Zwischen Ligny und Belle-Alliance
[019] Zwischen Ligny und Belle-Alliance. (Zu dem Bilde S. 12 und 13.) Es war im Jahre 1815, der korsische Leu hatte sich noch einmal zu gewaltigem Sprunge aufgerafft, nachdem ganz Europa durch seine unerwartete Rückkehr von der Insel Elba in Staunen und Verwirrung gesetzt worden war. Lechzend nach einem Sieg, hatte sich Napoleon mit der Nordarmee, bei der sich seine Garden und der Kern seiner Truppen befanden, zuerst auf die Preußen gestürzt, welche unter Blüchers Oberbefehl in ausgedehnten Stellungen an der niederländischen Grenze standen. Die Engländer unter Wellington, vermutlich in der Meinung, daß Napoleon seinen Hauptangriff auf sie selber richte, obschon nur das Corps von Ney gegen sie geschickt war, rührten sich nicht, trotz Blüchers Aufforderung – und so mußten die Preußen allein dem gewaltigen Anstoß dieser von neuer Begeisterung für den Imperator entflammten Kerntruppen standhalten. Die Schlacht von Ligny am 16. Juni 1815 endete mit dem Rückzug der Preußen, welche namentlich die Dörfer Saint-Amand und Ligny aufs tapferste verteidigt hatten, bis die französischen Garden Vorteile errangen und zuletzt Milhauds Kürassiere mit der reitenden Artillerie durch das Dorf Ligny hindurchdrangen und die Mitte der preußischen Stellung durchbrachen. Vergebens setzte sich der Feldmarschall selbst an die Spitze seiner Schwadronen – sein Pferd wurde ihm unter dem Leibe weggeschossen, und er war in Gefahr, in die Gefangenschaft der Feinde zu geraten, da die
[020] feindliche Kavallerie mehrmals vorwärts und zurück an ihm vorbeisprengte, glücklicherweise ohne ihn zu bemerken. Niemals aber hat er seinen Ehrennamen „Marschall Vorwärts“ sich in so glänzender Weise verdient wie in diesen Tagen; denn der Rückzug verwandelte sich aufs einmal in einen Angriffsmarsch, der zu einem glänzenden Siege führte. Napoleon hielt Blücher für geschlagen und ließ ihn, während er sich selbst gegen die Engländer wendete, durch den Marschall Grouchy nur schwach verfolgen. Doch Blücher hatte bei Wavre alle seine Truppen wieder gesammelt und im Einverständnis mit dem Schlachtendenker Gneisenau beschlossen, den Engländern, die ihn im Stich gelassen hatten, jetzt seinerseits zu Hilfe zu kommen. Das Bild von Rudolf Eichstädt führt uns diesen weltgeschichtlichen Marsch vor. Der alte Blücher, die Pfeife in der Hand, die ihm nur bei großen Krisen auszugehen pflegte, hat sein Pferd gewandt, um die marschierenden Truppen zur Eile anzuspornen – liegt doch das Geschick Europas in der Wagschale; und wie sollten die Truppen nicht dem befehlenden Wort eines Generals folgen, der sie so oft zum Siege geführt hat und jetzt auch die letzte Niederlage in einen Sieg zu verwandeln sucht! Mit Begeisterung, die Tschakos schwingend, jubeln sie ihm zu – auch die Verwundeten, die sich zahlreich im Zuge befinden. Und der Kriegs- und Siegsgenosse General Gneisenau dreht sich im Sattel um, voll freudigen Vertrauens auf das Gelingen des kühnen Plans – er weiß, daß, wenn die Soldaten ihren Blücher sehen, sie von Kampfesmut und Siegeshoffnung erfüllt werden! Und sein Vertrauen hatte ihn nicht getäuscht. Bald donnerten die preußischen Kanonen auf der Höhe von Frischermont zum Schreck der Franzosen. Noch einmal suchte Napoleon mit dem Aufgebot seiner letzten Kräfte die englischen Linien zu sprengen – vergeblich. So gelichtet dieselben waren, die preußische Heeresmacht war an ihre Seite gerückt und im Rücken der Franzosen das Dorf Planchenois von den Preußen erstürmt worden. In wilder Flucht suchten die Franzosen sich zu retten – es war die größte Niederlage, die der siegreiche Cäsar erlebt hatte. Der Marsch der Preußen von Ligny nach Belle-Alliance war eine ihrer größten und entscheidendsten Thaten im deutschen Befreiungskriege.
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