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Zu wirthschaftlich

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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Zu wirthschaftlich
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 369–373
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[369]
Zu wirthschaftlich.
Von Fr. Gerstäcker.


Wenn es ein Brautpaar auf der weiten Welt gab, das für einander bestimmt, ja man konnte fast sagen geschaffen schien, so war es der junge Doctor Heinrich Wahlborn und Sophie Metkorn, die älteste Tochter eines nicht gerade reichen, aber doch wohlhabenden Bürgers in Xstadt – und ein hübscheres hätte man ebenfalls nicht so leicht aufgefunden. Dem jungen Mann war dabei das Glück zu Theil geworden, seine Braut – und zwar ehe er um sie warb – wohl ein volles Jahr lang in ihrem Wirken und Schaffen daheim auf das Genaueste beobachten zu können, da er als Hausarzt, und bei einer langwierigen Krankheit ihrer Mutter, täglich und zu allen Stunden dort Zutritt hatte, während Sophie natürlich allein die Wirthschaft führte und dabei zugleich die Kranke mit liebender und unermüdlicher Sorgfalt pflegte.

Der junge Doctor Wahlborn war selber, nicht allein in seinem Aeußeren, sondern auch in seiner kleinen Junggesellenwirthschaft sehr adrett und ordentlich; er hielt besonders viel auf reine Wäsche und saubere Kleidung, wie auf eine freundliche Häuslichkeit, und schon darin mußte ihm das Metkornsche Haus – im Gegensatz zu manchen anderen, die er zu Zeiten in früher Morgenstunde betrat und in einem oft schrecklichen Zustande antraf – als eine kleine Musterwirthschaft gelten. Er mochte kommen wann er wollte, das ganze Haus sah blank und sauber und Sophie selber wie aus einem Ei herausgeschält aus, und als er einmal einen Blick in die Küche hineinwarf, blitzte das Blechgeschirr darin, als ob es von blankem Silber wäre.

Und wie einfach ging Sophie immer gekleidet – modern wohl, aber ohne jeden Wahnsinn der verschiedenen Moden mitzumachen, und doch immer wie nett, wie elegant selbst! Sie hatte es darin auch freilich leicht, denn einem hübschen Gesicht steht Alles gut, und Sophie war wirklich bildhübsch, so daß man es dem Doctor sicher nicht verdenken konnte, wenn er endlich Feuer fing – es war nur ein einziges Wunder, daß er so lang Stand gehalten.

Häuslich und wirthschaftlich war sie dabei ebenfalls – er kam einmal dazu wie sie mit einer Gemüsefrau um ein Mäßchen Bohnen handelte, und hätte ihr gleich damals direct um den Hals fallen mögen, solch ein ernsthaftes Gesicht zog sie, und so entschieden bestand sie auf ihrem kleinen Trotzkopf, während sich die ganze Sache doch nur um ein paar Pfennige drehte – aber „wer das Kleine nicht ehrt, ist das Große nicht werth“ und gerade das gefiel ihm, daß sie sich auch um das Unbedeutendste sorgte und es der Mühe werth hielt, es zu überwachen.

Dr. Wahlborn besaß selber etwas Vermögen, und mit einer zwar erst begonnenen, doch schon ziemlich guten Praxis konnte er recht gut und anständig eine Frau ernähren, selbst wenn sie ihm keine Mitgift zugebracht hätte. Sobald er deshalb nur erst einmal mit sich selber im Reinen war, ging er auch ungesäumt ans Werk, und eines Tages, nachdem er die kranke Mutter wieder vollständig hergestellt und, um freiere Hand zu haben, auf vierzehn Tage in ein benachbartes Bad geschickt hatte, erklärte er Sophien seine Neigung (meine schönen Leserinnen mögen es mir verzeihen, daß ich meine Erzählung gerade da anfange, wo andere aufzuhören pflegen) und erhielt ein zwar von einem lieblichen Erröthen, aber auch von einem recht glücklichen Blick begleitetes Ja, das ihn dann natürlich zum „Seligsten der Sterblichen“ machte. Die Eltern, die allerdings erst gefragt wurden, als die jungen Leute schon Alles unter sich endgültig abgemacht, willigten später ebenfalls ein und die Hochzeit ward dann im engeren Familienkreis und ohne großen Pomp, aber von lauter glücklichen und theilnehmenden Menschen im Haus der Schwiegereltern gefeiert.

Danach machte das junge Paar, wie es sich von selbst versteht, eine Hochzeitsreise nach der Schweiz; das gehörte zum guten Ton, und ist doch eigentlich das Unnatürlichste und Widersinnigste, was ein junges Ehepaar nur möglicher Weise thun kann. Anstatt sich nun nämlich, nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten, ihres gemeinsamen Glücks und der neugewonnenen Häuslichkeit wie eines traulichen, so lang ersehnten Beisammenseins zu freuen, lassen sie sich den ganzen Tag über in Staub und Hitze in einem Eisenbahnwaggon zusammen rütteln, verbringen die Nächte in fremden Hôtels oder unangenehmen Wirthshäusern, werden dabei mit einer Masse unbekannter Menschen durcheinander geworfen und durch unverschämte Preise geärgert, und suchen erst zuletzt, halb aufgerieben und vollständig reisemüde den Platz auf, den sie gerade zu der Zeit hätten nie verlassen sollen – ihre eigene freundliche Heimath – den eigenen Heerd.

Aendere aber einmal Jemand die Welt, oder stelle sich einer „Mode“ entgegen. „Wo es Alle thun, kann man doch nicht gut zurückbleiben,“ lautet die Antwort, und die Sache geht eben ihren ruhigen Gang.[1]

Heinrich Wahlborn war also wirklich mit seiner reizenden jungen Frau zurückgekehrt, hatte auch, nach Verlauf einer Woche etwa, die unausbleiblichen und für beide Theile entsetzlichen Anstandsbesuche glücklich überstanden und fing erst jetzt an sich seines [370] ehelichen Glücks zu freuen. Die beiden Leute besaßen allerdings wohl Alles, was eine stille Häuslichkeit freundlich machen kann, und wo bei dem Nothwendigsten sogar ein kleiner Luxus nicht fehlte. Sophie verstand aber auch noch außerdem Alles so nett und geschickt zu arrangiren und wohnlich zu machen und gönnte sich gar keine Ruhe den ganzen Tag, bis sie das kleine Haus in ein wirkliches Puppenstübchen verwandelt hatte, daß Wahlborn, der ihr das Alles unter den Händen entstehen sah, gar nicht satt wurde, ihr zuzuschauen. Er wußte dabei nur nicht, was er mehr bewundern sollte: ihren Geschmack, ihren Fleiß oder – ihre Ausdauer.

Dadurch aber, daß er so lange auf seiner Hochzeitsreise ausgeblieben, hatten sich auch seine Geschäfte in Stadt bedeutend gehäuft, denn erstlich mußte er seine sämmtlichen Patienten wieder der Reihe nach aufsuchen, und dann war er noch außerdem regelmäßiger Correspondent einer der bedeutendsten medicinischen Zeitschriften und mit seinen Arbeiten sehr im Rückstand geblieben. Das hatte er jetzt Alles nachzuholen, und dabei – es ist wahr – störte ihn manchmal das unausgesetzte Reinmachen und Ordnen im Haus, besonders wenn er fortwährend, sowie er nur aus seiner Stube trat, fremden Gesichtern begegnete, die bald einem Tapezirer, bald einem Schlosser oder Schreiner oder gar einer Wasch- und Scheuerfrau gehörten. – Aber du lieber Gott, seine kleine Frau fand ihre Freude darin, und einmal mußte sie ja doch mit ihrer Arbeit fertig werden – welchem Zeitpunkt er allerdings mit Sehnsucht entgegenharrte.

Etwas genirte ihn im Haus – aber es war zu unbedeutend, um deshalb auch nur ein Wort zu verlieren: seine Frau konnte nämlich das Rauchen nicht vertragen. In ihres Vaters Haus war nie geraucht worden, und sie bekam, wenn sie sich in einem mit Tabaksqualm gefüllten Zimmer nur wenige Minuten aufhielt, gleich heftige Kopfschmerzen – und wie ruinirte es außerdem die Gardinen! So lieb und gut hatte sie ihn dabei gebeten nicht in ihrem Zimmer zu rauchen – in dem seinigen konnte er ja thun, was er wollte –, daß er sie hätte zehntausend Mal weniger lieben müssen, als das wirklich der Fall war, um ihr solch bescheidenen und sogar vernunftgemäßen Wunsch abzuschlagen. In die Zimmer einer Frau gehörte, wie er selber meinte, kein Tabaksrauch, und er gestand es ihr sogar ein, daß es überhaupt eine häßliche Gewohnheit sei – aber es war auch bei ihm eine Gewohnheit geworden, und es würde ihm sehr schwer gefallen sein es zu lassen. Er beschränkte sich jedoch damit auf sein Zimmer – und im Sommer auf den Garten, wie er sich vorsichtig ausbedung, denn dort zog der Rauch in die freie Luft und that eben keinen Schaden. Er hätte auch wirklich das fatale Rauchen ganz gelassen, aber es ging schwer. – Er war bei seinen geistigen Arbeiten so daran gewöhnt, daß ihm in der That etwas fehlte, wenn die Cigarre nicht brannte, ja er wollte sogar bemerkt haben, daß ohne den Rauch selbst die Gedanken nicht so recht flössen. Jedenfalls mußte das nur Einbildung sein – aber alle unsere Gewohnheiten sind ja nichts Anderes.

Sophie war eine seelensgute und musterhafte Frau und sorgte für ihre Wirthschaft wie kaum eine zweite – nur Eines hätte ihr Gatte, als sie eine Zeitlang miteinander verheirathet und dadurch auch näher miteinander bekannt geworden waren, wohl an ihr gewünscht: daß sie sich nämlich ein klein wenig mehr mit Lectüre beschäftigte, denn sie las nicht gern und fand auch dazu allerdings den ganzen Tag keine Zeit. Lieber Gott, ihre Wirthschaft war noch außerordentlich klein, aber wer sich damit beschäftigen will, findet trotzdem immer etwas darin zu thun und wird deshalb nie fertig.

Sophie spielte recht hübsch Pianoforte. Sie war keine Künstlerin auf dem Instrument, aber kleine Piècen trug sie mit vielem Gefühl vor, und als Braut hatte sie den jungen Arzt manchmal in einer Dämmerstunde damit entzückt, denn er liebte leidenschaftlich Musik. Jetzt aber fand sie natürlich auch dazu keine Zeit, und Dämmerstunden existirten überhaupt nicht mehr. Sobald es dunkel wurde, mußte Licht angezündet werden, um die sich immer mehr häufende Arbeit zu bewältigen. Der Doctor neckte sie dann wohl manchmal mit ihrem Strickstrumpf, den sie Abends – wenn sie gerade keine Näherei oder Stickerei vorhatte, nicht aus der Hand legte, und sagte ihr – aber natürlich nur im Scherz –, daß ihm das Stricken so fatal wäre wie ihr das Rauchen. Sie ließ aber das eine so wenig wie er das andere, und da er fand, daß es ihr unangenehm sei, erwähnte er es auch nicht weiter.

Ein rauhes Wort fiel natürlich zwischen Beiden nie vor, und nur einmal war der Doctor beinahe recht böse geworden, als er eines Tages zu ungewöhnlicher Zeit nach Hause kam und sein ganzes Arbeitszimmer auf den Kopf gestellt fand. Mitten darin lag ein Scheuerfrau auf den Knieen und fuhr mit nassen Lappen in alle Ecken. Sein Schreibtisch, auf dem er auf kleinen Zetteln eine Masse von Notizen hatte, war sauber aufgeräumt, und jedes Papier nach seiner Größe geordnet – die „ganz kleinen“ Papierschnitzel hatte das Mädchen selbstverständlich in den Ofen gesteckt. – Seine drei Bücherbreter standen außerdem vollständig geleert, und die Bücher wurden unten im Hof, wohl ganz sauber, aber auch alle durcheinander, abgestäubt.

Wahlborn hielt allerdings – viel mehr als mancher andere Gelehrte – auch in seinem Arbeitszimmer auf Ordnung, und er hätte im Dunklen fast jedes Buch, jedes Schriftstück, das er brauchte, finden können. Es freute ihn dabei das kleine Gemach immer reinlich zu haben, als er aber heute die Verwirrung sah, die Sophie in seinem Heiligthum angerichtet, wäre er fast böse geworden und mußte recht an sich halten, um nicht so ärgerlich auszusehen, als er wirklich war. Und noch dazu konnte er jetzt nicht einmal zu Hause bleiben, um Alles selber wieder zu ordnen denn ein gefährlich Kranker hatte indessen nach ihm geschickt und er durfte den nicht vernachlässigen. Sophie aber, die ihn leicht mit ein paar freundlichen Worten beschwichtigte, versprach ihm Alles wieder herzustellen, wie es gewesen wäre. Sie wisse genau, wie sie sagte, wie die Bücher gestanden hätten, und wenn dann auch ein oder das andere versetzt würde, so könne er das ja leicht wieder in Ordnung bringen. Wahlborn mußte aber gerade hinauslachen, als er endlich zurückkehrte und fand, daß Sophie die Bücher alle sorgfältig nach der Größe und dem ähnlichen Einband rangirt hatte. Brochirte Bücher schienen dabei gar keine Gnade in ihren Augen gefunden zu haben; sie „sahen nicht ordentlich aus“ und lagen sämmtlich zusammengeschnürt in Paketen in der einen Ecke, so daß Wahlborn fast den ganzen nächsten Vormittag brauchte, um nur seine alte Ordnung, so gut das eben anging, wieder herzustellen. Einzelne Papiere und Notizen blieben jedoch rettungslos verloren, und wie er sie so nach und nach bei seinen Arbeiten vermißte, erzeugte das immer wieder ein bitteres Gefühl in ihm.

Sophie war jetzt ein wenig leidend geworden und mußte sich sehr schonen – hätte es wenigstens gesollt, aber ihr unermüdlicher Fleiß ließ ihr keine Ruhe und trieb sie, trotz des Gatten Abmahnen, immer wieder hinaus in Küche und Wirthschaftsräume, oder fesselte sie auf Tage lang an ihre außerdem angreifenden Nähereien.

Die beiden jungen Gatten hatten indessen auch die ganze Zeit seit ihrer Rückkehr von der Hochzeitsreife so häuslich wie nur möglich gelebt, denn Beide fanden keine Freude an Vergnügungen, die sie außer dem Hause suchen mußten. Wahlborn besonders liebte das Wirthshausleben nicht, er spielte keine Karten und haßte das Politisiren auf den Bierbänken. Von acht Uhr Abends widmete er sich auch gewöhnlich vollkommen seiner Frau und hätte dann am liebsten etwas mit ihr gelesen oder musicirt, wenn Sophie nur mit allen ihren wirthschaftlichen und häuslichen Arbeiten fertig gewesen wäre. Aber es gab so viel zu thun, und jede Jahreszeit brachte da etwas Neues und Anderes, und wenn er ihr selbst vorlas, mußte sie alle Augenblicke aufstehn und hinausgehn, um nach den Mädchen zu sehn, und ihre Gedanken weilten auch fortwährend bei denen. Wenn sie zurückkam, hatte sie wenigstens regelmäßig vergessen, was sie bis jetzt gehört, und er mußte es ihr immer in flüchtigen Umrissen wieder erzählen.

Eines Morgens, als er zum Frühstück nach Hause kam, hatte er einen in Stralsund wohnenden Jugendfreund getroffen, den er in langen Jahren nicht gesehen, und Beider Freude war gleich groß gewesen.

„Liebes Herz,“ sagte er zu seiner Frau, als er mit ihr am Tisch saß, „ich bringe Dir heute Mittag einen alten Schulcameraden von mir mit zum Essen, Du brauchst gar keine Umstände zu machen, Wein habe ich im Keller, und wenn wir nur –“

„Aber lieber Heinrich,“ sagte die junge Frau, „heute gerade, wo ich Wäsche habe, ich bitte Dich um Gottes willen –“

„Wäsche?“ sagte Wahlborn etwas bestürzt, „wenn ich nicht irre, so hast Du erst vorige Woche waschen lassen, liebes Kind.“

„Etwas, ja, aber es wächst Einem ja über den Kopf zusammen, [371] und mit den beiden Mädchen allein kann ich es nicht erzwingen. Ich arbeite doch gewiß genug –“

„Mehr als zu viel, liebes Herz,“ sagte ihr Gatte freundlich, „und ich habe Dich so oft gebeten, doch ein oder zwei Waschfrauen anzunehmen, nur um die unangenehme Wäsche rasch zu beseitigen, wenn Du denn gar nicht meinen Wunsch erfüllen willst, außer dem Hause waschen zu lassen.“

„Aber, Heinrich, Du hast gar keinen Begriff, was das kosten würde, und wie es die Wäsche ruinirt, und selbst mit den Waschfrauen, ich mag die fremden Personen nicht meine Wäsche mißhandeln lassen und sie immer um mich haben –“

„Aber fremde Personen haben wir doch fortwährend im Haus,“ sagte Wahlborn mit einem Seufzer, „ich glaube, die beiden alten Scheuerfrauen wohnen bei uns, und ein oder die andere Näherin sitzt auch permanent.“

„Du willst doch Dein Haus sauber und Deine Sachen in Ordnung haben,“ sagte die junge Frau etwas piquirt.

Wahlborn hätte gern etwas darauf erwidert, aber er fürchtete, ihr weh zu thun, sie war überhaupt jetzt etwas reizbar und mußte sehr geschont werden. „Also heute Mittag würde es Dir nicht passen, liebes Herz?“

„Gar nicht – wahrhaftig nicht – wenn ich es nur vor ein paar Tagen gewußt hätte. Vielleicht können wir es auf den Sonntag einrichten.“

„Er reist morgen schon wieder ab.“

„Das ist recht fatal – nun vielleicht kommt er ein ander Mal wieder nach Xstadt.“ – Damit war die Sache abgethan und Wahlborn aß an diesem Tag mit seinem Schulfreund im Hôtel.

Wahlborn, als ein sehr geschickter Operateur, war einige Wochen später in eine benachbarte Stadt gerufen worden, um dort an einem Kranken eine sehr schwierige Operation vorzunehmen. Er hatte seine Einrichtung getroffen, um vier Tage auszubleiben und den ersten Erfolg der Operation zu beobachten wie ihre Wirkung zu überwachen. Das Resultat war aber ein so günstiges, daß er den Kranken schon nach zwei Tagen ohne die geringste Gefahr sich selber und der Pflege eines anderen Arztes überlassen und selber wieder nach Hause eilen konnte, aber er kam seiner Frau ein wenig zu früh.

Das ganze Haus stand unter Wasser, sein eigenes Studirzimmer nicht ausgenommen, in welchem er wieder eine ältliche Dame mit aufgestreiften Aermeln und sehr nasser Schürze eben beschäftigt fand, die Dielen einzuweichen, um sie dann mit Bürste und Seife zu bearbeiten. Das Wetter draußen war so unangenehm als möglich, kalt und stürmisch mit einem feuchttropfenden Regen, die häßliche Zugluft strich durch die ganze Wohnung, in der sich auch nicht ein ruhiger und gemüthlicher Raum fand, und Wahlborn blieb mit gefalteten Hände auf seiner Schwelle stehen, um die Verwüstung um sich her zu überschauen.

„Aber Heinrich,“ sagte seine Frau, doch etwas bestürzt, als ihr Gatte so unerwartet früh in die Wohnung trat, „ich habe geglaubt, Du würdest noch zwei Tage länger ausbleiben und mich dann schon darauf gefreut, daß Du Alles so sauber finden solltest.“

„Ja, mein liebes Kind,“ sagte ihr Gatte seufzend, „und ich hatte mich auf zu Hause und auf meine Gemüthlichkeit gefreut und – bitte liebe Frau,“ unterbrach er sich dabei, die Scheuernde anredend, „gießen Sie mir nicht den ganzen Eimer Wasser unter das Sopha, ich habe da unten meine abgelagerten Cigarren stehn – die werden wohl jetzt schon schwimmen. Und die Gardinen auch wieder herunter – aber bestes Herz, die sind ja erst vor kaum sechs Wochen gewaschen worden.“

„Ich sage Dir, sie sehen pechschwarz aus, Heinrich – das häßliche Cigarrenrauchen! Ich hätte mich ja schämen müssen, wenn jemand Fremdes zu Dir ins Zimmer kam.“

Wahlborn erwiderte Nichts, nur mit einem recht aus tiefer Brust herausgeholten Seufzer ging er zum Sopha, rückte dieses ab, und zog die darunter befindlichen Cigarrekisten, von denen die unteren allerdings schon im Wasser standen, hervor, um sie in Sicherheit und an einen trockenen Platz zu bringen. Endlich sagte er:

„Aber Sophie, Du kannst Dich hier auf den Tod erkälten – es zieht ja furchtbar. Wenn dies Unglück denn einmal geschehen mußte, so solltest Du Dich doch dabei keiner Gefahr aussetzen. Weshalb gehst Du nicht in Dein Zimmer?“

„Dort wird tapezirt, Schatz,“ sagte die Frau. „Die Tapete sah zu bös aus, und da Dein Geburtstag nächste Woche fällt, und wir die Eltern und einige Freunde an dem Tag einladen wollten, so mochte ich doch nicht, daß sie es in einem solchen Zustand träfen. Was suchst Du denn, Heinrich?“

„O Nichts, mein Kind,“ sagte ihr Gatte, „nur ein Buch, das ich hier liegen hatte, als ich fortging – es behandelt die Krankheit, mit der ich eben beschäftigt war, und ich möchte etwas nachlesen. Hast Du es nicht gesehen, oder vielleicht fortgestellt? Es muß hier gelegen haben, es war grün brochirt, in einem etwas defecten Zustand.“

„Ach ja, Heinrich,“ sagte die Frau und erröthete doch ein wenig, „es sah sehr bös aus, und ich habe es deshalb zum Buchbinder geschickt, damit Du es in Ordnung findest, wenn Du –“

„Heiland der Welt!“ rief der junge Arzt wirklich erschreckt aus, „das grün brochirte Buch, was hier auf meinem Schreibtisch gelegen, und in dem sich die zahlreichen Zettel und Notizen befanden, hast Du zum Buchbinder geschickt?“

„Aber es sah gar so entsetzlich aus, Heinrich, und fiel ja fast auseinander,“ sagte die junge Frau bestürzt.

„Dann schick’ nur augenblicklich eines der Mädchen hin und laß es wieder holen, wie es ist,“ sagte Wahlborn, der sich wirklich Mühe geben mußte, seine Fassung zu bewahren.

„Aber jetzt von der Arbeit. Heinrich? – es ist keine angezogen – hat es nicht Zeit bis heute Abend?“

Wahlborn hielt noch immer in der linken Hand die Reisetasche und hatte dabei die Unterlippe zwischen die Zähne genommen, aber er verbiß Alles, was ihm wohl auf dem Herzen lag, die Scheuerfrau brauchte überdies Nichts davon zu wisse, endlich sagte er:

„Ist vielleicht noch ein trockener Platz im Haus, liebes Kind, wohin Du mir die Reisetasche legen könntest? Ich werde selber zum Buchbinder gehn. Giebt es heute Mittag etwas zu essen?“

„Ach Gott ja, Heinrich,“ sagte die kleine Frau bestürzt, „aber nur kaltes Fleisch. Ich hatte ja gar nicht auf Dich gerechnet.“

Wahlborn pfiff leise und lächelnd vor sich hin, die ganze Sache fing an ihm komisch vorzukommen. Einen Blick warf er noch durch die übrigen Räume, aber es war nirgends ein Aufenthalt für ihn, und die ganze Wohnung schien im wahren Sinn des Worts „an die Luft gesetzt“. Er stieg die Treppe hinunter, um in irgend ein Hôtel zu gehen, und war dabei so in Gedanken, daß er selbst vergaß, seiner Frau einen Kuß zu geben, was dieser ein paar, wenn auch ganz kleine Thränen in die Augen trieb.

Vor allen Dingen holte er jetzt sein Buch wieder vom Buchbinder ab und rettete dabei wenigstens einen Theil der eingeschobenen Notizblätter, dann ging er in den Club, den er sonst gewöhnlich nur eine Stunde Nachmittags besuchte, um dort ein paar Zeitungen zu lesen. Zu Hause hatte er ja doch keinen Platz und in dem Drang, sich wenigstens mit etwas zu beschäftigen lernte er an dem Tage das Billardspiel, dessen Bewegung ihm behagte, wie er denn auch mit wirklichem Eifer daran ging, einige Geschicklichkeit im Spiel selber zu erwerben.

Heute, zum erste Mal seit ihrer Verheirathung, kehrte er auch erst um zehn Uhr nach Hause zurück und fand seine Frau in Thränen seiner harrend. Sie fühlte sich nicht wohl und wäre gern zu Bett gegangen, aber die Angst um ihn hatte sie, wie sie sagte, fast verzehrt, und er brauchte lange Zeit, bis er sie beruhigte.

Am nächsten Tage mußten aber die Arbeiten im Hause fortgesetzt werden, denn sie waren einmal begonnen und konnten doch nicht mitten darinnen liegen bleiben. Es wurde allerdings im Hause gekocht, aber in der Unordnung und mit den vielen fremden Menschen ringsumher war es kein Wunder, daß die Köchin nicht besonders damit zurecht kam. Die Suppe war versalzen und das Fleisch hart, und den Kaffee nach Tisch hatte sie in der Eile ein wenig zu rasch durchgegossen, so daß er eine Opalfarbe behielt und demgemäß auch schmeckte. Sophie aber mußte sich wirklich erkältet haben und das Bett hüten und Wahlborn einige seiner Patienten versäumen, um nicht das ganze Haus ohne Aufsicht und im Besitz von Handwerkern und Scheuerfrauen zu lassen.

Diese Art Leiden wiederholten sich allerdings mit der Zeit, [372] der Doctor fing aber doch an sich daran zu gewöhnen. Aendern konnte er Nichts an der Sache, soviel hatte ihn seine Erfahrung gelehrt, und Alles, was ihm übrig blieb, war, ihr soviel wie möglich aus dem Wege zu gehen. Freilich kam es ein wenig oft, und er fing dadurch an, sich an’s Wirthshaus zu gewöhnen, wo er jetzt schon regelmäßig eine Stunde Abends Billard spielte, aber auch das ließ er wieder sein, als ihm seine Frau, einige Wochen später, einen allerliebsten kleinen Knaben schenkte, der bald des Vaters ganze Lust und Freude wurde.

Eine Unannehmlichkeit war dabei; die Mutter wollte anfangs das Kind selber stillen, hielt es aber nicht aus, und eine Amme mußte angenommen werden, während sie schon zum dritten Mal, im Lauf von anderthalb Jahren, mit den Dienstboten gewechselt und deshalb fast immer fremde Menschen um sich hatte. Sophie’s Charakter war nicht streitsüchtig, und sie würde wissentlich kein Kind gekränkt haben, aber – sie sah strict auf Ordnung, und die geringste und unbedeutendste Kleinigkeit konnte sie so aufregen, daß es eine Scene mit den Dienstboten gab, die Wahlborn selber vergebens abzuwenden suchte. Gute Mädchen ließen sich das dann natürlich nicht gefallen; die Folge war, daß sie den Dienst kündigten, und in die Wirthschaft mußten dann immer und immer wieder neue eingelernt werden, wodurch der Hausherr natürlich manche seiner kleinen Bequemlichkeiten, wenn nicht ganz einbüßte, doch von Zeit zu Zeit suspendirt sah.

Wahlborn hatte sich in dem letzten Jahr besonders der schriftstellerischen Thätigkeit, soweit dieselbe sein Fach betraf, zugewandt und die Redaction der einen medicinischen Zeitschrift ganz übernommen. Damit vertrug sich aber nicht mehr das Aufräumen in seinem Zimmer, in dem eine Masse kleiner Papierstreifen oft wichtige Notizen enthielten und jedesmal der Gefahr der Vernichtung ausgesetzt waren, sobald eines der Mädchen den Raum betrat. Er war deshalb genöthigt sein Studirzimmer, sobald er ausging, zuzuschließen und den Schlüssel mitzunehmen, und fing dadurch selber an etwas unordentlicher in seinen Sachen zu werden. Er wußte sein Heiligthum gesichert, so lange er abwesend war, und kehrte er zurück, so konnte er schon selber aufräumen, – aber seine Frau fand sich dadurch gekränkt und – ließ es ihn fühlen.

Sophie war, wie gesagt, eine brave Frau und eine gute Mutter, aber auch ebenso von Jugend auf ein kleinliches, sich nur mit den unbedeutendsten Dingen beschädigendes Leben gewohnt gewesen und konnte sich davon nicht losreißen, so oft und herzlich ihr Gatte sie auch deshalb bat – und das gab leider oft Anlaß zu kleinen Mißhelligkeiten, die nur dadurch Bedeutung gewannen, daß sie so häufig wiederkehrten.

Er saß heute wieder, nachdem er die nothwendigsten Besuche abgestattet, mit einer höchst schwierigen Arbeit beschäftigt, in seinem Zimmer und hatte eine Masse von Büchern um sich her aufgeschlagen liegen, aus denen er Beweise für eine neubeobachtete Heilmethode zusammenstellte. Draußen, in und vor der Küche war es wieder eine Weile, und schon fast eine halbe Stunde lang, ziemlich lebhaft hergegangen, und er unterschied dabei deutlich die Stimme seiner Frau, die mit dem einen Mädchen zankte. Er wollte nicht darauf hören, aber er mußte doch immer wieder hinhorchen – und wie oft hatte er seine Frau schon gebeten, das laute Sprechen auf dem Gang draußen und vor der Küche zu vermeiden, wenn er gerade zu Haus und beschäftigt wäre. Er war schon ein paar Mal im Begriff gewesen hinauszugehen und die Ruhe herzustellen, er mochte sich aber auch nicht gern in die häuslichen Streitigkeiten mischen, denn er bekam so schon mehr davon zu hören, als ihn manchmal freute. Arbeiten konnte er aber in der Zeit, und so lange der Zank draußen dauerte, auch nicht, und er ging eine Weile mit auf den Rücken gelegten Händen in seinem Zimmer auf und ab.

Endlich wurde es still draußen, und mit einem leise gemurmelten „Gott sei Dank“ griff er sein verlassenes Studium wieder auf. Da öffnete sich, wie er sich kaum ein Wenig hineingearbeitet, die Thür, und seine Frau kam mit gerötheten Wangen und blitzenden Augen herein. Sie war allerdings jetzt vollkommen ruhig, aber man sah ihr doch an, daß und wie sie sich vorher geärgert hatte, und auf den nächsten Stuhl niedersinkend, sagte sie:

„Das ist wahrhaftig kaum noch zum Aushalten mit den Mädchen. Heinrich – denke Dir, jetzt hat die Kathrine schon wieder den Griff von der neuen Porcellan-Butterdose heruntergeschlagen, und wir hatten sie kaum erst drei Tage in Gebrauch.“

„Mein liebes Herz,“ sagte der Doctor vollkommen ruhig, „ich habe Dich schon mehrmals gebeten, keine solche Butterdose wieder zu kaufen, die Griffe brechen jedesmal ab. Aber ich stecke augenblicklich gerade so in meiner Arbeit ...“

„Und sie widerspricht immer,“ fuhr die kleine Frau in ihrer Erregung fort. „Denke Dir nur, sie hat die Unverschämtheit, mir zu sagen, daß ich eben so viel zerbrechen würde, wenn ich die Sachen immer unter Händen und alle Tage aufzuwaschen hätte.“

„Und hat sie da nicht vielleicht Recht?“

„Du vertheidigst sie auch noch, nicht wahr? Aber ich habe es auch nun satt und ihr eben gekündigt.“

„Das thut mir sehr leid,“ sagte Wahlborn seufzend, „denn die Katharine kocht wirklich recht gut und hat mir besonders immer einen trinkbaren Kaffee gemacht.“

„Ich mag auch das ewige Klatschen im Hause nicht leiden,“ fuhr Sophie, ohne darauf zu achten, fort. „Denke Dir nur, Regierungsraths Mädchen oben hat neulich unserer Caroline erzählt, daß die Katharine ihr gesagt hätte, wir zahlten drei Mal so viel für Wäsche als ihre frühere Herrschaft. Und wenn es wäre, so ist das doch immer nur ein Beweis, daß wir uns reinlicher halten.“

„Aber liebes Herz,“ sagte Wahlborn, der bis dahin wie auf Kohlen gesessen hatte, „wie oft habe ich Dich gebeten, mich mit derartigem Mädchenklatsch zu verschonen, noch dazu. wenn ich so beschäftigt bin wie gerade in diesem Augenblick. Auch das Unglück mit der Butterdose erfuhr ich ja doch heute Abend noch zeitig genug, wenn ich es überhaupt wissen mußte.“

„Aber ich mag Dir sagen was ich will,“ sagte die junge Frau piquirt, „es interessirt Dich nicht, und wen anders habe ich als Dich, um mich mit ihm über meinen Hausstand zu besprechen“

„Aber wenn ich in voller Arbeit sitze, liebes Kind! Du siehst, wie ich hier beschäftigt bin, und schon der Lärm draußen hat mich seit langer Zeit gestört.“

„Aber Heinrich, Du bist wirklich häßlich – so wirf mich doch nur lieber gleich heraus – wenn ich das Mädchen auszanken muß, kann ich doch nicht flüstern.“

Wahlborn seufzte und machte einen Versuch irgend etwas in dem einen Buch nachzuschlagen, aber er hatte total vergessen, was er brauchte, und konnte nun jetzt noch einmal von vorne anfangen.

„Und was ich Dir noch sagen wollte,“ fuhr Sophie fort, die indessen ihrem eigenen Ideengang gefolgt war, „das Schloß an der Speisekammerthür müssen wir auch ändern lassen – die Katharine hat neulich, wie sie behauptet, den einen Schlüssel verlegt und kann ihn nicht wiederfinden, und wenn ich auch noch einen zweiten habe, so bin ich doch nicht sicher, daß der verlorene in falsche Hände geräth, und mit offener Speisekammer mag ich nicht dasitzen.“

„Aber liebes Herz,“ sagte Wahlborn, der anfing ungeduldig zu werden, „deshalb brauchst Du mich doch nicht zu fragen. Ich kann das Schloß nicht ändern, weshalb schickst Du nicht einfach zum Schlosser hinüber? Ich stecke gerade jetzt in einer recht schwierigen Arbeit, die meine ganze Aufmerksamkeit erfordert.“

„Ich werde Dich nicht wieder belästigen,“ sagte die junge Frau, jetzt wirklich gekränkt, „denn ich sehe, daß ich Dir hier zur Last bin – früher war das nicht so“ – und ihr Tuch an die Augen drückend, stand sie auf und verließ rasch das Zimmer.

Wahlborn machte eine Bewegung, als ob er ihr folgen wolle – er mochte sie ja nicht kränken, aber er war auch ärgerlich geworden, denn jeden Tag wiederholte sich dasselbe. Der geringsten Kleinigkeit wegen wurde er um Rath gefragt oder mußte es wenigstens anhören und verlor dadurch nicht allein seine Zeit, sondern wurde auch aus seinem ganzen Gedankengange herausgerissen. Er blieb sitzen und hatte sich bald wieder in seine Arbeit so vertieft, daß er gar nichts weiter um sich her sah oder hörte.

Jahre vergingen und die Verhältnisse im Wahlborn’schen Haus verbesserten sich nicht, sondern wurden eher noch schlimmer.

Sophie Wahlborn war, was tausend Menschen das Muster einer Hausfrau nennen würden, unermüdlich fleißig, reinlich bis [373] zum Aeußersten in ihrer Wirthschaft, eine vortreffliche Mutter ihrer Kinder, dabei weder vergnügungs- noch putzsüchtig und von Herzen seelensgut, aber von diesen kleinlichen Kleinigkeiten ließ sie nicht. Ihre Wirthschaft und Häuslichkeit galt ihr die Welt, aber so schön und lobenswert das in einer Hinsicht sein mag, so kann es auch zu einem Fehler werden, wenn es ausartet. Die Häuslichkeit soll dazu dienen es uns behaglich zu machen, aber nicht uns den Zwang aufzulegen sie immer nur „in Gang“ zu halten.

Nichts konnte regelmäßiger gehen als die Arbeiten im Wahlborn’schen Haus, aber sie wurden auch durch Nichts regulirt als durch ein unverrückbares Räderwerk, das nur vorsichtig benutzt sein wollte, oder sonst Alles in seine Zähne hineinzog. Eine Aenderung irgend einem der Mitglieder zu Liebe schien nicht denkbar. War Wäsche angesetzt – und gewaschen wurde eigentlich permanent – so hatte der Doctor von den zahlreichen in seinem Dienst befindlichen Leuten auch nicht eine einzige Seele zur Verfügung, um sie nur einen Weg auszuschicken. Einen Freund einmal mit zum Essen nach Hause zu bringen, daran dachte er schon gar nicht mehr, denn es paßte nie, und wollte er wirklich einmal etwas über Tag mit seiner Frau besprechen, so war sie entweder in der Küche oder im Waschhaus oder zog gerade die Kinder an und bat ihn, nur noch eine halbe Stunde zu warten. Er konnte auch fast gar nicht mehr mit ihr allein sein, denn jetzt, wo die Kinder wirklich mehr Arbeit machten, gab es keinen Tag, wo nicht wenigstens eine Näherin beschäftigt wurde, und da Sophie auch mit den Jahren und durch ein paar Krankheiten geschwächt, reizbarer zu werden schien, wechselten die Dienstboten regelmäßig alle drei Monate, so daß er selber stets fremde Gesichter um sich hatte.

Alles wurde dabei unter festem Verschluß gehalten. War seine Frau ausgegangen und Wahlborn verlangte das Geringste aus der Wirthschaft, so starrten ihm überall verschlossene Thüren entgegen und er fühlte sich zuletzt im eigenen Hause nicht mehr daheim.

Seine pecuniären Verhältnisse hatten sich durch eine ziemlich bedeutende Erbschaft sehr gebessert; er gab seine Praxis fast ganz auf und widmete sich allein seinem medicinischen Journal und seinen Studien, aber er arbeitete jetzt nur noch Morgens. Die Nachmittage verbrachte er theils auf der Bibliothek, theils mit Freunden, die Abende im Club, wo er jetzt als einer der besten und eifrigsten Lhombrespieler galt. Daß er sich dadurch seinem eigenen Hause fast vollständig entfremdete, läßt sich denken, und wie er seine Frau früher von ganzer Seele geliebt, so wurde er mit den Jahren mehr und mehr gleichgültig gegen sie.

Sophie konnte das natürlich nicht entgehen und sie fühlte sich in diesem Zustand unglücklich. Sie war sich bewußt, ihren Pflichten gegen den Gatten treu und aufrichtig nachgekommen zu sein. Ihre Wirthschaft befand sich in musterhafter Ordnung, ihre Kinder waren gut erzogen, und sie selber lebte und schaffte ja nur für ihre eigene Heimath – wodurch denn hatte sie sich des Mannes Herz entfremdet.

Sie sprach mit ihrer Mutter darüber, aber diese schüttelte den Kopf und meinte: „Das sei das alte Leiden der Jetztzeit – früher wäre das besser gewesen, und wie sie sich verheirathet habe, sei ihr Mann fast gar nicht aus dem Haus gegangen, dann aber habe er es ebenso gemacht, denn das Wirthshausleben verderbe die Männer und das Bier ebenfalls. Sophie solle sich deshalb nur keine Sorgen machen, sie könne die Welt nun doch einmal nicht ändern“

Und worin lag wirklich der Grund dieser Disharmonie zwischen zwei Wesen, die von Anfang an einander herzlich lieb gehabt und nie etwas gethan hatten, um sich gegenseitig zu betrüben und die sich nun fremd gegenüber standen? Wir finden es, wohin wir schauen, bald in dieser, bald in jener Form, und wohl tragen oft beide Theile die Schuld, in gar nicht so seltenen Fällen, wie auch hier, vorzugsweise die Frau.

Wirthschaftlich sein ist eine der Haupttugenden der Frau, und sie kann dem Mann dadurch die Heimath zum Paradiese schaffen – das wirthschaftliche Leben muß aber dabei das Mittel, nicht der Zweck sein. Es muß sich nicht Alles einzig und allein um die Wirthschaft drehen, oder die häuslichen Arbeiten dienen nicht dazu, uns das Leben behaglich zu machen, sondern sie legen uns in unangenehme Ketten die der Mann dann mit der Zeit versucht abzuschütteln oder denen er wenigstens, so oft wie möglich, aus dem Wege geht.

Sophie hatte nur den einen Fehler – sie war eben „zu wirthschaftlich“.




  1. Ich muß hierbei bemerken, daß ich selber keine Hochzeitsreise gemacht habe.