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Yang Gui Fe

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Yang Gui Fe
Untertitel:
aus: Chinesische Volksmärchen, S. 275–277
Herausgeber: Richard Wilhelm
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Eugen Diederichs
Drucker: Spamer, Leipzig
Erscheinungsort: Jena
Übersetzer: Richard Wilhelm
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach Digitale Bibliothek Band 157: Märchen der Welt
Eintrag in der GND: [1]
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Bearbeitungsstand
fertig
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[275]
90. Yang Gui Fe

Der Kaiser Ming Huang aus dem Hause Tang hatte zur Lieblingsfrau die berühmte Yang Gui Fe. Sie bezauberte ihn so durch ihre Schönheit, daß er alles tat, was sie wollte. Sie brachte ihren Vetter an den Hof, der ein Spieler und Trinker war, so daß sich um seinet willen ein Murren gegen den Kaiser erhob. Schließlich brach ein Aufstand aus, und der Kaiser mußte fliehen. Er floh mit seinem ganzen Hof nach dem Vierstromland.

An einem Passe aber meuterten seine eigenen Truppen. Sie schrien, der Vetter der Yang Gui Fe sei an allem schuld, man müsse ihn töten, sonst gingen sie nicht weiter. Der Kaiser wußte keinen Rat. Der Vetter wurde ausgeliefert und von den Soldaten umgebracht. Noch waren diese nicht zufrieden:

„Solange Yang Gui Fe am Leben ist, wird sie alles tun, um den Tod ihres Vetters zu rächen; auch sie muß sterben!“

Schluchzend flüchtete sie zum Kaiser. Der weinte bitterlich und wollte sie beschützen; doch die Soldaten tobten immer wilder. Schließlich wurde sie von einem Eunuchen an einem Birnbaum aufgehängt.

[276] Der Kaiser sehnte sich so nach Yang Gui Fe, daß er aufhörte zu essen und nicht mehr schlafen konnte. Da erzählte ihm einer seiner Eunuchen von einem Manne namens Yang Schï Wu, der abgeschiedene Geister zitieren könne. Der Kaiser ließ ihn rufen. Yang Schï Wu erschien.

Am selben Abend noch sagte er Zaubersprüche her, und seine Seele verließ den Leib, um die Yang Gui Fe zu suchen. Erst ging er in die Unterwelt, wo die abgeschiedenen Schatten wohnen. Doch wie er auch suchte und fragte, er fand dort keine Spur von ihr. Dann stieg er zum höchsten Himmel auf, wo Sonne, Mond und Sterne kreisen, und forschte nach ihr im leeren Raum. Aber auch dort war sie nicht. Er kam zurück und erzählte es dem Kaiser. Der war unzufrieden und sprach: „Yang Gui Fe war von so himmlischer Schönheit. Wie wäre es möglich, daß sie keine Seele gehabt hätte!“

Der Zauberer sprach: „Zwischen Berg und Tal und stillen Klüften wohnen die Seligen. Ich will noch einmal dorthin gehen und nach ihr fragen.“

Nun wanderte er umher auf den fünf heiligen Bergen, an den vier großen Strömen und auf den Inseln im Meer. Überall war er gewesen. Endlich kam er auch ins Feenland. Dort fragte er eine Fee nach ihr.

Die sagte: „Yang Gui Fe ist eine Selige geworden und wohnt im großen Südpalast.“

Dort ging er hin und klopfte an die Tür. Ein Mädchen kam heraus und fragte, was er wolle. Er erzählte ihr, daß er vom Kaiser geschickt sei, ihre Herrin zu suchen. Sie ließ ihn ein. Es ging durch weite Gärten mit Jaspisblumen und Korallenbäumen voll süßen Duftes. Endlich kam er an einen hohen Turm, und eine Dienerin hob den Vorhang an der Tür. Der Zauberer kniete nieder und blickte auf. Da sah er Yang Gui Fe auf einem Throne sitzen in smaragdenem Kopfschmuck und gelbem Schwanenpelz. Ihr Gesicht erstrahlte in rosigem Schimmer, doch hatte sie sorgenvolle Falten auf der Stirn.

[277] Sie sprach: „Ich weiß wohl, daß der Kaiser Sehnsucht nach mir hat. Doch führt für mich kein Weg zur Menschenwelt. Ich darf nicht mit dir zurück. Vor meiner Geburt war ich eine selige Himmelsfee, und auch der Kaiser war ein seliger Geist. Schon damals liebten wir uns innig. Als dann der Kaiser vom Herrn zur Erde hinabgesandt wurde, da stieg auch ich hernieder zu den Menschen und fand ihn dort. In zwölf Jahren werden wir uns wiedersehen. Einst hat mir der Kaiser am Siebenabend, als wir zur Spinnerin und dem Kuhhirten emporblickten, ewige Liebe geschworen. Er hatte einen Ring, den er zerbrach. Die eine Hälfte gab er mir, die andere behielt er selbst. Nimm nun die Hälfte hin und bring sie dem Kaiser und sage ihm, er solle der heimlichen Worte am Siebenabend nicht vergessen. Doch solle er sich nicht zu sehr um mich grämen.“

Damit gab sie ihm den Ring, mühsam das Schluchzen unterdrückend. Der Zauberer brachte den Ring zurück. Bei seinem Anblick ward der Liebesschmerz des Kaisers wieder neu.

Er sprach: „Was wir an jenem Abend geredet, hat nie ein anderer Mensch erfahren. Du bringst mir nun den Ring zurück; daran erkenne ich, daß deine Worte Wahrheit sind, und daß meine Geliebte wirklich eine selige Fee geworden ist.“

Dann steckte er den Ring zu sich und gab dem Zauberer reichen Lohn.

Anmerkungen des Übersetzers

[402] 90. Yang Gui Fe. Vgl. Schen Siän Dschuan.

Der Kaiser Ming Huang aus dem Hause Tang regierte von 713–756 n. Chr. Die Einleitung ist historisch.

[403] Vierstromland = Setschuan.

Siebenabend: vgl. Nr. 16.