Das Herz einer Künstlerin

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Autor: ein Kunstfreund
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Titel: Das Herz einer Künstlerin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 808
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Henriette Sontag
Blätter und Blüthen
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[808] Das Herz einer Künstlerin. (Aus den Erinnerungen eines Kunstfreundes.[1]) Die berühmte Sängerin Henriette Sontag begann in Wien ihre Laufbahn. Daß die junge, liebenswürdige und reichbegabte Künstlerin gegen Neid und Kabale zu kämpfen hatte, wird Jeder glauben, der sich auf den heißen Bretern, welche die Welt bedeuten, ein wenig herumgetummelt hat. Der Kabale und dem Neide zum Trotz, fiel jedoch das erste Debut der jugendlichen Sängerin glänzend aus. Aber ebenso heftig, wie sie von den Löwen des Parterres angebrüllt ward, wurde sie von den Schlangen der Coulissen angezischt und angeblasen. Eine der giftigsten Schlangen war Amalie Steininger, eine Sängerin, deren Octave der Sturm der Leidenschaften längst bis auf ein paar heisere Töne reducirt hatte. Ungeachtet dessen hatte Fräulein Amalie ihre Ritter, die noch immer ihre Farbe trugen und für die paar Töne und die verblühte Schönheit ihrer Dame manche Lanze brachen. Mit Hülfe dieser schlagfertigen Ritterschaft gelang es der kabalisirenden Dame richtig, ihre gefährliche Rivalin aus dem Felde zu schlagen. Entrüstet verließ Henriette Sontag Wien, und noch entrüsteter dachte sie oft an Amalie Steininger zurück.

Einige Jahre später gastirte Fräulein Sontag auf der Königsstädter Bühne in Berlin, wo sie, vereint mit dem berühmten Tenor Jäger und dem unvergeßlichen Buffo Spitzeder, die Triumphe der Signora Catalani vergessen machte. Alle Zungen der Enthusiasten und Federn der Journalisten setzte sie in Bewegung. Es gab keinen Garten in und um Berlin, der nicht geplündert wurde, um dem neuen hellstrahlenden Gestirn am Künstlerhorizont mit Kränzen und Blumen zu huldigen. Die jungen Greise legten der reizenden Künstlerin Blumen, die greisen Jünglinge Brillanten zu Füßen und stolzirten als Füchse und Grauschimmel vor ihrem Coupé. Wie gesagt, sie war die Catalani ihrer Zeit, nur hatte sie, im Vergleich mit jener trillernden Zigeunerin, Jugend und Schönheit voraus. Eines Morgens fuhr sie, von schmucken Reitern begleitet, die große schöne Friedrichsstraße hinab, als sie an einem Ecksteine derselben ein österreichisches Liedchen von zarter Kinderstimme singen hörte. Es war ein ungefähr sechsjähriges Mädchen, das an der Seite seiner blinden bettelnden Mutter den Vorübergehenden so recht wehmüthig und traurig: „Es giebt nur a Kaiserstadt, ‘s giebt nur a Wien!“[WS 1] vorsang. Die große Sängerin ließ den Wagen halten und die kleine Sängerin zu sich bescheiden.

„Wie heißt Du denn, meine kleine hübsche Wienerin?“ frug sie, indem sie sich zum Wagenschlage hinausbog.

„Nannerl!“ antwortete die Kleine auf gut Oesterreichisch.

„Wer ist denn die Frau, die Du führst?“

„Ach, meine arme blinde Mutter, Euer Gnaden.“

„Und der Name Deiner armen blinden Mutter?“

„Amalie Steininger!“

„Amalie Steininger?“ rief Henriette Sontag mit der Stimme der höchsten Ueberraschung und Bestürzung.

„Ja, Amalie Steininger. Meine Mutter war eine berühmte Sängerin in Wien, ehe sie ihre Stimme und das Augenlicht verlor, weil sie so viel geweint hatte. Darauf haben uns alle unsere Freunde verlassen. Wir mußten Alles verkaufen, was wir hatten, und müssen uns jetzt so fortbetteln durch die Welt.“

Henriette Sontag konnte nicht sprechen, die Thränen, welche in ihren großen, glänzenden Augen perlten, hatten ihre Stimme erstickt. Die schmucken Ritter, welche wie Trabanten ihre Sonne umkreisten, hatten ebenfalls Halt gemacht und nahmen den lebhaftesten Antheil an dieser rührenden Scene, die sich hier unter Gottes freiem Himmel abspielte.

„Meine Herren!“ sagte die gefeierte Sängerin endlich, indem sie ihre in Thränen schwimmenden Augen den Cavalieren zuwandte, „erlauben Sie mir, hier auf offener Straße eine Collecte zu machen, für eine Collegin, der Gott das höchste Gut auf Erden, das Augenlicht, genommen hat. Hier ist meine Börse. Lassen Sie sie nicht vereinzelt in die Hand dieses armen Kindes gleiten.“

Im Nu waren die beiden Hände des Mädchens mit Gold und Silber gefüllt, und das arme Kind glaubte schier, der gute Gott habe einen Engel auf die Erde gesandt, um aller Noth und Sorge seiner unglücklichen Mutter ein Ende zu machen.

„Wo wohnt sie denn, mein Kind?“ frug Henriette Sontag, sich an der Freude und Ueberraschung des kleinen Mädchens weidend.

„Hinter der Königsmauer Nummer neunzehn.“

„Grüße Deine Mutter, Nannerl, von ihrer Freundin und Collegin Henriette Sontag und sage ihr, ich lasse sie bitten, mich heute Nachmittag zu erwarten. Ich werde Euch besuchen, um ein Stündchen mit Euch zu verplaudern.“

„Henriette Sontag!“ rief die Kleine höchst erstaunt, und eiligst sprang sie zu ihrer Mutter, um ihr mitzutheilen, wer die schöne junge Dame sei, die ihnen Gott als Rettungsengel in der höchsten Noth gesandt.

Ach, das gute Kind verstand nicht, was das ungestüme Klopfen des Herzens und die Thränen sprachen, die aus den erloschenen Augen seiner Mutter quollen!

Die berühmte Sängerin hielt Wort. In Begleitung eines alten freundlichen Herrn besuchte sie noch im Laufe desselben Tages die blinde Bettlerin hinter der Königsmauer. Mit herzlicher Theilnahme begrüßte und umarmte sie ihre unglückliche Collegin, vermied es jedoch sorgsam, von Wien zu sprechen, um sie mit keinem Wörtchen an die Ränke zu erinnern, mit denen diese sie einst aus den Thoren der Kaiserstadt hinauskabalisirt hatte. Der Begleiter der Sängerin, ein berühmter Augenarzt, untersuchte das Auge der Blinden und schüttelte traurig das greise Haupt. Er erkannte den schwarzen Staar, dem gegenüber die Wissenschaft noch in der Wiege liegt. Am nächsten Abend sang Henriette Sontag zum Vortheile einer bedrängten Künstlerin die „Iphigenie“ auf der Königsstädter Bühne. Wir dürfen nicht hinzufügen, daß diese bedrängte Künstlerin die erblindete Sängerin Amalie Steininger war. Henriette Sontag sorgte für sie bis an’s Ende ihrer Tage. Auch ihr Töchterchen ließ sie ausbilden, das jetzt ein verdienstvolles Mitglied eines deutschen Hoftheaters ist und mit Liebe und Dankbarkeit der schlummernden Nachtigall gedenkt, mit der man ein edles Künstlerherz zu Grabe trug.[WS 2]


  1. Von derselben liebenswürdigen Feder, der sie bereits mehrere ähnliche Mittheilungen verdankt, wird die Gartenlaube nach und nach eine weitere Reihe von Erinnerungen, zumeist aus der Bühnenwelt, veröffentlichen. D. Red.     


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Polka schnell, Op. 291 von Johann Strauss II (1825 - 1899)
  2. 1884 erschien der vorstehende Text mit geringfügigen Änderungen erneut in Bekannte und unbekannte Größen. Skizzen und Novelletten aus der Kunst- und Theaterwelt von Carl Haffner. Wien: Im Selbstverlage der Witwe des Verfassers Frau Elise Haffner, VI., Getreidemarkt 5. In Commission bei H. Engel, S. 89 ff. books.googleGoogle