Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Moritz August von Thümmel
Gellert’s gefeiertster Schüler, Epigrammatiker, heiter
geschmackvoller Schriftsteller in Prosa, eine Wieland’sche
Natur, in der sich Humor und Laune, Schalkhaftigkeit
und Witz, Satyre und Gemüthstiefe auf das glücklichste
paarten, und – was Dichtern selten widerfährt – ein
auch sogar für die Industriellen anziehender Mann –
Erfinder der Märbelmühlen. –
Thümmel wurde zu Schönefeld bei Leipzig auf dem am Eingang des Dorfes linker Hand liegenden Rittergute geboren, das sein Vater, Landkammerrath von Thümmel, als Stammgut besaß, aber nach großen Verlusten durch Plünderung verkaufen mußte, als der Sohn erst 7 Jahre zählte. Dieser kam 1754 auf die Klosterschule zu Roßleben, und bezog während des 7jährigen Krieges die Leipziger Hochschule, welcher noch Gottsched als Rektor magnificus vorstand. Dort wurde ihm Gellert Lehrer und Freund, und all’ jene liebenswürdigen Poeten, die in Leipzig einen schönen und anregenden Kreis bildeten, Weiße und Rabener, Kleist, Ramler und andere, wurden nicht minder seine Freunde. Thümmel war eine liebenswürdige Persönlichkeit, voll Geschmack, Weltton, ganz geeignet für den Hofdienst, in welchen er nach vollendeten Studien beim Erbprinzen und nachherigen Herzog Ernst Friedrich zu Sachsen Coburg als Kammerjunker trat. In dieser Zeit schrieb Thümmel sein prosaisch komisches Heldengedicht »Wilhelmine«, und zwar innerhalb 14 Tagen, welches vielen Beifall fand, in mehrere Sprachen übersetzt wurde und dem Verfasser schnell Ruf und Anerkennung verschaffte.
Als der Erbprinz zu Sachsen-Coburg an die Regierung kam, ernannte er v. Thümmel zum geheimen Hofrath und Hofmeister, und 1768 zum wirklichen geheimen Rath und Minister. Als solcher legte Thümmel bei dem Kammergute Oeslau die erste Märbelmühle an, und gründete damit, indem bald mehrere solcher Mühlen entstanden, für den südlichen Abhang des Thüringer Waldes einen neuen Erwerbszweig, indem die auf diesen Mühlen bereiteten kleinen Kalksteinkugeln, welche die verschiedenartigsten Namen haben, als Märbel, Märmel, Schüffer, Stenner, Guterlei etc. zu Millionen nach Holland, Amerika und Indien gingen und noch gehen. Dieselben werden von der Größe [Ξ] eines Blaserohrkügelchens bis zu der einer Kartätschenkugel gefertigt, und sollen, wie man sagt, zur See statt der bleiernen Flintenkugeln gebraucht werden, weil das Wasser das Blei anziehe; nächstdem sind sie ein durch alle Zonen verbreitetes Kinderspielzeug.
Durch eine Vermählung mit der Wittwe seines Bruders sowohl, als durch den Umstand, daß ein alter Freund von Leipzig her, ein Jurist Namens Balz, Thümmel zu seinem Universalerben mit 24,000 Thalern ernannte, gelangte letzterer zu einem ansehnlichen Vermögen, welches sich sogar auf Zuckerplantagen in Surinam ausdehnte, und ihm ein sehr angenehmes Leben verschaffte. Er vermochte sich lange den Musen als ein reiner Priester zu weihen, die täglich neue Sorge für den Unterhalt einer Familie setzte sich nicht mit an seinen Schreibtisch, ging nicht mit ihm zur Ruhe, erwachte nicht mit ihm. Thümmel war lange Zeit ein glücklicher Dichter, und dieses Glück vermochte nur der Tod seiner geliebten Gattin, minder der eines Theiles seinen Vermögens zu trüben, den er in Folge des Krieges zwischen England und Frankreich, welcher seine amerikanischen Besitzungen mit betraf, erlitt, denn Thümmel achtete das Geld nicht, und hatte von der Natur nicht die Gaben eines Sparers empfangen.
Thümmel’s bedeutendstes Werk war seine »Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich im Jahre 1785 bis 1786«, welches nach und nach von 1791 bis 1805 in zehn Theilen erschien und viel gelesen wurde; ein glücklicher Humor, harmonische Stimmung, heitere Laune bis zur Jovialität und ächt deutsche Gemüthlichkeit zeichneten vor allen Thümmel’s Reisen aus, so daß man ihn mit dem Briten Laurenz Sterne verglich, dem er mindestens nicht nachsteht, wenn er ihn nicht vielleicht übertrifft. Und dieses beliebte Thümmel in seinem 67. Lebensjahre aus Erinnerungen nieder, den Beweis liefernd, daß es nicht immer der Jugendjahre, sondern nur der geistigen, im Innern treu bewahrten Jugendfrische bedarf, um Werke von dauernder Geltung hervorzubringen. Von geringerem Gehalt war das zweite Werk Thümmel’s, welches auf »Wilhelmine« folgte: »Die Inoculation der Liebe«; außerdem schrieb er noch die Oper »Zemire und Azor« und lieferte verschiedene Aufsätze und Gedichte in zerstreute Almanache u. dgl.
Wir weit zu Thümmel’s Zeiten die buchhändlerische Speculation, um nicht Frechheit zu sagen, ging, davon liefert ein zu Frankfurt und Leipzig 1792 erschienenes Buch einen schlagenden Beweis. Es führte den Titel: Kleine poetische Schriften von Moritz August von Thümmel, ohne daß der Dichter ein Wort davon wußte, und enthielt in allem 55 Gedichte, zum Theil zwar von Thümmel, zum größern Theil aber von andern guten und schlechten Dichtern zusammengerafft. Da in Deutschland nichts, was irgend Beifall fand, erscheinen konnte, ohne in Oesterreich nachgedruckt zu werden, so erschien 1805 in Wien bei J. V. Degen ein Nachdruck diesen Machwerks auf Velinpapier. Thümmel erhielt 1 Exemplar, schrieb den Titel auf ein Blatt und dazu: »Schön gedruckt aber mit vielen mir falsch zugeschriebenen Gedichten vermischt«, und durchstrich mit eigener Hand dir nicht von ihm herrührenden Gedichte, darunter auch ein Epigramm von Kästner; es blieben blos funfzehn wirklich von Thümmel herrührende Gedichte in der ganzen Sammlung übrig.
Thümmel verschönte auch sein späteres Leben noch durch manche Reise, welche ihm die liebe und angenehme Bekanntschaft mit ausgezeichneten Männern verschaffte, wechselte, als er in Coburg sich in dem Landeskollegium, dessen Beisitzer er doch war, verletzt sah, den Aufenthalt in Coburg mit Gotha, in dessen Nähe er das Gut Sonneborn besaß, wo er trefflich eingerichtet war, und hatte, einmal verstimmt, nicht übel Lust, in Rußland Dienste zu suchen und zu nehmen; seine trefflichen Freunde Weiße und Garve brachten ihn jedoch von dieser Idee ab, und so erlebte er, ein heiterer Lebensphilosoph, hohe Greisenjahre. Sein Alter blieb nicht ohne schwere Prüfungen; ein unglücklicher Fall im Jahre 1811 verletzte ihn hart; 1814 starb sein ältester Sohn, Oberster der Sächsischen Cürassier Garde an einer bei Courtrai empfangenen Wunde – auch diese Prüfungen bestand Thümmel mit Würde. Er starb in Folge allzuregen Antheils an lebhaften Hoffesten bei der Vermählung des Herzogs Ernst zu Sachsen-Coburg mit Prinzessin Luise zu Sachsen-Gotha im 79. Jahre – unter heitern und angenehmen Phantasien.