Zur Erinnerung an Anna Ottendorfer: Rede des Herrn Carl Schurz

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Autor: Carl Schurz
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Titel: Rede des Herrn Carl Schurz
Untertitel: Gehalten am Sarge im Trauerhause, am 4. April 1884
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Entstehungsdatum: 1884
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Erscheinungsort: Boston
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Quelle: New York-USA* = Commons
Kurzbeschreibung: Rede, gehalten zur Trauerfeier der Anna Ottendorfer, 4. April 1884
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Rede des Herrn Carl Schurz,

gehalten am Sarge im Trauerhause, am 4. April 1884.

Verehrte Anwesende! Als einem Freunde der trauernden Familie und auch als einem Verehrer dessen, was es in der Menschenwelt Edles und Tüchtiges gibt, ist mir die ehrenvolle Aufgabe geworden, an dem Sarge dieser Verewigten den Gefühlen, die uns heute Alle bewegen, in kurzen Worten Ausdruck zu geben. Hier hat nicht allein ein Mann seine treue und liebe Gattin, hier haben nicht allein Kinder ihre theure, liebevoll und verständig sorgende Mutter verloren. Hier ist den Armen und Nothleidenden eine der werkthätigsten Freundinnen, ihrem Geschlecht eines der besten Muster, dieser Republik eine der nützlichsten Bürgerinnen, der Menschheit eines der glänzendsten Vorbilder großartigsten Gemeingeistes gestorben. Ohne die geringste Uebertreibung darf ich sagen, daß wir heute eine der bedeutendsten Frauen unseres Landes und unserer Tage in’s Grab legen.

Wenn menschliche Größe darin besteht, daß man unter den obwaltenden Bedingungen der Existenz das Bestmögliche leistet, so war sie wirklich eine große Frau. Ihre Leistungsfähigkeit schien beschränkt zu sein nur durch die Grenzen ihres Wirkungskreises. An ihrer Wiege hat nicht das blinde Glück gestanden. Das alte Vaterland, von welchem sie auswanderte, gab ihr weder eine außergewöhnliche Bildung, noch materielles Vermögen mit auf den Weg. Als sie vor etwa acht und vierzig Jahren an dieser Küste landete, besaß sie nichts, als gesundes Blut, einen hellen Verstand, einen starken Willen und ein braves Herz. Das war das Kapital, aus dem Alles entstand, was sie geworden ist und gethan, gewonnen und geschaffen hat.

[8] Wie sie im Verein mit ihrem ersten Gatten Schwierigkeiten, welche sich dem mittellosen Einwanderer entgegenzustellen pflegen, mit resolutem Streben überwand und allmählig einen kleinen Besitz erwarb und den Grund zu einem journalistischen[1] Institut legte; wie sie dann, als Wittwe, ohne männliche Hülfe, mit scharfem, sicherm Blick in die Zukunft sah und deren Möglichkeiten erkannte und dann, auf das eigene Urtheil und die eigene Kraft vertrauend, dieses Institut festhielt und es mit erstaunlicher Umsicht und rastloser Thätigkeit zu außerordentlicher Prosperität und Macht entwickelte, schon ehe ihr trefflicher, jetzt so tief gebeugter Gatte, mit dem sie die letzten fünfundzwanzig Jahre glücklich vereinigt war, dem Unternehmen seine fähige und ersprießliche Leitung gab; wie sie Alles das that, bot ihre Laufbahn ein seltenes Exempel nicht etwa günstiger Glückslaune, sondern eines durch ungemeine Klugheit, Thatkraft und Ausdauer ehrlich verdienten und gewonnenen Erfolges.

Aber wir finden darin viel Höheres noch. Lehrt dieses Beispiel, wie ein umsichtig praktischer Sinn mit Ehren Viel erwerben mag, so lehrt es uns um so mehr, wie ein edles Herz, das von dem Einzelnen Erworbene Allen zum Segen macht. Man darf wohl die Achsel zucken über Diejenigen, welche mit emsiger Selbstsucht Dollar auf Dollar häufen, um dann das Gewonnene entweder mit noch größerer Selbstsucht als untastbaren Schatz für sich zu bewahren, oder es in roher Genußsucht zu vergeuden, oder mit brutaler Selbstüberhebung zur Schau zu stellen. Aber die höchste Achtung verdient der edelpraktische Sinn, der im Kleinen sammelt, um im Großen zu geben, der das Kleine erwirbt und zu Rathe hält, um das Große zu leisten.

Und nun blicken wir auf ihr Wirken zurück. Das war nicht das eigennützige Streben nach Gewinn, des bloßen Besitzes wegen. Das war auch nicht jene testamentarische Wohlthätigkeit, welche, wie schätzbar sie auch sonst sein mag, an den Gütern dieser Welt festhält, so lange noch die Möglichkeit des Selbstgenusses bleibt, um sie dann, wie das Geschenkte, dem Spiel des Zufalls in einer ungewissen Zukunft zu überlassen. [9] Auch war es nicht die leichtfertige Generosität, welche, wenn auch reichlich, aber oft halb gedankenlos von angehäuftem Ueberfluß hergibt, zuweilen weil sie nicht Nein sagen kann, oder weil reifliches Ueberlegen Zeit nehmen und Mühe machen würde. Nein, die Wohlthätigkeit dieser Frau war die Frucht der denkenden Sorge, die mit gewissenhafter Untersuchung das Feld auskundschaftet, auf welchem die Gabe die besten Früchte tragen kann, und die, wenn dieses Feld gefunden ist, mit um so volleren Händen gibt, und auch dann noch sorgt und plant und wacht, damit die ausgestreute Saat gut bestellt und gepflügt werde, eine ebenso weise als großherzige Wohlthätigkeit, die fürstlich spendete, ohne zu verschwenden.

So finden wir denn diese Frau, noch ehe sie reich war, inmitten ihrer Erwerbsthätigkeit, im Kleinen Rath und Hülfe schaffend, wo sich Gelegenheit und Möglichkeit bot; dann in Vereinen und Ausschüssen nicht allein als thätiges, sondern als leitendes, regierendes Element, und endlich mit der warmen Lust des Helfen-Könnens ihre Hunderttausende hergebend, hier um hülflosen Frauen ein behagliches Obdach zu schaffen, zum Andenken an ihre gestorbene Tochter; da um den Unterricht in der deutschen Sprache, die der echt deutschen Frau stets theuer blieb, zu fördern, zum Gedächtniß ihres gestorbenen Sohnes – denn jeder Schicksalsschlag, der sie selbst traf, war ihr stets ein Anstoß, das Schicksal Anderer zu mildern oder zu verschönern; – dann um das deutsche Krankenhaus in New York durch den Frauen-Pavillon zu erweitern; dann um dem Dispensary ein neues Gebäude zu schaffen; dann um das deutsche Krankenhaus in Newark von seiner Schuldenlast zu befreien; dann um durch Unterstützung von Schulen und Seminarien und durch Stiftungen mannichfaltiger Art nah und fern die Erziehung Deutscher in Amerika zu erleichtern; und dazwischen zahllose Wohlthaten, ausgestreut mit ungesehener Hand, bei denen die linke nicht wußte, was die rechte that. Alles dies das Werk eines hellen Verstandes, von einem großen Herzen erwärmt, und eines großen Herzens, von einem hellen Verstande geführt und bewacht.

[10] Und nun ist dieses thätige reiche Leben zu Ende. Der letzte Rest ihrer einst so gewaltigen Arbeitskraft war, in Schmerz und Hinfälligkeit, noch dem schriftlichen Verkehr mit Denen gewidmet, welchen sie Gutes gethan. Sie konnte in der That sterben mit dem Bewußtsein, nicht umsonst gelebt zu haben. Denn nicht allein hat sie die Thränen vieler Elenden getrocknet, nicht allein mancher strebenden Fähigkeit den Weg geebnet, sondern sie hat Allen ein leuchtendes Beispiel gesetzt als Inspiration für edeln Ehrgeiz. Wer das gethan, der hat nicht nur die, welche die helfende Hand unmittelbar fühlen, glücklicher, sondern auch die Welt besser gemacht. Bis in weite Ferne ist der Ruf ihrer hülfreichen Tugend gedrungen. Die Kaiserin des mächtigsten Reiches der alten Welt hat sich selbst geehrt, indem sie der schlichten Größe dieser republikanischen Bürgerin den Tribut ihrer Achtung zollte. Und nun kommt von nah und fern die Stimme trauernder Verehrung, und es ist, als drängten sich ungezählte Tausende heran, um ihr den Kranz der Dankbarkeit auf das Grab zu legen. Die Reichen und Mächtigen mögen auf diese Bahre schauen und sich fragen: Wer möchte nicht in ähnlichem Geiste gelebt haben, um so zu enden? Welch’ herrlicheres Monument gibt es, als die schönen Thaten, die sie überleben! Wenn unser Volk seine Wohlthäter aufzählt, wenn die Deutschen Amerika’s Diejenigen nennen, auf die sie mit dem höchsten Stolz hinweisen, so wird sicherlich der Name Anna Ottendorfer stets in erster Reihe stehen. Ihr Andenken wird für immer gesegnet bleiben, wie ihr Werk.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: journalistischem