Zum Inhalt springen

Zedler:Rache

aus Wikisource, der freien Quellensammlung


Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste
korrigiert
<<<Vorheriger

RACHAMELCA

Nächster>>>

Rache (Privat-)

Band: 30 (1741), Spalte: 482–485. (Scan)

[[| in Wikisource]]
Rache in der Wikipedia
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für WP  
Literatur
* {{Zedler Online|30|Rache|482|485}}
Weblinks
{{Wikisource|Zedler:Rache|Rache|Artikel in [[Johann Heinrich Zedler|Zedlers’]] [[Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste|Universal-Lexicon]] (1741)}}



Rache, Vindicta, Ultio, Vengeance, ist ein zweydeutiges Wort, weil Rache und Straffe öffters von den Scribenten vor eins genommen worden, siehe Henninges ad Grot. de jure belli & pacis lib. 2. cap. 20. p. 827. ff. Thomasius in juris prud. divin. lib. 3. cap. 7. §. 48. nennet es ein würcklich Ubel, welches einem von seines gleichen angethan wird, den er im natürlichen Stande beleidiget hat, zu dem Ende, daß der Beleidigte ins künfftige vor ihm sicher sey. Der Unterscheid zwischen der Straffe und Rache bestände also darinnen, daß erstlich die Straffe im bürgerlichen Stande; die Rache aber unter denen, die im natürlichen Stande lebten, statt habe; daß zum andern die Straffe vornemlich auf gemeine Besserung; die Rache aber auf des Beleidigten eigene Versicherung ziele. Ungerecht sey die Rache, wenn sich einer an seines gleichen in der Republic, da die Obrigkeit sey, rächen wolte; oder wo einer gegen seines gleichen im natürlichen Stand bey der Rache vornemlich auf die Besserung des Verbrechers; oder anderer Leute; oder auf anderer allgemeine Versicherung ziele. Man lese dabey Hochstetter de jure poenar. Sect. I. §. 3. p. 5. ff. Man kan das Wort Rache in weiterm und engerm Verstand nehmen. Nimmt man solche in weiterm Verstand, so ist die Rache eine That, dadurch man seinen Feind vor eine schon würcklich zugefügte, oder auch nur zugedachte, und doch mißlungene Beleidigung züchtiget. Sie ist entweder eine vernünfftige, und unvernünfftige, welches aus den Regeln theils der Billigkeit, theils der Klugheit muß beurtheilet werden, wobey man zugleich in Betrachtung zühen muß, daß eine Beleidigung entweder aus Schwachheit; oder aus Boßheit könne verübet werden. Wenn eine Beleidigung aus Feindschafft und Boßheit begangen worden, und ich also gnugsamen Grund habe, zu besorgen, daß mein Widersacher hinführo ferner mich zu beleidigen desto mehr fortfahren würde, ie mehr er dadurch, wenn ihm die erste Beleidigung so ungerochen hingehen solte, in seiner Boßheit würde verstärckt werden; so habe ich wohl Ursach, durch eine proportionirte Ahndung des angethanen Unrechts ihn zu erinnern, daß er hinführo ohne seinen eignen grösten Schaden dergleichen fernerhin unternehmen zu dürffen, sich nicht Hoffnung machen könne, und daß er die Pflicht-Bezeugungen der allgemeinen socialen Freundschafft mir keinesweges anderer gestalt werde versagen können, als daß er dabey zu seinem empfindlichen Schaden dieselben von meiner Seiten nach Proportion wiederum werde entbehren müssen. Dieses erfordert erstlich die vernünfftige Liebe seiner selbst; hernach auch die Beschaffenheit der menschlichen Gesellschaft, welche sonst sehr würde verunruhiget werden. Wenn eine Beleidigung bloß aus Schwachheit begangen

[483]

worden, so muß man dabey erwegen, ob nicht der Beleidiger wenigstens in Schuld sey, und hinführo dergleichen mehrmalen begehen möchte: Z. E. wenn ein unbedachtsamer, nachläßiger oder vielleicht ein trunckener Mensch, ohne daß er ein feindseliges Gemüth gegen mich heget, durch seine Waschhafftigkeit, oder Nachläßigkeit, oder in seiner Trunckenheit mir Schimpff und Schaden zuzühet, und sein übel gezogenes Naturell zu diesen Fehlern dermassen geneigt ist, daß er damit mir und vielen andern sehr offt schadet. In solchem Fall ist in Ansehung der Schwachheit nicht alle Ahndung auszuschlüssen, und wir sind nicht gehalten, den schädlichen Würckungen der Schwachheit des Nächsten, die er verbessern kan und soll, uns ohne Unterscheid zu unterwerffen. Vielmehr ist der Billigkeit gemäß, unserm unbedachtsamen, nachläßigen, versoffenen Nächsten dann und wann fühlen lassen, wie nöthig es sey, solche Unbedachtsamkeit, Nachläßigkeit, Versoffenheit, u. s. w. abzulegen, und damit uns und vielen andern in der menschlichen Gesellschafft nicht beschwerlich zu seyn. Wenn endlich der Beleidigte nicht zu befahren hat, daß die Beleidigung aufs künfftige vor ihn von schädlicher Folgerung seyn werde, z. E. wenn sie bloß durch Zufall, oder aus Versehen, welches wahrscheinlich nicht continuiren wird, begangen worden, alsdenn ist man verbunden alle Ahndung und Rache zu unterlassen, wenn auch die Beleidigung etwas sehr hohes antrifft, und der Beleidiger sehr grosse Schuld hat. Denn alle vernünfftige Rache hat die Abwendung zukünfftiger fernerer Beleidigung zum Endzweck. Eben dieses ist auch zu sagen, wenn die Abwendung der würcklich ferner zu besorgenden Beleidigungen eher und leichter durch Güte und Wiederversöhnung eines Widersachers erhalten werden kan; ingleichen wenn der Widersacher so mächtig ist, daß man durch unternommene Rache die zu besorgende Incommoditäten eher vermehren als vermindern würde; oder wenn der Beleidigte die Macht eine nachdrückliche Rache auszuführen nicht besitzet u. s. w. Denn in allen diesen Fällen fällt der Grund, auf welchen die Billigkeit einer Ahndung beruhet, nemlich die Abwendung zukünfftiger Beleidigungen, und also mit demselben die Billigkeit der Rache selber ohnstreitig hinweg. Doch ist zu mercken, daß, wenn man solchen falls vor vernünfftig befindet, dem andern ein angethanes Unrecht zu pardoniren, er dadurch zwar, wie gedacht, von der Ahndung, nicht aber eben nothwendig von der Erstattung des zugefügten würcklichen Schadens befreyet seyn müste. Aus welchem allen so viel, als eine General-Regel erhellet, daß eine Rache alsdenn vor billig und rechtmäßig zu achten, wenn sie als ein nöthiges Mittel, ein zukünfftiges Ubel abzuwenden, gebraucht wird. Eine vernünfftige Rache ist demnach von der unvernünfftigen in zwey Stücken unterschieden, erstlich in Ansehung ihres Ursprungs, indem eine vernünfftige Rache auf wohl bedachte, und nach den Regeln der Gerechtigkeit abgefaßte Rathschläge der gesunden Vernunfft sich gründet; unvernünfftige Rache aber aus Affecten, aus Zorn, Haß und Feindschafft ihren Ursprung hat: vors andere in Ansehung ihres

[484]

Endzwecks, massen bey vernünfftiger Rache die Absicht geführet wird, daß man einen importunen Menschen zu fernern Beleidigungen schüchtern machen möge; eine unvernünfftige Rache aber, die aus Affecten entstehet, die eitele Lust zum Zwecke hat, die man aus dem Tort, so man seinem Feinde anthut, zu empfinden hoffet. Auf solche Weise ist leicht zu erachten, daß die Vernunfft in Ansehung dessen, was sie in Betrachtung der Rache vor billig erkennet, den Geboten Christi nicht widerspreche, da er sagt: liebet eure Feinde, thut wohl denen, die euch hassen. Denn die hiemit gebotene Liebe unserer Feinde, ist ohnstreitig eine Art der allgemeinen socialen Liebe des Nächsten; unsere Nächsten aber sollen wir nach der Lehre Christi, wie nicht weniger der gesunden Vernunfft lieben nur als uns selbst, folglich sollen wir auch unsere Feinde zwar lieben, aber nur als uns selbst, und dieser Liebe ist nur die unvernünfftige Rache, die aus Zorn und Feindschafft entstehet, nicht aber die aus vernünfftiger Liebe seiner selbst entspringet, entgegen gesetzet; ja diese ist vielmehr der Liebe des Nächsten und unserer selbst gemäß, und eine unfehlbare Folge derselben. Ferner da diesfalls nach den Regeln der Vernunfft ein Weiser die allgemeine sociale Menschen-Liebe gegen seinen Beleidiger großmüthig beybehält, so folget, daß er ihm, der angethanen Beleidigung ungeachtet, die Pflicht-Bezeugungen solcher Liebe nicht versagen könne, in so weit er die Versagung derselben zu wohl befugter Abwendung künfftiger Beleidigungen nicht vor nöthig findet. Also ist der Vernunfft nicht minder gemäß, wenn Christus ebenfalls sagt: Thut wohl denen, die euch hassen, u. s. w. und wenn er ferner am angezogenen Orte v. 38. 39. 40. fortfähret, ihr habt gehöret, daß zu den Alten gesagt ist: Auge um Auge; Zahn um Zahn; ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben solt dem Ubel; so ist der wahre Verstand dieses Gebots gar deutlich dieser, daß das bey den Alten im Brauch gewesene jus talionis von uns Christen vor kein tüchtiges und allgemeines Fundament unsers Bezeigens gegen unsere Feinde solle gehalten werden, immassen solches den Groll im Hertzen nicht aufhebet, welcher nach obigem nicht allein dem geoffenbarten Worte, sondern auch der Vernunfft zuwider ist. Die Worte aber, daß wir nicht widerstreben sollen dem Ubel, erkläret die Randglosse Luthers sehr wohl, daß er nur von unrechtmäßiger Widerstrebung, da einer der weltlichen Obrigkeit in ihr Amt greifft, und sich der ihr vorbehaltenen Rache anmasset, zu verstehen sey: So dir iemand einen Streich giebt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar, und so iemand mit dir rechten will, und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel, zu sagen, daß wir nemlich lieber nach einem erdulteten Backenstreich auch den andern abwarten, als den Zorn zu verbotener Selbst-Rache uns verleiten lassen sollen, welches der Vernunfft nicht zuwider ist. Oder es können diese Worte gar füglich von dem Fall verstanden werden, wenn man den obangesetzten Zweck einer vernünfftigen Rache, nemlich die Abwendung zukünfftiger Beleidigung nicht hoffen kan, als in welchem Fall man allerdings vernünfftiger handelt, daß man über einen bereits empfangenen Backenstreich

[485]

noch den andern; oder über den Verlust des Rocks, noch den Verlust des Mantels lieber mit Gelassenheit erdulde, als seine Wut nur mit vergeblicher, oder schädlicher Auslassung derselben sättigen wolle. Man siehet auch noch aus andern Schrifft-Stellen, daß nur die unvernünfftige Rache verboten wird, z. E. du solt nicht rachgierig seyn, noch Zorn halten, z. B. Mose 19, v. 18. Rächet euch nicht meine Lieben, Röm. 12. v. 19, wobey gleich vorher gehet: vergeltet niemand Böses mit Bösem. Im übrigen ist noch zu mercken, daß wenn wir nach obigen Principiis die Ahndung einer angethanen Beleidigung vor vernünfftig befinden, selbige nur auf billige, und in göttlichen und weltlichen Gesetzen zugelassene Art, auszuüben sey. Insonderheit ist der Vernunfft nicht gemäß, die Ahndung derienigen Beleidigungen, welche zu rächen der weltlichen Obrigkeit durch die Gesetze vorbehalten worden, sich selbst unmittelbar anzumassen, wie dieses alles Müller in den Anmerckungen über Gracians Oracul Max. 54. p. 404 mit mehrern ausführet. Nimmt man das Wort Rache in engern Verstand, so bedeutet es nur die unvernünfftige Rache, dessen Begierde die Rachgierigkeit heisset, davon ein besonderer Artickel. Um Rache ruffen heisset, einen zur Straffe bewegen. Unter andern hat George Adam Struve ein Buch de vindicta privata geschrieben.