Zedler:Wilde Menschen

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Wilde Merzenviolen

Band: 56 (1748), Spalte: 802–804. (Scan)

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Wilde Menschen. In den unbekannten Gebürgen Indiens sollen Menschen anzutreffen seyn, die über ihrem Hintern einen Stiel oder Schwantz einer Spannen lang haben; Wobey erzehlet wird, daß ein Bischoff, Nahmens Augustin, ihnen solche geflucht und angewünschet hätte. Becmanns Histor. Orb Geogr cap. 9. sect. 2. p. 359. Dieses sind der Beschreibung nach leibhafftige Affen, und die dabey vorgegangene Verwünschung des Bischoffs ein abgeschmacktes Gedichte. Indessen ist es auch möglich, daß schon in den alten Zeiten kleine Kinder unter die wilden Thiere gerathen, und unter denselben aufgewachsen sind, welche, wenn man sie von ohngefähr erblicket hat, für wilde Menschen sind gehalten worden. Hernach war nichts leichter, als daß man aus einem eintzigen gantze Geschlechter wilder Leute machte. Bernhard Conner in Evangel. Medici, Artic. 15. p. 133. führet eine Geschichte an, von einem wilden Knaben, welcher als er sich im Jahr 1694 zu Warschau aufgehalten, in den Wäldern zwischen Litthauen und Rußland von den Jägern gefangen worden. Er war ohngefehr 10 Jahr alt, gantz rauch von Haaren, konnte nicht reden, und gieng auf allen vieren wie ein Hund. Dieser war auch unter den wilden Thieren aufgewachsen, wiewohl er sich nicht besinnen konnte, was während der Zeit mit ihm vorgegangen. Dergleichen kan sich auch ehedem mit andern Kindern zugetragen haben, und dann ists geschehen, daß man aus einem eintzelnen wilden Menschen gleich eine Nation gemacht hat. Von andern Arten wunderbarer Menschen schreibt Plinius Natur. Lib. 7. cap. 2. Thorsanders Schau-Platz, II Theil, p. 733. u. f. In denen Breßlauischen Sammlungen im III Versuche, p. 546. findet man folgende Beschreibung von einem [803] vermeintlich wilden Mägdlein in Holland, welche also lautet: Es ist unter denen Gelehrten von langen Jahren her gestritten worden, ob es ausser dem ordentlichen Geschlechte der Menschen auch einige andere Gattungen von selbigen gebe, die entweder in den grossen Wildnissen, als Wald-Menschen und Satyri oder Sylvani, oder im See-Treffen, als Meer-Menschen, oder anderwärts lebten? Was von dem erstgemeldten das Alterthum geglaubet, und zur Wissenschafft auf uns aufgehoben, solches ist bekannt genung, ohne daß wir uns in eine weitläufftige Erzehlung hiervon einzulassen Ursache hätten. Daß aber doch gleichwohl die Alten hierbey, auch in ihren fabulosen Ausschmückungen und Erweiterungen, einige wirckliche und wahre Observationes im Anfange zum Grunde gehabt, solches kan unter andern der gelehrte Bürgermeister und Medicus zu Amsterdam Nicol. Tulpius Observ. med lib. 3. obs. 56. p. 270. u f. durch die Beschreibung und das Bildniß eines solchen Satyri erweißlich machen, der es zu seiner Zeit aus Angola in Indien gebracht, und dem Printz von Oranien, Friedrich Heinrich, geschencket, und von den Indianern, Orang-Outong, von den Africanern aber Quoias morrou, oder Wald-Mensch genennet worden. Selbiger hatte die Grösse eines dreyjährigen, die Dicke aber eines sechsjährigen Knabens, er war von starckem Leibe und activen Gliedern, von vorne gantz glatt, von hinten aber rauch und mit schwartzen Haaren versehen, am Gesichte einem alten Weibe gleich, doch mit einer breiten und niedergebogenen Nase gestaltet: sahe an Ohren, Brüsten, Nabel und übrigen Gliedmassen, ja so gar Fingern und Nägeln, einem Weibsbilde vollkommen gleich, gieng gar öffters aufrecht, und trug in der Gestalt die schweresten Lasten gantz gemächlich: Wenn er tranck, so fassete er die Kanne mit der einen Hand, die andere setzte er an den Boden, und wischete sich den Mund sehr geschicklich und manirlich; legte er sich zu Bette, so streckte er sich die Länge hin mit dem Kopf aufs Küssen, und deckte sich, wie der sittsamste Mensch, aufs netteste zu: Dergleichen Satyri sollen von sehr venerischer Art seyn, und öffters Jungfrauen rauben und schänden, so wie die Alten auch bereits von ihren Satyris gemeldet. Von denen offt an verschiedenen Seen gesehenen, oder auch gefangenen See-Männern und Meer-Weibern, deren jene in Norwegen, Haffstramb, diese aber Marguguer genennet werden, allegiret Erasmus Francisci, in den Anmerckungen zu des Herrn S. von V. Beschreibung Grönlands c. 14. p. 46. nicht wenig Exempel. Und von unsern Tagen ist noch jederman bekannt, der ungeheure Meer-Mann, der im Jahr 1716 in Dalmatien, 10 Meilen von Ragusa, zu Anfang des Februar 3 Tage lang gesehen worden, dessen Höhe bey nahe 15 Fuß, der Kopf eine ungemeine Grösse, die Füsse, Arme und übrige Theile des Leibes, eine ordentliche menschliche Proportion hatten: Er kam aus unterschiedenen Orten der See, die allemahl 2 Meilen von einander entlegen, zu Mittag hervor, und begab sich aufs Land, woselbst er mit grossen [804] Schritten 3 Stunden lang hereintrat, die Hände über den Kopf in die Höhe hob, und wieder sincken ließ, hierauf aber ein so abscheuliches Geschrey anfieng, daß einige Bauren, 2 Meilen vom Meer versicherten, selbiges gehöret zu haben, so gar, daß einige vor Entsetzen todt zur Erden sollen niedergefallen seyn; Worauf er allemahl um 3 Uhr sich wieder in See begeben, nach obgedachten 3 Tagen aber nicht mehr gesehen worden: Da denn kurtz hierauf 3 Nächte lang am Himmel grosse Feuer-Zeichen gesehen und an verschiedenen Orten in Dalmatien schwere Erdbeben verspüret worden seyn. Wie diese Relation gedachten Jahres aus Ragusa den 12 Febr. avisiret, und ausführlich mit Reflexionib.im Clef du Cabinet des Princes, mois Mai, p 311. 312. und mois Aout, p. 86. 87. 88. 89. im Jahr 1716: hieraus aber mit beygefügtem Kupffer im curieusen Cabinet ausländischer Merckwürdigkeiten Anton Paulini, erster Eingang, Art. 5. p. 144. u. f. beschrieben worden. Doch daß diese letztere Art von Creaturen unter die Menschen nicht zu rechnen, erweiset obgedachter Erasmus Francisci c. l. wie denn auch die Beywohnung der menschlichen Vernunfft nach ihrer Vortrefflichkeit, so wenig, als eine ordentliche Rede, wenn man sie auch schon einige Jahre zu Lande aufbehalten, und an ordentliche Kleidung und Speise gewöhnet, von ihnen durch ein wahres und deutliches Exempel noch nie erwiesen worden; Auf welche Weise auch das Verdienst Christi so wenig auf sie zu appliciren stehet, als wenig Christus der Herr im Stande seiner Niedrigkeit sich ihnen geoffenbahret hat. Breßl. Samml. cit. loc.

Von dem Ismael wird 1 Mos. XVI, 12 gesaget: Er wird ein wilder Mensch seyn. Das Hebräische Wort pere lautet fast, wie unser lateinisches Wort, ferus oder wild. Denn die in der Wüsten und Wäldern erzogen, sind gemeinigleich wild; die Juden sagen pere sey ein Thier, das heisse Onager. Was aber das vor ein Thier sey, ist noch nicht ausgemacht. In Luthers Deutschen Bibel wird pere insgemein wild genennet. Also siehet man hier erstlich, daß Ismael nicht hat einen gewissen und beständigen Ort auf Erden, wie Abraham, welches Geschlecht das Land Canaan verheissen ist. Darum allhier recht gesaget ist, daß Ismaels Art oder Wandel wider jedermann ist. Denn andere enthalten sich in gewissen Städten und Dörffern. Ismael aber liebet die Wüsten, ist wild und unstet, heut hält er sich mit seinem Geschlecht unter diesem, morgen unter jenem Baum, wie heutiges Tages die Araber Trogloditen thun, die es, wie Breitenbach schreibt, für ihr Recht halten, sich raubens und stehlens nehren und behelffen. Auf solches deutet der Engel, damit, daß er ihn nennt pere, einen wilden Menschen, der nicht viel fragen wird nach Städten, Gesetz und Ordnung, so zu Erhaltung gemeines Friedens und Zucht nöthig sind. Förtschens extrahirtes Biblisches Lexicon Luthers, p. 443.

Siehe übrigens auch die Artikel: Wilde Knabe, (Hamelischer), Wilde Mägdlein (Holländisches; und Wilde Weiblein.