Aus jüngstvergangenen Tagen (1)
„Kaiserstolz und Majestät
Zogen auf geschwinden Sohlen
Wir für’s deutsche Reich zu holen,
Wovon neue Sage geht.
Klang und Sage überall,
Soweit deutsche Zungen klingen:
Einen Kaiser heimzubringen
Rief der Völker Jubelschall.
Ach! wie sollten Dorn und Stein
An der Wandrer Sohlen reißen!
Zu den Scheinen, die nur gleißen,
Warf man unsern Kaiserschein.
Kaiserschein, du höchster Schein,
Bleibst du denn in Staub begraben?
Schrei’n umsonst Prophetenraben
Um den Barbarossastein?
Nein! und nein! und aber nein!
Nein! Kyffhäusers Fels wird springen,
Durch die Lande wird es klingen:
Frankfurt holt den Kaiser ein.“
(E. M. Arndt: „Die Ausfahrt zur Heimholung des deutschen Kaisers“, Frankfurt 17. Mai 1849)
Zweihundertneunzig Stimmen in der deutschen Nationalversammlung hatten am 28. März 1849 den König von Preußen Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser von Deutschland gewählt. Der Präsident der Versammlung, Simson, hatte das Ergebniß der Wahl mit bewegter und erhobener Stimme verkündigt, und unter Bezugnahme auf die schönen Worte Goethe’s in „Hermann und Dorothea“:
Nicht dem Deutschen geziemt es, die unheilvolle Bewegung
Endlos fort zu leiten, zu schwanken hierhin und dorthin.
Dies ist unser! So laßt uns sagen und so es behaupten!
mit dem patriotischen Gebete geschlossen: „Gott sei mit Deutschland und seinem neugewählten Kaiser!“ Ein dreifaches stürmisches Hoch aus der Versammlung und von den dicht gedrängten Gallerien hatte diesen Wunsch bekräftigt, während von draußen herein das festliche Geläute der Glocken von allen Thürmen der Stadt, untermischt mit Kanonensalven, erschallte, und auf den Straßen und öffentlichen Plätzen zahlreiche Gruppen von Menschen sich erfreut zuriefen, daß endlich nun vorüber sei
Die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
Und ein Richter wieder auf Erden.
Noch vor Vollziehung der Wahl hatte die Nationalversammlung den Beschluß gefaßt, „der erwählte Kaiser solle durch eine Deputation der Nationalversammlung eingeladen werden, die auf ihn gefallene Wahl auf Grundlage der Reichsverfassung anzunehmen.“ Zugleich hatte die Versammlung „das feste Vertrauen ausgesprochen, daß die Fürsten und Volksstämme Deutschlands, großherzig und patriotisch, in Uebereinstimmung mit der Nationalversammlung, die Verwirklichung der von ihr gefaßten Beschlüsse mit aller Kraft fördern würden.“
In der Frühe des 30. März brach die große, von dem Bureau der Nationalversammlung gewählte Deputation auf. Die verschiedenen Staaten und Stämme Deutschlands – mit Ausnahme Oesterreichs – waren in derselben möglichst verhältnißmäßig vertreten: Preußen durch die Rheinländer Arndt und Zell, den Westphalen von Hartmann, Göden aus Posen, von Deetz und Löwe (Calbe) aus der Provinz Sachsen, Fr. von Raumer aus Berlin, Stenzel aus Breslau, endlich den Präsidenten der Nationalversammlung, der als solcher auch das Haupt der Deputation war, Simson aus Königsberg – Baiern durch Barth, Bauer, Krafft, Sachsen durch Biedermann und Stieber, Hannover durch Freudentheil und Zachariä, Würtemberg durch Federer und [570] Rümelin, Baden durch Soiron, die beiden Hessen durch Cnyrim und Reh, Oldenburg durch Nüder, Thüringen durch Briegleb, Nassau durch Schepp, die Mecklenburg durch Sprengel, Schleswig-Holstein und Lauenburg durch Beseler aus Greifswald, Dahlmann und Riesser (der Letztere, als Berichterstatter in der Oberhauptsfrage, auch persönlich gewissermaßen gebornes Mitglied der Deputation), Luxemburg-Limburg durch Scherpenzeel, Braunschweig durch Hollandt, die Anhaltinischen Länder durch Pannier, endlich die freien Städte durch den Hamburger Merck. Zwei Mitglieder, Mittermaier und Schoder, konnten wegen nothwendiger Anwesenheit in der Heimath nicht Theil nehmen.
Man hatte absichtlich von den zwei Reiserouten nach der preußischen Hauptstadt die längere über Köln gewählt. Man rechnete darauf, daß der Wiederhall, den der Beschluß der Nationalversammlung, wie man zuversichtlich erwartete, von Tag zu Tag in immer weiteren Kreisen finden würde, eines starken Eindrucks auch in den maßgebenden Regionen Berlins nicht verfehlen könnte. Aus demselben Grunde sollte die Deputation nur in kleinen Tagereisen sich ihrem Ziele nähern und erst am vierten Tage in Berlin eintreffen.
So fuhren wir denn auf festlich beflaggtem Dampfschiff am 30. März den Rhein hinunter. Es war ein schöner, klarer Morgen, die Märzsonne schien so rein und warm, wie ein Jahr zuvor, da wir uns zum Vorparlament in der alten Krönungsstadt Frankfurt versammelten. Der königliche Rhein wälzte seine grünen Wogen so gewaltig dahin, als trage er auf seinem Rücken wirklich die Majestät des deutschen Volkes, das seine Ufer so oft siegreich fremden Eindringlingen abgekämpft und mit seinem Blute ihn recht eigentlich zu einem deutschen Strome getauft hat. Aber trotz all der Pracht, womit Himmel und Erde prangten, und trotz all der stolzen Erinnerungen, die mit der Welle des Stromes an uns vorüber rauschten, waren doch die Männer im Schiffe sehr ernst. Nicht, wie jene Siebener-Deputation, welche im Sommer des Jahres 1848 die Donau hinabzog, um einen Reichsverweser zu holen für das nach Einheit und einer obersten Führung dürstende Deutschland, fühlten wir uns getragen und gehoben von der Woge jugendlicher Begeisterung, welche damals die ganze Nation ergriffen hatte. – Dieser erste Rausch war längst verflogen; in strenger Arbeit, unter harten Kämpfen hatten wir uns fast ein Jahr lang gemüht, die Form zu finden und festzustellen, in welcher das Bedürfniß der Nation dauernde Abhülfe, der schöne Traum deutscher Einheit und Größe seine Verwirklichung finden sollte. Wir glaubten eine solche Form gefunden zu haben; der Mehrheitsbeschluß der freigewählten Nationalvertretung hatte dem Werke den Stempel der Gesetzlichkeit aufgedrückt; die Nothwendigkeit, die Verfassung endgültig zu Stande zu bringen, den schwankenden Zuständen wieder Festigkeit, dem erschütterten Vertrauen wieder eine sichere Grundlage zu verschaffen, die Unmöglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, wenn dazu erst noch die ausdrückliche Zustimmung von einigen dreißig Regierungen und Ständeversammlungen eingeholt werden müßte – alles dies ließ wohl hoffen, daß die Berufung der Nationalversammlung an die Hochherzigkeit der Fürsten und den Patriotismus der Volksstämme Deutschlands keine vergebliche sein werde. Aber doch zagten wir, diese Hoffnung könne täuschen; zu heftig hatten die Gegensätze der politischen Parteien und der Stämme schon in der Paulskirche selbst sich geregt, hatten das Zustandekommen der Verfassung selbst beinahe unmöglich gemacht; zu entschieden hatten manche der deutschen Regierungen sich bereits gegen die von uns gewählte Form der Einheit erklärt, als daß wir nicht auf mannigfachsten Widerstand bei Ausführung unsrer Beschlüsse hätten gefaßt sein sollen. Wir wußten, daß eine entschlossene und in vielen Gegenden Deutschlands durch zahlreichen Anhang im Volke starke Partei, die demokratische, über diesen Ausgang der Verfassungsverhandlung bitter grollte und daß nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil derselben seine Abneigung gegen die erblich monarchische Spitze höheren Rücksichten des Patriotismus zum Opfer gebracht hatte; daß eine andere, ebenfalls sehr einflußreiche Partei, die Ultramontanen, selber durch solche Rücksichten ihre starre Opposition gegen die Führerschaft des protestantischen Preußens nicht hatte erweichen lassen. Wir selber konnten nicht ohne Wehmuth an jene Zeit der ersten Bewegung des Jahres 1848 zurückdenken, wo Alles, soweit nur die deutsche Zunge klang, wahrhaft Ein Herz und Eine Seele zu sein schien, an jene feierliche Verbrüderung mit den Oesterreichern im Römer und in der reformirten Kirche zu Frankfurt, während des Fünfziger-Ausschusses, wo beide Theile im guten Glauben die Schranke für immer niedergerissen wähnten, welche so lange die deutschen Brüder jenseits des Böhmer Waldes von denen diesseits getrennt hatte, und dann wieder an die neue Trennung von eben denselben Oesterreichern, zu der wir uns, zwar mit schwerem Herzen, aber nach gewissenhafter Ueberzeugung und nach dem strengen Gebot der Verhältnisse hatten entschließen müssen.
Und wie stand es dort, wo allein die Kraft lag, unserm Bau den Schlußstein einzufügen, ohne welchen derselbe unvollendet bleiben und haltlos in sich zerfallen mußte? Wir hatten Alles auf einen Wurf gesetzt – wie, wenn dieser uns abschlug, wenn der Monarch Preußens aus legitimen Bedenken, aus Abneigung gegen eine Krone aus Volkes Hand, oder gegen eine Verfassung, welche ja freilich seinen Willen nach innen ebensosehr beschränkte, wie sie seine Macht nach außen verstärkte, oder aus sonst welchen Rücksichten das Anerbieten, welches wir ihm zu machen kamen, ausschlug? Was dann? Die Zaghafteren unter den Deputationsmitgliedern erinnerten an jenen Ausbruch schlecht verhehlter Bitterkeit, womit König Friedrich Wilhelm IV. einer andern Deputation der Nationalversammlung, beim Dombaufeste zu Köln im August 1848, als sie ihn begrüßte, die Worte zugerufen hatte: „die Versammlung möge nicht vergessen, daß es in Deutschland noch Fürsten gebe, und daß er darunter einer der Ersten sei!“ Die Hoffnungsreicheren beriefen sich dagegen auf die officielle Erklärung der preußischen Regierung nach der ersten Lesung der Reichsverfassung – eine Erklärung, die wenigstens in der Hauptsache eine Uebereinstimmung derselben mit der Mehrheit zu Frankfurt annehmen ließ; Einzelne, angeblich Eingeweihte, wollten auch wohl theils aus eigenem Wissen, theils aus Mittheilungen Gagern’s, der einige Zeit vorher ausdrücklich zu dem Zwecke nach Berlin gereist war, um die dortige Stimmung zu erkunden, sichere Erwartungen eines günstigen Erfolges schöpfen. Ein mit der Eigenthümlichkeit des Königs aus eigener Erfahrung wohlvertrauter Diplomat, Heinrich von Arnim (derselbe, der durch die Märzbewegung zum preußischen Minister des Auswärtigen erhoben worden war und, wie man sagt, den König zu jenem vielberufenen Umritt durch die Stadt, mit der deutschen Fahne in der Hand, vermocht hatte) – Heinrich von Arnim, der ein Stück Weges mit uns fuhr, aber in Neuwied unser Schiff verließ, empfahl uns beim Abschied Geduld, wenn es mit unserer Sendung in Berlin, wie er fürchte, nicht so bald zum Ziel kommen sollte.
Die nächsten Eindrücke waren einer hoffnungsreicheren Auffassung unserer Sendung wenig günstig. Im Sommer vorher, als wir, die feierliche Deputation der Nationalversammlung zum Domfest, gleichfalls hier zu Thale fuhren, hatte uns allenthalben lauter Jubel und herzliche Verehrung begrüßt. Ganze Ortschaften waren uns von den Dörfern und den kleinen Städten aus längs dem Ufer hin, festlich geputzt, mit wehenden Fahnen, meist einen Priester an der Spitze, entgegen gewallt. In Coblenz hatte die Bürgerwehr paradirt. Von Köln aus war man weit den Strom herauf zu unsrer Einholung gekommen.
Von alledem fand jetzt nichts, oder das gerade Gegentheil statt. Wie verödet, lagen zu beiden Seiten die Ufer des Rhein, und wenn sich ja hier und da neugierige Gruppen sehen ließen, so warfen sie mehr mißtrauische oder übelwollende, als theilnehmende Blicke zu uns herüber. Diese Erscheinung war zwar nicht erfreulich, aber wohl erklärlich: die Bevölkerung längs des Rhein war überwiegend entweder streng katholisch, oder demokratisch, mancher Orten auch wohl beides zugleich; weder der einen noch der andern dieser Richtungen aber konnte unsere Sendung – zur Einholung eines monarchischen und protestantischen Reichsoberhauptes – sympathisch sein. In Köln, wo wir das erste Nachtquartier machten, wurden wir zwar von einer Deputation eines constitutionell-nationalen Vereins mit feierlicher Anrede empfangen, dafür brachte uns aber ein lärmender Haufe eine Katzenmusik in bester Form, und die löbliche Polizei ließ denselben ziemlich lange ungestört gewähren.
Damit war indeß der schlimmere Theil unserer Reise überstanden. Die folgenden Tage führten uns durch Landstriche, wo die öffentliche Stimmung sich ungleich günstiger erwies, zuerst durch protestantische Theile des Rheinlandes, wie Düsseldorf, dann durch das althohenzollernsche Besitzthum, die Grafschaft Mark. Selbst Dahlmanns schwer bewölkte Stirn heiterte sich hier auf, und um seine schmerzlich verzogenen Lippen begann es zu lächeln, als von Station [571] zu Station die sich herandrängenden Massen dichter, die Kundgebungen der Sympathie unzweideutiger und lauter wurden. Der greise Arndt vollends, der überall noch ganz besonders der Gegenstand und Mittelpunkt volksthümlicher Ovationen war, hatte vollauf zu thun, mit Alt und Jung Händedrücke zu tauschen, seine leichte blaue Reisemütze zu schwenken und in seiner gewohnten sprach- und bilderreichen Weise, obwohl schon in den ersten Stunden gänzlich heiser, allerhand bald allgemein patriotische, bald auf Landes- und Stammesart bezügliche Reden zu halten. Und in der That, eine für unsere vaterländische Vergangenheit hoch bedeutsame Gegend war es, durch die wir jetzt dahin zogen. Dort, aus nicht allzuweiter Ferne, winkten die Höhen des Teutoburger Waldes herüber, und das halbfertige, unvollendet gebliebene Standbild Hermann’s des Cheruskers mahnte verhängnißvoll an unser eigenes, des Abschlusses noch ermangelndes Werk, mahnte an all die Hemmnisse, welche der angestammte deutsche Volkscharakter und vor allem die Eifersucht und der Eigennutz der einzelnen Stammeshäupter jedem Versuch einer Einigung Deutschlands entgegensetzten.
Bald traten wieder andere vaterländisch geschichtliche Erinnerungen an uns heran, jene aus der ältesten Zeit ergänzend. Wir zogen nach einander in den Residenzen beider Zweige des einst so mächtigen Geschlechts der Welfen ein. In Hannover, wo wir am zweiten Tage unserer Reise übernachteten, wußten wir den alten, streng toryistischen König und sein Ministerium – leider auch den im Uebrigen so trefflichen Stüve – der nationalen Einheitssache feindselig abgewandt; um so erfreulicher waren uns die Huldigungen, welche die Stadt durch feierliche Bewillkommnungsdeputationen, die prächtige Bürgerwehr durch festliche Aufstellung vom Bahnhofe bis in unser Hotel uns brachte.
Einmüthiger zeigte sich die Stimmung in der zweiten Welfenstadt, Braunschweig. Hier hatten die höchsten Regierungsbeamten, die Minister selbst, – an ihrer Spitze der alte würdige Herr von Schleinitz, dessen freisinnige Richtung schon von vor 1848 her datirte, – mit der Blüthe der Bürgerschaft sich zu einem großen Festmahl für die Abgeordneten der Nationalversammlung vereinigt. Hier – das sah man wohl – war die Idee eines deutschen Kaiserthums, und zwar eines hohenzollernschen, populär, allerdings aber – denn auch das ließ sich nicht verkennen – eines solchen, welches – nach des unvergeßlichen Uhland Ausspruche – „mit einem Tropfen demokratischen Oeles gesalbt worden.“ Das bewies die allgemeine, lebhafte Zustimmung, als ein Redner daran erinnerte, wie die Unbotmäßigkeit des mächtigen Welfenfürsten einst einen der größten deutschen Kaiser in seinem Siegeslaufe aufgehalten, wie aber die Nationalversammlung bei Abfassung der Reichsverfassung Sorge getragen, daß sich Aehnliches nicht, zum Schaden Deutschlands, wiederholen könne, daß vielmehr die Vollkraft der Nation dem Oberhaupte des Reichs, jederzeit durch keinen andern als den Gesammtwillen eben dieser Nation beschränkt, zur Verfügung stehe.
In Magdeburg, unserm letzten Rastorte, brachte eine Deputation der deutschen Vereine aus dem Königreich Sachsen uns Gruß und Glückwunsch entgegen. Der letzte Theil unseres Weges führte durch die ältesten und getreuesten Landestheile des hohenzollernschen Hauses; daß wir hier immer wachsenden Sympathien begegneten, konnte uns nicht überraschen. Höchstens das durfte uns bedeutsam und hoffnungsverheißend erscheinen, daß in der alten preußischen Königsstadt Potsdam die Mitglieder der Regierung und anderer Behörden uns festlich bewirtheten und betoasteten; ließ sich doch daraus schließen, daß auch in jenen Kreisen, wo das specifische Preußenthum und die absolutistisch-büreaukratische Abneigung gegen parlamentarische Einrichtungen am meisten zu Hause zu sein pflegen, die Wichtigkeit unserer Sendung gewürdigt werde.
Während jenes Festmahles in Potsdam trafen mehrere Frankfurter Collegen bei uns ein, welche zugleich Mitglieder der preußischen Kammern waren und welche sich beeilt hatten, uns noch vor unserer Ankunft in Berlin die frohe Kunde entgegenzubringen, unter wie günstigen Sternen diese stattfinde. In der That klang, was sie mittheilten, so erfolgverheißend wie möglich. In beiden Kammern waren von den Ministern Erklärungen in Bezug auf die Reichsverfassung und die Kaiserwahl abgegeben worden.[WS 1] „Dieser Beschluß,“ war darin gesagt, „sei ein wesentlicher Fortschritt auf der Bahn der Entwickelung der deutschen Verhältnisse, und die Regierung werde Alles aufbieten, damit das erstrebte, jetzt nahe gerückte Ziel ganz erreicht werde.“ „Allerdings,“ hieß es weiter, „könne die Regierung, festhaltend an den schon früher kundgegebenen Ansichten, die Beschlüsse der Nationalversammlung nur für diejenigen Regierungen als gültig anerkennen, welche aus freiem Antriebe denselben beistimmen würden, allein sie werde nichts unversucht lassen, um ein solches Einverständnis zu fördern.“
Der Eindruck dieser Erklärung in den Abgeordnetenkreisen war, wie unsere Freunde uns sagten, ein durchaus günstiger gewesen.
Mit solchen Aussichten und in einigermaßen gehobener Stimmung langten wir am Abend des 2. April in der preußischen Hauptstadt an. Wir wurden in dieser Stimmung befestigt durch die vielen Mitglieder beider Kammern, die uns, nebst einer Deputation des Magistrats von Berlin, auf dem Bahnhofe empfingen. Die Stadt Berlin ehrte uns als ihre Gäste und hatte für unsere Einquartierung in den ersten Hotels gesorgt. Die Bevölkerung begleitete uns mit Zeichen sichtbarer Theilnahme, als wir in den für uns bereit gehaltenen Wagen dorthin fuhren. Kaum dort angekommen, erhielten wir eine Sendung von dem Ministerpräsidenten Grafen von Brandenburg. Er wünschte eine Privatunterredung mit dem Präsidenten der Deputation, womöglich noch an demselben Abend. Da Simson schon von Köln aus auf der ganzen Reise leidend gewesen war, begaben sich zwei andere Mitglieder der Deputation zu dem Grafen. Die vertrauliche Mittheilung, die sie von ihm in Betreff der vom König zu erwartenden Antwort empfingen, stimmte mit der den Kammern gemachten öffentlichen überein. Die Audienz beim König ward auf den folgenden Tag, Mittags zwölf Uhr, im Rittersaale des Schlosses, anberaumt.
Zu der angesetzten Stunde begaben wir uns, wiederum in städtischen Equipagen, in’s Schloß. Der König empfing uns, unter dem Thronhimmel stehend, in militärischer Uniform, den Helm in der Hand, umgeben von den Prinzen des königlichen Hauses, sowie den obersten Hof-, Civil- und Militärbeamten. Präsident Simson theilte in kurzen Worten die Beschlüsse der Nationalversammlung mit, welche uns hierher geführt, indem er zugleich ein Exemplar der Reichsverfassung überreichte. Dann fuhr er fort. „In Vollziehung dieses Auftrags stehen vor Ew. Majestät der Präsident und 32 Mitglieder der Nationalversammlung in der ehrfurchtsvollen Zuversicht, daß Ew. Majestät geruhen werden, die begeisterten Erwartungen des Vaterlandes, welches Ew. Majestät als den Schirm und Schutz seiner Einheit, Freiheit und Macht zum Oberhaupte des Reichs erkoren hat, durch einen gesegneten Entschluß zur glücklichen Erfüllung zu führen.“
Die Antwort des Königs, mit freier und gehobener Stimme gesprochen, begann ziemlich hoffnungverheißend. Er sprach von der Wichtigkeit unsrer Sendung, von dem „Anrecht“, welches die Wahl der Nationalversammlung ihm gebe, und dessen Werth er zu schätzen wisse. „Aber“ – und hier hob der König die Stimme noch mehr – „ein Blick nach oben in solchem wichtigen Momente macht das Auge hell.“ Diese Worte durchzuckten die Meisten von uns sogleich besorgnißerregend; wir ahneten, daß aus solcher Abwendung von den irdischen zu himmlischen Betrachtungen sich irgend eine, vielleicht wohlgemeinte, aber sicherlich nicht staatsmännisch praktische, weit eher romantisch befangene Anschauung der Sachlage entwickeln werde. Und so geschah es. Der König sprach zuerst von der gewissenhaften Achtung der Rechte Aller, welche ihm verbiete, einen entscheidenden Schritt ohne das Einverständniß der andern deutschen Fürsten zu thun. Noch war eine schwache Hoffnung vorhanden, daß damit nur die Freiheit der Annahme oder Ablehnung der Reichsverfassung im Ganzen vorbehalten sein solle, also entsprechend den Erklärungen vom Tage vorher – obschon Ton und Haltung des Königs Mehr und Schlimmeres befürchten ließen. Nur zu bald sollte auch diese letzte Hoffnung schwinden. Der König fuhr fort: „An den Regierungen der einzelnen Staaten wird es sein, in gemeinsamer Berathung zu prüfen, ob die Verfassung dem Einzelnen wie dem Ganzen frommt, ob die mir zugedachten Rechte mich in den Stand setzen würden, mit starker Hand die Geschicke des großen deutschen Vaterlandes zu leiten und die Hoffnungen seiner Völker zu erfüllen.“
Was der König noch weiter sagte – von dem Schwerte Preußens, das in der Stunde der Gefahr dem deutschen Vaterlande nicht fehlen werde, und Anderes mehr, das haben wohl nur die Wenigsten von uns recht gehört. Eine tiefe Wehmuth, eine fast betäubende Seelenerschütterung war über uns gekommen. In manchem Auge, das sonst ruhig und kalt blicke, sah man Thränen zittern. Die mühsame Arbeit eines Jahres, das Bollwerk unserer [572] nationalen Zukunft, die Hoffnung und Sehnsucht von Millionen deutscher Herzen – das Alles sahen wir in diesem Momente in sich zusammenbrechen, und an seiner Stelle, wohin wir nur blickten, ein Chaos von Ungewißheit, von neuen Kämpfen, von Wirrsalen ohne Ende emportauchen.
In solcher Stimmung kamen wir in unsere Wohnungen zurück! Wir versammelten uns sogleich bei dem Präsidenten der Deputation. Die Aufregung war allgemein. Der Entschluß, sofort abzureisen, ward von den verschiedensten Seiten energisch kundgegeben. Der erhaltenen Einladung zur königlichen Tafel zu folgen, erschien Vielen nach solchem Vorgange rein unmöglich. Dennoch siegte – nach langer, lebhafter Debatte – die kältere Ueberlegung, daß in so großem und verhängnisvollem Momente jedes Gefühl persönlichen Unbehagens, selbst nach so berechtigter Erregtheit, schweigen und nur das Interesse der Sache, in deren Dienst wir ständen, den Ausschlag geben müsse. Wenn wir jetzt abreisten, so war jede Brücke der Verständigung zwischen Berlin und Frankfurt abgebrochen. Die Nachricht dieses scharfen Bruches, sobald sie in die Paulskirche kam, würde dort einen Sturm hervorrufen, dessen nicht zu berechnende Folgen die ohnedies so verwickelte Lage noch rettungsloser verwirren möchten. So ward endlich beschlossen, zu bleiben und Alles zu thun, was wir nur könnten – ohne unserer Verantwortlichkeit und der Würde der Nationalversammlung etwas zu vergeben – um, wenn möglich, den gefaßten Entschluß des Königs noch zum Bessern zu wenden. Der erste Entwurf einer Erklärung an das Staatsministerium, von drei damit beauftragten Mitgliedern verfaßt, ward von der Mehrheit zu mild und entgegenkommend gefunden; er sprach aus, daß und warum auf eine Revision der Reichsverfassung nicht eingegangen werden könne, machte auf die Gefahren des Vaterlandes aufmerksam, und ersuchte den König – unter Bezugnahme auf die officielle Erklärung der Regierung an die Kammern – die Führung der obersten Gewalt nach Maßgabe der Reichsverfassung zunächst wenigstens für seine und für die Länder derjenigen deutschen Regierungen zu übernehmen, welche die Reichsverfassung entweder schon anerkannt hätten, oder in nächster Zeit anerkennen würden. Die verschärfte Fassung, die Arbeit des Präsidenten Simson, war streng juristisch gehalten; sie constatirte einfach, daß „die Einladung, auf Grundlage der Reichsverfassung die auf ihn gefallene Wahl anzunehmen, in dem Augenblick als von dem König abgelehnt angesehen werden mußte, in welchem Se. Majestät Ihre Willensmeinung dahin zu erkennen gaben, daß die von der verfassunggebenden Reichsversammlung in zweimaliger Lesung beschlossene Verfassung überhaupt noch keine rechtliche Existenz und Verbindlichkeit habe, einer solchen vielmehr erst durch gemeinsame Beschlußnahme der deutschen Regierungen theilhaftig werden könne.“
Noch stand uns Peinliches bevor, zuerst das Diner in Charlottenburg, dann ein Besuch des Theaters, wozu wir von der Stadt als deren Gäste eingeladen waren. Der König zeigte sich bei den Gesprächen vor und während der Tafel, wie schon früh bei der Vorstellung der einzelnen Deputationsmitglieder nach der Audienz, scheinbar munter gelaunt, angeregt, sorglos, witzig; er schien den Ernst der Lage hinwegscherzen zu wollen. Von den mancherlei bezüglichen, auch wohl anzüglichen Bemerkungen, die er einzelnen Deputationsmitgliedern hingeworfen haben soll, und die alsbald mündlich und schriftlich circulirten, ist Vieles erfunden oder entstellt. Ein Wort, das er an den alten Arndt richtete, ward damals nicht verstanden, auch von Arndt nicht erklärt, hat aber später seine Erläuterung gefunden. „Sie sind also doch gekommen!“ sagte er zu demselben. Man weiß jetzt (aus der nach Arndt’s Tode veröffentlichten Correspondenz zwischen ihm und dem König), daß Arndt vor der Kaiserwahl schriftlich dem König wegen Annahme der Krone angelegen, der König aber schon damals, mit ehrenwerther Offenheit, seine Abneigung kund gegeben hatte, eine Krone anzunehmen, die ihm nicht von den Fürsten, sondern vom Volke geboten werde. Arndt hatte von diesem Bescheid niemals, so viel bekannt, etwas verlauten lassen; er mochte gehofft haben, der König werde doch vielleicht Angesichts der vollendeten Thatsache einer auf ihn gefallenen Wahl anderen Sinnes werden.
Gegen ein anderes Deputationsmitglied äußerte sich der König mit unverhohlenem Mißbehagen über den, eben damals, nach Ablauf des Waffenstillstandes von Malmoe, wieder begonnenen Krieg gegen Dänemark, doch fügte er, vielleicht weil er Erstaunen über eine solche Aeußerung in den Mienen des Angeredeten las, ein paar Worte hinzu, welche den Eindruck der früheren abschwächen sollten, indem sie die Schuld des Krieges auf Dänemark warfen.
Wir fanden in Charlottenburg eine Deputation der braunschweigischen Stände vor, welche gekommen war, um in deren Namen Vorstellungen wegen Annahme der Kaiserkrone und Wiederherstellung eines festen und geordneten Zustandes in Deutschland zu machen. Auch eine deutsche Regierung – leider nur eine, und zwar eine der kleineren – hatte sich beeilt, das Gewicht ihrer Stimme in gleichem Sinn in die schwankende Wagschale der Entscheidung zu werfen. Es war die Regierung des dem königlichen Hause von Preußen nahe verwandten Großherzogs von Sachsen-Weimar; der dirigirende Staatsminister von Watzdorf selbst war zu diesem Behufe nach Berlin gekommen.
Im Theater waren wir der Gegenstand achtungsvoller Begrüßungen und einer fortdauernden wohlwollenden Theilnahme von Seiten des zahlreich versammelten Publicums; nur leider hatten wir, in unsrer damaligen Stimmung, dafür wenig Sinn, für die Vorstellung selbst natürlich noch weniger. Wir entfernten uns, sobald es nur schicklicher Weise geschehen konnte, um der letzten Pflicht dieses so schweren und verhängnißvollen Tages zu genügen, dem Besuch einer Soirée beim Prinzen von Preußen, wozu wir gleichfalls eine Einladung empfangen hatten.
Die Eindrücke, die uns hier erwarteten, waren glücklicherweise von den bisherigen wesentlich verschieden. Der Prinz empfing uns mit großer Freundlichkeit, ließ sich die Einzelnen vorstellen und begann dann, während wir ihn in einem Halbkreise umstanden, ein allgemeines Gespräch. Mit einer militärischen Geradheit, welche uns nun doppelt wohlthat, ging er sofort auf die brennende Tagesfrage ein. Wir hielten mit dem lebhaftesten Ausdruck unseres Schmerzes über den so wenig tröstlichen Ausgang unserer Sendung nicht zurück. Der Prinz versuchte es, die Entscheidung seines Bruders zu rechtfertigen; er legte dabei den Accent auf die Nothwendigkeit einer freien Zustimmung der Fürsten, auf die moralische Unmöglichkeit, ein hohenzollernsches Kaiserthum auf anderm Wege, wohl gar mit Gewalt der Waffen, den übrigen deutschen Staaten aufzuzwingen. Wir bemerkten ihm dagegen, daß nicht dies für uns der entscheidende und unsere Hoffnungen zerstörende Punkt in der Antwort des Königs sei; die vorbehaltene Zustimmung der andern Regierungen würde ja wohl auf völlig friedlichem Wege, durch deren eigene patriotische Einsicht und durch das moralische Gewicht der öffentlichen Meinung, zu erlangen gewesen sein, sobald nur von hier aus die Annahme der Krone und der Reichsverfassung erfolgt wäre. Aber daß man an letzterer rütteln, daß man das Werk der Nationalversammlung wieder in Frage stellen, und damit diese selbst von der Stellung, welche sie kraft einer unabweisbaren Nothwendigkeit und zum Heil des Ganzen eingenommen, herabdrücken wolle – das sei es, was die Hoffnung auf Verständigung und die Aussichten auf die Zukunft der Nation so schmerzlich trübe. Der Prinz schien diese Auslegung der königl. Antwort entschieden als eine irrthümliche zurückzuweisen; ein Bruch mit der Nationalversammlung sei durchaus nicht beabsichtigt, vielmehr erkenne man die Bedeutung der Gesammtvertretung Deutschlands und des von ihr gemachten Anerbietens vollkommen an. Das Gespräch ward bald darauf von ihm abgebrochen, indem er ging, um seine Gemahlin einzuführen, damit auch diese uns empfange. Die Prinzessin richtete erst einige allgemeine Worte an uns, dann sprach sie mit den Einzelnen, wie diese ihr, Einer nach dem Andern, vorgestellt wurden. Ueberall vom Nächsten und Persönlichsten anhebend, kam sie immer und immer wieder auf das Allgemeine zurück, welches uns Alle und, wie man deutlich sah, sie selbst ausschließlich beschäftigte und in innerster Seele ergriff. Sie gab sich keine Mühe, ihre tiefe Erregung zu verbergen; mit bewegter Stimme ermahnte, beschwor sie uns, nicht vorschnell die Hoffnung aufzugeben, oder den Weg der Verständigung abzubrechen. Was wir erstrebten, sei ja so schön, so groß, so nothwendig, daß es zum Ziel kommen müsse und nicht aufgegeben werden dürfe. Wir Alle waren von diesem Empfange auf’s Tiefste bewegt; es war das erste Mal, daß wir an solcher Stelle einem so klaren Verständniß und einem so warmen und wahren Gefühl für die große nationale Aufgabe begegneten.
Auch dem jungen Prinzen wurden wir, ohne förmliches Ceremoniell, beiläufig Einer und der Andere vorgestellt; er zeigte sich als ein junger Mann von einfachem, anspruchslosem Wesen, der um öffentliche [574] Dinge manchen Bescheid wußte und darüber mit Interesse, verständig und zugleich mit jugendlicher Bescheidenheit sprach. Der Abend verging uns sehr angenehm. Der Prinz und die Prinzessin von Preußen machten äußerst liebenswürdige Wirthe, indem sie, zwischen den einzelnen Tischen umhergehend, an denen die Gäste bei einem einfachen und zwanglos servirten Mahle Platz genommen, da und dort stehen blieben und sich bald mit Einzelnen, bald mit Mehreren zugleich unterhielten, wobei sie nicht gestatteten, daß der Angeredete sich von seinem Sitze erhöbe.
Wir harrten noch einen Tag in Berlin aus. Auf unsere Erklärung ward uns lediglich eine eingehendere Mittheilung der Regierung direct an die Nationalversammlung in Aussicht gestellt. Interpellationen in den Kammern erfolgten erst nach unsrer Abreise und blieben ebenfalls wirkungslos.
Unsere Rückreise ging durch Mitteldeutschland. In Halle, Weimar, Erfurt, Eisenach wurden wir mit warmen Sympathien und hochgespannten Erwartungen empfangen, die wir freilich sehr herabstimmen mußten. Nur auf der letzten Station geschah uns das Gleiche, was den Schluß unseres ersten Reisetages in Köln so ominös bezeichnet hatte. Die Hanauer Straßenjugend, untermischt mit einigen Erwachsenen, begleitete, im Vollgefühl republikanischen Freiheitsdranges, die ihnen längst verhaßten „Kaisermacher“ bei der Abfahrt mit Pfeifen und Zischen zum Städtchen hinaus.
Im trüben Abendgrauen kehrten wir nach Frankfurt zurück, das wir vor sieben Tagen beim klarsten Morgen verlassen hatten. Es war ein Bild unserer Sendung. Hell und klar lag die Zukunft Deutschlands vor uns, wenn die Hoffnungen, mit denen wir unsere Reise begannen, sich verwirklichten, wenn Deutschland ein Oberhaupt erhielt, umgeben von einer mit kostbaren Rechten ausgestatteten Nationalvertretung. Vor der vollendeten Thatsache würde auch der hartnäckige Widerstand verstummt sein; in der Vereinigung von Ordnung und Freiheit, von monarchischen und parlamentarischen, volksthümlichen Einrichtungen wäre eine Versöhnung und Ausgleichung selbst des strengeren Conservatismus mit dem weitergehenden Demokratismus angebahnt gewesen. Das Ausland hätte schwerlich gegen diese Selbstconstituirung der deutschen Nation etwas Ernstliches unternommen, so wenig, als es dies gethan gegenüber der viel kleineren Schweiz im Jahre 1847; hätte aber eine fremde Macht eine solche Einmischung gewagt, so wäre dies sicherlich der stärkste Hebel für die Befestigung der jungen Einheit gewesen. Deutschland wäre eine Großmacht geworden und hätte als solche den drohenden europäischen Verwickelungen nicht nur ruhig entgegensehen, sondern selbst bei deren Schlichtung ein gewichtiges Wort mitreden können.
Es hatte nicht sein sollen! Eine dunkle Nacht brach nochmals über Deutschland herein – der Unfreiheit und der wildesten Reaction im Innern, der Ohnmacht und Erniedrigung nach außen.
Und doch – ganz fruchtlos sind jene Bestrebungen, ganz eitel sind jene Hoffnungen des Jahres 1848 nicht gewesen! Der Gedanke der deutschen Einheit, wie oft auch seitdem von den Gegnern verlästert, verhöhnt, unter die Füße getreten und zu den Todten geworfen, ist doch immer und immer wieder auferstanden und hat, wie der lebendige Fruchtkeim, jeden, auch den härtesten Widerstand überwunden. Wie im März 1848 unter dem Druck äußerer Verhältnisse, die Regierungen nachgiebig die Hand boten zu dem Versuch einer Neugestaltung Deutschlands, so haben heut die deutschen Fürsten selbst, diesmal ohne äußern Drang und Zwang, lediglich getrieben durch die unwiderstehliche Macht der in der Nation lebenden und mit innerer Nothwendigkeit wirkenden Idee, sich in eben jener alten Krönungsstadt Frankfurt, wo damals das Parlament tagte, versammelt, um den gleichen Versuch von sich aus zu wagen. Neidlos wollen wir, die wir damals unternahmen das große Werk der Einigung Deutschlands zu vollziehen – neidlos wollen wir es ansehen, wenn die erlauchte Versammlung, glücklicher als wir, das hinausführt, woran wir gescheitert. Was damals die Inschrift über dem Präsidentenstuhle in der Paulskirche uns, den freigewählten Vertretern der Nation, mahnend zurief:
Des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück,
O bringt sie, o gebt sie dem Volke zurück!
das rufen heut wir den Fürsten zu. Mögen sie ein Werk schaffen, wie es dem Ganzen frommt! Die Nation wird ihnen dankbar sein und das Gebotene, wenn es die Probe einer unbefangenen Prüfung aushält, nicht darum zurückweisen, weil es auf einem andern Wege zu Stande gekommen, als den wir 1848 beschritten. Der Wege zum Ziele mag es vielerlei geben, das Ziel selbst wird stets nur Eins sein können: eine gesicherte Machtstellung Deutschlands nach außen, feste Bürgschaft des Rechts und der Freiheit nach innen!
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: wornen