Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Georg Friedrich Händel
Einer der ausgezeichnetsten deutschen Tondichter, dessen
meisterhafte Schöpfungen ihm den Beifall aller Zeiten
sichern, den der geniale van Beethoven selbst den »unerreichten
Meister aller Meister« nannte, den gerechte
und anerkennende Bewunderung nicht erst neuerdings,
sondern schon vor vielen Jahren als einen Shakesspeare
in der Musik bezeichnete, der mit einem Riesengeist,
wie mit Riesenfleiß begabt, unglaubliches leistete und
vollbrachte, und bei dem nichts zu beklagen ist, als
daß auch er, der Stolz des deutschen Vaterlandes, nicht
in diesem Vaterlande dauernd Wurzel schlug und Boden
gewann, sondern daß England vor allem ihn hob,
pflegte und nach dem Tode ihn als einen seinen größten
Geistern Ebenbürtigen ehrte und verherrlichte.
Händel war der Sohn eines Arztes und wurde in
Halle geboren; der in Jahren schon ziemlich weit vorgerückte
Vater bestimmte den Sohn für die juristische
Laufbahn, aber die Liebe zur Musik trat schon in dem
Knaben mit aller Macht hervor; er wandte sich zunächst
dem Orgelspiele zu, und empfing von dem tüchtigen
Meister dieses Instrumentes, Zachau, gründlichen Unterricht.
Händel’s ganz außergewöhnliche Begabung offenbarte
sich dadurch, daß er noch im zartesten Alter, im
8. Jahre, nicht nur die Orgel schon fertig spielte, sondern
auch für dieselbe Kirchenstücke und für das Klavier
Sonaten componirte. Von Halle begab sich Händel
nach Berlin, begeisterte sich dort an der Oper, lehnte
einen Antrag des großen Kurfürsten, zu fernerer Ausbildung
auf dessen Kosten nach Italien zu reisen, aus
unbekannten Gründen ab, und wählte nach seiner Rückkehr
in die Vaterstadt Hamburg zum Aufenthalt, wo
er von 1703 bis 1708 blieb und als Violinist im
Orchester der Oper wirkte, und seine indeß Witwe
gewordene Mutter nach Kräften unterstützte. Händel
übernahm dann selbst die Leitung der Oper, brächte
1704 seine erste Tondichtung »Almira« zur Aufführung,
welche großen Beifall fand, ließ ihr bald noch andere
Opern folgen und war so vom Glück begünstigt, daß
er nun dem eigenen Wunsche folgen und frei und unabhängig
dennoch nach Italien reisen konnte. In
Florenz componirte Händel seine Oper »Rodrigo«, in
Venedig »Agrippina«, welche 27 mal nach einander über
[Ξ] die Bühne ging. Die berühmte Sängerin Vittoria Tesi hob
diese Aufführungen zum Entzücken aller Hörer.
Händel reiste nun noch nach Rom und Neapel, componirte
fortwährend, knüpfte die angenehmsten Bekanntschaften
mit den grüßten Tonkünstlern Italiens an, und
kehrte erst nach 6 Jahren, mit Ruhm gekrönt und mit
einem gefeierten Namen, nach Deutschland zurück. Er
wandle sich nach Hannover, wo der Kurfürst ihn mit
einer Besoldung von 1800 Thalern anstellte und zu
seinem Kapellmeister ernannte, als Steffani[WS 1], der aus
einem tüchtigen Musiker ein nicht minder tüchtiger Diplomat
wurde, die vor Händel bekleidete Stelle niederlegte.
Mit Urlaub von seinem Gebieter ging Händel
1710 nach London, componirte dort die Oper »Rinaldo«,
verweilte ein Jahr in London und war auch nach seiner
Rückkehr nach Hannover unausgesetzt musikalisch thätig,
doch übte London auf das Gemüth des begeisterten
Künstlers eine so mächtige Anziehungskraft, daß er
abermals um Urlaub zu einer Reise nach England
nachsuchte. Er erhielt auch diesen, und blieb nun
Deutschland für immer entzogen, zumal sein Gebieter
als Georg I. den Thron von England bestieg und
– obschon eine Verstimmung stattgefunden hatte –
Händel jetzt einen Gehalt von 400 Pf. Sterling aussetzte,
ihn auch mit einer Zulage von noch 200 Pfund
zum Musiklehrer der königl. Prinzen ernannte.
Die gewöhnlichen Cabalen, welche England oder vielmehr London stets den deutschen Künstlern entgegenstellen, besiegte Händel anfangs mit Leichtigkeit, denn niemand erreichte ihn oder kam ihm gleich, geschweige daß ein anderer ihn übertroffen hätte; aber dennoch blieb sein Leben nicht ohne verbitternde Kämpfe, die ihm eifersüchtige italienische Komponisten, eigensinnige wälsche Sängerinnen und eingebildete ränkevolle Sänger bereiteten. Unter den ersteren und letzteren zumal waren große Namen, Porpora, der gefeierte Komponist, Haydn’s Lehrer, und der unübertreffliche Farinelli (Carlo Broschi) und diese Kämpfe zogen Händel nicht nur Verluste des Vermögens, sondern selbst Trübungen des Geistes zu, well es ihm nicht gelang, sich an der Spitze einer Opernunternehmung, betitelt: Königliche Akademie der Musik, zu behaupten. Er bekam sogar in Folge der mannichfachen Aufregungen einen Schlaganfall und mußte die Hülfe eines Heilbades suchen. Händel wählte Aachen, und die Quellen dieser ältest berühmten deutschen Bäderstadt übten gleichsam an ihm ein Wunder. Er genas und vermochte in einem feurigen, begeisterten Orgelspiel dem Urquell allen Lebens seinen Dank auszuströmen. Händel kehrte nach London zurück und war dort immer noch, getrieben vom Geist des Schaffens, für die Bühne thätig, doch mit nur geringem Glück, was nicht an seinen Werken, sondern in andern äußern Verhältnissen lag. Händel componirte nicht weniger als 45 Opern und 26 Oratorien, und letztere, denen er endlich und ausschließlich seine schöpferische Thätigkeit zuwandte und von denen namentlich »Athalia«, »Esther«, »Deborah«, das »Alexanderfest«, »Saul«, der »Messias«, »Samson«, neben vielen andern herrlichen Tonstücken, die Diamanten in der Krone von Händel’s Meisterschaft bilden – begründeten ihm den ewigen Nachruhm, wenn dieselben auch nicht gleich alle sich plötzlich glänzende Bahn brachen.
Im Winter 1742 auf 1743 erkrankte Händel von neuem, holte sich wieder in den Heilbrunnen von Aachen Genesung, kehrte zurück und schuf abermals eine Reihe bewunderter Werke, unter denen »Susannsa«, »Belsazar«, »Herkules«, »Judas Makkabius«, »Jephtha«, »Alexander Belus«, »Joseph«, »Salomon«, die bedeutendsten – bis ihn im Jahre 1771 das Unglück traf, am schwarzen Staar zu erblinden, welches er acht Jahre trug, bis er an einem Charfreitage im 76. Jahre seines Alters vollendete. Händel’s Charakter war männlich, fest und entschieden, aber dabei wohlwollend, tief religiös und wohlthätig. Er war einer der größten Meister im Clavierspiel; auf der Orgel übertraf ihn keiner und nur wenige kamen ihm gleich im spielen dieses erhabensten aller Instrumente, wie auch als Komponisten nur wenige an ihn hinanreichen, besonders im Oratorium, da in der Oper der musikalische Geschmack dem Wechsel und den Zeitrichtungen mehr unterworfen ist. Händel’s Chöre sind völlig unübertroffen.
Der unsterbliche Meister wurde in der Westminsterabtei begraben und ihm ein großes figurenreiches allegorisches Marmormonument errichtet. Diese Gedächtnißfeiern wurden dem Heros der Musik zu Ehren begangen; ja noch in neuester Zeit wurde zu Frankfurt a. M. ein fast vergessenes Werk Händel’s: das Oratorium »Allegro und Pansioroso« von einem musikalischen Vereine glänzend zur Aufführung gebracht – und voll treuer Pietät das Andenken an den Unsterblichen erneut.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Steffain