Zedler:Marck, March
Marck, Marc, March, Lateinisch Medulla. Griechisch μυελός. Frantzösisch Mouëlle. Holländisch Mergh, Englisch Marowe, Schwedisch und Dänisch Mergh. Das Marck, welches vorzeiten für ein ungestaltes und unförmliches Zeug gehalten wurde, bestehet aus einem ölichten, fetten und zarten Wesen, und aus denen allerkleinesten häutigten Bläsgen, in welche von dem Puls-adrigten Geblüthe, fast als wie das Fett, diese fette Substantz abgeschieden wird; und wird in denen meisten Höhlen derer länglich-runden Beine enthalten. Denn in denen höhlichen Knochen ist nur ein rother und fetter Safft, der dem marcke in etwas beykömmt. Die Gefässe des Marcks dringen durch besagte Gänge, so hin und wieder in denen Beinen anzutreffen, zu dem innersten derer Beine durch; die Puls-Adern führen das marckigte Wesen zu; die Blut-Adern führen das überflüßige Geblüthe zurück; die Nerven aber geben ihm die Empfindung. Die von Duverneo deswegen gemachten Proben, siehe in hist. acad. reg. scient. an. 1700. Es wächst nicht, und nimmt auch mehr ab, nach dem Zu- oder Abnehmen des Mondes, wie einige dafür gehalten; sondern, als wie die Thiere die Bewegung [1248] und Ruhe, bequemes und genugsames, oder nicht genugsames Futter geniessen. Dieses subtile Fett oder Oel, nachdem es in denen Zwischen-Räumen derer vereinigten Zäserlein lieget, bewahret die Beine, daß sie nicht brechen oder allzu trocken werden; es ernähret aber dieselbigen nicht, wie die Alten geglaubet. Das Wesen des Marcks ist fettigt oder ölicht, welches man nicht nur aus seinem klebrichten Anrühren, und daß es die Finger mit einem ölichten Wesen befeuchtet, sondern auch daraus abnehmen kan, weil es gleich andern ölichten Sachen leichtlich brennet; dahero es mit dem Fette ziemlich übereinkömmt, und in denen Knochen eben dasjenige ist, was an denen fleischigten Theilen das Fett zu seyn pflegt. Die Materie, woraus es abgesondert wird, ist das Blut, welches vermittelst derer Puls-Adern, die in denen membranösen Bläßgen hin und wieder zerstreuet liegen, zugeführet worden, als woraus die fetten und ölichten Theilgen abgesondert werden. Diese membranösen Bläßgen, die nach der künstlichen Verrauchung des Marcks, zum Vorschein kommen, sind eben das Werckzeug, so das Marck von dem Blute absondert. Und es ist sehr wahrscheinlich, daß gedachte Bläßgen, mit dem Puls-Aedrigen eine solche Gemeinschafft haben, daß sie die ölichte Feuchtigkeit, welche, aus denen Löchergen derer Puls-Aedrigen gleichsam heraus schwitzet, auf und abnehmen, und eine zeitlang bey sich behalten. Clopton Havers gedencket zwar in seiner Osteologia einiger Drüsen, denen er die Absonderung des Marcks zuschreibet; allein er mag sich selbige wohl nur eingebildet haben, allermassen sie von vielen andern Anatomicis mit grossem Fleiß zwar gesuchet, aber niemals gefunden worden sind. In der innern Höhle derer Knochen lieget zwar das Marck: Da aber die Knochen bald weit, bald mittelmäßig, bald sehr enge sind; so geschiehet es auch, daß in selbigen bald viel, bald wenig Marck angetroffen wird. Indessen bezeuget doch die Erfahrung, daß die Menge des Marcks nach dem Unterscheid der Nahrung, wie auch der Ruhe und Bewegung, nicht wenig unterschieden sey. Der Nutzen dieses ölichten Knochen-Saffts bestehet in einer natürlichen Erhaltung und Bewahrung seines Behältnisses, damit nemlich die Knochen nicht gar zu trocken werden mögen: über dieses gehet auch das Marck durch länglichte Röhren derer Knochen zu denen Gelencken, welche es zugleich einschmieret, und schlüpffrig machet. Das inwendige weiche Wesen des Gehirns wird auch das Marck, und die aus demselben durch den Rückgrad ablauffende Streiffe, das lange oder Rücken-Marck genennet. Alles Marck hat die Natur zu erwärmen, zu erweichen, und dünn zu machen. Das Rücken-Marck, oder das, so in dem Rücken-Meissel derer Thiere ist, nähret ziemlich wohl, aber zuviel gegessen, bringet es einen Unwillen. Das beste Marck zur Artzney, sagt Galenus, habe er allerweg befunden, daß es das Hirschen-Marck sey, darnach das Kälber-Marck. Derer Böcke und Farren-Marck ist schärffer und trockener, darum erweichet solches nicht wie das andere. Aus Hirschen- und Kalbs-Marck macht man Zäpfflein zur Bähr-Mutter, sie zu erweichen. Man legt auch äusserlich Artzneyen auf von abgemeldtem Marck, welche die harten Kollen erweichen mögen. Zu solchem Gebrauch nimmt man nicht allein das Marck aus denen Beinen, welches insonderheit Marck genennet wird, sondern auch das aus dem Rücken-Meissel, weilches härter und trockener ist, [1249] denn das andere. Es soll aber beyderley Marck zur Winters-Zeit gesamlet, und in der Höhe an einem trockenen Ort, mit dörren Lorber-Blättern, behalten werden. So aber die Lufft warm ist, und von Mittag her gehet, soll man es gegen Mitternacht in einem Gemach, welches gemäßiget ist, und kleine Lufft-Fenster gegen Mitternacht hat, hinlegen, und also behalten. Das Marck aus denen gekochten Rind-Fleisch-Beinen giebt nicht nur eine gute schmackhaffte Brühe, sondern es wird selbiges auch darinnen zur Tafel gebracht, und entweder auf einen höltzernen Teller ausgestossen, oder mit einem silbernen Instrument, so man einen Marck-Zieher nennet, da herausgezogen; ingleichen wird es auf gerösteten Brod-Schnitten über den Tisch, weil es noch warm, herum gegeben, auch zuweilen in Pastetlein, Torten, Klösern und Küchlein verbrauchet. Wie nun die Menschen das Marck vor ein Lecker-Bißgen ihrer Speise, sofern als es in denen Röhren derer eßbaren Thiere enthalten ist, zu halten pflegen: also hat der Allerhöchste sich selbst gefallen lassen, nach der Menschen Geschmack zu reden, wenn er die Annehmlichkeit und Krafft derer himmlischen Güter und zukünfftigen Vergnügungen Leibes und der Seelen vorstellen wollen, die er denen sich zu ihm in JEsu CHristo bekehrenden zubereitet hat, und in der That geben will. Dermassen sagt Esaias Cap. XXV, 6. „es sey von dem Allerhöchsten beschlossen, allen Völckern ein fest Mahl zu machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Marck, von Wein, darinnen, keine Hefen sind.“ Dieses hat Vitringa mit gutem Grund ein Marck der Gnaden-Bewirthung zu seyn erwiesen, da es andere von einer Anrichtung des auch Stärcke und Fette abschlachtenden Zorn-Gerichts verstehen wollen. Denn es ist nicht ohne, daß unter dem Marck und denen Marck-Stücken grosse und mächtige Leute, unter deren Koch- und Zubereitung aber die über selbige kommende, und ihnen den Garaus machende Heimsuchungen des Allerhöchsten verstanden werden, davon es in dem Propheten Ezechiel Cap. XXIV. 3.4.5.6. heisset: „Gieb dem ungehorsamen Volck ein Gleichniß, und sprich: So spricht der HErr HErr: setze ein Töpffen zu, setze zu, und geuß Wasser drein. Thue die Stücke zusammen drein, die hinein sollen, und die besten Stücke, die Lenden und Schultern, und fülle ihn mit den besten Marck-Stücken. Nimm das beste von der Heerde, und mache ein Feuer darunter, Marck-Stücke zu kochen, und laß es getrost sieden, und die Marck-Stücke drinnen wohl kochen. Darum spricht der HErr HErr: O der mörderischen Stadt, die ein solcher Topff ist, da das angebrannte darinnen klebt, und nicht abgehen will. Thue ein Stück nach dem andern heraus; und darffst nicht darum loosen, welches zuerst heraus solle,“ weil nemlich ein Stück wie das andere, die Geringern mit denen Vornehmen durch das Gerichte angerichtet, und dem Verderben aufgegeben werden solten. Weil das Marck tieff, und in denen harten undurchsichtigen Beinen lieget, wird es zu einem Bilde der heimlichsten Gedancken, und Anschläge gebraucht, die aber doch, der grosse GOttt erforschet, entdecket, überzeuget mit seinem Worte, welches also durchdringet Marck und Bein, und einen Richter nicht nur derer äusserlichen Sinne, sondern auch derer innersten Gedancken des Hertzens abgiebet, Ebr. IV, 12. Ob sonst gleich der menschliche [1250] Geschmack viel daraus machet, will es doch übrigens, in der Haushaltung des Thierischen Cörpers, von einigen Natur-Kündigern eben nicht vor was besonders grosses angesehen, vielmehr wohl gar vor einen verwerfflichen Unrath der Gebeine gehalten wird, den die Natur-Krafft in ihre Höle ausstüsset, dagegen doch andere dasselbe vor eine Nahrung und Unterhaltung derer Beine erkennen. Das Hirn- und Rückgrad-Marck wird in dem Thierischen Reiche vor was weit wichtigers gehalten, und wegen seiner nutzbaren auch nöthigen Kostbarkeit, gemeiner Meynung nach, einem silbernen Stricke oder Seile, so gleichsam des Leibes Leben beysammen halte, verglichen; dessen Beschreibung wir mit des Bartholini verdeutschten Worten mittheilen wollen: Das inwendige Theil ist das übrige, welches inwendig lieget, dichter und weisser, so von uns kan das Marck genennet werden, in welchem die Hirn-Kammern, nicht aber in dem Gehirn, zu finden sind; also daß sie beyde unterschieden werden, nemlich das Gehirn und das Marck, 1) nach der Lagerstatt, 2) nach der Farbe, 3) der Dicke oder Dünne, 4) dem Unterscheid der Striche, 5) der Grösse, 6) der äusserlichen Gestalt, 7) der Hölen oder Kammern, welche in dem Hirn-Marck, aber nicht im Gehirne selbst gefunden werden, 8) nach dem Vorzug. Derohalben hat es das Ansehen, als wenn das weisse Theil des Gehirns in das Aschen-farbige tieff eingesencket sey; gleichwie die Crystallinische Feuchtigkeit in der gläsernen im Auge. Obschon zwar diese zwey wesentliche Stücke, das weisse und das Aschen-farbige, in den todten allbereit der Fäulung nahenden Leibern scheinen eins zu seyn, werden sie doch in den frischen, der Gesunden, oder erst Entleibten, mit unterschiedlichen Strichen augenscheinlich abgetheilet, also daß sie in der That selbst leicht mögen von einander gesondert werden, da einer recht damit weiß umzugehen, und bald, nachdem der Mensch verschieden, die Aufschneidung vorgenommen wird: sonsten werden sie mit vieler wäßrigen Feuchtigkeit beschweret, fallen auch endlich zusammen. Dieses mittlere weisse Wesen, oder das Hirn-Marck, theilen wir wiederum ab in das runde oder Kugel-förmige, und in das länglichte, lang-runde oder verlängte Stück; das Kugel-runde Theil, welches wir das Haupt des Hinr-Marcks nennen, schicket sich nach der Figut des Haupt-Schedels, und ist gleichsam ein grosser Klumpen, welcher die drey Hirn-Kammern in sich hält. Das verlängte Theil, so uns den Schwantz des Hirn-Marcks zu nennen beliebet, entspringet unmittelbar von dem vorigen Kugel-runden Theil, als ein Stamm eines Baumes; diesem ist eingegraben die Schreib-Feder, oder die von etlichen also genannte vierdte Hirn-Kammer, in welcher nach unserer Meynung die wahre Erzeugung und Zubereitung der sinnlichen Geister vorgehet. Dieses verlängerte Hirn-Marck ist aller Spann-Adern, so viel ihrer sind, der Anfang und Ursprung; von dem Gehirn aber kommt nicht eine einzige her, obschon die gemeine Meynung anders lautet. Dieses Theil des Marcks kan auch in zweyfacher Betrachtung gezogen werden, diesemnach entweder annoch dasselbe innerhalb der Hirnschale ist, und von demselben alsdenn die Spann-Adern entspringen, so insgemein dem Gehirne zugeeignet sind; oder, wie solches allbereit ausser der Hirnschale, und in den Rückgrad gezogen wird, welches man das Rück-Marck nennet. Das verlängerte Hirn-Marck [1251] entspringet nach etlicher Meynung von dem Gehirn allein; oder wie andere wollen, von dem Hirnlein: aber es rühret her von allen beyden, damit wir anietzo der gemeinen Weise nach, uns richten zu reden. Denn es entspringet mit vier Wurtzeln oder Grund-Vesten, derer zwey etwas grösser sind, von dem vordern (insgemein also genannten) Theil des Gehirns herrührend: Item zwey andere etwas kleinere, die von dem innern Theil des Hirnleins herkommen. Wenn diese Wurtzeln zusammen vereiniget werden, hat es das Ansehen, als würde das Hirn-Marck daraus zusammen gesetzt: vielleicht ist man in einer bessern Meynung, da man dafür hält, daß dieselbe vermeinte Ursprungs-Wurtzeln Fortsätze des Hirn-Marcks selbsten sind, wie zuvor gedacht worden: Das Wesen des verlängerten Hirn-Marcks ist etwas härter als des Gehirns; es ist gantz marckicht, in welchem, als Willis erommert (da man dasselbe in der Mitte nach der Länge von einander schneidet) beyderseits zu mercken sind die marckige hohle Fächlein, und gleichsam strahlichte Zäserlein, welche einen doppelten Fortgang haben, denn andere steigen ab von der Höhe des marckichten Wesens, als wenn sie in einem Zug von dem Gehirn in das verlängerte Marck sich strecketen; andere steigen aufwärts von dem untern Theil, und kommen dem vorigen entgegen, als wie die Wagen-Leise der Geister von dem verlängerten Marck an bis zu dem Gehirn. Die höhlichte Stücklein werden zusammen gefüget, und einander mitgetheilet von dem überzwerchen marckichten Fortsatz, gleich einer Spann-Ader, der von einem höhlichten Stücklein in das andere ausgestrecket ist, damit die Würckungen und Ausstösse der Stücklein sich nicht verdoppeln; um die äussere Enden beyder höhlichten Stücklein werden die Geruchs-Spann-Adern eingepflantzet. Ein Theil des Rück-Marcks ist innerhalb der Hirnschale, bey vier Quer-Finger breit, oder dem grossen Loch des Hinter-Haupts; das übrige THeil, so zwar das längste, ist ausserhalb der Hirnschale in dne Gewerb-Beinen, von dem ersten des Nackens an, bis gar zu dem letzten des Heiligen- oder grossen Rück-Beins. Dessen Figur ist rund in die Länge; Die Heilige Schrifft nennet dis ein silbernes Seil; bey dem Anfang aber ist es weiter und dicker. Ferner wird solches abgetheilet in das lincke und rechte Theil, gleichwie auch das Gehirn, vermittelst des dünnen Hirn-Häutleins, welches das Marck unmittelbar überziehet; solches erscheinet in dem Marck eines Rindes, das ein wenig gekocht ist, dahero kan die Gicht eines oder das andere Theil allein anfallen. Uber dieses wird auch angemercket, wie daß offterwehntes Marck um das sechste und siebende Gewerb-Bein der Brust, gleichsam in viel kleine Stricklein zerspreitet werde; da man das Rück-Marck eines frischen Leichnams alsobald in ein kaltes Wasser wirfft, und diese zusammengeflochtene Stricklein von einander geschieden werden, gewinnen sie das Ansehen (sonderlich am Ende) eines Pferde-Schwantzes, welcher in viel lange Haare zertheilet ist, also, daß nach des Laurentii Meynung, auch die Spann-Adern des Rückens und der Lenden von dem Marck des Nackens ihren Ursprung nehmen. Mit einem dreyfachen Pergaments-Häutlein wird dieses Hirn-Marck bekleidet; das erste, [1252] welches unmittelbar dasselbe umgiebet, rühret her von dem dünnen Hirn-Häutlein, und mit dem vorigen verbunden; welche zwey Häutlein, nach Spiegels Anmerckung, gantz nichts von einander abstehen, (gleichwie sie thun, wenn sie noch innerhalb der Hirnschale sind) sondern berühren sich einander. Das dritte und auswendige entstehet (nach Galeni Meynung) von der starcken Senne, welche die vordern Theile der Gewerb-Beine zusammen knüpffet, so zu hinterst sich in ein starckes Häutlein verwandelt, damit das Marck nicht (da der Rück-Grad sich bieget, oder ausstrecket) verletzet werde. Dieses Häutlein wird mit einer dicken schleimigten Feuchtigkeit benetzet, damit es allezeit feucht und schlüpffrig sey. Weiter ist das Marck in die Gewerb-Beine eingeschlossen, um alle Versehrung davon abzuwenden, (gleichermassen, als wie die Hirnschale das Gehirn verwahret) weil es eines von den vornehmsten Theilen, und ein Ursprung der Spann-Adern ist. Dahero haben die Alten das ausgehölte und durchbohrte Theil des Rück-Grads, die heilige Pfeiffe genennet. Zu Anfang dieses Marcks, wenn solches noch innerhalb der Hirnschale sich aufhält, siehet man daselbst eine gleichsam ausgehauene, eingegrabene Höhle und Grüblein, welches Galenus die Kammer des Hirnleins nennet, oder die vierdte Kammer des Gehirns, da sie doch im Gehirn sich nicht befindet. Wir wollen sie die vornehme oder die edle kammer des Hirn-Marcks nennen. Diese Kammer ist sehr dicht, rein und zart, aber sehr klein; sintemal, wie Galenus meldet, in ihr ein Wesen von grossen Kräfften und Würckungen enthalten wird, nemlich die Sinn-Geister: weil auch, demnach sie anfangs in einem gleichen Zuge fortgegangen, dieselbe zu beyden Seiten sich erweitert, und endlich gantz spitzig zugehet, wird sie wegen solcher Gestalt von etlichen die Schreib-Feder genennet. Das Hirnlein aber, so mit diesem Marck zusammen stösset, giebt zu dieser Kammer das übrige und andere halbe Theil, als einen Deckel, also, daß diese gantze Höhle zwischen dem Hirnlein, wie auch dem verlängerten Hirn-Marck, sich befindet; Jedoch ist das untere Theil der Höhlen grösser und ansehnlicher in dem Marck begriffen. Der Nutz dieser Kammer, nach unserer Meynung, ist, daß sie sey ein Ort, allwo die Sinn-Geister erzeuget und ausgearbeitet werden; denn diese Kammer ist erstlich die allerreineste und zarteste; Zum andern hat sie eine genugsame Höhle in dem Menschen; Drittens liegt sie in einer solchen Gegend, da sie um sich her von allen Seiten, in alle Spann-Adern die Sinn-Geister ausgiessen kan; derohalben hat Herophilus diese Kammer gar recht für die vornehmste gehalten. Andere meynen, die Sinn-Geister werden in den vordern Kammern des Gehirns verfertiget; aber in dieser vierdten Kammer wird entweder einiger Sinn-Geist um das Silber-Drüßlein erhalten; oder das Saltz-Wasser aus denen Drüsen und Verwicklungen der Gefässe aufgenommen, welches auch aus dem Wesen des Hirnleins herab tropffet; oder die Sinn-Geister werden hinter sich geleget. Also quillet aus denselbigen Kammern viel verwerfflicher Unrath herfür, dessen Behältnisse sie vielmehr zu achten, wie solches aus dem Schlamm-Drüßlein erscheinet, welches recht unter sie gesetzet ist, wie auch hieraus, daß sie offt mit Feuchtigkeit und Schlamm erfüllet angetroffen werden. Andere hingegen haben [1253] diese Gedancken, als ob die Sinn-Geister in dem wunderbaren Netze oder der Verwicklung der Blut- und Puls-Adern im Gehirn erzeuget würden. Wir aber halten dafür, daß die Vorbereitung in selbigem vorgehe; denn die Natur pfleget, ehe aus einer Materie ein neues Wesen erzeuget wird, zu derselben Vorbereitung dergleichen zusammen geflochtene Verwicklungen der Gefässe anzustellen; Zudem, weil die Gefässe sehr klein sind, wie können die Geister darinnen erzeuget werden, sonderlich weil durch des Gehirns Kammern so viel verwerfflicher Unrath abfliesset? Endlich wollen andere, daß die offtgedachte Sinn-Geister in dem Wesen des Gehirns selbst sollen ausgearbeitet werden; aber die Erzeugung solcher zarten durchdringenden Geister erfordert eine Höhle, welche auch zur Erzeugung der Lebens-Geister zugelassen ist: dahero sind etliche bewogen worden, daß sie geschlossen, als geschehe die Bereitung des natürlichen Geistes in der rechten Kammer des Hertzens, weil in der Leber keine Höhle dazu sich befindet. Dannenhero unser endlicher Schluß und Meynung ist, daß die Sinn-Geister in dem wunderbaren Hirn-Netze, iedoch noch mehr in der Garn-förmigen Verwicklung der Blut- und Puls-Adern zubereitet, in der Höhle aber, oder in der edlen Kammer des verlängten Hirn-Marcks erzeuget, desgleichen ausgearbeitet, nachmals aber in dem gantzen Gehirn, als in einem Behältniß oder Verwahrungs-Gemache behalten, und verwahret werden, als welche nach dem Rück-Marck, wie auch zu den Spann-Adern des Gehirns nicht abgeleitet werden. Der Nutzen des verlängten Hirn- und Rück-Marcks ist, daß von ihm alle Spann-Adern ursprünglich herkommen sollen; denn von dem Theil dieses Marcks, welches innerhalb der Hirnschale ist, entspringen diejenigen Spann-Adern, die insgemein dem Gehirn zugeeignet sind, und derer sieben Paar gezehlet werden; aber von dem längsten Theile, welches in dem Rück-Marck entstehet, kommen her dreyßig Paar Spann-Adern, so viel nemlich, als Löcher der Gewerb-Beine sind. Jedoch ist dieses nicht also zu verstehen, als wenn nur so viel Zweige oder Stücklein solten davon entspringen; sintemal einer jeden Spann-Ader Anfang bestehet aus vielen Stricklein, oder gleichsam Zäserlein, welche sich durch das Loch eines Gewerb-Beins ziehen, und daselbst vermittelst eines Pergament-Häutleins, welches sie umgiebet, also zusammen verbunden werden, als wenn die Spann-Ader nur aus einem Stamm oder Schoß entstanden wäre, da es sich doch viel anders verhält, wie gemeldet worden. Um die untere Gegend oder Grund des verlängten Marcks, gehen aus dem grossen Ring gleichsam zwey marckichte Schnuren herfür, wie solches Willis abzeichnet, dieselben, als von dem übrigen marckichten Stamm unterschieden, stecken sich gerad fort, gegen den Rück-Marck, und in ihrem Fortgang werden sie allgemach enger, gehen zu Ende zugespitzet, gleichwie ein gespitzter Kegel. Deren äusserste Ende machen stracks gegen über, allwo die Ursprünge des umschweiffenden Paares bestehen, und in dem verlängten Hirn-Marck einige Geschwülste: Er muthmasset, daß diese zwey Schnuren ein Geleite der Sinn-Geister seyn, durch welche sie von dem Hirnlein nach den Spann-Adern geführet werden.