Zwei Ehrentage eines deutschen Reiterregiments

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Autor: E. Dörffel
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Titel: Zwei Ehrentage eines deutschen Reiterregiments
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 700–701, 705–707
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[700]

Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.
Die 11er Husaren bei Ligny (16. Juni 1815).
Nach dem Gemälde von E. Hünten.

[701]

Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.
Die 11er Husaren bei Vionville (16. August 1870).
Nach dem Gemälde von E. Hünten.

[705]

Zwei Ehrentage eines deutschen Reiterregiments.

Die 11er Husaren bei Ligny und Vionville.
(Mit den Bildern S. 700 und 701.)

Das 2. westfälische Husarenregiment Nr. 11 hat im Laufe seines jetzt 88jährigen Bestehens viele Wandlungen erfahren, in denen sich der herrliche Aufschwung, den unsere Nation in demselben Zeitraum genommen, bezeichnend spiegelt.

Formiert wurde es zur Zeit von Deutschlands tiefster Erniedrigung durch Napoleons Schwager Murat, den neuen Beherrscher des ehemaligen Herzogtums Berg, das Napoleons allmächtige Gunst kurz zuvor zum Großherzogtum erhoben hatte. Murat, der sofort nach seinem Regierungsantritt in dem schwer bedrängten Ländchen ausgedehnte Truppenaushebungen vornahm, bildete es als bergisches Chevauxlegerregiment; bald darauf wurde es in ein Chasseur-, dann in ein Lanzierregiment verwandelt. 1810–1813 machte das Regiment, „der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb“, die napoleonischen Feldzüge mit. Die braven bergischen Lanziers verspritzten wie unzählige andre deutsche Krieger auf den durchglühten Hochflächen Spaniens, in den eisigen Schneewüsten Rußlands ihr Blut zu Ehren der französischen Gloire. Erst seit 1814, nachdem Berg durch den Wiener Kongreß an Preußen gefallen, war es dem Regiment vergönnt, neben altpreußischen Regimentern im Dienste des Vaterlands zu kämpfen und den Ruhm der einst so bewunderungswürdigen Friedericianischen Armee zu vermehren, in der die Kavallerie durch den Geist des großen Königs unter Mitwirkung eines Seydlitz und Zieten zur höchsten Entwicklung gelangt war. In jenem Jahre als westfälisches Husarenregiment neu gebildet, gehörte es 1815 dem 2. Armeekorps des niederrheinischen Kriegsheeres unter Blücher, im deutsch-französischen Kriege 1870 im Verbande des 10. Armeekorps der 2. Armee unter Prinz Friedrich Karl von Preußen an.

Zu seinen vielen Ehrentagen zählten der 16. Juni 1815 und der 16. August 1870. Unsere Bilder auf S. 700 und 701 stellen aus den gewaltigen Schlachten von Ligny und Vionville zwei Kampfesscenen dar, in denen sich die 11er Husaren durch glänzende Bravour ausgezeichnet haben. Beide sind von E. Hünten in Düsseldorf, woselbst das Regiment in Garnison steht, neuerdings für dieses gemalt worden; sie bilden den Wandschmuck des dortigen Husaren-Offiziers-Kasinos, das eine gestiftet von den Reserveoffizieren, das andere von den früheren aktiven Offizieren des Regiments.

Betrachten wir zunächst die Episode aus der Schlacht bei Ligny an der Hand der authentischen Schilderung in der dem Regimente gewidmeten Schrift des Freiherrn v. Ardenne. Gegen 3 Uhr nachmittags war auf der ganzen Linie St. Amand-Ligny die Schlacht in ungeheurer Wut entbrannt. Weithin erzitterte von der schrecklichen Kanonade die Erde. St. Amand, dicht in Rauch und Dampf gehüllt, entzog sich den Blicken. Während unten im Thale der Kampf tobte, hielt oben an der Windmühle von Bry unbeweglich das 11. Husarenregiment. Es hatte die Aufgabe, die große 12pfündige Batterie des 3. Korps zu decken, die bis jetzt alle Versuche des Feindes, aus St. Amand auszubrechen, durch ihr sprühendes [706] Feuer vereitelt hatte. Abends gegen 6 Uhr erreichte die Schlacht ihren Höhepunkt, obwohl noch immer neue preußische und französische Truppen in die Dörfer, wo der Kampf am heftigsten wütete, einrückten. Zweimal hatte die 3. Infanteriebrigade trotz tapferster Gegenwehr das Dorf St. Amand aufgeben müssen; der rechte Flügel des Blücherschen Korps war in ernster Gefahr, von dem linken Flügel des Feindes umwickelt zu werden, das Schlachtenglück neigte bedenklich zu gunsten der Franzosen. Aber Blücher gab die Hoffnung auf den Sieg nicht auf: wenn es ihm gelang, der drohenden Umarmung seines rechten Flügels zu begegnen, konnte er den linken feindlichen Flügel schlagen und Napoleons Centrum in die Flanke fallen. Daher mußte zunächst der Sturm auf St. Amand nochmals aufgenommen werden. Zum Vorgehen wurde diesmal die 5. Infanteriebrigade bestimmt. Das 11. Husarenregiment sowie die schlesischen Ulanen erhielten den Befehl, die Bewegungen oder den etwaigen Rückzug dieser Brigade zu decken. Beide Regimenter, unter Führung des ritterlichen Obersten von Thümen, brannten vor Begierde, an den Feind zu kommen. Als sie sich in Bewegung setzten, wurden sie von den feindlichen Batterien, die auf dem jenseitigen Thalrande standen, mit einem rollenden Flankenfeuer begrüßt. Die Vollkugeln schlugen vor und hinter den Regimentern ein, rissen lange Furchen in den weichen Ackerboden und überschütteten die Eskadronen mit einem Regen von Steinen und Schlamm. Endlich waren die Bataillone erreicht, in deren Gemeinschaft es jetzt zu kämpfen galt. Das 11. Husarenregiment erhielt seine Aufstellung hinter dem 1. Pommerschen Infanterieregiment Nr. 2, das sich eben unter seinem heldenmütigen Kommandeur Major von Witzleben zum Sturm auf St. Amand anschickte. In diesem Augenblicke kam Blücher vor die Front des 1. Bataillons angejagt, parierte sein schäumendes Pferd, daß es auf die Hinterbeine stieg, und rief den Grenadieren zu: „Kinder! haltet Euch brav! Laßt diese Nation nicht wieder Herr über Euch werden; vorwärts, vorwärts in Gottes Namen!“

Nur noch ein lautes, weithin schallendes Hurra erfolgte als Antwort, und die braven Infanteriekolonnen hatten sich mit jähem Ungestüm in den dicken, zähen Pulverdampf gestürzt, der vor dem einzunehmenden Dorfe, den Blicken undurchdringlich, über der Erde lagerte. Nur 300 bis 400 Schritte von der Dorfgrenze entfernt hielten die kampfbegierigen Eskadronen der 11er Husaren. Den Säbel in der Faust blickten die Wackern mit heißem Verlangen erwartungsvoll in die Dampfwolken, ob Freund oder Feind aus ihnen hervorbrechen werde. Oberst von Thümen, der sich weit vor die Front begeben hatte, um den richtigen Augenblick zum Angriff nicht zu versäumen, wurde mitsamt dem Pferde von einer Paßkugel niedergerissen. Oberstlieutenant v. Schmiedeberg mußte die Führung der Brigade übernehmen. Feindliche Batterien, die mit Recht hinter den Angriffskolonnen starke Reserven vermuteten, sandten über den ganzen Raum nördlich des Dorfes hinweg ein mörderisches Kreuzfeuer. Bald schlugen immer mehr Kugeln vor dem Regiment ein oder prallten in hohen Bogen darüber hinweg. Die Verluste mehrten sich empfindlich. Auch die zum Sturm vorgegangene Infanterie war nicht glücklich. Viermal hintereinander nahm sie St. Amand und verlor es wieder, immer von neuem setzte sie an, verbiß sich in den Feind und hielt aus, aber gegen 7 Uhr abends, als sie von einer frischen feindlichen Kolonne wie eine Woge zurückgespült wurde, ging das Dorf endgültig verloren. Gleichwohl hielt die Infanterie den Abschnitt unmittelbar nördlich des Dorfes noch immer mit heroischem Mute fest. Doch es dauerte nicht lange, da lief bei den 11er Husaren, die jetzt unmittelbar hinter dem Füsilierbataillon des zweiten Regiments standen, eine neue schlimme Meldung ein. Dieses Regiment hatte sich fast ganz verschossen.

Jetzt konnte sich Major Romberg, der schon mehrmals in fieberhafter Ungeduld, an den Feind zu kommen, mit einzelnen Eskadrons bis an das Dorf vorgedrungen war, nicht mehr enthalten, in den Kampf selbstthätig mit einzugreifen. Mit verhängtem Zügel sprengte er mit seinen Husaren in die vorderste Feuerlinie und gab seinen Leuten Befehl, ihre eigene Munition und solche, die sich von den Toten und Verwundeten auflesen ließ, den Füsilieren zu bringen. Die braven Soldaten des 11. Husarenregiments ritten scharenweise an die Tirailleurs der Infanterie heran und verteilten an sie, wenn ihr Feuer zu ermatten begann, die eigenen Patronen. Viele der Wackern fielen bei diesem Akte der Großmut als Opfer ihrer Hingebung. Diesen Vorgang vergegenwärtigt das Hüntensche Bild.

Als endlich der rechte preußische Flügel zurückgehen mußte und das Schicksal des Tages nicht mehr zu wenden war, half das Regiment den Rückzug decken, der in vollkommener Ordnung erfolgte. Die Schlacht bei Ligny war zwar verloren, aber die für die Kavallerie so schwierige Aufgabe, bewegungslos stundenlang in einem wirkungsvollen Kanonenfeuer halten zu bleiben, hatte sie trefflich gelöst.

Anders verlief der Tag von Vionville für das Regiment. In dieser gewaltigen Schlacht hatte gerade ein französisches Kürassierregiment einen wildverwegenen Angriff auf einige Compagnien des 52. Infanterieregiments gemacht, die sich östlich von Flavigny gegen die Chaussee Vionville-Rezonville vorbewegte. Als der Feind mit großem Verluste abgewiesen worden war, die Reste der Kürrassiere in wilder Flucht zurückjagten, auch die sichtbaren französischen Infanteriegruppen in deutliches Schwanken gerieten, hielt es General Redern, der mit seiner Kavalleriebrigade die Verbindung zwischen der 5. und 6. preußischen Infanteriebrigade zu sichern hatte, an der Zeit, einen Gegenstoß zu thun. Oberstlieutenant v. Rauch, Kommandeur des 17. (braunschweigischen) Husarenregiments, hatte, in der Meinung, daß sich französische Kavallerie in unmittelbarer Nähe befände und die eigene Infanterie zu decken sei, bereits sein Regiment in rascher Gangart entwickelt und aufmarschieren lassen; der Brigadegeneral setzte sich daher an die Spitze des 11. Husarenregiments, das als zweites Echelon folgte. Es war ein begeisternder Schlachtenaugenblick. Soweit das Auge reichte, wogte der Kampf. Ein immerwährendes Rauschen und Rollen des Infanteriefeuers ging die endlosen Linien auf und nieder. Die dumpfen Schläge der Artillerie waren einzeln nicht mehr zu unterscheiden und erkrachten in ganzen Salven. Der Rauch der brennenden Gehöfte hatte sich mit dem Pulverdampf verschwistert uud kroch in schweren Wolken am Boden, von der brennenden Mittagsonne niedergehalten. Ringsherum erscholl betäubender Lärm, überall drohte Schrecken und Vernichtung. In diesen Krater von Gefahren stürzten sich die Schwadronen ohne ein deutlich erkennbares Ziel, da der Pulverdampf den Feind verhüllte. Schon waren hier und dort auftauchende Gruppen feindlicher Infanterie niedergehauen und überritten worden, ebenso einige versprengte Kavallerieschwärme – da inmitten des Kampfgewühles bemerkte Rittmeister v. Vaerst, der seiner Eskadron vorausgeritten war, um den Angriffspunkt des Regiments genau zu erkennen, auf einer Anhöhe angelangt, eine in weiter Ferne südlich von Rezonville postierte feindliche Batterie. Er erkannte deutlich, daß sich dieselbe anschickte, die attackierende diesseitige Kavallerie unter Feuer zu nehmen. Sofort war aber auch sein Entschluß gefaßt, ihr durch einen Angriff zuvorzukommen. Da es bei der Entfernung und dem bedeutenden Schlachtenlärm schwer war, sich der Schwadron verständlich zu machen, winkte er nur mit dem Säbel, die Schwadron solle ihm folgen. Als er sah, daß diese ihn verstanden und vorrückten, setzte er sein Pferd in die schärfste Carriere. Der vierte Zug folgte ihm zuerst, dann ein Teil des dritten. Auch Oberstlieutenant v. Rauch, dessen scharfem Blick gleichfalls die feindliche Batterie nicht entgangen war, kam mit seinen Braunschweigern herbeigeeilt. Nun wurde von beiden Truppenteilen, v. Rauch und v. Vaerst an der Spitze, in die Batterie hineingeritten. Die Geschütze des Flügels, den die Braunschweiger attackierten, gaben noch eine volle Lage auf die Angreifenden, wodurch mehrere Husaren niedergerissen wurden, v. Vaerst aber und den ihm folgenden 11er Husaren gelang es, ohne einen Schuß zu erhalten, die Batterie zu erreichen. Im letzten Augenblicke versuchte noch ein feindlicher Offizier selbst Hand anzulegen und das zweite Geschütz des den Husaren zugekehrten Flügels gegen sie abzufeuern. v. Vaerst erreichte ihn indes früher, hieb auf ihn ein, schlug ihm durch die Parade einen Hieb übers Gesicht; er selbst empfing nur einen flachen Hieb über das Handgelenk. Nachdem v. Vaerst den feindlichen Offizier entwaffnet, wollte er den Tapfern schonen. Er rief den Husaren, die ihm folgten, zu: genug für ihn; in demselben Augenblicke erhielt jedoch der Offizier zwei Hiebe, die ihn niederstreckten. Auch die Bedienungsmannschaft, die sich tapfer mit Wischkolben wehrte, wurde bei ihren Geschützen niedergemacht. Nach Rittmeister v. Vaerst drangen noch einige Unteroffiziere, Einjährige und Soldaten in die Batterie ein. Zwei Husaren wurden verwundet. Als der Rest der Eskadron in aufgelösten Schwärmen anlangte, war die Arbeit bereits gethan. Leider gelang es der Bespannung der [707] Geschütze zu entkommen, so daß die Kanonen nicht rasch rückwärts fortgeschafft werden konnten. In die Flucht der feindlichen Artilleristen wurde sogar der französische Obergeneral Bazaine mit fortgerissen und wäre beinahe von den nachjagenden Husaren gefangen genommen worden. Da aber der Brigade keine noch unversehrte Reserve folgte, stürzte sich die Kavalleriebedeckung des Marschalls Bazaine auf die Husaren, die in wirrem Knäuel um die Geschütze wirbelten und in schwachen Schwärmen gegen Rezonville noch weiter vorprellten, und nötigte so diese, den Rückzug nach dem Wiesengrunde von Flavigny anzutreten. So geschah es bedauerlicherweise auch, daß die so glänzend genommene Batterie wieder in die Hände des Feindes fiel. Dagegen erwies sich der Verlust an Toten und Verwundeten, als sich endlich das brave Regiment an der Kirchhofshöhe von Flavigny wieder sammelte, nur als gering.

Die beiden Schlachtengemälde E. Hüntens zeigen alle Vorzüge seines Pinsels: große Naturwahrheit, treffliche Zeichnung, klare lebendige Färbung, sorgfältige Durchbildung. E. Dörffel.