Zur Erinnerung an den Major v. Schill

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Titel: Zur Erinnerung an den Major v. Schill
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 391–392
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[391] Zur Erinnerung an den Major v. Schill. Einer der populärsten Helden aus den großen Kämpfen, die zu Anfang dieses Jahrhunderts stattfanden, ist unstreitig der Major von Schill. Noch heutzutage lebt sein Andenken im deutschen Volke fort, und überall singt man noch mit derselben Begeisterung, wie ehemals: „Es zog aus Berlin ein tapferer Held“. Was Schill im großen Ganzen gethan und wie er geendet, wissen Tausende; aber einzelne Episoden aus seinem Leben dürften dem größeren Publicum denn doch unbekannt sein. Eine derselben will ich hier, so wie ich sie aus dem Munde eines ehemaligen Schill’schen Jägers, des in Marienwerder lebenden Förstern Spalding, gehört habe, mittheilen.

„Ich war,“ so erzählte der Förster, „in dem für Preußen so unglücklichen Jahre 1806 Forstgehülfe bei einem Oberförster in der Mark. Mitte October des genannten Jahres verbreitete sich das Gerücht, die Preußen seien geschlagen und die Franzosen befänden sich im Anzuge. Ein panicher Schreck kam über sämmtliche Bewohner der Oberförsterei; selbst mein Principal wurde davon befallen. Einige Tage hindurch ging er mit blassem, verstörtem Antlitz umher; dann aber, als man ihm mittheilte, daß sich bereits einige feindliche Reiter im benachbarten Dorfe gezeigt hätten, ließ er am nächsten Morgen einen Wagen packen und fuhr mit seiner Gemahlin auf und davon. Bald darauf zerstreute sich auch das Dienstpersonal, und nur ich und eine alte Magd blieben allein zurück. Tags darauf erschienen etwa fünfzig französische Chasseurs und plünderten die Oberförsterei gründlich aus. Im ziemlich reich gefüllten Weinkeller blieb auch nicht eine einzige Flasche; denn was die Reiter nicht leerten, wurde den Pferden vorgesetzt, die den Rebensaft mit Behagen einschlürften. Nach einem mehrstündigen Aufenthalte machten sich die Franzosen wieder auf den Weg. Kaum konnten sie aber tausend Schritt weit im Walde sein, so folgten ihnen etwa vierzig preußische Husaren. Als ich dem Officier, einem jungen Lieutenant, erzählte, wie eben etwa fünfzig Chasseurs hier gewesen, bat er mich, ihn schnell dem Feinde nachzuführen. Ich schlug die Richtung nach einem Hohlwege ein, den die Franzosen, als wir anlangten, noch nicht passirt hatten. Kaum war von dem jungen Lieutenant der Ueberfall geordnet, da erschienen, keine Gefahr ahnend, die feindlichen Chasseurs. Im Nu stürzten die Preußen von beiden Seiten über sie her, und nach einem kurzen Kampfe waren die meisten Franzosen getödtet und die übrigen in Gefangenschaft gerathen.

„Als ich in die Försterei zurückkehrte, war die alte Magd auch bereits davongegangen, und ich befand mich ganz allein in dem großen Gebäude. Diese Einsamkeit behagte mir aber durchaus nicht, und schon des anderen Tages warf ich die Jagdtasche über die Schulter, nahm die Büchse zur Hand und wanderte fort. Ich hatte die Absicht, mich nach Pommern zu begeben und dort unter die preußischen Jäger zu treten. Als ich in Stettin anlangte, fand ich Alles in der größten Aufregung und Unordnung, und so setzte ich denn meinen Marsch weiter östlich fort. Hinter dem Städtchen Damm stieß ich auf eine interessante, aus etwa acht bis zehn Köpfen bestehende Gruppe. Es waren theils preußische Cavalleristen, ohne Pferde, theils Infanteristen; einige trugen Waffen, mehrere dagegen waren nur mit einem derben Knüttel versehen. In der Mitte dieses merkwürdigen Trupps schritt, einen Arm in der Binde tragend, eine kräftige, frische Männergestalt – es war Schill, damals Husarenlieutenant. Als er meiner ansichtig wurde, kam er auf mich zu und fragte:

„Wohin, guter Freund?“

„Ich blickte dem Fragenden in die blitzenden Augen und erwiderte:

„Ich will mich bei den Preußen anwerben lassen.“

„Das trifft sich schön!“ entgegnete Schill. „Ich bilde ein Freicorps und sammele Alles, was versprengt ist, nehme aber auch gern junge Jäger auf, wenn sie mit einer Büchse bewaffnet sind. Also, guter Freund, will Er bei uns bleiben?“

„Die Zutrauen erweckende Sprache Schill’s und sein einnehmendes Wesen bestimmten mich, „Ja“ zu sagen, und so ward ich denn der erste Schill’sche Jäger. Auf dem Marsche stießen noch einige Cavalleristen mit Karabinern und einige mit Gewehren versehene Infanteristen zu uns, so daß sich unsere Zahl auf etwa zwanzig Mann belief. Vorsichtig setzten wir unsern Marsch fort; das Ziel war die Festung Colberg.

„Eines Abends in der Dunkelheit erreichten wir das Städtchen Gollnow. Schon waren wir im Begriff, durch das Thor zu schreiten, als uns ein Bürger zurief: „Das sind ja Preußen! Um Gotteswillen, kehrt um, [392] denn auf der anderen Seite der Stadt liegen wenigstens zweihundert Chasseurs im Bivouac.“

„Sie werden uns nicht gleich aufessen,“ meinte Schill und ließ sich dann von dem Manne das feindliche Lager genauer beschreiben. Als Schill vernahm, daß ein Wald in der Nähe des Bivouacs sei, blitzte sein Auge heller. „Wir sind,“ sagte er, „gegen Zwanzig Mann und haben zehn Gewehre und sechs Karabiner. Da können wir schon etwas unternehmen.“

„Halb mit Güte, halb mit Gewalt mußte uns der Bürger in die Nähe des feindlichen Bivouacs führen, das wir auch bald an den brennenden Wachtfeuern erkannten. In der Nähe derselben waren Pflöcke eingeschlagen und an diesen die Pferde befestigt. Schill hielt jetzt mit einem alten Unterofficier Kriegsrath; dann trat er zu uns und sagte: „Wir müssen den Franzosen Pulver zu riechen geben; denn es wäre eine Schande, wenn wir uns wie Diebe davonschleichen würden.“

„Darauf vertheilte er uns in einer langen Linie und befahl dann, daß eine allgemeine Salve auf die Pferde erfolgen solle, sobald der Signalschuß aus meiner Büchse gefallen sei. Wir stellten uns hinter Gebüschen und Bäumen auf, und als Alles geordnet war, kam Schill zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Nun gut gezielt!“

„Ich legte an, und bald blitzte meine Büchse. Der Schuß mußte gut getroffen haben, denn ich sah, wie sich ein Pferd bäumte und dann überschlug. In demselben Augenblicke aber knatterten die anderen Schüsse, und richteten Unordnung und Bestürzung im feindlichen Bivouac an. Die Pferde rissen sich größtentheils von den Pflöcken los und rannten davon; Hornsignale, Commandowörter und derbe Flüche tönten vom feindlichen Lager deutlich genug zu uns herüber. Auf der langen Linie, die wir besetzt hatten, fiel bald rechts, bald links ein Schuß, so daß der Feind nicht wußte, von welchem Punkte aus ihm die meiste Gefahr drohe und wie groß dieselbe überhaupt sei. Eine Weile war er unschlüssig, was er thun solle; dann aber bemerkten wir, wie die dunkle Reitermasse kehrt machte und im Galopp in die Stadt sprengte. Es wäre Tollkühnheit gewesen, wenn wir eine Verfolgung gewagt hätten; daher sammelten wir uns, bei welcher Gelegenheit einige Pferde von uns aufgefangen wurden – darunter auch ein braunes Thier, das Schill zu seinem Reitpferde machte – und setzten unsern Marsch ungehindert fort. Schill war über den erwünschten Ausgang dieses nächtlichen Ueberfalls sehr erfreut und sagte, auf seinen Braunen deutend: „Die Franzosen werden uns nicht nur Pferde mit Sattel und Zaum geben müssen, sondern auch Kanonen und den Napoleon dazu.“ Soweit der Förster.

Schill hat damals ein prophetisches Wort gesprochen; leider wurde ihm aber nicht das Glück zu Theil, mit eigenen Augen die frische Morgenröthe, welche nach langer schwarzer Nacht für Deutschland anbrach, zu schauen. Das dankbare Vaterland bewahrt das Andeuten an ihn desto treuer und fester, davon zeugt nicht nur ein Denkmal, das ihm und seinen todesmuthigen Officieren nach errungener Freiheit in Braunschweig gesetzt wurde, sondern auch die innige Begeisterung, mit welcher man immer noch von ihm und seinen tapfern Streitern spricht.

Neben dem erwähnten Denkmal Schill’s und seiner Getreuen ist ein kleines Thürmchen, Schill’s Capelle genannt, errichtet. In demselben befinden sich die Wappen sämmtlicher Schill’schen Officiere, Schill’s rother Husarendolman, sein Degen, ein mit Blut getränkter Kragen seines Hemdes und auch die Brieftasche, welche ihm die Königin Louise schenkte. Wehmüthig haftet der Blick auf allen diesen Gegenständen. Einen Anblick sollte man indeß dem Besucher der Schill’schen Capelle doch ersparen; es ist der Anblick des großen Glases, in welchem der Kopf des unglücklichen Helden eine Zeit lang in Spiritus aufbewahrt wurde. Fast kommt es einem vor, als steige aus dem Glase ein häßliches Skelett und verwische mit seinen dürren Knochenfingern alle heiligen Schauer, die sonst an dieser Stätte das Herz jedes Deutschen durchwehen. Wäre es nicht besser, das Gefäß in einen verschlossenen Raum zu stellen, und es nur auf Verlangen vorzuzeigen? Der gegenwärtige Castellan der Capelle, ein ehemaliger Schill’scher Husar, theilte mir sichtlich gerührt mit, daß Schill’s Haupt endlich unter dem Denkmal neben der Capelle Ruhe gefunden habe.

Am 31. Mai d. J. sind fünfzig Jahre verflossen, seitdem Schill seine Heldenseele aushauchte.