Zur Ueberbürdungsfrage
[356 d] Zur Ueberbürdungsfrage. Der vormittägige Unterricht ist beendet. Er stellte mit seinen wechselnden Unterrichtsfächern nicht geringe Anforderungen an Kinder und Lehrer. Der Erfolg entsprach nicht überall den aufgewendeten Mühen. Denn manches Kindes Auffassungskraft erwies sich als zu gering; trotz treuen Aufmerkens erzielten nicht alle ein klares Erfassen und Festhalten des Gebotenen. Der Geist erlahmte und sie sahen matt und abgespannt aus.
Besonders um dieser willen erfreuen wir uns der jetzt in den Schulen verlängerten Zwischenpausen und der Mittagspause, die für Körper und Geist Erquickung bringen soll. Leider verkürzt das Elternhaus diese dem kindlichen Organismus so nötige Ruhe oft durch neue Anforderungen. Dem übermüdeten Kinde wird kaum Zeit gewährt, in Hast das Mittagsbrot einzunehmen; dann eilt es mit der Notenmappe am Arm in die Musikstunde, die schon um 1 Uhr beginnt, oder es muß für dieselbe üben. Das oft zarte Mädchen muß ohne Lehne in gerader Haltung eine Stunde auf dem Klaviersessel sitzen und sich – natürlich meistens vergebens – bemühen, Neues zu begreifen. Wer hätte diese kleinen Märtyrerinnen der edlen Musica in den Mittagsstunden nicht schon ihrem Ziele zustreben sehen? Ich sehe sie stets mit herzlichem Bedauern und möchte mich in ihrem Interesse an die Einsicht der Eltern wenden.
Die preußische Regierung erließ im Jahre 1894 eine Reihe dankenswerter Verfügungen über das Mädchenschulwesen, die neben methodischen Verbesserungen besonders das körperliche Wohl der heranwachsenden weiblichen Jugend im Auge hatte. Ein Paragraph dieser Bestimmungen verbietet direkt „jede häusliche Aufgabe vom Vormittag auf den Nachmittag“. Es soll den Mädchen genügende Zeit zum Ausruhen gegeben werden, und jede geistige Anstrengung in dieser Zeit ist als gesundheitswidrig verpönt.
In Fachkreisen wurden diese für den öffentlichen Unterricht verbindlichen Bestimmungen mit Freuden begrüßt, sie sollten auch in Elternkreisen beachtet werden. Praxis.