Zur Französischen Politik Papst Leo’s IX.

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Autor: Wilhelm Bröcking
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Titel: Zur Französischen Politik Papst Leo’s IX.
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 9 (1893), S. 290–295.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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[290] Zur Französischen Politik Papst Leo’s IX. – I. Hat Leo IX. in Reims 1049 ein Verbot der Priesterehe erlassen? In meiner Arbeit „Die Französische Politik Papst Leo’s IX.“ (Stuttg. 1891) habe ich auf p. 21 die Ansicht aufgestellt und zu begründen gesucht, dass Leo IX., der noch im Frühjahre 1049 auf seiner ersten Römischen Synode die alten Cölibatsgesetze erneuert batte, im October 1049 auf dem Concile zu Reims von einem Verbote der Priesterehe ganz abgesehen und damit für’s Erste auf die Durchführung des Cölibats in Frankreich verzichtet habe. Das gerade Gegentheil nimmt nun aber Brucker im 2. Bande seines Werkes „L’Alsace et l’église au temps du pape Saint Léon IX.“ (Strassburg und Paris 1889) p. 20 f. an, indem er behauptet, dass der Papst doch gegen die verheiratheten Priester eingeschritten sei. Diese Frage ist desshalb von besonderer Bedeutung, weil je nach ihrer Beantwortung die Politik Leo’s IX. in diesem, für die Reform so wichtigen Punkte und damit der politische Charakter Leo’s überhaupt zu beurtheilen sein wird[1].

Die Vorgänge auf dem Reimser Concile sind uns in dem Berichte des gut unterrichteten Zeitgenossen Anselm[2], der Mönch im Kloster St. Rémi zu Reims gewesen ist, überliefert. Man wird daher zunächst und in erster Linie bei ihm anzufragen haben, ob Leo IX. in Reims wirklich die Ehen der Priester verboten habe. Brucker aber zieht Anselm’s Bericht erst in zweiter Linie heran, die erste Stelle in der Befragung der Zeugen räumt er dreien Schriftstellern ein, die alle erst im 12. Jahrhundert geschrieben haben: zweien Biographen Hugo’s von Cluny, Hildebert und Rainald, und dem Ordericus Vitalis[3]. Ihre Angaben laufen im wesentlichen darauf hinaus, dass Leo auch in Reims gegen den Nicolaïtismus eingeschritten sei, aber sie können natürlich nur dann in’s Gewicht fallen, wenn ihre Urheber erwiesenermassen bessere und zuverlässigere Quellen benutzt haben als der Zeitgenosse Anselm oder wenn doch wenigstens ihre Angaben mit denen Anselm’s vereinbar sind. Brucker macht überhaupt keinen Versuch, nachzuweisen, dass die von ihm bevorzugten Schriftsteller besser unterrichtet gewesen seien als Anselm – mit gutem Grunde, denn diesen Nachweis zu erbringen ist unmöglich –, und wenn Brucker annimmt, die Angaben Hildebert’s, Rainald’s und des Ordericus Vitalis seien mit denen Anselm’s vereinbar, so wird eine nähere Prüfung zeigen, dass das gerade Gegentheil zutrifft.

[291] Brucker beruft sich nämlich, um die Angaben seiner drei Zeugen zu stützen, auf den achten Kanon des Reimser Concils, der folgendermassen lautet: „Ne quis monachus vel clericus a suo gradu apostataret“[4]. Brucker übersetzt: „Que nul moine ou clerc ne devienne infidèle à sa profession“, und meint dann: „Il est probable que par le terme d’infidélité ou d’apostasie, euphémisme peut-être personnel à Anselme, cet article entend le Nicolaïtisme“[5]. Diese Auslegung ist aber gewaltsam und rein willkürlich. In dem citirten Kanon wird weiter nichts gesagt als das Eine, dass kein Mönch oder Kleriker von seinem Stande apostasiren solle[6], mit anderen Worten: seinen Stand verlassen solle, wie z. B. Delarc, den doch Brucker hätte zu Rathe ziehen sollen, diese Stelle übersetzt[7], von dem Verbote der Priesterehe oder vom Nicolaïtismus überhaupt ist hier mit keiner Silbe auch nur die Rede, und Brucker’s Bemerkungen über einen Euphemismus Anselm’s u. s. w. kennzeichnen sich zur Genüge als Ergebniss der Verlegenheit Brucker’s, wie er seine Behauptung durch ein zeitgenössisches Zeugniss begründen soll. Brucker setzt schliesslich noch den citirten Kanon in Parallele[8] mit der von dem Diakon Petrus zu Beginn des Concils vorgetragenen Proposition „de monachis et clericis a sancto proposito et habitu recedentibus“[9], aber in dieser Proposition, die dem achten Kanon genau entspricht, steht schliesslieh nichts Anderes als in dem Kanon: sie handelt von den Mönchen und Klerikern, die ihren Stand verlassen und ihre Kleidung – das heisst „habitus“[10], die Uebersetzung Brucker’s „genre de vie“[11] ist zum mindesten ungenau – ablegen[WS 1], vom Nicolaïtismus ist auch hier keine Rede.

Brucker’s Behauptung ist also durch nichts erwiesen. Es muss daher dabei bleiben, dass Leo IX. in Reims thatsächlich von einem Verbote der Priesterehe gänzlich Abstand genommen und somit in diesem Punkte von vorneherein darauf verzichtet hat, mit einem Schlage alles zu erreichen[12]. Für die Beurtheilung des politischen Charakters des Papstes wird sein Verhalten jedenfalls insofern in Betracht zu kommen haben, als es zeigt, dass Leo IX. doch nicht der blinde Eiferer gewesen ist, als den man ihn vielfach hingestellt hat, sondern ein Politiker, der, mit den thatsächlichen Verhältnissen rechnend, sich und der von ihm vertretenen Sache nichts zu vergeben [292] glaubte, wenn er von der scharfen Betonung der Forderungen, die er grundsätzlich stellen musste, unter Umständen in Erwartung gelegenerer Zeiten vorläufig abging.

II. Die Erhebung Airard’s auf den bischöflichen Stuhl von Nantes. Eine durch ihre nächsten Folgen sehr bemerkenswerthe Massregel Leo’s IX. auf dem Reimser Concile im October 1049 war die Entsetzung des damaligen Bischofs von Nantes, Pudicus, von seinem Amte[13], denn sein Nachfolger auf dem bischöflichen Stuhle wurde ein Mann, der, den Grundsätzen der Reform treu ergeben, auf jenem vorgeschobenen Posten in der Bretagne für die Ausbreitung der Reformideen und damit des päpstlichen Einflusses in Frankreich von grosser Bedeutung hätte werden können[14]: das war Airard, bis dahin Abt des Klosters St. Paul in Rom und Cardinal. An die Erhebung Airard’s knüpft sich nun eine Frage, die in neuester Zeit von Imbart de la Tour und von mir entgegengesetzt beantwortet worden ist, es ist das die Frage: wann und durch wen ist Airard zum Bischof erhoben worden? Ich glaube nachgewiesen zu haben[15], dass Airard nicht, wie man das bisher angenommen hatte, gleich nach der Absetzung des Pudicus, also noch im Jahre 1049, Bischof von Nantes geworden ist, sondern erst über ein halbes Jahr später, und glaube ferner die bisherige Annahme, dass Airard von Leo IX. zum Bischof ernannt worden ist, meines Wissens zuerst genau aus den Quellen begründet zu haben[16]. Eine von der meinigen grundsätzlich abweichende Darstellung hat nun aber neuerdings Imbart de la Tour gegeben[17], indem er über die Erhebung Airard’s folgendes bemerkt: „Cette promotion [d’Airard] faite en synode[18] est conforme aux règles canoniques qui autorisaient l’élection par les évêques en cas d’indignité du corps électoral et peut-être le pape s’est-il borné à confirmer le choix du concile. Ce n’est pas là, véritablement, une nomination faite directement par la papauté.“

Worauf aber gründet sich nun diese Darstellung? Jedenfalls nicht – wenigstens nicht in ihrem wesentlichen Theile – auf die [293] Gallia christiana[19], die Imbart de la Tour einzig and allein als Quelle citirt[20]: in ihr steht zwar, dass Airard noch im Jahre 1049 Bischof von Nantes geworden ist, aber zugleich wird dort ausdrücklich gesagt, dass er von Leo IX. eingesetzt worden ist[21]. Aus dieser Quelle hat unser Autor für seine Darstellung also nur das Jahr der Erhebung Airard’s entnehmen können, alles Uebrige, was er über die Beobachtung der kanonischen Vorschriften, über die Wahl durch die Bischöfe des Reimser Concils und über die Beschränkung der päpstlichen Mitwirkung auf eine blosse Bestätigung sagt, steht nicht in der benutzten Quelle, und die ganze Darstellung ist überhaupt vollständig aus der Luft gegriffen. Würde Imbart de la Tour sich die Mühe genommen haben, auf die ursprünglichen Quellen, die uns heute noch zugänglich sind, zurückzugeben, und sich nicht mit einer abgeleiteten Quelle begnügt haben, so hätte er finden müssen:

1. dass Anselm, der Geschichtschreiber des Reimser Concils, der uns sonst alle wichtigeren Vorgänge auf dem Concile genau überliefert hat, zwar die Absetzung des Pudicus berichtet[22], aber nichts davon sagt, dass in Reims über die Neubesetzung des Bisthums Nantes verhandelt worden sei;

2. dass Airard von sich selbst sagt, er wäre „Domini apostolici electione“ der Stadt Nantes „pastore viduatae“ zum Bischof gegeben worden[23], und dass in dem Protestschreiben, das Klerus und Volk von Nantes späterhin an Leo IX. gerichtet haben[24], von Airard gesagt wird: „Missus quidem a te [i. e. a Leone IX. papa], sed cum mitteres etc.“[WS 2], und ferner: „Missus autem nescientibus omnibus neque illud petentibus nobis“[25];

3. dass Airard, der überall als der nächste Nachfolger des Pudicus bezeichnet wird, nicht vor dem 2. Mai 1050[26] zum Bischof ernannt worden sein kann, da er an diesem Tage in Rom noch als „abbas [294] S. Pauli“ unterschreibt[27], während er doch seine bischöfliche Würde, wie das aus seinen eigenen Worten hervorgeht[28], von der Ernennung durch den Papst datirt[29].

Aus allem diesem folgt nun, dass Airard nicht schon in Reims, nicht durch die Bischöfe des Concils und überhaupt nicht auf kanonischem Wege zum Bischof von Nantes erhoben worden ist, sondern dass er vielmehr frühestens am 2. Mai 1050 wider Wissen und Willen der rechtmässigen Wähler, des Klerus und des Volkes von Nantes, von Leo IX. zum Bischof ernannt worden ist.

Die abweichende Darstellung Imbart’s de la Tour entbehrt jeder gesicherten Grundlage und steht obendrein in offenem Widerspruche mit den Quellen. Trotzdem macht Ch. Pfister sie sich in einer Kritik meiner Schrift in der RC 33, 28 ohne weitere Nachprüfung zu eigen, und damit glaubt er das Ergebniss meiner Untersuchung einfach beseitigt zu haben[30]!

[295] Die Bedeutung nun – um dies noch hervorzuheben –, die der im Vorstehenden behandelten Erhebung Airard’s beizumessen ist, wird so leicht nicht wohl überschätzt werden können: zeigt sie uns doch in Verbindung mit verschiedenen anderen Massnahmen Leo’s IX., dass auch in dem „guten Brun“, dessen Charakter man vielfach gar zu harmlos aufgefasst hat, ähnliche, wenn nicht dieselben Gedanken lebendig gewesen sind, wie die, die der Politik seines grösseren Nachfolgers Gregor’s VII. ihr charakteristisches Gepräge gegeben haben.

W. Bröcking.     

Anmerkungen

  1. Aus äusseren Gründen habe ich mich in meiner Arbeit a. a. O. nicht mit Brucker auseinandersetzen können (s. meine „Erklärung“ DZG VII, 153), ich versuche daher das Versäumte an dieser Stelle nachzuholen.
  2. Abgedruckt z. B. bei Migne, Patr. lat., T. 142, p. 1415 ff.
  3. Siehe Brucker a. a. O. p. 20 u. 31 f.
  4. Siehe Migne a. a. O. 1437.
  5. Siehe Brucker a. a. O. p. 22.
  6. Siehe Hefele, Conciliengesch. IV. (2. Aufl.), p. 731.
  7. Un Pape Alsacien etc. (Paris 1876) p. 213.
  8. Siehe Brucker a. a. O.
  9. Migne a. a. O. p. 1431.
  10. Hefele a. a. O. p. 727.
  11. Brucker a. a. O.
  12. Vgl. hierzu meine Arbeit p. 20.
  13. Siehe hierüber Bröcking, Die Französische Politik Papst Leo’s IX. (Stuttg. 1891) p. 22 f.
  14. Wieso das nicht geschehen ist, darüber s. Bröcking a. a. O. p. 65 ff.
  15. Siehe a. a. O. p. 53 f.
  16. Siehe a. a. O. p. 54 f.
  17. Les élections episcopales dans l’église de France du 9. au 11. siècle. (Paris 1891) p. 419. Das Werk ist ungefähr gleichzeitig mit meiner Arbeit erschienen, weder Imbart de la Tour hat daher meine Darstellung, noch habe ich die seinige berücksichtigen können.
  18. Gemeint ist das Reimser Concil, 3.–5. Oct. 1049.
  19. T. XIV, p. 810.
  20. Siehe Imbart de la Tour a. a. O. p. 419, Nt. 1.
  21. „– – – Airardus institutus episcopus Nannetensis a Leone papa IX – – –“ Gall. chr. a. a. O.
  22. Siehe Migne, Patr. lat. T. 142, p. 1436.
  23. Siehe Morice, Mémoires pour servir de preuves à l’histoire de Bretagne T. I, p. 402. Vgl. Bröcking a. a. O. p. 53, Nt. 3 u. p. 54, Nt. 2.
  24. Näheres hierüber bei Bröcking a. a. O. p. 72 f.
  25. Siehe Martène & Durand, Thes. nov. anecd. T. I, p. 172. Vgl. Bröcking a. a. O. p. 54, Nt. 2.
  26. In meiner Arbeit (a. a. O. p. 55, Nt. 1) habe ich ungenau gesagt: „jedenfalls erst nach dem 2. Mai 1050“.
  27. Siehe Jaffé-Löwenfeld, Reg. Pont. Rom. Nr. 4219.
  28. Siehe das Citat aus Morice Nt. 2.
  29. Urkundlich ist Airard erst am 1. Nov. 1050 als Bischof von Nantes nachweisbar; s. Morice a. a. O., vgl. Bröcking a. a. O. p. 55, Nt. 1.
  30. Was Pfister sonst noch in der genannten Kritik vorbringt, ist ebensowenig stichhaltig, wie das oben Angeführte. Wenn er mir die Nichtbenutzung der Werke von Delarc, Brucker und Luchaire zum Vorwurfe macht, so vergisst er – ganz abgesehen davon, dass ich Brucker nicht habe benutzen können (s. DZG VII, 153) –, dass ich weder aus Delarc, noch aus Brucker, noch auch aus Luchaire, dessen Verdienste zu verkleinern ich der Letzte sein würde (s. MHL XXI, 219 ff.), für meine Zwecke etwas Neues habe entnehmen können. Die sich in meiner Schrift findenden Versehen, die Pf. aus meiner Nichtbenutzung der genannten Autoren ableitet, haben damit thatsächlich nicht das Geringste zu thun und rechtfertigen keineswegs die Behauptung, meine Arbeit sei dieserhalb verfehlt. Beiläufig hätte Pf. sich sehr wohl aus p. 5, Nt. 5, aus p. 9, Nt. 4 und aus der Darstellung auf p. 83 überzeugen können, dass ich keineswegs die „reichsunmittelbaren“ Bisthümer und diejenigen des königlichen Domanialgebietes für identisch halte. Wenn Pf. weiter behauptet, ich stellte die Ansicht auf: „Avant Léon IX., il n’y avait presque aucun rapport entre la curie romaine et l’épiscopat français; Léon IX. le premier, chercha à soumettre l’épiscopat français à l’autorité du saint-siège; et, en ce point, il a été un grand novateur“, so muss ich meinen Herrn Kritiker höflichst bitten, sich meine Schrift doch noch einmal recht genau anzusehen, denn es würde zu weit führen, wollte ich hier Herrn Pfister zu liebe ihre Ergebnisse noch einmal darlegen. Es ist mir gar nicht eingefallen, eine solche Behauptung aufzustellen, wie Pf. sie mir unterschiebt, und damit erledigen sich auch die Folgerungen, die er an meine angebliche Behauptung knüpft. Wenn Pf. schliesslich erklärt, durch meine Arbeit seien nur zwei vollkommen neue Thatsachen festgestellt, deren eine, nämlich die Ernennung Airard’s zum Bischofe durch den Papst, er noch dazu bemängeln zu müssen glaubt, so verstehe ich nicht recht, wie Pf. von meiner Arbeit, die er ja ausserdem für verfehlt erklärt, sagen kann: „les érudits français – – – ne négligeront point ce livre; comme il a été étudié avec soin, ils y trouveront quelques réflexions justes, quelques développements heureux dont ils pourront faire profit“. Verdient eine so gründlich verfehlte Arbeit, wie die meinige, die ja nur zwei neue Punkte bringt, wirklich eine solche Empfehlung?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorvorige Anmerkungsreferenz an dieser Stelle fälschlich wiederholt.
  2. Folgende Anmerkungsreferenz an dieser Stelle fälschlich wiederholt.