Das Conversationslexikon und seine Gründer

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Autor: Hermann Francke
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Titel: Das Conversations­lexikon und seine Gründer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 706–708
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über das Conversations­lexicon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten, Autor des Artikels ist der Sohn des Mitgründers Christian Wilhelm Franke
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[706]
Das Conversationslexikon und seine Gründer.


Eine literar-historische Skizze.


Werfen wir einen Blick auf die wenigen Bücher, die wir im Besitze unserer minder gebildeten und weniger mit Glücksgütern gesegneten Mitbürger vorfinden, so ist es vor allen anderen ein Buch, welches wir fast in jedem Hause antreffen – und das ist die Bibel.

„Wo keine Bibel ist im Haus,
Da sieht es öd’ und traurig aus!“

Getreu diesem echt deutschen Spruche sehen wir sie in den Palästen und in den Häusern der Reichen in mehr oder weniger kostbaren Ausgaben, geschmückt mit Stahlstichen oder Holzschnitten auf dem Tische des Salons; wir finden sie aber ebenso, wenn auch in den bescheidensten Ausgaben, auf dem Eckbrette in der Stube des Bauern oder Tagelöhners. Daneben liegt das Gesangbuch, und seine abgerissenen Ecken und sein abgenutzter Einband verrathen uns bald, daß es schon manchen Gang zur Kirche mitgemacht hat und vielleicht schon vom Vater oder Großvater benutzt wurde. Sehen wir uns aber weiter in der Bibliothek um, so ist es zunächst der Kalender, der uns in die Augen fällt, auch er ist im Palast, wie in der Hütte allüberall zu finden, denn ein Jeder soll ja wissen, wie er in der Zeit lebt. Hiernach begegnet unser Blick dem unvermeidlichen Kochbuch, in welchem sich die geschäftige Hausfrau gern Raths erholt, wenn es gilt, dem lieben Mann eine Lieblingsspeise vorzusetzen, oder wenn es sich darum handelt, in die gewohnte Speisekarte einige Abwechslung zu bringen. – Mit jedem weiteren Buche, welches uns nun in die Augen fällt, wächst auch die Bildung des Bibliothekinhabers. Die wichtigste Rolle nach dem Kochbuche nimmt, bezeichnend für unseren Nationalcharakter, das Fremdwörterbuch ein. Leider können wir uns noch immer nicht daran gewöhnen, die zahllosen und ganz überflüssigen Fremdwörter, welche sich in unsere Sprache eingedrängt haben, zu verbannen, und deshalb spielt das Fremdwörterbuch bei uns eine Rolle, welche es bei anderen Nationen nie erlangen konnte. Ist nun der unvermeidliche Petri oder Heyse angeschagt, so ist das nächste Bedürfniß für Jeden, der nach Weiterbildung und Belehrung strebt, das Conversationslexikon, diese Encyklopädie des gesammten menschlichen Wissens, die ihm über alles Fremde, was bei der Lectüre oder bei der Unterhaltung vorkommt, Auskunft und Belehrung schaffen soll. Die Zahl dieser Conversationslexika ist eine ziemlich bedeutende und wir haben deren, bald von größerem, bald von kleinerem Umfange, bald von höherem, bald von geringerem Werthe, gegen dreißig zu verzeichnen, welche im Laufe dieses Jahrhunderts in Deutschland erschienen sind. Das verbreitetste von allen ist das Brockhaus’sche Conversationslexikon, welches uns in einer älteren oder neueren Ausgabe auf dem Büchertische oder in dem Bücherschrank sehr Vieler entgegentritt. Die neueste elfte Auflage desselben bildet eine stattliche Reihe von fünfzehn Bänden, die unendlich viel Wissen und Kenntnisse in ihren Spalten bergen und gewiß geeignet sind, unser Staunen hervorzurufen, wenn wir einen Blick auf ihren Ursprung, ihre Entstehung, überhaupt auf die Grundlage derselben werfen. Möge mir daher der geneigte Leser folgen, wenn ich es versuche, ein Bild von der Entstehung dieses weltbekannten Buches vor seinen Augen zu entrollen.

Es war etwa um das Jahr 1793, als Dr. Renatus Gotthelf Löbel in Leipzig mit der Idee umging, ein dem damaligen Umfange der Conversation angemessenes Wörterbuch zu schreiben. Wie er später in der Vorrede zu demselben selber sagt, „habe vor dreißig bis vierzig Jahren das Hübner’sche Zeitungs- und Conversationslexikon wohl hingereicht, das Bedürfniß nach politischer Kenntniß, die damals fast allein Gegenstand der Conversation gewesen, zu befriedigen. Jetzt aber, wo ein allgemeineres Streben nach Geistesbildung, wenigstens nach dem Schein derselben herrsche, genüge dies nicht mehr.“

Diesem Mangel abzuhelfen, war also die Aufgabe Löbel’s; daß dieselbe bei dem Fehlen aller Unterlagen und Vorarbeiten eine sehr bedeutende und die Kraft eines Mannes weit übersteigende war, bedarf wohl keiner näheren Beleuchtung. Unser Löbel empfand dies bald sehr lebhaft und sah sich deshalb nach einer tüchtigen Unterstützung, nach einem befähigten und auf seine Ideen eingehenden Manne um. Er fand denselben in dem Advocaten Christian Wilhelm Franke in Leipzig, welcher, unterstützt durch eine gründliche Bildung, Löbel’s Plan mit regem Eifer und großer Thätigkeit zu dem seinen machte. (Sein Familienname war Francke, er schrieb sich aber aus grammatischen Rücksichten stets Franke.)

Bei dem hierdurch herbeigeführten häufigen Umgange, beim Austausch ihrer Ideen und bei dem rastlosen gemeinschaftlichen Wirken fühlten beide Männer wohl bald heraus, daß ihr Unternehmen ein gesundes und eine große Zukunft in sich bergendes sei. Ob sie keinen Buchhändler fanden, der den Verlag des Conversationslexikons übernehmen wollte, oder ob sie nach einem solchen gar nicht suchten, weil sie die Früchte ihrer Arbeit möglichst selbst genießen wollten, bleibt dahingestellt. Thatsache ist, daß sie im Februar des Jahres 1796 selbst eine Buchhandlung gründeten und durch dieselbe für die Verbreitung des Werkes mit aller Kraft zu wirken suchten. Unbekannt aber mit den buchhändlerischen Geschäften und ganz mit ihren schriftstellerischen Arbeiten für das Conversationslexikon beschäftigt, waren sie genöthigt sich nach einem tüchtigen Geschäftsmann umzusehen, welchen sie in der Person des Friedrich August Leupold, der dem Vernehmen nach bis dahin in der Baumgärtner’schen Buchhandlung als Diener angestellt war, zu finden glaubten und dem sie die Führung des jungen Geschäfts übertrugen.

Interessant für die damaligen Verhältnisse ist es, einen Blick in den Contract zu werfen, der zwischen jenen drei Herren abgeschlossen wurde. Nach demselben – das vom Februar 1796 datirte Actenstück liegt dem Verfasser in der Urschrift vor – waren Löbel und Franke alleinige Besitzer der Buchhandlung; da sie jedoch „aus bewegenden Ursachen dieselbe vor der Hand noch nicht unter ihrem eigenen Namen aufzuführen gedachten“, so wurde besagter Leupold unter folgenden Bedingungen als Geschäftsführer angestellt. Derselbe erhielt zunächst einen Gehalt von hundertzwanzig Thalern jährlich, dabei unentgeltliche Wohnung in den aus einer Stube bestehenden Geschäftsräumen und außerdem für den Winter eine Klafter Holz (für etwa mehr zu verbrauchendes wurde nichts vergütet). Unter diesen nach unseren jetzigen Begriffen wenig verlockenden Bedingungen wurde also Leupold als [707] Geschäftsführer der neuen Buchhandlung eingeführt und diese selbst mit frischem Muthe im Gewandgäßchen Nr. 620 (jetzige Straßennummer 2) eröffnet. Der Miethzins für das Local betrug anfangs acht Thaler für das Vierteljahr, stieg aber, wahrscheinlich durch Vermehrung der Räumlichkeiten, bald auf vierzehn Thaler für drei Monate an; auch für eine gemüthliche Ausstattung der Stube wurde gesorgt, denn aus dem Ausgabebuch ersieht man, daß, wohl als einziges Inventarstück, eine Schreibcommode angeschafft und mit sechsundeinhalb Thaler bezahlt wurde.

Außer verschiedenen kleinen Verlagsunternehmungen des jungen Geschäfts war es natürlicher Weise das Conversationslexikon, welches seine hauptsächlichste Thätigkeit in Anspruch nahm. Der erste Baud desselben, welcher auf vierhundert Seiten die Buchstaben A bis E umfaßte, lief 1796 unter dem Titel „Conversationslexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten“ glücklich vom Stapel. Das ganze Werk sollte aus vier Bänden bestehen und der Preis eines jeden derselben einen Thaler betragen. In wie viel Exemplaren das Buch gedruckt wurde, läßt sich aus den übriggebliebenen wenigen Actenstücken nicht genau ersehen; nach der noch vorhandenen Berechnung der Ausgaben für das Papier dazu wurden wahrscheinlich anfänglich tausend Exemplare gedruckt. Der Preis für das Papier betrug für den (aus fünftausend Bogen bestehenden) Ballen zehn Thaler; das Honorar für die Verfasser wurde auf vier Thaler für den Druckbogen festgestellt. Wahrlich ein trauriger Lohn für die mit unendlicher Mühe, mit großem Zeitverlust und vielem Wissen bearbeitete erste Zusammenstellung eines Werkes von solchem Umfang und von solcher Bedeutung! –

Das Geschäft war also nun im vollen Gange; über die Einnahmen, die es machte, schweigen unsere Actenstücke gänzlich, aber wohl gewähren sie uns einen Einblick in die Ausgaben. Aus denselben ersehen wir nun hinreichend, daß die Herren Besitzer von einer geregelten Geschäftsführung keine Idee hatten. Es waren beide Gelehrte, die sich um solche Dinge nie gekümmert hatten; wer Geld in der Tasche hatte, der bezahlte und befriedigte die Gläubiger, und so ist es bald Löbel, welcher Buchdrucker oder Papierhändler bezahlt, bald ist es Franke, welcher Autoren, Miethe und sonstige Schulden deckt. Nach Ablauf des Jahres machte jeder seine Rechnung und glich sich darnach mit dem Andern aus, wobei aber Beide die schlimme Erfahrung machten, daß die Ausgaben stets größer waren, als die Einnahmen. Daß es unter solchen Umständen großer Opfer bedurfte, das Werk fortzusetzen, ist hiernach sehr erklärlich; trotz aller Schwierigkeiten aber wurde 1797 der zweite und 1798 der dritte Band davon ausgegeben.

Wahrscheinlich durch Geldverlegenheit veranlaßt, hatte Löbel am 19. October 1797 seinen Antheil am Geschäft an den Advocaten Chr. Gottfr. Rothe in Lauchstädt für achthundert Thaler – und zwar ohne Vorwissen Franke’s verkauft; als nun Löbel zwei Jahre später im Februar starb, blieb seinem Geschäftsgenossen nichts anderes übrig, als jenen Antheil von Rothe zurückzukaufen und sich hierdurch in den alleinigen Besitz des Geschäftes zu setzen. Abgesehen von den mit schweren Sorgen gebrachten pecuniären Opfern lag nun die ganze Last der Fortführung des Conversationslexikons auf Franke’s Schultern; er hatte nicht nur die Fortsetzung desselben zu bearbeiten, was um so schwieriger war, als sich in Löbel’s Hinterlassenschaft fast gar keine Vorarbeiten fanden, sondern er hatte auch die für einen in solchen Dingen wenig erfahrenen Gelehrten doppelt drückenden Sorgen für den mercantilen Theil des Geschäftes zu tragen. Da nun außerdem die Einnahmen wahrscheinlich immer geringer wurden, so war Franke, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, darauf angewiesen, einen großen Theil seiner Zeit seiner Advocatur und einigen anderen übernommenen Aemtern zu widmen.

Berücksichtigt man ferner, daß er von Haus aus mittellos war und daß eine schwächliche Gesundheit seiner sonst so außerordentlichen Thätigkeit oft Grenzen setzte, so wird man es mehr als erklärlich finden, wenn er sich unter allen Umständen eines Theiles seiner Sorgen zu entledigen suchte. Er verkaufte deshalb seine Buchhandlung an den seitherigen Verwalter derselben, Leupold, für den Preis von 2150 Thaler, nachdem er nach seinen eigenen Worten „auf diese verunglückte Entreprise 3500 Thaler aufgewendet hatte“. Leupold war ebenfalls mittellos, denn der ganze Kaufpreis blieb gegen Verzinsung von fünf Procent auf dem Geschäfte stehen, und erst nach Verlauf von drei Jahren sollte er jährlich 400 Thaler auf seine Schuld abbezahlen. – Ob Leupold überhaupt nicht der rechte Mann war, ein solches Geschäft zu leiten, oder ob die damaligen politischen Verhältnisse zu ungünstig auf dasselbe einwirkten, bleibt unentschieden; genug, das Geschäft, welches jetzt in seinem alleinigen Besitze war, ging immer schlechter, und seine Klagen darüber wurden gegen Franke immer lauter. Dieser kam ihm freundlich entgegen und ermäßigte den Kaufpreis – seine letzte pecuniäre Stütze – freiwillig auf 1800 Thaler, wie aus einem Actenstücke vom 1. September 1801 hervorgeht.

Im Jahre 1800 war unterdessen der vierte Band des Conversationslexikons erschienen; derselbe hatte eigentlich das Werk zu Ende führen sollen, aber der Stoff wuchs unserm Franke unter den Händen so gewaltig an, daß dieser Band nur bis zum Buchstaben R reichte. Leupold’s geringe Geldmittel waren durch die Ausgaben für denselben wahrscheinlich gänzlich erschöpft, und bei dem langsamen Erscheinen des Werkes verringerte sich der Absatz immer mehr. Der Druck des Conversationslexikons gerieth mehr und mehr in’s Stocken, und über Leupold’s Thätigkeit und Wirken in den nächsten Jahren fehlt jeder Anhalt. Daß Franke mit ihm nicht mehr als nöthig zu thun haben wollte, scheint daraus hervorzugehen, daß er ein 1804 von ihm bearbeitetes Werkchen, „Dramatische Kleinigkeiten“, bei einem andern Verleger (Sommer) erscheinen ließ.

Um dieselbe Zeit wahrscheinlich verkaufte nun Leupold das Conversationslexikon, sowie seinen übrigen Verlag an J. K. Werther in Leipzig; wenigstens erschien in dessen Verlage im Jahre 1806 der fünfte Band jenes Werkes. Der Herausgeber entschuldigt sich in der Vorrede wegen der langen Verzögerung und spricht von höchst unangenehmen Hindernissen, die sich hauptsächlich dem Verleger entgegenstellten. Indem er ferner um Nachsicht bittet, daß der bei der ersten Entstehung des Werkes zu Grunde gelegte Plan in mancher Beziehung erweitert worden ist, fährt er wörtlich fort:

„Es würde überflüssig sein, hier viele Erläuterungen aufzuführen, nur Eine mag statt aller dienen. In dem Buchstaben B konnte damals, als der erste Theil unsers Lexikons erschien, noch keine Ahnung von dem Helden des Tages (Bonaparte) sein, der seitdem die ganze Welt in Erstaunen und – in banges Erwarten der Dinge, die noch kommen sollen, gesetzt hat. Und welche Veränderungen der Reiche und Staaten, welche neuen Verhältnisse in Rücksicht der Regenten und Regierungsverfassungen sind seitdem eingetreten! Alles das bedarf in den künftig zu liefernden Nachträgen Zusätze, Abänderungen etc.“

Das sind für die Verzögerung in der Herausgabe und für die Ausdehnung des Werkes gewiß Gründe, die stichhaltig sind und denen man seine Anerkennung wohl kaum versagen konnte. Obgleich nun Franke in seinem Vorworte die schleunige Fortsetzung und Beendigung des Conversationslexikons versprach, so stellten sich ihm doch neue Hindernisse entgegen. Dasselbe war nämlich abermals in andern Besitz übergegangen, und zwar hatte es Werther an J. G. Herzog in Leipzig verkauft, welcher nun den sechsten und letzten Band zum Druck beförderte. Derselbe erschien endlich im October 1808, und in einem kurze Vorworte, in welchem er seinem gedrückten Herzen Luft macht, nimmt der Herausgeber Franke von seinen „gütigen Lesern und Leserinnen, wenn auch nicht für immer,“ Abschied.

So sehen wir denn endlich, nach Verlauf von zwölf Jahren, das mühsame Werk vollendet. Mit welchen unendlichen Mühseligkeiten, Sorgen und Widerwärtigkeiten namentlich der letzte Herausgeber Franke zu kämpfen und welchen wahrhaft jämmerlichen Lohn er für die angestrengteste Arbeit, für allen Kummer und für so viele schlaflose Nächte hatte, geht aus der bisherigen Darstellung wohl zur Genüge hervor. Der öftere Wechsel der Verleger, dem das Conversationslexikon fast vom Anfange an unterworfen war und der der Verbreitung desselben unendlich schadete, blieb ihm aber bis zum Ende treu. Der auf dem sechsten Bande als Verleger genannte Herzog hatte denselben nämlich bei Friedrich Richter, dem Besitzer des „Leipziger Tageblatts“, drucken lassen. Wahrscheinlich war der Erstere mit der Zahlung in Rückstand geblieben und hatte dafür dem letzteren die sämmtlichen Vorräthe des Conversationslexikons als Pfand übergeben.

[708] Da kam im October 1808 Friedrich Arnold Brockhaus, welcher in Amsterdam eine Buchhandlung unter der Firma „Kunst- und Industrie-Comptoir“ besaß, zur Leipziger Messe. Seine Aufmerksamkeit wurde auf das Conversationslexikon gelenkt und mit richtigem Blicke erkannte derselbe sehr bald, daß dem ganzen Werke eine vortreffliche Idee zu Grunde lag und daß dasselbe bei richtiger Bearbeitung und bei einer umsichtigen geschäftlichen Ausbeutung der weitesten Verbreitung fähig sei. Nachdem es aus einer Hand in die andere übergegangen, war Richter, bei dem es zuletzt verblieb, wahrscheinlich froh, dasselbe los zu werden und sich dadurch für seine Forderung an Herzog zu decken; Brockhaus dagegen war zum Ankaufe schnell entschlossen, und so gingen denn, noch bevor der sechste Band ausgegeben und im Drucke vollständig beendet war, die gesammten, freilich wohl nicht bedeutenden Vorräthe des Werkes für die Summe von achtzehnhundert Thalern an denselben über.

Mit diesem Augenblicke beginnt nun für das Werk eine ganz neue ungeahnte Aera. Brockhaus läßt es schnell im Druck vollenden und veranstaltet sofort unter dem Titel „Conversationslexikon, oder kurzgefaßtes Handbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht für die Ereignisse der älteren und neueren Zeit“ eine neue Ausgabe davon. Er bringt sehr bald (1809–1811) die im Vorworte zum fünften Bande versprochenen Nachträge, welche unser Franke bearbeitet und redigirt und wofür er für sich und seine Mitarbeiter ein Honorar von acht Thalern für den Bogen erhält; er geht überhaupt mit einer den bisherigen Verlegern ganz unbekannten Energie, mit Thatkraft und großem Verständniß an die Bekanntmachung und Verbreitung des Werkes, und – sein Wirken hat einen nicht vorausgesehenen Erfolg. So unvollkommen auch das Conversationslexikon in seiner ersten Auflage erschien, so bewies der Anklang, den es jetzt im Publicum fand, daß das Bedürfniß eines solchen Buches wirklich vorhanden war, denn schon im Jahre 1812 stellte sich die Nothwendigkeit einer zweiten Auflage heraus, und an die Spitze der Redaction trat Brockhaus selbst.

Ueber den weiteren großartigen Erfolg des Unternehmens zu berichten, geht über die Grenzen dieses Aufsatzes hinaus. Wer sich specieller dafür interessirt, der findet Ausführliches darüber in einem unlängst erschienenen, vom Verfasser dieses Aufsatzes auch mehrfach benutzten Werke über Friedrich Arnold Brockhaus. Dasselbe wurde zur Feier des hundertjährigen Geburtstages des Letzteren ausgegeben und in ihm setzt der Enkel (Heinrich Eduard Brockhaus) dem würdigen und allgemein geschätzten Großvater ein Denkmal der Liebe und Dankbarkeit. In dem vorstehenden kleinen Aufsatze versucht es der Sohn, seinem theuren Vater, dem Advocaten Christian Wilhelm Franke, ein Gleiches, wenn auch im bescheidensten Maße, zu thun. Franke war ein Ehrenmann im vollsten Sinne des Wortes; voll der liebenswürdigsten Eigenschaften, geistig befähigt und vielseitig gebildet, besaß er trotz einer sehr schwankenden Gesundheit eine unermüdliche Arbeitskraft und eine Ausdauer, wie sie nur Wenigen vergönnt ist. Vielfach von Mißgeschick und Unglücksschlägen verfolgt, war sein ganzes Leben der aufreibendsten Thätigkeit und Arbeit und der sorgsamsten Erziehung seiner Kinder gewidmet, bis ihn der Tod am 7. April 1831 den Seinen entriß.

Aus der bisherigen Schilderung geht wohl hinreichend hervor, daß Franke mit Recht zu den Gründern des Conversationslexikons zu rechnen ist, und wenn es, wie in der oben erwähnten Brockhaus’schen Schrift gesagt wird, bei buchhändlerischen Unternehmungen viel weniger auf die erste Idee, als auf die geschickte und praktische Ausführung derselben ankommt, so gilt dies wohl vorzugsweise von der geschäftlichen, von der pecuniären Seite der Sache und in dieser Auffassung trifft jenes Wort wohl nirgends so zu, wie in dem vorliegenden Falle. Das Conversationslexikon wurde, wie Brockhaus wörtlich fortfährt, zum Grundstein seines endlich fest begründeten Hauses und zum Mittelpunkt der umfassendsten Thätigkeit desselben; für unsern Franke war es ein Quell der unendlichsten Sorgen, die frühzeitig seine Gesundheit untergruben, ein Quell, der allein nicht hinreichte, um ihm und den Seinen den nothwendigen Lebensunterhalt zu gewähren. Wie sehr er übrigens mit der dem Conversationslexikon zu Grunde liegenden Idee verwachsen war, geht daraus hervor, daß er später, wahrscheinlich nach Abbruch seiner Verbindung mit Brockhaus, im Jahre 1813 ein neues „kleines Conversationslexikon oder Hülfswörterbuch für Diejenigen, welche über die beim Lesen sowohl, als in mündlicher Unterhaltung vorkommenden mannigfachen Gegenstände vorher unterrichtet sein wollen“, herausgab, welches in vier Bänden bei Gerhard Fleischer dem Jüngeren erschien. In der Vorrede dazu sagt er, daß er zu dessen Herausgabe wohl nicht unberufen erscheine, da er vom Anfange an von dem Herausgeber jenes (des Löbel’schen) Lexikons zur thätigsten Theilnahme gezogen wurde und später nach dem Tode Löbel’s die Herausgabe der letzten Theile, sowie der Supplementbände, allein übernahm. Eine zweite Auflage dieses kleineren Conversationslexikons erschien im Jahre 1829, eine dritte nach dem Tode des Verfassers 1834, eine vierte 1844 bis 1846. –

Ist es dem Verfasser gelungen, vor dem Auge seiner Leser ein treues Bild von dem Entstehen eines so bedeutenden Buches, wie es das Brockhaus’sche Conversationslexikon ist, zu entrollen, so bittet er sie, sich im Geiste noch einmal in die oben geschilderte Zeit zurückzuversetzen und dann einen Blick in die Gegenwart zu werfen. Vielleicht steht, lieber Leser, auf Deinem Schreibtisch die neueste oder eine neuere Auflage jenes Buches, welches seinen Weg durch die Welt fand, vor Dir. Dann denke beim Anblick derselben an die bescheidene Ausstattung der oben beschriebenen ersten Ausgabe, denke der unsäglichen Mühen derer, die sie schufen, versetze Dich mit mir in die erbärmliche, in einem engen und finsteren Gäßchen Leipzigs gelegene Geschäftsstube Leupold’s und begieb Dich dann in die großartigen Werkstätten und Räume des Hauses Brockhaus, in denen die vor Dir stehende Auflage geschaffen wurde, – in jene Räume, die wenigstens nicht zum kleinsten Theil ihre Entstehung und Erweiterung der mit Umsicht und Geschick ausgeführten Ausbeutung einer glücklichen Idee verdanken.

Hermann Francke.