aurel, wie ein Nero; die Tugend, wie das Laster; die Kunst, so wie die Wissenschaft; das Alles hat, in diesem Sinne, seine Naturen; und Alles erscheint dadurch als ein Besonderes, und als unmittelbare Wirkung und eigenthümliches Product des Weltalls. Selbst die Werke der Kunst sind davon nicht ausgeschlossen; denn sie sind ja, genau genommen, von den Vernunftwesen blos modificirte Naturdinge.

Alles das, was man sieht, empfindet, und mit seinen Gedanken zu umfassen im Stande ist, das ist nicht die Natur, sondern es ist ein Theil des Weltall’s. – Erheben wir also unsere Blicke bis dahin, um die Werke der göttlichen Allmacht im Großen, [131] und in ihrem Zusammenhange, in unserem Geiste aufzunehmen und zu bewundern; die Gottheit anzubeten; und uns ihren unerforschlichen Rathschlüssen, mit aller Ergebung, zu unterwerfen! Im Weltall befindet sich Alles; und Alles ist vom Weltall umschlossen; außer der Allmacht selbst, die das All in’s Dasein rief, die es durchdringt und erhält, im heiligen Bunde der Weltkräfte, durch unwandelbare Gesetze, welche die Natur der Dinge constituiren.

Die Pflanzen sind Naturproducte, und als solche unmittelbare Wirkungen der Gesetze des Weltall’s. Eine Biene, zusammt ihrer geheimnißvollen Kunst, das Blumenleben in Honig und Wachs zu umwandeln, ist nicht minder ein Product der Natur. Der Mensch aber sucht wiederum den Honig und das Wachs der Biene auf tausendfache Weise zu Kunstproducten umzugestalten. Natürlich und künstlich sind indeß immer blos übereinkunftliche Bezeichnungen für Dinge, welche von den Menschen nur so classificirt werden, um sich dadurch das Vorstellen derselben zu erleichtern. Eine Wachskerze, ein Honigkuchen, ein Zugpflaster, u. s. w. sind Natur- und Kunstproducte zugleich. Das reine Quellwasser ist allerdings natürlich; aber auch das Quellwasser verdirbt, wenn es versumpft; es wird dann übelriechend und ungesund. [132] Indeß hört es dadurch doch niemals auf natürlich zu sein; denn der Keim zu jenem Verderben liegt selbst in seiner Natur. Vermischte man das ganz reine Wasser mit Gift, so würde auch dieses Wasser zu Gift werden; aber aufhören würde es dadurch doch nicht natürlich zu sein.

Mit dem einzelnen Menschen, so wie mit dem ganzen Geschlechte, verhält es sich auf ähnliche Weise. Auch der Mensch ist eine Natur, oder richtiger gesagt: Auch der Mensch besteht aus Naturen, d. i. aus gewissen ihm eigenthümlichen Wesenheiten, Eigenschaften und Gesetzen. Kein Mensch aber ist in der Natur, sondern er ist und lebt im Universum, und muß als ein integrirender Theil desselben, betrachtet und beurtheilt werden, welcher allen Modificationen der Theile des Weltall’s, durch Wirkung und Gegenwirkung, nothwendig mit unterworfen ist.

Früh soll man daher, mit aller Sorgfalt, darauf sinnen und darauf hinwirken: Einen jeden noch schuldlosen und unverdorbenen Menschen ja wohl zu verwahren, vor allen nachtheilig einwirkenden und zerstörenden Einflüssen der übrigen Dinge und Wesen, mit welchen er, möglicher Weise, in Berührung kommen kann. Arbeit vor Allen ist für den Menschen [133] der Stein der Weisen, an welchem er seine Kräfte entwickelt, und sich im Denken und Handeln selbstthätig übt. Eine weise gewählte und ausgeführte Arbeit ist es, welche, als ein erster Beweger von innen und von außen, den Menschen die rechte Richtung giebt, und welche ihm den Sumpf der Trägheit gleichsam verpallisadirt. Dadurch wird es dann bewirkt, daß der Mensch nicht auch, so wie das stillstehende Wasser, durch Unthätigkeit und Gedankenlosigkeit, versumpfe, sich und Andere vergifte, und mit dem Laster, als einer bösen Natur, amalgamire oder verquicke; sondern daß er vielmehr, als ein herrliches und edles Wesen im Universum, rein und gut, bis in alle Ewigkeit, erhalten werde.



[134]

Das fünf und vierzigste Kapitel.


Ueber Regel und Ausnahme.


Gehen wir lächelnd der guten Wahrheit entgegen!


Alles Für und Wider, in einer jeden Sache, könnte bis in’s Unendliche gesteigert und immer weiter getrieben werden, wenn das zu beabsichtigende rein Gute, und das, mit dem besten Willen und mit aller möglichen Kraft, auszurottende Böse, nicht Zweck und Ziel im Denken, so wie im Reden und Handeln, genau bestimmten.

„Keine Regel ist ohne Ausnahme,“ heißt es, und das ist sehr wahr. Eine Ausnahme kann aber nie als allgemeine Regel gelten. Alles Beharren in Vorurtheilen und schlechten Gewohnheiten, so wie iene jede trotzige Vertheidigung des Irrthums, muß daher als eine Ausnahme von der Regel betrachtet werden. Unsere philippischen Reden wider [135] alles Böse und Häßliche, wider schädlichen Wahn und sinnlose Träumereien, sind und bleiben dagegen Regel. Daß man aber so oft im Leben die Ausnahmen mit der Regel verwechselt, weil Befangene und Gedankenlose sich immer nur an das Angewöhnte halten, besonders wenn es ihrem Interesse und ihren Lüsten schmeichelt, das gehört mit zu denjenigen Dingen, welche der gedeihlichen Entwickelung des menschlichen Geistes gar viel geschadet haben. – Die Hinrichtung eines Missethäters ist höchst nothwendig, und selbst eine Wohlthat für die menschliche Gesellschaft; immer indeß gehört ein so trauriger Fall doch blos zu den Ausnahmen. Alle göttliche und menschliche Gesetze wider Mord und Todschlag müssen dagegen unwandelbar als unerschütterliche Regel gehandhabt werden. Als Ausnahme soll man es betrachten, wenn der verstockte Mensch träge und gedankenlos nur der alltäglichen Gewohnheit und dem bösen Beispiele folgt; Regel und Maxime des Lebens soll es dagegen für Alle sein, immer nach Grundsätzen und mit reinem Wohlwollen, in Ordnung und Gerechtigkeit, zu denken und zu handeln. Das Häßliche und das Böse, die Täuschung und die Unseligkeit, werden dann immer mehr und mehr verschwinden, und überall zur bloßen Ausnahme [136] werden; das Schöne und das Gute, die Wahrheit und die Seligkeit, werden dagegen zu uns kommen, und die Erde kann für uns ein Himmel werden! [137]


Anmerkungen


zu den Worten


aus dem


Buche der Bücher.



[138] [139]

1.


Die Originale dieser Schriften, welche Stoff zu etwa 10 bis 12 Bänden enthalten, sind in drei sehr von einander verschiedenen Sprachen gedacht und niedergeschrieben; in einer jeden Sprache indeß mit sehr vielen Eigenthümlichkeiten und oft ganz neuen Wortbildungen. Schon Schlözer urtheilte daher im Jahre 1803 von der französischen Urschrift, mit welcher er damals bekannt gemacht wurde, Folgendes:

„Die Stärke unseres Verfassers im französischen Ausdruck, fällt jedem kundigen Leser auf; häufig findet man die recht eigentlichen technischen Wörter, aus den heterogensten Wissenschaften, völlig am rechten Orte gebraucht. Mögen auch mitunter einzelne Ausdrücke von der Art vorkommen, von denen einst Voltaire zu Friedrich dem Großen sagte: Ew. Majestät brauchen Wörter, die zwar nicht französisch sind, es aber zu sein verdienten.“

Da es nun für manche Leser wünschenswerth sein könnte, Proben von der Schreibart des Verfassers im Französischen [140] zu erhalten, so sollen von einigen Aussprüchen hier solche mitgetheilt werden.


2.


Zu Kapitel 1, Ausspruch 1, Seite 3.


Dieser Wahlspruch des Verfassers ist eine Art von Sorites, oder ein stoischer Syllogismus, in welchem die Entstehung der menschlichen Erkenntnisse angedeutet werden soll. Es lautet derselbe im Original also:

Je sens et j'aperçois;
J'aperçois et je combine;
Je combine et je pense;
Je pense et les choses et les êtres mêmes apparoissent;
Ils apparoissent et dictent;
Ils dictent et ...j'écris.

Ueber die Sache selbst vergleiche man das vortreffliche Handbuch der Philosophie vom Professor Wilhelm Traugott Krug, zweite Auflage, Leipzig 1822: Von der ursprünglichen Form der Thätigkeit des Ich's, Seite 53 ff. – Dieses Werk ist bereits in's Griechische, Lateinische und Polnische übersetzt worden.


[141]
3.


Zu Kapitel 1, Ausspruch 3, Seite 4.


Es ist sehr wahr, was der Verfasser hier eigentlich andeuten wollte, daß, so wie jede Tugend, mit voller Begeisterung, in ihrer himmlischen Schönheit dargestellt werden müßte, daß eben so auch alles Unrechte und Böse immer in seiner vollen Niedrigkeit und Häßlichkeit bezeichnet werden sollte. Unsere jetzige sogenannte feine Welt ist, durch eine falsche Anstandslehre, in ihren Redeformen gar oft von der Wahrheit abgewichen. Die alten klassischen Schriftsteller, und selbst unsere heiligen Schriften, nennen gewöhnlich ein jedes Ding bei seinem rechten Namen, und in ihrer Rede ist daher Wahrheit und Kraft, die der unsrigen nicht selten gänzlich fehlen. Bei jener Art zu reden fühlt man sich gedrungen, die Sachen und die Wesen, wie es sich gebührt, gehörig in Ehren zu halten, oder sie von ganzem Herzen zu verachten. Bei unseren bisweilen gar artigen Namen und Redensarten, selbst für das Häßliche und Grundböse, fühlt man dagegen sogleich das Täuschende und Unwahre; und Rede und That sind dann leider zweierlei, wie es doch nicht sein sollte. Gott spricht, und es geschieht! So sollte auch bei den gottinnigen Menschen Rede und That Eins sein, oder sich zu einander verhalten, wie Ursache und Wirkung. Nach christlichen Begriffen ist der Teufel der Vater der Lüge und der Verstellung, Joh. 8, 44.


[142]
4.


Zu Kapitel 2, 1. Seite 5.


So wie Boerhave die Naturgeschichte von Swammerdam eine Biblia Naturae nannte, so bezeichnete der Fürst den Inhalt Seiner Schriften durch den so eigenthümlichen Titel: Worte aus dem Buche der Bücher, d. i. Aphorismen, oder Bruchstücke, wie die Betrachtung der Welt und der Menschen sie eben eingaben. Ueber die Aehnlichkeit oder Verschiedenheit dieser Schriften mit den Pensées, Maximes et Reflexions morales des Herzogs de la Rochefoucault, übersetzt von Friedrich Schulz; oder Marc Antonin's Τών είς Ἑαυτόν, d. i. Selbstbetrachtungen, deutsch von Schulz und Reche, mag der geneigte Leser selbst entscheiden. Eine wahrhaft orientalische Diction, wie in dem trefflichen Morgenländischen Kleeblatt von Hammer, Wien 1819; und im West-Östlichen Divan von Göthe, wird man oft finden, obgleich der Fürst keine von diesen Schriften je gelesen hat.


5.


Zu Kapitel 2, 2. Seite 6.


Der Hebräer nannte den Donner Kol Jehovah, d. i. Stimme oder Sprache Gottes. Der weite Umfang der Bedeutung einer Sprache der Sprachen, wie der Fürst „Das Lesen im Buch der Bücher,“ d. i. im Universum, nimmt, ist Ihm aber wohl ganz eigenthümlich. [143] Diese Sprache der Sprachen ist unserem Autor die Urquelle aller Sprachen, welche sich in den Wirkungen oder Erscheinungen des Weltall's offenbaren, und, ähnlich dem Worte, durch einen unsichtbaren Hauch, d. i. Ursache, hervorgebracht werden. Wirkungen und Gegenwirkungen der Naturdinge; so wie die Handlungen und die daraus entstehenden Gegenhandlungen der Dinge und der Wesen, nennt Er Sprache der Sprachen. Darum pflegen wir auch zu sagen: Aus den Handlungen erkennt man den Mann! Oder: Der Stumme spricht durch sein Thun!


6.


Zu Kapitel 3, 2. Seite 9.


Das römische Recht macht einen Unterschied zwischen Sachen und Personen, res et persona, und versteht unter Sachen alles Dasjenige, was kein Subject rechtlicher Verhältnisse werden kann. Unser Verfasser aber unterscheidet Sachen und Wesen, d. i. Dinge und Personen, nicht in jenem juridischen, sondern immer im metaphysischen Sinne. Unter Wesen oder Personen versteht Er, die Intelligenzen oder Vernunftwesen, mit Würde und sittlichen Verpflichtungen. Sache oder Ding dagegen ist Ihm jeder für sich bestehende Gegenstand, der sich selbst keine Zwecke vorsetzen kann, also ein Ens heteroteles, nicht auteles, d. i. Anderzweck, nicht Selbstzweck. Unser edle Schiller sagt von Beiden, als dem Werthen und Würdigen, in den Votivtafeln:

[144]

Hast Du etwas, so theile mir's mit, und ich zahle was recht ist;
Bist Du etwas, o dann tauschen die Seelen wir aus!

Bisweilen ist bei unserem Autor Wesen und Sache, Etre et chose, auch so viel als, das Ideale und Reale.

„Nimm dem äußern Menschen den Magen“ u. s. w. heißt im Original: Otez l'estomac à l'homme externe... et il cesse; ôtez la mémoire à l'homme interne, ... et il cesse de même.


7.


Zu Kapitel 4, 2. Seite 11.


Ce qui suffit, est assez! Ce qui est au delà, est perdition, dans tous les genres, cas et momens.


8.


Zu Kapitel 6, 1 und 2. Seite 14.


Allerdings ist die Frage über den Ursprung des Bösen groß, und nicht ohne alle Antwort abzuweisen. Wie vieles ist seit Platon's Ideen, seit Spinoza's Ethik, und seit Leibnitzen's Theodicee hierüber geschrieben worden! Sie ist eines der schwersten und höchsten metayphysischen Probleme [145] welches sich jedem denkenden und fühlenden Menschen aufdrängt, und die tiefsten Denker fortwährend beschäftiget. - Die Behauptung des Verfassers: „Gott, als der Allmacht sei ja Alles möglich,“ läßt sich, ohne daß man ihm widersprechen kann, also ausdrücken: Für Gott ist alles Mögliche möglich; dagegen jedem endlichen Wesen von allem Möglichen nur ein kleiner Theil. - Dieser Satz aber beschränkt keineswegs die göttliche Allmacht; sondern es entsteht blos ein täuschender Schein von Beschränkung dadurch, wenn man ohne Fug jenen Satz so aussprechen wollte: „Für Gott ist nur das Mögliche möglich.“ - Für Philosophen stehe noch folgende Bemerkung hier. Die Wörter möglich, wirklich, nothwendig, frei, dürfen, sollen, können, müssen, und mehrere andere diesen verwandte Wörter, bezeichnen den Urbegriff der Seinart, die Kategorie der Modalität, und können eigentlich jedes einzeln, und alle zusammen, zuhöchst von Gott selbst nicht gebraucht werden, da Gott die unbedingte, unendliche, urganze Seinart (Modalität) zukommt, welche über und vor allen den genannten Einzelseinarten ist, und als deren weitere innere Bestimmungen die erwähnten einzelnen Seinarten sich erst erweisen. (Man sehe hierüber meine Sittenlehre, Leipzig 1810. S. 97. ff.) Eine Wahrheit, welche von Platon, Spinoza, Leibnitz, Kant, und den neuern Philosophen, nicht erkannt, geschweige lichtvoll dargestellt worden ist. Erfaßt und ergründet man diese Grundwahrheit, so lösen sich auch die Widersprüche der Nothwendigkeit und der Freiheit, der Wirklichkeit und der Möglichkeit, Hinsichts unserer Erkenntniß Gottes, und Hinsichts des Menschen, in vollkommene Befriedigung auf.“ Krause.



[146]
9.


Zu Kapitel 7, 1. Seite 16.


Das gründliche Studium der Psychologie und Anthropologie überhaupt kann nicht genug empfohlen werden. Die einseitige Selbstbeschauung veranlaßt leicht Kopfverwirrung; denn unvermerkt machen wir hier vermeinte Entdeckungen von dem, was wir selbst in uns hinein getragen haben. Antoinette Boubignon mit ihren liebetrunkenen Verzückungen, und der fromme Pascal mit seinen ängstlichen und schreckenden Vorstellungen, können uns das beweisen. Die erstere kam so häßlich zur Welt, daß ihre Familie es berathschlagte, ob man das Kind nicht, als ein Ungeheuer, ersticken sollte; und Pascal ´hatte sich, als ein überzeitigtes mathematisches Genie, am Euklid krank studirt. Selbst der große Anatom und Dichter Albrecht von Haller kam durch sein lange geführtes Tagebuch endlich dahin, daß er bei seinem ehemaligen Collegen, dem berühmten Theologen Dr. Leß in Göttingen, anfragte: Ob er denn nicht in seinem großen Schatze der Gottesgelahrtheit Trost für seine beängstigte Seele auffinden könne. Vergl. Kant's pragmatische Anthropologie, S. 13.


10.


Zu Kapitel 9, 3. Seite 21.


GOTTHEIT, WELTALL, ORDNUNG und GERECHTIGKEIT, das sind die vier Hauptbegriffe unseres Autors; und in ihnen ist Alles enthalten, was man bei Ihm Mosen und die Propheten nennen könnte. [147] Deshalb sind jene inhaltschweren Worte auch zum Motto auf dem Titelblatte gewählt worden.

Durch das erste Hauptwort GOTTHEIT, wird der Inbegriff aller wahren Theologie und Philosophie, Religion und Moral, ausgesprochen, d. h. alles lebendigen und höchsten Geistigen, welches, für den einmal zum göttlichen und ewigen Leben erwachten Menschen-Geist, ein eben so großes Bedürfniß ist, als stärkende Nahrung und erquickende Ruhe für den Leib. Alle noch nicht geistig Erwachten sind Schlaftrunkenen zu vergleichen, im Embryonen-Zustande, mit einem noch an die Materie gefesselten Leben, von welchen Menschen der Gottessohn sprach: „Lasset die Todten ihre Todten begraben!“ Auch ihre Stunde des Erwachens und der Auferstehung für ein geistiges und ewiges Leben wird schlagen, sobald in ihnen der Sinn für den Himmel der Erlösung erwacht.

Das zweite Hauptwort WELTALL, umfaßt alle Naturwissenschaften; das Fühlen, Erkennen, Wirken und Leben im Universum, eine Σύνδείς ίερά, oder ein heiliger Bund aller Kräfte im All, wie die Alten sich erhaben ausdrückten. Dadurch aber unterscheidet sich das Christenthum vom Heidenthume, und unser Verfasser von so manchem andern Denker der ältern und neuern Zeit, daß Er die Gottheit, als ein Noumenon, hoch über die Natur, als ein Phänomenon, stellt. Unendlich aber ist der Werth dieser christlichen Art, die Dinge zu betrachten, im Vergleich mit der heidnischen, d. i. jener von bloßen Naturbetrachtungen ausgehenden Speculationen, und einer daraus abgeleiteten flachen und flauen Praxis, als [148] Weltansicht und Ziel des Lebens. Diejenigen, welche von unten auf in den Naturstudien, bis zu Sonne, Mond und Sternen hinaufsteigen, ohne Gott, und, wenn es hoch kommt, Gott nur suchend; die gewöhnlich aber, bei einer so einseitigen Theorie, und bei dem kurzen Menschenleben überhaupt, bis zu jener erhabenen Praxis nicht gelangen; ach, ihnen fehlt nur zu oft alles Zuverlässige, so wie die göttliche Liebe; die echte Vielseitigkeit, so wie der Glaube an ein unendliches Ziel unseres Strebens, und eine Allharmonie im irdischen Doppelleben. Diejenigen dagegen, welche, nach christlichen Weltansichten gleich von oben herab, in und mit Gott, die Naturdinge betrachten, wie ein Bonnet, Newton, Linné, Reimarus, und so viele andere große Männer, in ihren Schriften, wie in ihrem Leben; in ihren Gesinnungen, wie in ihrer Handlungsweise überhaupt, wird man Alles weit edler, zweckgemäßer und höher finden. Innocue vivito; Numen adest! (d. i. Lebe schuldlos, die Gottheit ist gegenwärtig!) hatte Linné über sein Schlafzimmer geschrieben. Der große Mann suchte den Gegenstand seiner Wissenschaft von dem Urheber desselben abzuleiten. –

Das dritte und vierte Hauptwort: ORDNUNG und GERECHTIGKEIT, umfassen eben sowohl das geregelte Leben der Intelligenzen; als die ewige Ordnung und unsichtbar waltende Gerechtigkeit im Reiche der sichtbaren Natur. Lehrt uns der Inhalt der beiden ersten Hauptworte die eigentliche und wahre Theorie, für unser Erkennen und Fühlen; so stellen dagegen die beiden letztern die eigentliche und wahre Praxis, für unsern Willen und seine Thatkräfte dar. Was würde auch aus der Welt der Körperdinge werden, [149] ohne jene ewige Ordnung, die sich bei jedem wiederkehrenden Lenze, zur rechten Zeit; so wie bei jeder auf- und niedergehenden Sonne, immerdar herrlich offenbaret! Was würde auch aus der Welt der Geister werden, die durch Krieg und Frieden das Gute, mit Uebung ihrer schöpferischen Kräfte, erringen, oder vor dem Bösen zu bewahren, bestimmt zu sein scheinen! Wo wäre die Allharmonie, wenn nicht auch die Finsterniß sich einst wieder dem Lichte zukehrte, wie, nach Zoroasters Zend-Avesta, Ahriman dem Ormuzd! In ein Chaos würde Alles zusammen stürzen; so wie wir, bei der Betrachtung der Welt im Besondern, in Familienkreisen immer Armuth, Schändlichkeit, Jammer und Verzweiflung überall finden, wenn Ordnung und Gerechtigkeit, gott- und pflichtvergessen, frech oder schlaff, hintan gesetzt werden.


11.


Zu Kapitel 10, 1. Seite 21.


„Um die Zukunft,“ sagt unser Autor an einem andern Orte, „bekümmere Dich nie; denn die Allmacht hat das künftige schon zuvor richtig eingerichtet, oder sie wird, indem sie die gebieterischen Gesetze, das heißt, die Naturen der Wesen und der Sachen, verändert, noch ferner das Zukünftige unwiderruflich bestimmen.“ – Herr Dr. Krause machte hierzu folgende Anmerkung: „Der Verfasser schreibt also der Gottheit den Willen zu, ihre zeitlichen Vorordnungen abzuändern, oder neu zu bestimmen, dadurch, daß sie die Naturen und die Gesetze der Wesen und der Sachen abändert. – In ähnlichem Sinne ändert auch der sittliche Mensch seine endlichen Vorordnungen [150] ab, wenn er unter veränderten Umständen Grund dazu erhält.“


12.


Zu Kapitel 11, 1. Seite 24.

Im Moganni Nameh lesen wir Seite 10.:

„Im Athemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einziehn, sich ihrer entladen.
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
Und dank’ ihm, wenn er dich wieder entläßt.“

Und der Freisinn spricht:

„Laßt mich nur auf meinen Sattel gelten!
Bleibt in euren Hütten, euren Zelten!
Und ich reite froh in alle Ferne,
Ueber meiner Mütze nur die Sterne!“

          West-Oestlicher Divan von Göthe, Seite 8.


13.


Zu Kapitel 11, 2. Seite 25.

Herr Hofrath P. von Köppen in seiner gelehrten Schrift: Die dreigestaltete Hekate und ihre Rolle in den Mysterien, Wien 1823, Seite 2. sagt: „Alles ist bedingt; am bedingtesten ist unser Wissen: Wer einen [151] Tropfen erhascht hat, der bewahre ihn, um darin, wie in einem convexen Spiegel das Universum anzuschauen. Mehr fordern wollen, hieße: Nach einem Hohlspiegel jagen, wo das Bild, in’s Unendliche divergirend, sich im Dunstkreise verlieret.


14.

Zu Kapitel 12, 2. Seite 28.

Ueber ein ähnliches Thema des Verfassers äußerte der große Reinhard, in einem vor uns liegenden Schreiben, Folgendes: „Ew. Durchlaucht sende ich den mir mitgetheilten Aufsatz hierbei zurück; er hat die Empfindungen der Ehrfurcht gegen die edeln und erhabenen Grundsätze, welchen Sie überall treu bleiben, bei mir erhöht. Ich bin vollkommen einverstanden, daß wahre Philosophie Theologie sein muß. Die Philosophie kann ihre Untersuchungen nicht eher schließen, als bis sie sich zur letzten und höchsten Ursache, zum Wesen der Wesen, zu Gott erhoben hat; und fruchtbar können ihre Forschungen nur dann werden, wenn sie die Abhängigkeit alles dessen, was da ist, von Gott, nicht nur gesteht, sondern ihn auch, als den Gesetzgeber und als das Muster für alle vernünftigen Wesen darstellt. Eben so gewiß ist’s, daß eine Theokratie im rechten Sinne, (vergl. Kap. 29, Seite 90.) eine Regierung, die sich nach den ewigen Gesetzen der Wahrheit und des Rechts richtet, und überall den Willen Gottes zu realisiren sucht, unter allen die beste ist; und diese Politik macht dem Geist und Herzen Ew. Durchlaucht um so mehr Ehre, je seltener sie in der großen Welt zu sein pflegt!“ –


[152] Die inhaltreiche Moral Reinhard’s, 4te Auflage, 4 Bände, Wittenberg seit 1802 bis 1810; 5ter Band, herausgegeben von Sr. Excellenz dem Herrn Conferenz-Minister Peter Wilhelm Graf von Hohenthal, 1815; so wie die vortreffliche Moral von Reinhard’s würdigem Nachfolger, dem Herrn Oberhofprediger Dr. Christoph Friedrich Ammon, 1ster Band, Leipzig 1823, sind solche Werke, in welchen wahre Philosophie und Theologie mit einander vereint sind, und durch welche helle Einsicht, gute Grundsätze und edle Gesinnungen zugleich geweckt, belebt und erhalten werden.


15.

Aus einem Urtheile Schlözer’s über Philosophie, niedergeschrieben am 19. September 1803, theilen wir Folgendes mit:

I.

Heilige Philosophie, ich bete dich an! Ohne dich wären wir Thier-Menschen, oder gar Bestien; nur durch dich, nicht durch das stock-taub-stumme coeur und sentiment (Herz und Gefühl) werden wir, was wir dem Plane des Schöpfers gemäß, werden sollen, – hochvernünftige, edle Menschen. Aber was ist Philosophie? Wäre ich ein reicher Mann, ich setzte eine Prämie von 100 Ducaten aus, für den, der mir alle Bedeutungen, die das Wort seit 3000 Jahren bekommen hat, erzählte.

A. Zu meiner Zeit, d. i. um’s Jahr 1751, da die Wolfische Philosophie noch dominirte, hieß Philosophie eine

[153] eigene Klasse der Wissenschaften, so wie Jurisprudenz, Medizin, Mathematik, Historie u. s. w. Man theilte sie ein in die theoretische, welche Logik und Metaphysik, letztere Ontologie, Kosmologie, Psychologie, und natürliche Theologie, enthielt; und in die praktische, wohin man Naturrecht und Moral rechnete.

B. Im Wesentlichen dieses Begriffs kommen auch alle die verschiedenen Systeme überein, wenn man von Aristotelischer, Leibnitzischer, Kantischer, Fichtischer u. s. w. Philosophie spricht: Sie gehen nur in einzelnen Sätzen von einander ab, wenn sie über Entelechia (Ἐντελέχεια) und Monaden, über Ich und Nicht-Ich, Zeit und Raum, Seele und Materialität, speculiren. Ob in einem dieser Systeme Sätze vorkommen, die sich der nachher zu beschreibenden französischen Unphilosophie nähern, weiß ich nicht. Gewiß aber ist von dieser letztern wenigstens der Kantianismus himmelweit verschieden.

C. Von jeher hatte aber auch das Wort Philosophie eine total andere Bedeutung; man nahm es für den allgemein erhöhten und veredelten Menschen-Verstand, wie dieser bei jedem Objecte von einer Idee zur andern, durch Schlüsse, welche die Vernunft macht, richtig fortschreitet. In dieser Bedeutung philosophirt auch die Köchinn über ein Ragout fin; der Holzhacker über die beste Art das Holz zu spalten; Newton über die Art Lichtstrahlen zu spalten; Helvetius über die Menschen-Seele; und der Historiker über die Kunst wahre Facta aus Chroniken, Steinen und Münzen auszugraben. Hier ist philosophiren und raisonniren völlig eins; und Gott bewahre, daß wir dieses Vermögen, das uns der Gottheit nähert, ausschimpfen. [154] – (Man vergleiche hiermit Marc-Antonin über Philosophie, in der Anmerkung zu Kapitel 21, 21.) – Aber:

D. Man kann auch in allen Dingen deraisonniren. Dies thun die Voltaire’s, d’Alembert’s, und überhaupt viele französische sogenannte Philosophen der zweiten Hälfte des abgewichenen Jahrhunderts. Sie speculiren über die wichtigsten Angelegenheiten der Menschheit, verirren sich aber (wohl oft unvorsetzlich), und werden dadurch Prediger des Atheismus und der Immoralität, und nennen gerade diese ihre hochwichtigen Verirrungen in den heiligen Gefilden der Wahrheit, Philosophie? Und diese unsinnige, nagelneue Terminologie sollten wir den Leuten abborgen, nachsprechen; es Kochkunst nennen, wenn die nichtnüchterne Köchinn das Ragout verdirbt? Zuviel Ehre für die Sünder! Nenne man doch jene Philosophie lieber Unphilosophie! Sage man nicht mit dem in der Gothaischen Gel. Zeit. von 1803, Stück 74 gezüchtigten Verfassers des Triumphs der Philosophie im 18ten Jahrhunderte: „Die Philosophie habe Thronen und Altäre umgestürzt.“ Nein, das thut die wahre, die echte, die göttliche Philosophie, d. i. die erhabene, im Menschen als Gottes Ebenbild gebildete Vernunft, nicht! Diese baut und stützt Throne und Altäre; weit davon, sie umzustürzen. Hat das alte Wort durch jene Schreier eine Art von Infamie bekommen, so antworte ich, erstlich: Der Leute, die diesen ganz neuen Sprachgebrauch aufgebracht haben, ist nur eine nicht Nennens werthe Handvoll, es sind etwa ein Schock, N. B. blos französische Auteurs. Wo hat wohl je ein Deutscher, oder ein Engländer, das Wort Philosophie in dem Verstande gebraucht, falls [155] es nicht von Einem und dem Andern aus Gallomanie geschehen ist. Und, zweitens: Kann ein an sich reines Wort dadurch aufhören zu sein, weil ihm eine Bande roher Menschen eine Unreinlichkeit aufheften? Darf ich das Wort Pucelle nicht mehr in einer honetten Gesellschaft gebrauchen, weil es vielleicht Manchen und Manche an Voltaire’s schmutzige Pucelle d’ Orléans erinnert?


E. Aber nicht nur die Philosophie, sondern selbst die französische Unphilosophie, ist völlig unschuldig an den Septembriseurs, und an den Laternenpfählen, so unschuldig wie an dem Menschenfressen der Neu-Seeländer. Jene Unholde, welche die Gräuel der Revolution verübten, hatten in ihrem Leben nie das Wort Philosophie, und nie den Namen Voltaire u. s. w. gehört ... so wenig als jene französischen Bauern um das Jahr 1370, die ihre tyrannischen Gutsherren an einem langsamen Feuer brateten, und ihre Fräulein Töchter zwangen, dem Vater Stücken aus dem Leibe zu schneiden, und zu essen; ... hatten nie eins von ihren verwirrenden Büchern gelesen, denn die armen Teufel konnten nicht lesen. Ihre Bestialität stammte, theils wie auf Neu-Seeland, von Unwissenheit, theils von der damals in Frankreich allgemein von oben herab, d. i. durch Adel und Gutsbesitzer, nichts weniger als durch die ohnmächtigen Bücherschreiber, allgemein unter den sogenannten untern Ständen verbreiteten Irreligion, und deren nothwendige Folge, Immoralität, her. Die armen wirklichen Philosophen mögen sich über verletzte Menschen-Rechte heiser schreien; da hilft Alles nichts. Sie können und wollen nicht Revolutionen herbeiführen. Die Verletzer aber hören sie nicht; und von den Verletzten wollen sie nicht gehört [156] sein. – So lange die Menschheit in unmenschlicher Unterdrückung bleibt, – – z. B. durch gewisse Gutsbesitzer, welche sich weit ärger an der Menschheit, als alle Flibustiers und Septembriseurs versündiget, da indeß ihre Damen von Sentiment sprechen, – so lange sind Revolutionen von unten herauf zu befürchten, die unausbleiblich mit Bestialitäten verknüpft sind.

II.

Von meinem Studiren, d. i. von meinem Wahrheitsuchen, mit dem ich es mir in meinem langen Leben habe sauer werden lassen, habe ich nebenher drei Früchte eingeerntet, die mir unter allen die liebsten sind.

1. Ich weiß nun genau, was ich weiß, und was ich nicht weiß; und urtheile natürlich nie über Dinge, von denen ich überzeugt bin, daß ich sie nicht verstehe.

2. Selbst da, wo ich etwas zu wissen, und folglich urtheilen zu dürfen vermeine, wie etwa in der Moral, Psychologie und Politik, bescheide ich mich gleichwohl, durch Anderer und meine eigene lange Erfahrung gewitzigt, der Fall sei wohl möglich, daß ich Unrecht hätte; daß die von mir bestrittene Meinung doch die richtigere sein könne; daß ich diese, zu einer andern Zeit, und bei einer andern Stimmung meiner Verstandes- und Empfindungs-Organe, vielleicht selbst für meine Meinung annehmen würde. Folglich, wenn ich urtheile, oder gar, wie man´s nennt, kritisire, so heißt das nichts Andere, als: „Das ist meine Meinung, meine [157] Ansicht des Dinges, salvo meliori; das ist sie jetzt: Ob ich Recht habe oder nicht, da sehe der Kritisirte selbst zu; ich sage blos meine Meinung, weil ich den Auftrag habe, sie zu sagen.“ Und folglich: Wenn ich nun unrichtig urtheile, so bin ich nicht ungerecht, sondern nur unwissend.

3. Ich, der ich in der gesunden, und einige Grillenfängereien abgerechnet, für’s menschliche Leben brauchbaren Wolfischen Philosophie, aufgewachsen bin, suche überall Klarheit und Bestimmtheit der Begriffe, und selbst der Gefühle, vorzüglich in der Moral. Ich bin ein Todfeind vom bloßen Wortkram: Was bon, beau et juste; sentiment, dévoir, vertu, plaisir et divinité sei; wie instinct et passion, génie et talent u. s. w. – (d. i. gut, schön und gerecht; Gefühl, Pflicht, Tugend, Vergnügen und Göttlichkeit; Naturtrieb und Leidenschaft, Genie und Talent) – verschieden sind, das will ich definirt, wenigstens describirt, und durch gemessene Beispiele erläutert haben. Wenigstens sage mir jeder Autor, was er unter diesen vieldeutigen, oft sinnlos gebrauchten Wörtern, en son particulier verstehe. – Daraus folgt nun meine Abneigung gegen Mysticism, und Alles, was dahin führt; meine Abneigung gegen alle Ansprachen, die blos an das Herz, und nicht zugleich und vorzüglich auch an die Vernunft gerichtet sind. Ich ehre die Beredsamkeit, die das Herz bewegt, Leidenschaften entflammt, und zu Thaten erhitzt: Aber vorhergehen muß Erleuchtung durch die Vernunft, so wie Reinigung der Eingeweide vor dem Gebrauch der China-Rinde vorhergehen muß. Sonst entstehen Septembriseurs, die durch ihr [158] vermeintliches Sentiment par excellence en choc gesetzt, Laternen-Pfähle errichten.“ – –

Diesen herrlichen Aufsatz, veranlaßt durch die Korrespondenz des Fürsten, glaubte der Herausgeber dieser Schrift hier ganz mittheilen zu müssen, damit er nicht für die Welt verloren gehe. Allen Freunden Schlözer’s wird er gewiß Freude machen, und sie werden Sr. Durchlaucht dafür danken. Nur einige Stellen waren nicht ganz mittheilbar; auch wurde das Abweichende in der bekanntlich nicht angenommenen Schlözerschen Schreibart geändert.


16.

Zu Kapitel 13. Seite 31.

Merkwürdig ist das Zusammentreffen zwei ganz neuer und verschiedener Schriften in folgenden Gedanken und Worten: 1. In Krug’s Dikáopolitik, Leipzig 1824, Seite 410 heißt es, nachdem der Verfasser den politischen Realismus und Idealismus verworfen, und beiden den politischen Synthetismus gegenüber gestellt hat, von diesem: „Er will Ruhe in der Bewegung, und Bewegung in der Ruhe; – er sucht eben so wohl zu verhüten, daß der Staat zur Mumie, als daß derselbe zum Chaos werde.“ – – 2. In Tzschirner’s Reactionssystem, Leipzig 1824. Seite 6. heißt es: „Beides muß sein in der Welt, Bewegung und Ruhe, und die glücklichsten Zeiten der Völker waren unstreitig die, wo, weil die bewegende und die beruhigende Kraft einander das Gleichgewicht hielten, in der Ruhe [159] Bewegung, und Bewegung in der Ruhe war.“ – Noch merkwürdiger aber ist es, daß unser Fürst, der die obigen beiden ganz neuen Schriften bis jetzt noch nicht kennt, seine Hauptgedanken über Thätigkeit in Ruhe, und Ruhe in Thätigkeit schon vor länger als 20 Jahren niederschrieb, obgleich in anderer Beziehung, und blos als Autoschediasmata entworfen. Der Herausgeber fand jene Parallel-Stellen erst nachdem der zweite Bogen dieser Schrift schon längst gedruckt vor ihm lag. Was soll aber aus einem solchen Zusammentreffen nachgewiesen werden? Das wenigstens: Daß wenn der Weizen an einem Orte blüht, daß er dann auch an vielen andern Orten blühe; d. h. daß die Wahrheit, gleichsam in einer All-Atmosphäre, alle denkende Wesen zugleich anspricht, und dann, wir durch ein edles Organ der Weltseele, sich wieder durch das Wort offenbart.


17.

Zu Kapitel 17. Seite 43.

Im Buche des Oguf lesen wir:

„Thue das Gute und wirf es in’s Meer, dich weiter nicht sorgend;
Wenn es der Fisch nicht erkennt, so wird es vom Schöpfer erkennet.“


 Morgenländisches Kleeblatt von Hammer, Seite 63. [160]

18.

Zu Kapitel 18. Seite 44.

Man vergleiche mit diesem Kapitel eine Stelle aus dem geistvollen Wolfgang Menzel, Seite 154, wo es heißt: „Die alten Ritter bauten sich Adlernester, und duldeten nichts über sich, als die Sonne; wir bauen unsere nutzniesigen Hühnerställe zwischen dem eigenen Mist; und jeder Wind bedeckt uns mit Laub und Staub; jede Pfütze überschwemmt uns; alles ekle Gethier, das aus den tiefen Löchern kriecht, wird unser Nachbar und Hausgenoß. In solcher Niedrigkeit wohnen auch oft unsre Seelen.“ – Am Fuße der ganzen Kette des Riesengebirges, etwa von Oybin bis Schmiedeberg und weiter hin, kann man noch viele unverdorbene und wahrhaft gute Gebirgs-Menschen finden, gesund an Leib und Seele. Man erfahre es nur an sich selbst, wie man z. B. auf Oybin und dem Hochwalde, oder von der Hempels-Baude an, freier und großherziger athmet; und wie die lieben Menschen in jener hochliegenden Gegend im Allgemeinen noch so natürlich, guthmütig, naiv, dankbar, unermüdet fleißig und zuverlässig sind; fern von aller übertünchten Falschheit, Faulheit, Genußsucht und Betrügerei. Leicht wird man sich dann an die obigen Worte, über die physische Genesis so vieler menschlichen Schlechtigkeiten, von welchen die Undankbarkeit oben an steht, erinnern; besonders wenn man mit einem andern guten Menzel, dem gewöhnlichen Führer der Träger-Caravane, von Schmiedeberg und Krumphübel auf die Schneekoppe und die Sturmhauben, bis nach Kynast und Warmbrunn, in jener erhabenen [161] Natur und unter so guten Menschen wandert, wie unlängst in seinen Sommerferien der Herausgeber dieser Blätter.


19.

Zu Kapitel 19, 9. Seite 48.

Es thut in der Seele weh, wenn man auch in der gelehrten Welt noch, nicht viel besser als in flachen und bösen Gesellschaften, oft so viel Inhumanität und Ungerechtigkeit, in absprechenden Urtheilen über die Persönlichkeit und die größern Leistungen Anderer, findet. Freilich liegt es in der noch unausgebildeten geistigen Natur unseres Geschlechts, daß sich in praktischen Dingen die Meinungen der Menschen weit mehr nach subjectiven Bestimmungsgründen, ... als da sind: Haß, Liebe, Furcht, Hoffnung, Wünsche und Begierden, ... als nach objectiven Gründen richten. Daher das Geben oder Verweigern des Beifalls, je nachdem Etwas mit dem Dünkel und der Selbstsucht gewisser Menschen übereinstimmt, oder damit in Collision kommt. Das reine Interesse für das Gute und Wahre kann nur in einem Herzen Statt finden, das für Recht und Sittlichkeit geöffnet, belebt, und durch und durch erglüht ist. Auch ist es eine höchst erfreuliche Erfahrung, daß die umfassendste und vielseitigste Bildung mit zu diesem Ziele führt. Aber wer sollt’ es glauben, daß man auch die edelsten Männer der Art, selbst ihrer Humanität wegen, wieder tadelt, und ihr weises Wecken schlummernder Reime durch den Ausdruck „lobhudeln“ in unseren Zeitschriften herabzusetzen sucht!


[162]

20.

Zu Kapitel 20, 17. Seite 50.

Man erinnere sich bei diesem Aphorismus an die Sentenz des alten Dichters Palladas:

Γῆς ἐπεβην γυμνός, γυμνός θ᾿ ὑπο γαῖαν ἄπειμι Καὶ τὶ μάτην μόχθω, γυμνὸν ὁρων τὸ τέλος.

Anthologia graeca Jacobs III, p. 135. n. 103.

Das ist:

Nackt kam ich und nackt geh’ ich einst unter die Erde;
Nackt von hinnen zu gehn, braucht es wohl Kummer und Leid?

Herder’s zerstreute Blätter I, Seite 91.


21.

Zu Kapitel 21, 21. Seite 51.

Marc-Antonin, der Philosoph auf dem Kaiserthrone, schrieb zu Carnunt in Pannonien, im Lager wider die Markomannen, im 2. Buche, Kapitel 17, seiner Monologen über die Philosophie Folgendes:

Τοῦ ἀνθρωπίνου βίου ὁ μὲν χρόνος, ςιγμή. Ή δὲ οὐσία, ῥέουσα. Ή δὲ ἄισθησις, ἀμυδρά. Ή δὲ ὃλου τοῦ σώματος σύγκρισις, εὔσηπτος, Ή δὲ ψυχὴ, ῥόμβος. Ή δὲ τύχη, δυστέκμαρτον. – Ό δὲ βίος, πόλεμος. – Τί οὖν τὸ παραπέμψαι δυνάμενον; Ἕν καὶ μόνον φιλοσοφία. Τοῦτο δέ, ἐν τῷ τηρεῖν τὸν ἔνδον δαίμονα ἀνύβριςον, καὶ ἀσινῆ, ἡδονῶν καὶ πόνων κρείσσονα, μηδὲν ποιοῦντα, μηδὲ διεψευσμένος


[163] καὶ μεθ` ὑποκρίσεως, ἀνενδεῆ, τοῦ ἄλλον ποιῆσαί τὶ, ἣ μὴ ποιῆσαί. — Ἐπὶ πᾶσι δὲ τὸν θάνατον ἵλεῳ τῇ γνώμῃ περιμένοντα. Ad Exemplar Oxoniense, Editio C. Wolle, p. 32, 33. Das ist: Das menschliche Leben dauert einen Augenblick. Alles Sein strömt rasch vorüber. Unsere Gefühle sind ein Reich der Finsterniß. Die ganze Maschine unseres Leibes ist leicht hinfällig und verweslich. Unser Geist dreht sich um seine eigene Achse. Das Glück ist unauskundbar. – Das Leben ist ein Kampf. – Wo ist ein sicherer Führer zu finden? Einzig und allein in der Philosophie. Diese aber ist nichts anders, als die Wissenschaft, den inwohnenden Geist unentweiht und unverletzt zu bewahren; erhaben über Lust und Schmerz; auf daß er nie unbesonnen handle, noch treulos oder heuchlerisch; sich selbst genügend, um fremdes Thun oder Nichtthun sich wenig kümmernd; – vor Allem aber den Tod mit heiterem Gemüth zu erwarten.

22.

Zu Kapitel 21, 30. Seite 54.

Als Kriton den Sokrates im Kerker zum Entfliehen zu bereden suchte, da erwiederte der Weise, als ein Held der Tugend: „Wenn nun, indem wir von hier entfliehen wollten, die Gesetze kämen und fragten: Sokrates, was hast du im Sinne zu thun? – Dünkt es dich möglich, daß je ein Staat noch bestehe, in welchem die abgethanen Rechtssachen von Einzelmännern können ungültig gemacht werden? – Welche Beschwerden hast du gegen uns und den Staat, daß

[164] du suchst uns zu Grunde zu richten. Kannst du es wohl läugnen, daß du unser Abkömmling und Diener bist? – Hat nicht Kraft unserer dein Vater deine Mutter genommen? – Sind wir es nicht, welche dich auferzogen, unterrichtet, und alles Gute dir und jedem Bürger mitgetheilt haben? – Wer den Gesetzen nicht gehorcht, der thut dreifaches Unrecht; weil er denen nicht gehorcht, die seine Erzeuger sind, und seine Erzieher, und weil er weder gehorcht, noch uns überzeugt, wo wir, nach seiner Meinung, Etwas nicht recht thun. – Also, Sokrates, gehorche uns, damit, wenn du in die Unterwelt kommst, du dies zu deiner Vertheidigung anführen kannst bei den dortigen Herrschern. – Entfliehst du aber, und vergiltst Unrecht und Böses mit Gleichem, so werden nicht nur wir auf dich zürnen, sondern auch unsere Brüder, die Gesetze der Unterwelt. – Dieß, theurer Kriton, sprach Sokrates, glaube ich zu hören, wie die, welche das Ohrenklingen haben, die Flöte zu hören glauben. – Wohl denn, Kriton, so laß uns auf diese Art handeln, da uns hierhin auch der Gott leitet.“ – Platonis Dialogi, graece et latine, ex Recensione Bekkeri, I. 2. pag. 158 seq. Deutsch: Kriton, in Platon’s Werken von Schleiermacher, 1. Theil, 2. Band, Seite 241 ff.


23.

Zu Kapitel 22, 38. Seite 57.

Der geistvolle Friedrich Köppen, in seinen vertrauten Briefen über Bücher und Welt, 2. Brief, 2. Theil, Leipzig bei G. Fleischen, behauptet: „Vielen Antheil an Herder’s [165] der’s Mißbehagen hatte die Ungunst seines Zeitalters für Theologie und den geistlichen Stand. Die gesammte Bewegung der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts war auf Veränderung oder Wegwerfung des Alten gerichtet, namentlich des Kirchlichherkömmlichen, und wer in solchem Falle durch seine Ueberzeugung und sein Amt verbunden ist, entgegen zu streben, erfährt Kränkungen genug. Ein Gegensatz der Ueberzeugung ist noch leichter zu ertragen, als ein Gegensatz des Amtes; Herder’s Ehrgefühl war für letzteres sehr empfindlich. In den neunziger Jahren entstand zudem, ganz in Herder’s Nähe, der Taumel einer neuen Philosophie, mit Geringschätzung des theologischen Wissens, was der Generalsuperintendent bei der Prüfung junger Theologen am stärksten wahrnehmen mußte, und worüber ein junger Weimarischer Geistlicher sich erschoß. Herder wollte helfen durch seine Metakritik und Kalligone, aber umsonst; die Arzenei ward verschmäht, und gegen den Arzt ward geeifert. In Fieberzeiten des menschlichen Geistes ist die Heilkunst nicht im Stande Bedeutsames auszurichten; das Heil muß von der natürlichen Krisis erwartet werden.“ Vergl. Herder’s Leben von Döring, 1823.

24.

Zu Kapitel 24, 51. Seite 62.

Dieser Aphorismus erinnert an das slawische Sprichwort:

Бѣдá крáситъ, какъ кипятóкъ рáка!
Bedá krássit, kak kipätók ráka!


[166] D. i. Das Unglück macht gute Gestalt, wie siedend Wasser den Krebsen, d. h. Das Unglück ist für viele Menschen die einzige und beste Schule der Weisheit und der Tugend. – So wie die Verba, welche das Sein und Werden in der Zeit bezeichnen, ein Activum und ein Passivum haben, so besteht auch das Leben der Menschen aus Wirken und Leiden. Darum aber ist die christliche Religion so trostreich und wahrhaft menschlich-göttlich, weil in ihr, wie in keiner andern, auf die Kreuzigung die Himmelfahrt folgt! – Aehnliche Sprichwörter, wie obiges, welche oft concentrirte Volksweisheit kernhaft aussprechen, findet man in des Herausgebers Russischem Elementar-Lesebuche, Deutsch und Russisch, 6. Auflage, St. Petersburg 1823; und in J. C. Blum’s deutschem Sprichwörterbuche, Leipzig 1780.


25.


Zu Kapitel 24, 54, 55 und 56. Seite 63.


     1. Als im Jahre 389 v. Ch. Brennus ... (d. i. im Celtischen Oberhaupt) ... mit seinen senonischen Galliern Rom erobert hatte, und für ein Lösegeld von 100 Pfund Goldes die Belagerung aufzuheben mit den besiegten übereingekommen war, da warf er noch sein Schwert zu dem ohnehin zu schwerem Gewichte in die Schale, und rechnete so doppelt trügerisch und grausam. Als ein Retter in der Noth erschien der nach Ardea verbannte edle Camillus, und machte einen Strich durch die Rechnung des übermüthigen Brennus. – Hundert Jahre später fiel ein anderer Brennus in Vorderasien ein, und seine dort nachgelassenen Gallier hießen [167] in der Folge Galater. Vergl. Pólitz Weltgeschichte I, 359, desgl. Becker’s oder von Rotteck’s allgemeine Geschichte.


∗          ∗          ∗


     2. „Herzig“ ist ein schweizerischer Provincialismus (nach Harnisch: „ein Gausasse“), welcher es wohl verdient, im Hochdeutschen mit aufgenommen zu werden. — Im Originale heißt es scherzend: „Quand on ne peut pas vivre de coeur, eh bien on vive par coeur!


∗          ∗          ∗


     3. Als Herkules ein durch den lüsternen Centaüren Nessus vergiftetes Gewand von seiner eifersüchtigen Gattinn Deïanira, zu einer Opferfeierlichkeit, erhalten und angezogen hatte, welches angeblich treue Liebe bewahren sollte, da ergriff das Gift brennend und verzehrend seinen Körper. Deïanira, als sie diese schrecklichen und unerwarteten Folgen erfuhr, erhing sich; Lichas, der Ueberbringer jenes Hemdes, wurde von Herkules bei den Beinen gefaßt, in das euböische Meer geschleudert, und der unglückliche Held selbst stürzte sich verzweiflungsvoll in die Flamme eines Scheiterhaufens auf dem Berge Oeta.

26.


Zu Kapitel 25, 66. Seite 68.

„Ob der Mensch Etwas vertilgen kann oder darf, das betrachtet man als eine noch unentschiedene Streitfrage,“ [168] hat man eingewendet. Christus sagte: „Lasset das Unkraut und den Weizen beides mit einander wachsen, bis zur Ernte, auf daß ihr nicht zugleich den Weizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausgätet,“ Matth. 13, 29. – Unser Verfasser hat auf diese Einwendung geantwortet: Alles das, was Gott in seiner Allwissenheit und Allweisheit, so wie im Allbesitz aller Mittel thun kann und thun mag, das kann der Mensch in seiner Allbeschränktheit nicht thun, und nicht thun wollen. Man gätet das Unkraut aus, und wirft die Wolfsmilch weg; man lös’t wohl Arm’ oder Beine ab, um vor dem kalten Brand den übrigen Leib zu retten. Wie lautet nun die allgemeine Regel für alle dergleichen zahllose Einzelheiten? Suche das für Dich relativ Schädliche auf die möglichst mildeste Weise unschädlich zu machen; das allein ist es, was die menschliche Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe empfehlen oder gebieten kann. Die Verbannungen nach Sibirien oder nach Botanybay, sind daher auch wohl empfehlenswerther und nützlicher, als das Guillotiniren und Aufhängen.


27.


Zu Kapitel 26, 72. Seite 71.

     Der Bohan Uppas ist ein furchtbarer Giftbaum auf der ostindischen Insel Celebes. Er soll durch seine Ausdünstungen Alles tödten, was Leben hat. Kein Gewächs kommt in seiner Nähe fort; und die Vögel, die über ihn wegfliegen, fallen sogleich todt zur Erde nieder. [169]

28.

Zu Kapitel 26, 78. Seite 76.

Adrastea“ … d. i. die Unentfliehbare, vom α privativo und διδράσκω, ich entfliehe, … ist die Göttinn der Gerechtigkeit, welche als zürnende Strafgöttinn auch Nemesis genannt wird, von νεμεσάω, ich zürne, nämlich über die Bösen. Diese Göttinn war es, welche im vierten oder im eisernen Weltalter zuletzt von der Erde entfloh:

          „et Virgo caede madentes
Ultima coelestum terras Astraea reliquit.

          D. i. „Asträa selber, die Jungfrau
Floh, der Himmlischen letzte, die blutgefeuchteten Länder.“

Vergl. Ovid’s Metamorphosen oder Verwandlungen I. IV. 150. Deutsch (im Auszuge) von J. H. Voß, Berlin 1798. – In der trefflichen Zeitschrift Herders: Adrastea, Begebenheiten und Charaktere des achtzehnten Jahrhunderts, (Cottaische Ausgabe, Tübingen 1809, 2 Bände,) sollen sich Grundsätze des Fürsten befinden, welche der große Herder kurz vor seinem Tode mit niederschrieb. Vergl. Herder’s Urtheil im Vorberichte, Seite VII und VIII.


29.


Zu Kapitel 26, 79. Seite 76.

     Der Duc de Choiseul war durch seine Verbindung mit der Marquise de Pompadour, … die Freundinn Ludwig’s XV., welche zum nachherigen Unglück Frankreich’s und Europa’s so viel mit beitrug, … Staatsminister geworden [170] Als Gesandter in Wien bewirkte er es, daß sogar die Kaiserinn Maria Theresia 1756 sich herabließ, die Pompadour (Madame d’Etioles), in einem eigenhändigen Briefe, ihre Freundinn zu nennen. Bald darauf wurde der Gesandte, ohne eben den Namen zu haben, Premierminister Frankreichs. Der Familienvertrag aller Regenten aus dem Bourbonischen Hause; die Sorgfalt für Martinique und St. Domingo; der Ankauf Corsica’s; das damalige Bündniß mit Oestreich; die Verbindungen mit der Pforte und mit Polen wider Rußland; der siebenjährige Krieg, u. s. w., das Alles ging von dem merkwürdigen Minister Choiseul aus. Die Pompadour starb 1764, allgemein verspottet, verachtet und verabscheut; und einige Jahre später fiel nun auch der durch sie emporgestiegene mächtige Minister in Ungnade; er wurde von Ludwig XV. schmählich entlassen und verwiesen. Wahrscheinlich ward diese seine Verbannung durch die schöne Gräfinn du Barry veranlaßt; allein jene Kränkung dauerte gerade nur so lange, als eben nöthig war, um seinen Ruf noch glänzender zu vermehren; denn seine Entfernung von Staatsgeschäften wurde von den Franzosen als ein wahres Nationalunglück betrachtet.


30.

Zu Kapitel 26, 80. Seite 77.

In den morgenländischen Eklogen des Oguf heißt es:      „Höret die Weisheit in Sprüchen, und übt sie in Thaten: Keiner gebietet dem Volk, der nicht gehorchen gelernet. Du bist der Herr, und ich bin der Herr, wer striegelt das Pferd denn; –

[171]

Mancherlei giebt es der Menschen, wie mancherlei Stufen im Bergwerk,
Stufen von Silber und Gold, die Meisten nur Mergel und Kobolt. –
Wenn der Hunger die Armuth gefreit, erzeugt er den Bettler. –
Wäre die Wissenschaft nicht, so wären die Menschen nur Bestien. –
Will der Herr der Ameis’ Verderben, so wachsen ihr Flügel.
Ziehe den Raben nur groß, er hackt dir die Augen gewiß aus.
Folge der Eule nur; sie wird zu Ruinen dich führen.
Schick’ als Gesandten den Weisen, so braucht es Verhaltungsbefehl nicht. –
Strebst nach dem Höchsten Du, so steig’ zuerst in die Tiefen;
Tief liegt Gold in dem Schacht, im Meeresgrunde die Perlen.“

          v. Hammer a. a. O. Seite 66 bis mit 73.


31.

Zu Kapitel 27, 83. Seite 78.

„Dung“ statt fumier, d. i. Dünger. Das Wort Dung kommt wirklich im Chron. 1229. u. a. O. vor. Vergl. Johann Leonhard Frisch Teutsch-Lateinisches Wörterbuch 1741; ein Werk, welches noch immer unentbehrlich ist. – Möchte uns doch Herr Professor Radlof in Bonn mit einem Werke, wie Fulda’s und J. G. Meusels’s Sammlung [172] und Abstammung Germanischer Wurzelwörter, Halle 1776; oder Herr Dr. Krause in Göttingen, mit dem seit 1816 so sehnlich erwarteten vollständigen Urwortthum der deutschen Volkssprache, recht bald erfreuen! Wie sehr unsere Sprache durch richtig gebildete, wohllautende und edle Archaismen und Provinzialismen (nach Harnisch: „Alt- und Gausassen“) noch bereichert werden könnte, das beweist schon manches Idiotikon.


32.

Zu Kapitel 29. Seite 89 und 90.

Man vergleiche hiermit einige Zeilen aus den Hoffnungen eines Sehers vor dreitausend Jahren:

Reinheit des Herzens kehret zu uns her;
Gerechtigkeit verläßt ihr Sternenzelt,
Des Friedens Oelzweig kränzt die weite Welt. –
Die Wüste fühlt: „Ich werd’ ein Eden sein!“
Der Dornbusch spricht: „Ich will ihm Rosen streun.“ –
Verfolgung ist nicht mehr, noch Haß und Schmerz,
Wer Mensch ist, heilt ein wundes Menschenherz. –
Von Unterdrückung wie von Heuchelei,
Von Wahn und Bosheit ist die Erde frei. –
Was Recht und Wahrheit jedem Herzen pries,
Was Treu’ und Liebe jeden hoffen hieß,
Ist wahr: „Die Erde wird ein Paradies!“

 Herder’s Adrastea II. 152 ff.


[173]


33.

Zu Kapitel 30. Seite 91.

Es ist das Zeichen eines edlen Gemüths, alles Gute gern mitzutheilen, um den innern Himmel auch außer sich wirklich zu machen; so wie Gott eine Welt erschuf, um an seiner Seligkeit auch andere Wesen Theil nehmen zu lassen. Im 6. Briefe Senecca’s an den Lucil lesen wir: „Ego vero cupio ista omnia in te transfundere, et in hoc gaudeo aliquid discere, ut doceam: nec me ullla res delectabit, licet eximia sit et salutaris, quam mihi uni sciturus sim. Si cum hac exceptione detur sapientia, ut illam inclusam teneam, nec enunciem, rejiciam. Nullius boni, sine socio, jucunda possessio est.“ D. i. Wie sehr wünschte ich, das Alles wieder gleich über Dich ausgießen zu können; denn nur deshalb macht es mir unendliche Freude, immer zu lernen, um es Andern wieder zu lehren. Nichts in der Welt, und wenn es das Allerköstlichste wäre, würde mir Hochgenuß gewähren, wenn ich es für mich allein behalten sollte. Ja, böte man mir die Weisheit selbst an, aber unter der Bedingung, daß ich sie in mich verschließen und Keinem wieder mittheilen solle, so würde ich einen solchen Antrag abweisen. Kein Gut gewährt uns, ohne Mittheilung, irgend eine wahre Freude! L. Annaei Senecae Philosophi Opera omnia, Edit. F. E. Ruhkopf. Vol. II. pag. 19. [174]


34.

Zu Kapitel 31, 3. Seite 94 und 95.

Man vergleiche hiermit die herrliche Rede am Reformations-Feste 1823, vom Oberhofprediger Dr. Ammon, Dresden bei Hilscher, vier Predigten über verschiedene Texte, 1824; eine wahrhaft apostolische Friedenshymne an die gesammte christliche Welt, welche den getrennten Christengemeinden unserer Tage drei Friedensworte zuruft. – – Vielleicht giebt es kein Land in der Welt, wie Rußland, in welchem nicht nur die größte Toleranz geübt wird, sondern wo selbst von der herrschenden Kirche, weit entfernt vom Indifferentismus, aller Glaubenswechsel gehaßt wird. Jeder denkende Russe, wie lieb ihm auch die Religion seiner Väter, und die des Vaterlandes ist, verachtet doch von ganzem Herzen alle fremde Religionsverwandte, welche ihr Glaubensbekenntniß eigennützig aufgeben, und zu einem andern Cultus übergehen. Von den dortigen deutschen Protestanten und ihren Predigern, so wie von der hernhutischen Brüdergemeinde, muß man dasselbe rühmen, obgleich das Buch von Herrn Karl Limmer: „Meine Verfolgung in Rußland, Leipzig 1823“ ganz andere Dinge behauptet. Aber der Herausgeber dieser Schrift hat auch sechszehn Jahre in Rußland gelebt, zehn Jahre selbst in St. Petersburg, und er kann, sine ira et studio, als ein Unbefangener, die Behauptungen jener Schrift durchaus nicht unterschreiben. – Als er im Jahre 1819 Kränklichkeit halber St. Petersburg verließ, und einem Rufe in’s Vaterland folgte, da vertraute er sein ganzes literarisches Eigenthum dem Sareptaischen Hause an, ohne selbst ein Mitglied der Brüdergemeinde zu sein. Der allgemein gute Ruf der Redlichkeit [175] aller hernhutischen Brüdergemeinden bewog ihn zu jenem Schritte, welchen er auch bis jetzt nicht Ursache hatte zu bereuen; denn man bewies ihm dort durch die That, daß Treue und Glaube wirklich noch unter uns wohnen.


35.

Zu Kapitel 32, 3. Seite 97.

1. Montesquieu.

Die berühmten lettres Persannes, vom Baron von Montesquieu, erschienen zuerst 1721. Sie enthalten ein lebensvolles Gemälde der allerlächerlichsten europäischen Sitten, angeblich von einigen reisenden Persern. Usbeck spottet z. B. „Ueber den Ernst, mit welchem wir oft die nichtswürdigsten Dinge im Leben behandeln; so wie über den unverantwortlichen Leichtsinn, mit welchem man die wichtigsten Gegenstände in der Welt lächerlich zu machen suchte; über das Flache und Verführerische in unsern gesellschaftlichen Zusammenkünften, zum bloßen Zeitvertreib; über die Widersprüche unseres bessern Wissens, mit unseren Handlungen; über unser literarisches Gezänke; über das oft zügellose Reden und Schreiben, ohne zu denken; so wie über den Unsinn, ohne Sachkenntniß und reifes Urtheilsvermögen, doch urtheilen zu wollen,“ u. s. w. – In seinem berühmten Werke: Sur la cause de la grandeur et de la décadence de Romains, sucht Montesquieu es zu beweisen, daß das große Römerreich unterging, durch die zusammen geplünderten Reichthümer Asiens, welche zuerst ein allgemeines Sittenverderbniß herbei führten; durch die Auswanderungen und Proscriptionen, welche Sulla veranlaßte; durch die unübersehbare Vergrößerung des Staats; [176] durch eine Reihe von Ungeheuern, welche von Tiberius bis Nerva, d. i. vom Jahre 14 bis 96 n. Ch. Geburt, und von Commodus bis auf Constantin den Großen, d. i. von 180 bis 324, herrschten; mittels der Theilung des Reichs und des Aufkommens einer neuen Ordnung der Dinge durch das Christenthum, vergl. Gibbon History of the decline and fall of the roman empire, 6 Vol. in 4. 1787. Welche Belehrung kann aus diesen Werken, ungeachtet ihrer Einseitigkeiten, [6] auch für unsere Zeit noch geschöpft [177] werden! – Das Meisterwerk Montesquieu’s ist sein Esprit des Loix.[7] Um die Hauptnationen Europa’s in diesem Werke richtig zu schildern, legte Montesquieu alle seine Aemter nieder, und begab sich auf Reisen, nach Deutschland, Ungarn, Italien, der Schweiz, den vereinigten Niederlanden, und nach England. Der überall mit Auszeichnung aufgenommene Verfasser der Lettres Persannes fand, sagt d’Alembert in seiner Denkschrift auf Montesquieu: „Que l’Allemagne étoit faite pour y voyager, l’Italie pour y séjourner, l’Angleterre pour y penser, et la France pour y vivre.“ (D.i. Deutschland ist dazu gemacht, um daselbst zu reisen; Italien, um längere Zeit da zu verweilen; England, um dort zu denken; und Frankreich, um immer da zu leben.) Montesquieu’s edle Handlung zu Marseille, indem er insgeheim eine Summe anwies, um den unglücklichen Vater eines jungen Schiffers aus der Sklaverei der Raubstaaten loszukaufen, hat das Schauspiel: Le Bienfait anonyme, veranlaßt. Die größten Männer Frankreichs drängten sich zu dieses geistvollen Mannes lehrreichen Umgange; [8] er aber [178] floh, so oft er es konnte, auf sein Landgut Brede bei Bordeaux, und sprach das gasconische Patois mit seinen Bauern. Er starb 1755 im 66. Jahre seines Alters. Der berühmte Lord Chesterfield sagte von ihm, bei seiner Todesanzeige in englischen Blättern, Folgendes: „His virtues did honour to mankind. – His works will illustrate his name, and survive him, as long as right reason, moral, obligation and the true spirit of laws, shall be unterstood, respected and maintained.“ (D. i. Seine Tugenden machen der Menschheit Ehre. – Seine Werke werden seinen Namen verherrlichen, und ihn so lange überleben, als gesunde Vernunft, Moralität, Wohlwollen und der wahre Geist der Gesetze verstanden, geachtet und aufrecht erhalten wird.) – Eine herrliche Ausgabe aller seiner Schriften ist die in 5 Oktavbänden, Paris, An IV.


∗          ∗          ∗


[179]

2. Voltaire.

Voltaire, von Einigen vergöttert, von Andern anathematisirt, starb 1778 zu Paris, 85 Jahre alt. Sein eigentlicher Name war François Marie Arouet. In der Physiognomie dieses Mannes lag, wie man bemerkt, etwas vom Adler und der Meerkatze, und in der That vereinigte er auch mit dem kühnen Aufstreben des erstern etwas von der Bösartigkeit der letztern. Nie aber hat ein sogenannter Homme de lettres es besser bewiesen, daß dem Geiste die Herrschaft der Welt gebühre, als Voltaire, insbesondere zu einer Zeit, wo Gelehrte und Künstler noch von den Großen, wie die Graeculi bei den Römern, als eine Art von guten Hausdienern, behandelt wurden. Friedrich der Große küßte ihm, in einer Stunde der Begeisterung, die Hand; und späterhin erhielt der Dichter die Büste dieses glorreichen Monarchen mit der Unterschrift: Viro immortali (d. i. dem Manne der Unsterblichkeit), worauf er antwortete: „Sire, Sie haben mir ein Gut in Ihrem Gebiete angewiesen.“ Als reale Güter genoß er ein jährliches Einkommen von mehr als 30,000 Rthlr., theils durch seine Schriften, als Ehrensold; theils durch einen Gewinn in der Lotterie, so wie durch seine glücklichen kaufmännischen Speculationen. Der ihm eigenthümliche Stachelwitz aber, so wie das in ihm liegende Streben nach Opposition, waren die Ursachen, daß er wohl überall viel Bewunderer fand, nirgend indeß einen wahren Freund. Einst, als ihm der Odendichter Jean Baptiste Rousseau seinen Hochgesang an die Nachwelt vorlas, sagte er spöttelnd: „Das ist ein Brief, welcher schwerlich an seine Adresse gelangt;“ und dieser Witz entzweite ihn auf immer mit dem [180] Verfasser der Oden. Ein anderes Mal schickte ihm Jean Jacques Rousseau seine Preisschrift über das Verderbliche der Künste und der Wissenschaften, in Hinsicht der Sitten, nebst seiner Abhandlung, über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, ... in welchen Schriften er, aus Verdruß über das gleißnerische Wesen der großen Welt, wünschte, daß die Menschen in die Wälder zurückkehren, Eicheln essen, und wieder natürlicher werden möchten, ... und Voltaire antwortete sarkastisch: „Je länger ich in Ihren Abhandlungen lese, desto mehr bekomme ich Lust, auf allen Vieren zu kriechen.“ Auch dieser scharfe Witz veranlaßte eine unversöhnliche Feindschaft; denn als in der Folge Voltaire dem unglücklichen Rousseau ein Asyl bei sich anbot, da antwortete dieser: „Mein Herr, Sie verderben mir meine Republik durch Ihre Komödien; ich kann Sie nicht ausstehen!“ „Der arme Jean Jacques, sagte hierauf Voltaire, er ist weit kränker, als ich glaubte.“ – Uebrigens ist es nicht zu läugnen, daß der oft frevelvolle, muthwillige Witz Voltaire’s, besonders über religiöse Angelegenheiten, in ganz Europa Drachenzähne voll Gift aussäete, und diejenige Abspannung verursachte, aus welcher so manche Ueberspannung der gegenwärtigen Zeit, als Gegensatz, entstanden ist.


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3. J. J. Rousseau.

Jean Jacques Rousseau, der Sohn eines Uhrmachers in Genf, wurde 1712 geboren, und starb 1778, des Lebens satt und müde, als ein melancholischer Menschenhasser, [181] im 66. Jahre, zu Ermenonville, unweit Paris. Seine Abhandlung sur l’inégalité parmi les hommes, und sein Contrat social, werden als Katechismus der französischen Revolution betrachtet. Von Gefühlen und Phantasieen überwältigt, oft erleuchtet von der Himmelsfackel der Ideen, war Rousseau doch nicht so reich an Realkenntnissen und wirklicher Verstandesbildung, als Voltaire. Dazu kam sein egoistischer Starrsinn, seine Paradoxiensucht, seine Schwärmerei für Liebe und Freiheit, seine Melancholie, sein desfallsiges Mißglück in allen Lebensverhältnissen; und daher auch seine einseitige hypochondrisch-trübe Ansicht der Welt und der Menschen. Oft erklären sich seine Schriften aus seinen Schicksalen und den Anomalien seines Lebens, welche wohl die beste Warnungstafel für viel seiner schwärmerischen Verehrer sein dürften. Schon in früher Jugend wurde sein Kopf durch die unselige Romanleserei der damaligen Zeit, … eine Art von Lesewuth, welche jetzt, Gottlob, nur noch bei den Halbgebildeten Statt findet, und als furchtbare Pest, welche Leib und Seele zugleich verdirbt, wohl bald ganz von uns weichen wird, … excentrisirt und verwirrt. Als Jüngling lief er einem Graveur aus der Lehre; ging, als Reformirter, zur katholischen Confession über, um bei seiner Landstreicherei in Savoyen nicht vor Hunger zu sterben; empfing darauf Unterricht in einem Kloster; entsprang hier bald wieder, und ging dann abermals feierlich zur protestantischen Kirche über. Eine Zeit lang lebte er kümmerlich von Notenabschreiben; und in der Folge machte er sich, durch das Auffallende in seinen Schriften, als etwas Außerordentliches und Originelles, theils enthusiastische Freunde, theils aber auch, ihn ohne alle Barmherzigkeit verdammende Feinde. Gar oft hatte er nicht, wo [182] er sein Haupt hinlegte. Sein unweises Absprechen, über das Formelle in der Religion, erbitterte die Theologen; seine gutmüthige Herzlichkeit wurde von den Philosophen als Schwäche, und sein Glaube als Gläubelei verspottet. Von dem Parlamente in Paris sowohl, als vom Magistrate seiner Vaterstadt, wurden seine Schriften verbrannt, und er selbst wurde aus Stadt und Land verwiesen, als ein staatenumwälzender gefährlicher Mensch. Die einzige treue Seele, welche ihn, bei aller ihrer Einfachheit, liebend und ahnend verstand, die sich in seine Launen zu schicken wußte, war seine Haushälterinn, Therese le Vasseur, welche er dann auch, nach drei- und zwanzigjähriger Vertrautheit, um ihre Treue zu belohnen, im Jahre 1768 heirathete. Seine fünf Kinder aber hatte er, auf das unverantwortlichste, in’s Findelhaus abgegeben; selbst ohne ihren Geburtstag, oder sonst ein Merkmal zu ihrer Wiedererkennung, aufgeschrieben oder sonst aufbewahrt zu haben. [9] Aus kummervoller Reue darüber schrieb er seinen [183] Emil, das bekannte Werk über Erziehung, um jene Sünden doch wenigstens, durch eine gute Erziehung anderer Kinder, in etwas wieder gut zu machen.


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4. Helvetius.

Helvetius, der Sohn eines Pariser Arztes, ursprünglich von deutscher Abkunft, wurde 1715 geboren, und starb 1771, im 66. Lebensjahre. Er war eine Zeit lang königlicher Generalpächter, blieb aber dennoch immer den Musen getreu. Seine beiden Hauptwerke, de l`Esprit und de l`Homme, [184] athmen die Empirie und materiellen Ansichten Condillac`s. Sehr viele sonderbare Sätze jener Schriften vertragen zwar keine nähere Prüfung; aber das Ganze gewährt doch die allermannichfachste Belehrung. Wer da glaubt, daß allem Metaphysischen und Moralischen im Menschen immer auch etwas Körperliches entspreche, der findet hier seine volle Rechnung; aber man hüte sich ja wohl, sogleich in verba magistri zu schwören. – Als Generalpächter handelte Helvetius echt philosophisch, d. h. wohl überlegt und edel, immer mit Milde und Schonung. Junge talentvolle Studirende wurden von ihm mit Freigebigkeit unterstützt; und selbst dem unglücklich gewordenen Jesuiten, der ihm einst so viel Herzeleid und Verfolgungen bereitet hatte, half er, da dieser Mensch höchst elend geworden war, auf die edelgesinnteste Weise, ohne daß derselbe den Namen seines Wohlthäters erfuhr. – „Belohnung und Strafe, Ehre und Schande,“ sind nach Condillac und Helvetius, „Die Hebel aller menschlichen Tugenden. Ein Jeder schätzt in Andern,“ sagt Helvetius, „nur sein eigenes Bild; oder das, was ihm nützlich sein kann. Die interessantesten Ideen sind allemal für einen Jeden diejenigen, die am meisten seinen Neigungen schmeicheln.“ – Ueber das Falsche und Nachtheilige einer solchen egoistischen Erfahrungs-Weltansicht, wie die Systeme fast aller französischen Philosophen des achtzehnten Jahrhundert, vorzüglich die von Condillac und Helvetius, welche indeß beide von dem Lockischen Systeme ausgingen, vergl. Buhle´s Geschichte der Philosophie VIII., §. 2087 ff.


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[185]
5. Diderot.


Diderot, geboren 1713, und gestorben im 73. Jahre 1784 zu Paris, hat in seinen Principes de philosophie morale zuerst am kühnsten den unglücklichen und grundfalschen Gedanken vertheidigt: „Die Tugend müsse, als unabhängig vom göttlichen Willen, gedacht werden.“ — Er und d`Alembert waren die Hauptunternehmer der französischen Encyclopädie, welche unläugbar durch einseitige, die Eigenliebe schmeichelnde, falsche religiöse und politische Grundsätze, die Revolutionen in Europa mit vorbereitete. — Man pflegte von Diderot zu sagen: „Er konnte wohl schöne Seiten, aber kein gutes Buch schreiben.“ Der Charakter dieses berühmten Mannes wird von seinen Freunden als bieder und uneigennützig geschildert; von seinen Feinden aber wird er als hinterlistig und sehr eigennützig ausgeschrieen, Am besten indeß widerlegt die letztere Behauptung wohl seine oft drückende Armuth, denn er war sogar genöthigt, seine Bibliothek in’s Ausland, an die hochgesinnte Kaiserinn Katharina, für 50,000 Livres, zu verkaufen. Die großmüthige Fürstinn aber machte den geistvollen Diderot zu ihrem Bibliothekar für diese Bibliothek in Paris, so lange er lebte. - La Mettrie, in seinen Abhandlungen: L`homme machine, und l`homme plante, ... so wie der Verfasser des berüchtigten Systeme de la Nature, ou des loix du monde physique et du monde moral, ... waren es aber vorzüglich, die durch ihren psychologischen Materialismus auf die einseitig gebildeten Naturforscher, so wie auf die halbgebildete französische Lesewelt, einen so sehr nachtheiligen Einfluß äußerten, und jene Zügellosigkeit im Denken, und möglichen Falls dann auch im Handeln, [186] verursachten, welche in Europa so heillose Frechheit erzeugte, und Klüglinge hervorbrachte, denen nichts mehr heilig blieb. Gott bewahre uns aber vor dem mißverstandenen Sprachgebrauch, solche Sünder Philosophen zu nennen! Man vergl. hierüber Anmerk. 15, Seite 152 ff.


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6. Condorcet, d’Alembert und die Encyklopädisten.

Der Marquis von Condorcet, ... geboren 1743, gestorben 1792 als Geächteter, wahrscheinlich durch Selbstvergiftung, ... blos den sogenannten exacten Wissenschaften huldigend, vereinte alle guten und schlechten Eigenschaften der französischen Encyklopädisten in seiner Person. Er war Naturforscher, Mathematiker und Belletrist, aber kein eigentlicher Philosoph. Die Meinungen über einen Mann, von solcher Größe des Geistes, wie Condorcet, können freilich nie einstimmig sein. So viel aber ist doch im Ganzen erwiesen: Die Hauptgedanken in seiner Rede, über die Vereinigung der physischen und moralischen Wissenschaften, sind falsch; sein Enthusiasmus für die französische Revolution grub ihm sein eigenes Grab; und über die Grenzen des zunächst Erreichbaren war er in einer ihn völlig verblendenden Täuschung. – – D’Alembert, ein 1717 gefundenes und von einer armen Glaserfrau gepflegtes Kind, starb 1783 im 66. Jahre, als ein berühmter mathematischer Physiker, Literator, und sogenannter französischer Philosoph, vergl. Anmerk. 15. Er war [187] Condorcet’s nächster Geistesverwandter, welcher ihn insbesondere veranlaßte zur Theilnahme an der Ausarbeitung des berühmten Dictionnaire encyclopédique, in 17 Foliobänden, nebst 6 Bänden in Kupfern. Es ist nicht zu läugnen, daß dieses Werk, als ein Gemisch von Trugvernünftelei, von sogenannter französischer Modephilosophie und schönthuender Belletrie, sehr nachtheilig auf die europäische Welt einwirkte. Schon unser Conversations-Lexikon, Leipzig bei Brockhaus, 6. Auflage 1824., aus welchem mehrere Notizen für diese Artikel ausgehoben sind; so wie die große deutsche Encyklopädie aller Wissenschaften von Ersch und Gruber in Halle, beweisen zur Genüge die bei weitem umfassendere Gründlichkeit und edlere Tendenz der bessern jetzigen deutschen Literatur. Der Naturalismus und Fatalismus ist von den französischen Encyklopädisten so reizend, und mit so vieler scheinbarer Gründlichkeit, dargestellt; das Wahre ist dort mit dem Falschen so wunderbar gemischt; die Angriffe auf Religion, Moral und Bibel sind mit so schlauer Tactik eingeleitet, und mit dem zweischneidigen Schwerte des Witzes verfochten, daß alle Leser dieser Schriften, welche sich in der philosophischen Speculation nicht hinreichend geübt haben, verloren sind, wie solches die Culturgeschichte der letzten vierzig Jahre in Europa leider bewiesen hat. Vergl. Jenisch, Geist und Charakter des achtzehnten Jahrhunderts, 3 Bände; und desselben: Universalhistorischer Ueberblick der Entwickelung des Menschengeschlechts, in 2 Bänden, Berlin 1801.


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[188]
7. Lalandes.

Lalandes, geboren 1732, gestorben im 75. Jahre 1807 zu Paris, war ein berühmter Mathematiker und Philosoph. Sein Abrégé d’Astronomie, Paris 1795, ein Auszug aus dem vollständigen Werke in drei Quartbänden, kann nicht genug empfohlen werden. Allein die Härte im scharfen und lieblosen Aburtheilen, über die Denk- und Handlungsweise Anderer, ohne alle Rücksichten, machte ihm viel Feinde, welchen es nun oft gelang, ihm sogar seine wirklichen Verdienste streitig zu machen. Am allerverhaßtesten wurde er durch seinen affectirten Atheismus, um als ein großer und sich allein genügender Geist zu erscheinen. – Hätten die Franzosen nicht so viel angeborne Gutmüthigkeit und lobwerthe gute Gewöhnungen, so würde sich ihr einseitiger Materialismus aus der neuern Zeit, für sie selbst, so wie für ganz Europa, noch weit schrecklicher in Gesinnungen und Thaten geoffenbaret haben, als bisher. Der jetzige Antagonismus, als Gegensatz einer blos sinnlichen Weltansicht, erscheint daher als ewige Nothwendigkeit in der Natur der Dinge, für das höhere geistige Leben.


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8. Volney.

Der Graf von Volney, geboren 1757, gestorben im 63. Jahre 1820 zu Paris, ist sehr berühmt geworden, sowohl durch seine Reisen im Morgenlande und in Amerika, als auch durch mehrere inhaltreiche beliebte Schriften. [189] Seine „Ruinen;“ sein „Gemälde der vereinigten Staaten;“ so wie seine „Reise nach Egypten und Syrien,“ sind sehr empfehlenswerth.


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9. Thomas.

Thomas, geboren 1732, und gestorben im 53. Jahre 1785, war zuerst Professor der Beredsamkeit in Paris, und nachher Secretär des Herzogs von Orléans. Seine Lobreden auf große Männer sind oratorische Meisterstücke; und sein Versuch über die Frauen enthält viel scharfsinnige Bemerkungen. Der Vrai ami des hommes ist ein Ouvrage posthume, an dessen Authenticität einige zweifeln. Als Mittel für einen allgemeinen Weltfrieden schlägt der Vrai ami in seinem 3. Buche vor: „Das Volk solle einzig und allein der Schiedsrichter über Krieg und Frieden sein.“ Auf diese Stelle mag sich unser Autor wohl beziehen.


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10. Die Sansculotten.

Sansculotten, von sans culottes, d. i. Ohnehosen, oder Barschenkler, ein Spitz- oder Spottname, welchen der Adel in Frankreich zur Zeit der Revolution den revolutionärgesinnten Bürgerlichen gab, und welchen diese dann selbst [190] eine Zeit lang, absichtlich in schmuziger und bizarrer Kleidung gehend, als einen Ehrentitel betrachteten.


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11. Die Jakobiner.

Jakobiner nannte man seit 1789 die im ehemaligen Jakobinerkloster, in der Mitte von Paris, sich versammelnden politischen Bündler und Fanatiker, welche, als Koryphäen der Revolution, über Europa so viel Thränen und Unglück gebracht haben; deren Wahlspruch es war: „Keiner hat Recht, als wir und unsere Freunde!“ Auch die Partei der Ultra’s in Frankreich, seit 1814, nannte man weiße Jakobiner; so wie die Anhänger Napoleon’s rothe Jakobiner, weil früher alle diese Revolutionsmänner rothe Mützen trugen. – Robespierre, Danton, Marat, und ähnliche Ungeheuer dieses verbrecherischen Klub’s, täuschten die Schwächern durch eine vorgespiegelte Freiheit und Gleichheit; verbreiteten Gleichgültigkeit und selbst Haß gegen Religion, Moral und bestehende Ordnung der Dinge; verläumdeten den König und die Staatsbeamten; und suchten auf diese Weise durch Unzufriedenheit und Widersetzlichkeit das Volk aufzureizen. Ihre moralische Verworfenheit ging so weit, daß sie sogar einander verfolgten, verriethen und mordeten, wenn irgend einer der Frères dupes es wagte, nur ein halber Teufel sein zu wollen. Selbst Napoleon war ein Jünger dieser frevelvollen Schule, weshalb der gute Mercier (vergl. Anmerk. 40.) ihn einen Robespierre à cheval zu nennen pflegte. – Wehe dem Zeitalter, in welchem freche Catilina’s, [191] und alle verarmte Genußsüchtige, dergeleichen rasende Pöbelhauptleute werden können, denen dann nichts in der Welt mehr heilig ist, und die wohl Alles zu sagen und zu thun fähig sind, um ihre eigennützigen Zwecke zu erreichen.


36.

Zu Kapitel 33. Seite 99 ff.

Daß die Vorstellungsart unseres durchlauchtigen Verfassers von seinem Arrangement pré-établie, d. i. eine gewisse vorherbestimmte Anordnung, eine ihm eigenthümliche und andere sei, als die bekannte Prädestinationslehre, das möchte auch durch seine kurze Andeutung wohl schon einleuchten. Der alte Streit zwischen Augustin, der den Menschen für einen Filius irae erklärte, und sich auf nichts als Gnade einlassen wollte; und Pelagius, welcher dem Menschen Freiheit, und eine Kraft zum Guten, zugestand, ist neuerdings wieder vielfach verhandelt worden. Man vergl. Schleiermacher’s Aufsatz: Ueber die Lehre von der Erwählung, in Beziehung auf Bretschneider’s Aphorismen, in der theologischen Zeitschrift von de Wette u. s. w. 1819; und Ammon: Ueber die Folgerichtigkeit des evangelischen Lehrbegriffes, von der sittlichen Unvollkommenheit des Menschen und seiner Erwählung zur Seligkeit, im vierten Bande des Magazins für christliche Prediger, 1820.

[192]
37.

Zu Kapitel 34. Seite 102 ff.

Beim Durchlesen dieses Kapitels erinnert man sich wohl unwillkührlich an Schiller’s Worte aus der Männerwürde:

Sie – (die Erotomanisten) – schlendern elend durch die Welt,
Wie Kürbisse von Buben,
Zu Menschenköpfen ausgehöhlt,
Die Schädel-leeren Stuben!

Wie Wein, von einem Chemikus,
Durch die Retort’ getrieben,
Zum Henker ist der Spiritus,
Das Phlegma ist geblieben u. s. w.


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Unbekannter blieben bis jetzt die nachstehenden Verse, vom Professor Fernow:

Ist wohl im kleinsten Städtchen,
Ein sechszehnjährig Mädchen,
Vom Liebesfieber frei? –
Das Kindlein liest Romane,
Im Köpfchen sind Galane,
Es seufzt sich blaß wie Blei.


Und kaum spürt jetzt ein Knabe,
Daß er schon Hosen habe,
Und Wolle im Gesicht;
So denkt er auch an’s Lieben,
Spricht laut von süßen Trieben,
Und pflückt Vergißmeinnicht;


[193]

Wird unklug, treibt Gewinsel,
Wenn dem verliebten Pinsel
Nicht Gegenliebe lohnt;
Fühlt heißen Drang und Leiden,
Und schmilzt vor Wonn’ und Freuden,
Und äugelt nach dem Mond. – –


Was wußten unsre Ahnen,
Von Pillen und Ptisanen,
Von Venus und Mercur?
Jetzt brauchen ihre Enkel,
Für die verdorrten Schenkel,
Bad-, Brunnen-, Speichel-Kur. – –


Die Alten tranken Weine,
Vom vaterländ’schen Rheine,
Und stärkend Gerstenbier.
Wir: Kaffee, Chokolade,
Thee, Punsch und Limonade,
und Aquavit dafür. –


Man sah im muntern Kreise,
Sonst hundertjähr’ge Greise,
Noch fröhlich und gesund.
Ein Greis von dreißig Jahren,
Mit Krücken, falschen Haaren,
Ist häufiger itzund. –


O Herrmann! Berlichingen!
Könnt’ euch mein Lied ersingen,
Kämt ihr aus eurer Gruft;
Ihr würdet Wunder schauen,
Zwergpuppen, schwache Frauen,
Und parfümirte Luft!

[194]
38.

Zu Kapitel 38, 2 und 3. Seite 112.

Das hohe Ideal des Fürsten von Gerechtigkeit, ist noch in keiner positiven Gesetzgebung realisirt. Daß Legalität, Moralität und Religiosität, als eine heilige Trias, wieder mit einander in genaueren Zusammenhang gebracht werden sollten, das ist wohl der Hauptgedanke des Ganzen. De internis non judicat Praetor, sagt der Jurist. Wie leicht aber das summum jus summa injuria werden könne, das beweißt die Erfahrung täglich. Und was soll man zu den unverantwortlichen Justizmorden, selbst der oft vielbelobten Assisen-Gerichte, sagen? Die Hinrichtungen der vermeinten Mörder des Fualdes sind noch im frischen Andenken; und das Schicksal eines Jean Calas wird betrauert in allen Jahrhunderten. Das furchtbarste Beispiel liefert aber wohl die Geschichte des so viel verlästerten Fonk’s. Man vergl. P. A. Fonk und Chr. Hamacher, deren Richter, und die Riesen-Assisen zu Trier, vor dem geschwornen Gerichte der Vernunft, Wahrheit und Gerechtigkeit, vom Justizrath Dr. Bischoff, Dresden 1823. – Die hohe Achtung unseres durchlauchtigen Verfassers für eine wohlverstandene Theokratie, welche sich hin und wieder ausspricht, mag aus Betrachtungen der Art hervorgegangen sein. Aber wie sehr werden wir auch hier, selbst durch die Geschichte des Tages, an die allgemeine Schwäche der menschlichen Natur erinnert! In öffentlichen Blättern des 1824. Jahres lesen wir aus Peking, der dortige Kaiser habe befohlen: Daß sein ältester Sohn, und die Compagnie der Priester der Taou-Secte, im Tempel des Gottes der Winde, des Gottes der Wolken, des Gottes der [195] Jahreszeiten, und des Donnergottes, vier Stangen tibetischen Weihrauch opferten, und Gebete hielten, damit die Wolken sich zertheilten, und der lange Regen aufhöre. Der Regen hörte nach sieben Tagen wirklich auf. Als aber bald darauf der Ober-Zollbeamte, Yonlung, anzeigte: Daß sich die Zolleinnahme im letzten Jahre um 118,090 Taels verringert habe; da wurde er nicht nur sehr getadelt, sondern auch verurtheilt, das Deficit selbst aus seiner Tasche zu bezahlen.


39.

Zu Kapitel 39, 1. Seite 114.

Der Geizige, l`Avare, von Molière, ist ein so gelungenes Lustspiel, daß einst ein Geizhals, als er dieses Stück hatte aufführen sehen, gesagt haben soll: „Man könne in der That hier ganz vortreffliche ökonomische Grundsätze lernen!“ Es ist dieses Stück übrigens eine Nachahmung des Plautus, eines Witz- und Sentenzen-reichen altrömischen Komikers, welcher etwa 200 Jahre v. Chr. in Rom lebte. – Molière, geboren 1622 zu Paris, hieß eigentlich Jean Baptiste Poquelin, war früher Kammerdiener bei Ludwig dem XIII. und XIV., und in der Folge einer der besten Lustspieldichter und Schauspieler Frankreichs. Corneille und Raçine waren seine Zeitgenossen. „Molières Lustspiele, sagt La Harpe – (der berühmte Verfasser des Cours de Littérature ancienne et moderne, nicht der Lehrer des Kaisers Alexander,) – können die Erfahrung ergänzen, weil dieser Dichter nicht vorübergehende Lächerlichkeiten, sondern weil er wirklich das Bleibende in der Menschennatur gemalt [196] hat.“ – Als Mensch war Molière sanft, gefällig und großmüthig; aber seine eheliche Verbindung, mit einer schönen Schauspielerinn, trübte seine häuslichen Verhältnisse, über welche ihn weder seine frohe Laune, noch seine Philosophie, erheben konnten. – Bevor er seine Arbeiten als Dichter bekannt machte, soll er sie immer erst einer alten Haushälterinn vorgelesen, und alle die komischen Stellen, welche ihr kein Lächeln abnöthigten, verbessert haben. Zu seinen vorzüglichsten Arbeiten gehören: 1. Le Misantrope, der Menschenhasser, wozu die Idee wohl aus dem Heautontimorumenos des Terenz genommen sein mag, so wie der Plan zu Menschenhaß und Reue, von Kotzebue, aus beiden entlehnt zu sein scheint; 2. Le Tartufe, der Scheinheilige; 3. George Dandin; 4. Les Femmes savantes, die gelehrten Weiber; 5. Les Fourberies (die Schelmereien) de Scapin; 6. Le Bourgeois gentilhomme; 7. Le Medecin malgré lui, der Arzt wider Willen; und 8. Le Malade imaginaire, der eingebildete Kranke. Eine deutsche Uebersetzung in 6 Bänden, Zürich 1805, besitzen wir von unserem geistvollen Zschokke. Molière starb, 51 Jahre alt, einige Stunden nach einer Darstellung des Malade imaginaire, an Convulsionen. – Der geniale Wolfgang Menzel sagt, als Bestätigung der Behauptung unseres fürstlichen Autors: „Große Denker und Dichter schreiben sich nicht aus, wie die Sonne nichts verliert durch ihr Leuchten, denn Licht ist nur Spannung, nicht Stoff.“ [197]


40.

Zu Kapitel 39, 5. Seite 117.

Ludwig Sebastian Mercier, geboren 1740, gestorben im 73. Jahre 1814 zu Paris, war einer der edelgesinnten und seltenen Menschen, von welchen Seneca sagt: „Der Weise sieht Vieles ganz anders an, als die gemeinen Menschen. Er geht selten die Heerstraße des großen Haufens, sondern, so wie der Sternenhimmel, eine der Erde entgegen gesetzte Richtung nimmt, so ist auch seine Weltansicht der Denkweise des Alltags-Menschen oft schnurstracks zuwider.“ – Mercier’s dramatische Werke haben alle eine moralische Tendenz, und deshalb wurden sie von der Frivolität lächerlich gemacht, und in übeln Ruf gebracht. Sein altes und neues Tableau de Paris, so wie sein Bonnet de nuit, 4 Bände, und Bonnet de matin, 2 Bände, sind humoristische Schriften, welche mit treffenden Witze Charakterschilderungen enthalten, und sehr lesenswerthe Aufsätze über allerlei wichtige Gegenstände. Das seit 1772 erschienene An 2440 läßt einen Pariser nach einem siebenhundertjährigen Schlafe erwachen, und das neue Paris mit dem ehemaligen vergleichen. – Früher war Mercier Pariser Parlaments-Advokat, späterhin Direktor der National-Lotterie. Er war ein liebenswürdiger und geistreicher Sonderling; so wie sein Freund Carl Friedrich Cramer, welcher früher Professor in Kiel war, seit 1796 bis 1807 aber Buchhändler und Buchdrucker in Paris. [198]


41.

Zu Kapitel 40. Seite 118.

Es giebt wirklich Sprachen mit Zeitwörtern (Zustandwörter, Verba), welche kein Präsens haben, z. B. die Verba simplicia im Russischen. Vergl. die theoretisch-praktische Russische Sprachlehre vom Herausgeber, St. Petersburg 1819, 5. Auflage, §. 102 und 118. – Denkt man sich die Zeit als eine Linie, auf welcher alle Ereignisse, wie in eine unendliche Reihe, an einander gekettet sind; und betrachtet man die beiden Pole der Linie als Vergangenheit und Zukunft, so ist die Gegenwart nichts als ein Punkt auf der Mitte dieser Linie, zwischen Vergangenheit und Zukunft schwebend, und man kann wohl mit jenem Denker sagen: Le moment où je parle est déjà loin de moi, weil der grammatische Punkt, als Gegenwart, fließt und fortläuft, und nur in der Vergangenheit und Zukunft, als ruhend, gedacht werden kann. Eine Vergleichung der Eigenthümlichkeiten der hebräischen Verba, etwa nach den Sprachlehren vom Professor und Ritter Dr. Vater, oder vom Professor Dr. Wilhelm Gesenius; so wie der Finnischen Sprache, nach der Grammatik von Johann von Strahlmann, St. Petersburg 1816, mit dem hier Angedeuteten, kann ein sehr lehrreiches Interesse gewähren.


42.

Zu Kapitel 41, 1. Seite 119.

Die uneinigen Phrygier hatten den einfachen Landmann Gordius, auf Anrathen des Orakels, als den ersten, welchen sie mit einem Wagen nach dem Jupiter-Tempel fahrend [199] ansichtig würden, zu ihrem Könige gewählt. Der dankbare Gordius weihte nun diesen seinen Glückswagen dem Gotte. An der Deichsel des Wagens befand sich aber ein so künstlich geschlungener Knoten, daß das Orakel abermals verkündete: „Asiae potiturum, qui inexplicabile vinculum solvisset;“ d. i. Herr von ganz Asien solle derjenige werden, welcher diesen unauflöslichen Knoten einst lösen könne.“ Als nun Alexander der Große, nach seinem Siege über die Phalange der Perser am Granikus, auch in die kleinasiatische Stadt Gordium kam, da zerhaute er, statt sich im Lösen lange abzumühen, mit seinem Schwerte jenen Knoten. Vergl. Quintus Curtius de Rebus Alexandri Magni, Lib. III. Cap. I.; oder Justinus ex Trogo Pompejo Lib. XI., Cap. VII., deutsch, mit Anmerkungen, von Ostertag.


43.

Zu Kapitel 43. Seite 124.

Im 7. Briefe des 2. Theils der Köppenschen vertrauten Briefe über Bücher und Welt wird auch darauf hingewiesen, daß jegliche Weltweisheit abhänge von dem Geiste der Zeit, oder von einem außer ihr gelegenen Etwas; so wie von der Persönlichkeit ihres Urhebers. „Alle Philosophie,“ heißt es dort, „verlangt einen Beinamen; jetzt kommen die Täufer und nennen eine Lehre legitim, oder demokratisch, oder hierarchisch, oder mystisch, oder rationalistisch, u. s. w. Aber der allzu geschmeidige Mensch nimmt, in einer solchen Krisis, nur zu leicht jede Farbe an; er gleicht auch wohl jenen

[200] Marokkanern, welche sich, nach mühseligen Tagereisen, dem Kaiser vorstellen ließen, und um die Ehre baten, daß er ihnen den Kopf abschlage!“


44.

Zu Kapitel 44, Seite 128.

Unter Septembriseur’s versteht man jene mordsüchtigen Revolutionäre zu Paris, im September 1792, welche ihrer Gräuelthaten wegen so berüchtigt wurden.


45.

Zu Kapitel 45. Seite 134.

Philippische Reden, Orationes philippicas, sind heftige Donnerworte, so wie sie der griechische Redner Demosthenes wider Philipp von Macedonien aussprach.


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Schlußanmerkung: Ueber die Natur, vergl. Kap. 44, Seite 126-133.

Der große Mißbrauch der Wörter „Natur“ und natürlich hat auch unseren durchlauchtigen Autor veranlaßt, über diesen Gegenstand nachzudenken. Schon der Engländer [201] Robert Boyle, bekanntlich der Vater unserer Experimental-Physik, schrieb 1686 eine Dissertation unter dem Titel: Libera in receptam naturae notionem disquisitio, in welcher er das Wort Natur abgeschafft wünschte, und den Ausdruck „Mechanismus“ statt dessen anzunehmen vorschlug. Sturm in dem Aufsatze: de naturae idolo, abgedruckt in seiner philosophia eclectica, Tom. II., pag. 359 und 692; und Leibnitz in den Actis Eruditorum, 1698, pag. 427, setzten jenen Streit fort. Dieß mag beweisen, daß dieser Gegenstand wohl eines weitern Nachdenkens werth sei.

Die mannichfachen Bedeutungen, welche das vielsinnige Wort Natur in den meisten europäischen Sprachen bekommen hat, ergeben sich aus gar vielen Redensarten. Man sagt z. B. Die drei Reiche der Natur, d. i. aller unveränderten Körperdinge auf Erden, welche mit den Sinnen wahrgenommen und Gegenstände der Erfahrung werden können; oder: Die Natur macht keinen Sprung, d. i. die wirkenden Kräfte aller Körper, als Einheit betrachtet; oder: Die Natur der Elektricität und des Lichts, d. i. die wesentlichen Eigenschaften; oder: Hiller ist ein Naturdichter, d. i. Ohne Schul- und Kunstbildung, in Sprache und Rhythmus; oder: Das erfordert die Natur der Sache, d. i. die besondere Art und Weise des Daseins, u. s. w.

Der Ausdruck „Natur,“ in der deutschen Sprache, stammt von dem lateinischen Worte „natura“ ab, und dieses von nasci, d. i. geboren werden. Die meisten neueuropäischen [202] Völker haben nun das Wort natura, entweder buchstäblich aus dem Lateinischen angenommen, wie im Französischen und Englischen, la nature, the nature, u. s. w.; oder sie haben es wörtlich übersetzt, z. B. die Slawen in dem Worte прирóда, von родитъ, oder раждàю,… (Man lese Priróda, von rodìtj, oder raschdàju,) … d. i. erzeugen. Das lateinische Wort natura ist aber selbst eine bloße Verbalübersetzung des griechischen Wortes Φύσις, von Φυτεύω, d. i. ich pflanze, oder ich bringe hervor; so wie das russische прирóда, von родитъ, eine wörtliche Uebersetzung von natura ist. In andern europäischen Ursprachen, z. B. im Finnischen, sagt man statt Natur: „Màïlma,“ d. i. Welt, und statt „natürlich“ pflegt man zu sagen: „von selbst.“ – Was die Alten unter der Natur sich dachten, darüber findet man viel Treffliches und Gründliches in Friedrich Creuzer’s (Professor und geheimer Hofrath in Heidelberg) Symbolik und Mythologie, Leipzig 1819. 5 Bände.

Der Sache nach versteht man gewöhnlich unter „Natur,“ in engerer Bedeutung, den Inbegriff der noch unveränderten Sinnenwelt auf unserer Erde, im Raume und in der Zeit, als ein Phänomenon, d. i. Erscheinung; im Gegensatze der Kunst und Geisteswelt, als etwas Ideales, und ein Jenem zum Grunde liegendes Noumenon, d. i. ein geistiger Träger, welcher alle Dinge in’s Dasein rief und erhält, d. i. Gott. In weiterer Bedeutung aber versteht man unter Natur das Universum oder Weltall, als Offenbarung und verleiblichtes Wort Gottes. Schon die Scholastiker machten einen Unterschied zwischen natura [203] naturata, d. i. die geschaffene und uns erscheinende äußere Natur; und natura naturans, d. i. die schaffende und innere thätige Natur, oder Weltseele. Wer sich über diesen Gegenstand vielseitiger zu belehren wünscht, der lese unter andern auch folgende Werke: Kant’s metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 1800; – Smellie’s Philosophie der Naturgeschichte, übersetzt von Zimmermann, 2 Theile, Berlin 1791; – Johann Heinrich Tieftrunk, das Weltall nach menschlichen Ansichten, Halle 1821; – Schelling’s Weltseele, Hamburg 1809, und System der Naturphilosophie, Leipzig 1799; – Oken’s Lehrbuch der Naturphilosophie, 3 Theile, Jena 1809–11; so wie Dessen Naturgeschichte, als: Mineralogie 1813; Zoologie 1815; Naturgeschichte für Schulen 1821; und die Zeitschrift Isis, seit 1819; – Treviranus Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur; – Joh. Jak. Wagner, von der Natur der Dinge, Leipzig 1803; – Ch. H. Schubert’s Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften, Dresden 1818, u. e. A.

Die höchste Stufe in der Selbstoffenbarung der Natur, dem Makrokosmos, ist der Mensch, als Mikrokosmos; denn in ihm, als Materie mit einem frei gewordenen Geiste, hat sich die Natur nicht blos individualisirt, wie im Stein-, Pflanzen- und Thierreiche, sondern gleichsam personificirt. Der Mensch ist daher Maß und Messer der irdischen Schöpfung; alle übrigen Dinge sind nur in einzelne Theile zerfallene Bilder von ihm, wie die umher schwimmenden Köpfe (Tetrodon mola), Hände und Füße (Hydra oder Armpolypen), Muskel- und Nerven-Massen, (Zoophyten, Mile [204] oder Elemententhiere,) u. s. w. zur Genüge beweisen; vergl. Oken’s zoologische Kupfer, und Goldfuß naturhistorischen Atlas, 1824. [10] – Durch Selbstsucht und Vereinzelung seines Wesens wird aber ein Abfall von Gott und von der Natur hervorgebracht, [205] und ein langwährender Krieg entsteht, bis das allendliche Kampfresultat alles Krieges, nämlich der Friede, den [206] mit sich selbst entzweiten Menschen wieder mit Gott und mit der Welt versöhnt.

Man weiß, aus der Lehre der Polarität, daß jeder positive d. i. stärkere und höhere Pol, den gleichnamigen oder gleichartigen Pol abstößt; und daß er dagegen den negativen, d. i. schwächern oder niedern Pol, als den ungleichartigen und entgegengesetzten, anzieht, um sich durch ihn, so wie das Männliche durch das Weibliche, zu ergänzen. Die Nerven, z. B. als die höhern Pole in den Thierleibern, polarisiren die Muskeln, und es entsteht dadurch die willkührliche oder unwillkührliche Bewegung derselben. Das Blut in den Arterien oder Schlagadern ist durch das Athmen mit Sauerstoff getränkt; und das entsauerstoffte Blut in den Venen oder Blutadern, welche die mit Kohlenstoff beladene Blutmasse in das Herz zurückführen, bilden den polarischen Gegensatz, wodurch der Kreislauf des Blutes [207] bewirkt wird.[11] Das ganze erstarrte Mineralreich dagegen ist, als Unorganisches, ein Product des Friedens, nach dem Kampfe des Erdelements mit den übrigen Elementen. Der noch vorhandene Streit der Elemente aber offenbart sich in dem Wechsel der atmosphärischen Veränderungen. Dieses allgemeine Gesetz der Polarität mag nun, so wie im Gebiete der Körper- und Elementen-Welt, also auch im Gebiete der Geisteswelt, vorherrschen. Denn der Geist, als ein im Denken und Wollen mit Bewußtsein thätiges Wesen, … (Ueber das Gefühl vergl. Krug’s Grundlage zu einer neuen Theorie des sogenannten Gefühlvermögens, Leipzig 1823.) … ist ja die ideale Seite und höchste Sphäre der Natur selbst. Gemüth und Intelligenz, Religion und Wissenschaft der Menschen, dürften sich daher auch wohl zu einander verhalten, wie ein Pol zum andern. Das Kunstleben kämpft also nothwendig mit der Materie; die Tugend mit dem Bösen; das höhere Religiöse mit dem niedrigen Irdischen. Wer nun, im Naturleben, so wie im Geistesleben, sich als ein Held bewähren will, der muß wacker kämpfen, weil alles Leben des Geistes, in einem irdischen Leibe, gebunden ist an jenen Kampf der polaren Kräfte, von welchen aber immer der positive, d. i. [208] der höhere oder stärkere Pol, den Sieg behält, indem er den andern durchdringt.

Zum allergrößten und herrlichsten Siege wird aber der höhere, d. i. der wahrhaft religiöse Mensch, dadurch vorbereitet: Daß er seinen unsterblichen Geist ernähre mit der ewigen Wahrheit; – daß er eine vielseitige wissenschaftliche Bildung sich erwerbe, welche ihn allein bewahrt vor Einbildungen und Hochmuth, vor Rohheit und Albernheit, vor Schein und unaufhörlicher Täuschung, die den blos empirisch gebildeten Menschen jeden Augenblick gefangen nehmen und umstricken; – daß er sich nicht blos in leidigen Einzelheiten der Dinge auf dieser Erde kleinlich verliere, und dadurch dann, wie der unglückselige Prometheus, an einen Felsen geschmiedet werde, an welchen unaufhörlich Geier an seinen Eingeweiden nagen; – daß er die große Kunst erlerne, alle Schätze der Natur und des Geistes, sinn- und seelenvoll zu genießen; – und daß er endlich, nach der Lehre des Evangeliums, durch die wahre und göttliche Liebe, und durch ein redliches und göttliches Handeln, sein Leben auf Erden verkläre.


Gedruckt bei Carl Gottlob Gärtner.


[209]

Inhalt.

Vorbericht.      Seite III-XVIII.

Das erste Kapitel.

1. Wahlspruch. – 2. Uebereinkunft mit dem Leser. – 3. Die Trugvernünftelei und die Wahrheit. – 4. Das Schöne und das Gute.      Seite 3.

Das zweite Kapitel.

1. Das Buch der Bücher. – 2. Die Sprache der Sprachen. – 3. Mittel zum Verständniß. – 4. Die Hölle und der Himmel.      Seite 5.

Das dritte Kapitel.

1. Die Wortsprachen. – 2. Sache und Wesen; äußerer und innerer Mensch. – 3. Die Zweieinigkeit.     Seite 8.

Das vierte Kapitel.

1. Das Unbegreifliche. – 2. Die volle Genüge. – 3. Die Spaltungen. – 4. Himmlisch oder höllisch. – 5. Geist und Leib.     Seite 11.

Das fünfte Kapitel.

1. Gerechtigkeit als Loosung. – 2. Die echte Praxis. – 3. Das höchste Wissen.     Seite 12.

Das sechste Kapitel.

1. Alles in Gott? Das ist die große Frage. – 2. Das Unerforschliche. – 3. Die Vereinigung mit Gott.     Seite 14.

Das siebente Kapitel.

1. Die Selbstbetrachtung. – 2. Das Wechselleben. – 3. Die ewige Seligkeit.     Seite 16.

Das achte Kapitel.

1. Die Ordnung. – 2. Die große Harmonie.     Seite 17.

Das neunte Kapitel.

1. Der Revolutions-Unfug. – 2. Die Scheidung in der Bewegung. – 3. Wo ist die Hülfe?     Seite 19.

[210]
Das zehnte Kapitel.

1. Das Geschehene. – 2. Die dunkle Zukunft. – 3. Die Wahrsagerei.     Seite 21.

Das elfte Kapitel.

1. Ne quid nimis, oder: das Allzuviel. – 2. Das Vergangene und die Ewigkeit. – 3. Wer ist bereit? – 4. Die große Herrschaft.     Seite 24.

Das zwölfte Kapitel.

1. Die Gottessprache. – 2. Der offene Sinn. – 3. Die Welt-Wunder und die Verstocktheit.     Seite 27.

Das dreizehnte Kapitel.

Die weise und die unweise Thätigkeit; – die süße Ruhe, und die Lethargie.     Seite 30.

Das vierzehnte Kapitel.

Der wahre Friede und der gerechte Krieg.     Seite 32.

Das fünfzehnte Kapitel.

Die Sirene Belohnung und das wahre Verdienst.     Seite 34.

Das sechszehnte Kapitel.

1. Die Furie der Strafen. – 2. Der schlaffe Gutmüthige und die Verruchtheit. – 3. Der Preis und die Leistungen. – 4. Exempla illustrant.     Seite 39.

Das siebenzehnte Kapitel.

Dankbarkeit, Selbstverläugnung und Undankbarkeit.     Seite 42.

Das achtzehnte Kapitel.

Die Verachtung.     Seite 44.

Das neunzehnte Kapitel.
Ein hundert Gnomen und Aphorismen, in zehn Decaden.

1. Die guten und schlechten Verhältnisse. – 2. Das Heulen mit den Wölfen. – 3. Die wahre Verlegenheit. – 4. Gut und klug. – 5. Weise und glücklich. – 6. Talent und Himmel. – 7. Talent und Hölle. – 8. Das Thierische im Menschen. – 9. Bitte des Verfassers. – 10. Der Unwandelbare.     Seite 46.


[211]
Das zwanzigste Kapitel.

11. Der Glückliche. – 12. Der größte Thor. – 13. Arm und glücklich. – 14. Die berühmten Menschen. – 15. Das wohlthätige Alter. – 16. Was ist schön? – 17. Was sollte man wissen? – 18. Was ist zu thun? – 19. Der Anti-Egoist. – 20. Was ist besser als Gold?     Seite 49.

Das ein und zwanzigste Kapitel.

21. Die wahre Philosophie. – 22. Die Vielwisserei. – 23. Das Leben in Andern. – 24. Die Sparkasse. – 25. Die Schöpfung mit Erfolg. – 26. Die Vorherbestimmung. – 27. Gelehrt und Verkehrt. – 28. Das kluge Geheimniß. – 29. Hoffen und verzweifeln. – 30. Heroismus der Tugend.     Seite 51.

Das zwei und zwanzigste Kapitel.

31. Das Gebet und die Religion. – 32. Die Gestirne des Lebens. – 33. Die Gotteserkenntniß. – 34. Die Tugend als die höchste Kunst. – 35. Die nothwendigen Fragen. – 36. Der Furchtlose. – 37. Gewohnheit und Grundsätze. – 38. Die Religion und ihre Formen. – 39. Der Sectengeist. – 40. Zum Denken und Nachdenken.     Seite 55.

Das drei und zwanzigste Kapitel.

41. Der Nachruhm. – 42. Das Leben und die Ehre. – 43. Dank und Undank. – 44. Weisheit und Dummheit. – 45. Die Verkennung. – 46. Der Freund und die Freunde. – 47. Wie wird man der Dinge Herr? – 48. Die Erfahrung und das wahre Licht. – 49. Vorwärts oder rückwärts? – 50. Wissen und nichts wissen.     Seite 59.

Das vier und zwanzigste Kapitel.

51. Die Glückseligkeit und das Glück. – 52. Stürme und Sonnenschein. – 53. Verstand und Glück. – 54. Die Brennus-Arithmetik. – 55. Herzvoll und herzlos. – 56. Das Herkules-Hemd. – 57. Das geheime Recht. – 58. Die talentvollen Taugenichtse. – 59. Zu Fuße oder im Wagen?. – 60. Die fixen Ideen.     Seite 62.


[212]
Das fünf und zwanzigste Kapitel.

61. Das beste Princip. – 62. Der Böse haßt die angewandte Moral. – 63. Das Müssen und Sollen. – 64. Die wahre Subordination. – 65. Der rechte Sinn im Streben. – 66. Leiten oder vertilgen. – 67. Die Verschiedenheit der Dinge – 68. Haben und Wissen. – 69. Das wohlfeile Glück. – 70. Das wahrhaft Schöne.     Seite Seite 65.

Das sechs und zwanzigste Kapitel.

71. Die wirklich schönen Künste. – 72. Die Stufen des Guten und Bösen. – 73. Das verborgene Schöne und Häßliche. – 74. Das Gute und Böse im Verborgenen. – 75. Die edlen und die gemeinen Naturen. – 76. Du oder die Klapperschlange? – 77. Verzeihen und Vergessen. – 78. Die angeborne Güte. – 79. Wer hat sein Pfund vergraben? – 80. Nachtheile der Raisonirsucht.     Seite 71.

Das sieben und zwanzigste Kapitel.

81. Schlau und schlecht. – 82. Gold und Gift. – 83. Stadt und Land. – 84. Sein und Schein. – 85. Die Theokratie. – 86. Verständniß der Rede und That. – 87. Worte, Schrift und That. – 88. Wahrheit und Schmeichelei. – 89. Der Kastengeist. – 90. Wer weiß was er ist?     Seite 77.

Das acht und zwanzigste Kapitel.

91. Es ist wie es war. – 92. Die üble Laune. – 93. Die beste Welt. – 94. Die Amtsgeschäfte. – 95. Der Wein und die Poesie. – 96. Ehrfurcht und Liebe. – 97. Der Unverschämte; ein Zwiegespräch . – 98. Die weise Wohlthätigkeit. – 99. Wie viel soll man für Andere thun? – 100. Das Epitaphium.     Seite 82.

Das neun und zwanzigste Kapitel.

Gott, oder: keine Wirkung ist ohne Ursache.     Seite 88.

Das dreißigste Kapitel.

Wer hat Recht?     Seite 90.

Das ein und dreißigste Kapitel.

1. Die verschiedenen Religionen. – 2. Die Sprachen und die Religionen. – 3. Die Religionsvereinigung.     Seite 93.


[213]
Das zwei und dreißigste Kapitel.

1. Der Geselligkeitstrieb und sein Mißbrauch. – 2. Wie ging es, und wie geht es. – 3. Die Meister und ihre Jünger. – 4. Die Sanscülotten und die Tiger.     Seite 95.

Das drei und dreißigste Kapitel.

1. Was ist Zufall? – 2. Das Homogene und das Heterogene. – 3. Die Dintenflasche. – 4. Die vorher bestimmte Anordnung. – 5. Der Blick des Sehers.     Seite 99.

Das vier und dreißigste Kapitel.

Venus-Urania und Venus-Pandemos.     Seite 102.

Das fünf und dreißigste Kapitel.

1. Die Frauen im Oriente. – 2. Die Geliebte des Weisen. – 3. Der richtige Takt.     Seite 105.

Das sechs und dreißigste Kapitel.

1. Der Staat als Körper. – 2. Das Leben als Harmonie. – 3. Die Mechanik im Universum.     Seite 107.

Das sieben und dreißigste Kapitel.

1. Einfach aber nicht gleich. – 2. Mißbrauch der Gewalt. – 3. Gerecht und gut.     Seite 109.

Das acht und dreißigste Kapitel.

1. Das absolute Gericht. – 2. Die Degradation. – 3. Das wahre Erbrecht.     Seite 111.

Das neun und dreißigste Kapitel.

1. Giebt’s noch was Neues? – 2. Die Coterien. – 3. Die kluge Frau. – 4. Die Gestaltungen der Mimik. – 5. Der würdige Mercier.     Seite 114.

Das vierzigste Kapitel.

1. Die Nichtigkeit der Gegenwart.     Seite 117.

Das ein und vierzigste Kapitel.

1. Der geschürzte Knoten. – 2. Gedanken beim Treppensteigen. – 3. Das Gold und das Amalgam. – 4. Geist und Materie.     Seite 119.

Das zwei und vierzigste Kapitel.

Was ist Wahrheit?     Seite 121.

[214]
Das drei und vierzigste Kapitel.

Der Idealismus und die Realität.     Seite 124.

Das vier und vierzigste Kapitel.

Die Natur und das Universum.     Seite 126.

Das fünf und vierzigste Kapitel.

Ueber Regel und Ausnahme.     Seite 134.

∗          ∗          ∗
Inhalt der Anmerkungen.
1.

Ueber das Eigenthümliche in der französischen Urschrift des Verfassers, von Schlözer.     Seite 139.

2.

Urschrift des Verfassers.     Seite 140.

3.

Ueber Wahrheit und Kraft der Rede.     Seite 141.

4.

Ueber Titel und Inhalt.     Seite 142.

5.

Ueber die Sprache der Natur.     Seite 142.

6.

Ueber Sachen und Wesen, nebst Urschrift     Seite 143.

7.

Urschrift des Verfassers.     Seite 144.

8.

Ueber den Ursprung des Bösen und die Modalität, vom Dr. Krause. 144.

9.

Ueber einseitige Selbstbeschauung.     Seite 146.

10.

Ueber das Motto des Titelblatts.     Seite 146.

11.

Ueber Voranordnung, vom Verfasser und Dr. Krause.     Seite 149.

12.

Ueber großsinniges Unbekümmertsein.     Seite 150.

[215]
13.

Ueber das menschliche bedingte Wissen, von P. v. Köppen.     Seite 150.

14.

Ueber Philosophie und Theologie, von Reinhard.     Seite 151.

15.

Ueber französische und deutsche Philosophie, von Schlözer.     Seite 152.

16.

Das Zusammentreffen mit Tzschirner und Krug.     Seite 158.

17.

„Thue das Gute um des Guten willen;“ nach dem Arabischen.     Seite 159.

18.

Ueber das Höhenleben und die nutzniesige Niedrigkeit, nach Menzel.     Seite 160.

19.

Ueber absprechende Lieblosigkeit und wahre Humanität.     Seite 161.

20.

Respice finem, nach Palladas.     Seite 162.

21.

Marc-Antonin, über Philosophie.     Seite 162.

22.

Sokrates im Kerker, nach Platon.     Seite 163.

23.

Friedrich Köppen, über Herder.     Seite 164.

24.

Ueber die Schule des Unglücks, nach einem slawischen Sprichworte.     Seite 165.

25.

Brennus; herzig; das Original, und das Herkules-Hemd.     Seite 166.

26.

Vertilgen, oder unschädlich machen?     Seite 167.

27.

Der Bohan Uppas.     Seite 168.

28.

Die alte und die neue Adrastea.     Seite 169.

29.

Choiseul und die Pompadour.     Seite 169.

[216]
30.

Der Herr und der Diener, nach dem Arabischen.     Seite 170.

31.

Ueber Archaismen, Provinzialismen und Wurzelwörter.     Seite 171.

32.

Die Hoffnungen des Heils, nach Herder’s Adrastea.     Seite 172.

33.

Ueber lernen und lehren, nach Seneca.     Seite 173.

34.

Ueber die wahre Toleranz.     Seite 174.

35.

Ueber Montesquieu, Voltaire, J. J. Rousseau, Helvetius, Diderot, Condorcet, d’Alembert, die Encyklopädisten, Lalande, Volney, Thomas, die Sanscülotten und die Jakobiner.     Seite 175.

36.

Ueber das Arrangement pré-établie.     Seite 191.

37.

Ueber die Liebelei, von Fernow.     Seite 192.

38.

Ueber Legalität, Moralität und Theokratie.     Seite 194.

39.

Ueber J. B. Poquelin Molière.     Seite 195.

40.

Mercier, oder über die Eigenthümlichkeiten der höhern und bessern Menschen.     Seite 197.

41.

Ueber den Mangel der Gegenwart.     Seite 198.

42.

Der gordische Knoten.     Seite 198.

43.

Ueber die Abhängigkeit vom Persönlichen.     Seite 199.

44.

Ueber die Septembriseurs.     Seite 200.

45.

Die philippischen Reden, nebst Schlußanmerkung über die Natur.     Seite 200.

[219]

Auch die nachstehenden Bücher vom Herausgeber dieser Schrift sind in der Arnoldischen Buchhandlung zu haben.

1) Neue theoretisch-praktische Russische Sprachlehre für Deutsche, mit vielen Aufgaben zum Selbstunterricht, 5te Auflage, nebst Formenlehre, 2 Thlr. 4 Gr.

2) Neues Russisches Elementar-Lesebuch, durchaus accentuirt, mit slawonischen Schriftstellen, 6te Auflage, 18. Gr.

3) Untrügliches Heilmittel wider den Biß toller Hunde, nebst Kupfer, aus dem Russischen des Herrn von Swinson übersetzt, 6 Gr.

4) De Regno Dei, a Jesu Servatore in terris condito, 6 Gr.

5) Vom Göttlichen und Ewigen im Menschen, oder vom Reiche Gottes auf Erden, dritte Auflage, 12 Gr.

6) Tableau abrégé de l'Histoire de Russie, oder: Karamsin’s Geschichte Rußland’s im Auszuge, russisch, mit Commentar in deutscher und französischer Sprache, 2 Theile, 3 Thlr.


  1. D. i. Ich verehre Sie, mein Fürst, Ihres so vielumfassenden, kühnen und ureigenthümlich selbstschaffenden Geistes wegen; aber ich liebe Sie auch, Ihres Herzens und Ihrer moralischen Grundsätze wegen. Sie erzeugen eine Metaphysik des Herzens; für mich die wahrste, und vielleicht auch die einzige für die Menschheit.
  2. D. i. Das Werk, von so erhabenem Inhalte, welches Sie, mein Fürst, mir mitzutheilen die Güte hatten, verlangt zur Beurtheilung ein Gefühl und eine Gesinnung, wie die sind, welche es einflößten. Nie hat wohl ein Schriftsteller den Leser vertrauter mit der Eigenthümlichkeit seines Denkens gemacht, als Sie. – Ueberall findet man große und schöne Ansichten der Dinge, im Lichtglanze einer lebendigen und wahren Darstellung. – Sie selbst haben sich zwischen das Weltall und die Menschheit gestellt, mit dem Spiegel der ewigen Wahrheit in der Hand. – Ihre Gedankenleiter ist die Unendlichkeit, obwohl mehrere Leser weder Anfang noch Ende davon sehen. – In dem Lichtmeer des wahrhaft Schönen, welches Sie auf die Dinge überstrahlen, sucht die Hoffnung schon den Thron des wahrhaft Guten wieder aufzubauen. – Aber der Jünger in der Vorhalle soll vor Pythagoras fein schweigen!
  3. D. i. Sie haben Offenherzigkeit und Strenge von mir verlangt. Wohlan, ich bekenne es im Angesichte der ganzen Welt. Ihre schriftstellerischen Versuche sind voll von ganz eigenthümlichen, glücklichen, feinen, geistvollen und oft tiefgründlichen Urbildern des Geistes. Ihr ganzes Werk athmet Liebe für das Gute, und ein Bestreben, [XII] das Ungeheuer der Gottesvergessenheit und Sittenlosigkeit, genährt von den Einbildungen einer trügerischen Unphilosophie, zu bekämpfen. Man bemerkt es überall, wie lebendig und strahlenreich die schöpferische Kraft ihres Geistes ist.
  4. Wohl könnte man von diesen Anmerkungen sagen: Daß ihrer zu viel, oder zu wenig, wären; daß ihr Inhalt zu gelehrt, oder nicht erschöpfend genug sei. Allein ein Uebersetzer, Anordner und Herausgeber fremder Schriften ist ja nicht blos durch den Stoff, sondern oft nach allen vier Kategorien beschränkt. Ueberdies konnte diesen Noten, so wie zugleich der Correctur des Drucks, nur die beschränkte Zeit der Osterferien gewidmet werden.
  5. D. i. Mit aller Kraft soll der Mensch es zu erringen streben, daß sein Leben auf Erden nicht ruhm- und thatenlos dahinschwinde. Denn Reichthum und schöne Körpergestalt sind sehr zerbrechlich und gar bald vergänglich; der Ruhm des Geistes allein wird herrlich und ewiglich bleiben.
    Sallust.
  6. Auch der große englische Geschichtschreiber Edward Gibbon, läßt in seinen Werken an sich selbst die allgemeine menschliche Schwäche und Einseitigkeit wahrnehmen. Er lobpreist z. B. die Gräuelthaten Tamerlan’s und der Tataren; während er die heldenmüthigen Selbstaufopferungen der ersten christlichen Märtyrer herabwürdigt! Gibbon bewunderte überhaupt gern und leicht alle materielle Größe, – (sein Körper war, nach Matthisson’s Schilderung in dessen Briefen, von starkem und großem Gliederbau!) – aber er hatte sehr wenig Sinn für das Moralische im Menschen; er hatte eine lebhafte Phantasie, und war dabei doch von sehr kaltem Charakter. Seine Grundsätze in der Moral und Staatswirthschaftlehre waren lax und unbestimmt. Daher fehlte ihm auch der höhere Sinn für Wahrheiten, die eine allgemeine und unwandelbare Gültigkeit haben. Daraus aber folgt: Nicht daß man alle Bücher, in welchen Irrthümer enthalten sind, sofort verbieten müsse, sondern vielmehr: Daß man, besonders junge Leute, früh aufmerksam machen sollte auf die Kunst, mit eigenem Urtheile zu lesen, nach der bekannten christlichen Regel: Prüfet Alles, und das Gute behaltet!
  7. Sehr interessant und lehrreich ist es, einige ältere Gesetzgebungen, so wie den Code Napoléon, (deutsch und französisch von Erhard, Leipzig 1808), jetzt Code civil français genannt; das preußische Landrecht, nach v. Feuerbach’s Ansicht; so wie die neuen Arbeiten der Gesetz-Commission in St. Petersburg, mit den Grundsätzen Montesquieu’s, und seinem Einflusse auf die neu-europäische Denkweise, zu vergleichen.
  8. Vor einigen Jahren lebte ein geistvoller, vornehmer und reicher Mann in einer deutschen Hauptstadt, welcher für einen armen, aber sehr ausgezeichneten Gelehrten täglich [178] ein Gedeck an seiner Tafel, nebst einem Ducaten unter dem Teller, für den Zeitaufwand seines Gastes, und die mündliche Belehrung von demselben, bereit hielt. Der Gelehrte, ein Familienvater, war oft äußerst bedürftig; und dennoch machte er von jener Munifizenz keineswegs einen täglichen Gebrauch. Wen soll man nun mehr loben, den bescheidenen Gelehrten, oder jenen geistvollen und edelgesinnten Großen? Beide leben noch, und dürfen hier, aus besondern Rücksichten, nicht genannt werden. Aber Beispiele der Art verdienen es wohl, daß man sie der Welt mittheile.
  9. Es ist noch jetzt in Frankreich eine übliche böse Gewohnheit der unnatürlichen Mütter, die neugebornen Säuglinge, aus Vornehmthuerei und Genießlust, sogleich aus dem Hause auf das Land, einer Bäuerinn als Amme, zu übergeben. Unlängst begab es sich, daß eine solche zärtliche Mutter in Paris ihren Gemahl, nach Verlauf eines Jahres, bat: Doch einmal auf’s Land zu reisen, und zu zu sehen, was ihr liebes Kind dort mache. Der gehorsame Mann that, was seine liebe Frau wollte, er reiste zur säugenden Vice-Mutter, und was fand der arme Vater dort? Die Amme hatte zwei Wiegen und zwei Kinder; denn von dem Gelde für ein einziges Kind, behauptete sie, habe sie nicht leben können. Aber welches ist denn von diesen beiden [183] Kindern mein Kind, fragte der erschrockene Mann? „Das weiß ich nicht, antwortete die Bäuerinn; das habe ich nicht behalten können, weil sie beide gleich alt sind, und in Allem mit einander so viel Aehnlichkeit haben. Suchen Sie Sich nur eins von beiden aus, welches Sie wollen.“ In Verzweiflung eilte der trostlose Vater zu den Aeltern des andern Kindes, welche eben so wenig als er ihr Kind kannten. Die Unglücksgefährten mußten nun auf’s Gerathewohl wählen, und sich in den beiden Kindern theilen. Das Einzige, was ihnen noch zu thun übrig blieb, war, daß sie sich einander versprachen, die Kinder einst wieder umzutauschen, wenn sich ja etwa späterhin die Gestalt und Charactere derselben in sprechendern Merkmalen entwickeln sollten. Die buchstäbliche Wahrheit dieses furchtbaren Beispiels von unverantwortlichem Leichtsinn verbürgt ein edler Freund des Verfassers dieser Note, Herr Capitain von W. aus R., welcher unlängst aus Paris zurückkehrte.
  10. Die Behauptung, das ganze Thierreich sei nichts Anderes, als ein, in seine einzelnen Theile, d. i. Elemente, Organe und Sinne, zerfallener Menschenleib, kann am allerbesten nachgewiesen werden, durch die naturgemäße Eintheilung der Thiere nach den Elementen, Organen und Sinnen, welche sich im Menschenkörper, als dem höchsten Thierleibe, befinden. Versuchen wir es daher, so viel es der Raum dieses Bogens noch gestattet, wenn auch nur tabellenartig, in einer kurzen Uebersicht … in welcher sich freilich die Uebergänge, so wie die anatomischen und physiologischen Beweise, nicht mit in einige Zeilen zusammen drängen lassen … unsere Leser mit dieser Ansicht zu befreunden. – Zur niedrigsten oder 1sten Thierklasse gehören, nach den oben angedeuteten Naturansichten, die Samenthiere oder Mile, d. i. Urthiere, oder die sogenannten Infusorien. Der geistvolle Oken war es, welcher sie zuerst Samen- oder Elemententhiere nannte. Ihre Gestalten erschöpfen alle mathematischen Formen, als: Punkte, Linien, Kreise, Quadrate (z. B. Monas, Vibrio, Volvox, Gonium), u. s. w; und in Haufen zusammen gewachsen bilden sie Muskeln und größere Thierleiber. Zur 2ten Klasse, von unten nach oben gerechnet, zählt man die Eierthiere oder Korallen, d. i. Mineralthiere, oder ein organischer Schleim, welcher mit einer Kalkschale umgeben ist. Zur 3ten Klasse rechnet man die Zoophyten oder Wiere, d. i. Pflanzen- oder Hüllenthiere, welche nicht mehr mit einer todten Eier- oder Kalkschale, sondern mit einer lebendig gewordenen Hülle umgeben sind. So wie nun durch diese drei niedrigsten Thierklassen die Elemente, und die beiden untersten Naturreiche, als individualisirt und belebt, dargestellt werden, so [205] müssen alle übrigen, nach den eigenen Organen und Sinnen des höchsten Thierleibes selbst, eingetheilt werden. Zur 4ten, 5ten und 6ten Klasse gehören also, nach den Geschlechts-Organen geordnet, die Quallen, Muscheln und Schnecken, als Neutral-, Weib- und Mann-Thiere, (nach Oken: Nieren- Gescheid- und Geschröt-Thiere). Die 7te, 8te und 9te Klasse umfassen, nach den Eingeweid-Organen bestimmt, die Würmer, Krabben und Insecten, als Darm- Ader- und Lungenthiere. – Alle bisher dargestellten 9 Klassen sind aber nichts Anders, als blos verschiedene, niedere und höhere, Eingeweidthiere; die 4 folgenden Klassen dagegen sind Fleischthiere, und werden daher nach den Organen des Fleisches, d. i. der Knochen, Muskeln, Nerven und Sinne, eingetheilt. Zur 10ten Klasse zählt man also, nach diesen Eintheilungsgründen, als Knochenthiere, die Fische; zur 11ten, als Muskelthiere die Lurche oder Amphiebien; zur 12ten, als Nerventhiere, die Vögel; und endlich zur 13ten, als Sinnen-Volke, die Säugthiere. – – In den Säugthieren aber, als der letzten und höchsten Thierklasse, wiederholen sich nun alle bisherigen Klassen wieder, und zwar, nach den Organen und Sinnen eingetheilt, in 17 Sippschaften oder Zünften, auf folgende Weise: 1. Samen-Säugthiere, z. B. die Mäuse; - 2. Eier-Säugth., z. B. die Hasen; – 3. Hüllen-Säugth., z. B. die Biber; – 4. Nieren-Säugth., z. B. das Känguru; – 5. Gescheid-Säugth., z. B. das fliegende Beutelthier in Neuholland; – 6. Geschröt-Säugth., z. B. das gemeine Beutelthier, oder der Aeneas; – 7. Darm-Säugth., z. B. Schnabel- und Gürtelthiere; – 8. Ader-Säugth., z. B. die Ameisenbären; – 9. Lungen-Säugth., z. B. die Faulthiere; – 10. Knochen-Säugth., z. B. die Walfische; – 11. Muskel-Säugth., [206] z. B. Schweine und Pferde; – 12. Nerven-Säugth., z. B. Rinder und Hirsche. – 13. Haut-Sinnenthiere, z. B. Fleder- und Spitzmäuse; – 14. Zungen-Sinnenth., z. B. Robben und Bären; – 15. Nasen-Sinnenth., z. B. Marder, Hunde und Katzen; – 16. Ohren-Sinnenth., d. i. Affen; – 17. Augen-Sinnenth., d. i. Menschen. Vergl. Oken’s Zoologie I. S. 1, ff. und Dessen Naturgeschichte für Schulen S. 563–601. Denn von Rechts wegen wird unser tiefforschende Oken mit als „gleichsam ein Vorgesetzter“ im ganzen Gebiete der Naturwissenschaften betrachtet, welchen man, in wissenschaftlicher Treue, „als einen obersten Führer“ verehren, und nicht mehr träge oder neidisch ignoriren soll. Vergl. Verhandlungen des Gartenbau-Vereins, Berlin 1824, S. 131.
  11. Herr Dr. Karl Gustav Thörner in St. Petersburg, in seiner Dissertation: Meletemata quaedam de vi respirationis in vitam animalem servandam, Dorpati 1821, widerspricht der ganzen bisherigen Theorie, von der Aufnahme des Sauerstoffs im Blute. Gelehrte und scharfsinnige Physiker und Chemiker mögen über diese Behauptung des geistvollen Herrn Doctor Thörner’s, welchem der Herausgeber für seine freundlichen Mittheilungen herzlich dankt, wissenschaftlich entscheiden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gegengenwirkung