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Ernst Keils Witwe †

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Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Ernst Keils Witwe †
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 724
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Todesnachricht von Ernst Keils Wittwe
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[724] Ernst Keils Witwe †. Die treue Lebensgefährtin Ernst Keils, des Begründers der „Gartenlaube“, Frau Lina Keil, ist ihrem im Jahre 1878 verstorbenen Gatten in einem Alter von 72 Jahren am 1. Oktober in die Ewigkeit nachgefolgt. Lina Aston aus Zorge im Harz war eine anmutige Erscheinung, als sie Ernst Keil in Leipzig kennenlernte und mit ihr 1844 den Bund fürs Leben schloß. Aber nicht diese Aeußerlichkeit, sondern ihre inneren Vorzüge, die er sehr bald erkannte, waren es, die ihn zu dieser Wahl bestimmten. Und er sollte sie nicht bereuen. Sie war ihm ein treues und liebendes Weib, dem kein Opfer zu groß erschien, wenn es sich um das Wohl des Gatten handelte. Alle Widerwärtigkeiten, die ihm das Leben brachte, suchte sie ihm durch verdoppelte Liebe vergessen zu machen. Und wenn er abends überanstrengt von des Tages Mühen und Sorgen an ihrer Seite saß, dann wußte sie ihm sein Heim durch liebevolles Eingehen auf allerlei kleine Wünsche oder Eigenheiten zu einer wahren Stätte der Erholung zu gestalten. Aber nicht allein das – Lina Keil besaß nicht nur Gemüt, sie verfügte auch über seltene Geistesgaben, welche es ihr ermöglichten, den Ideen und Zielen, denen Ernst Keil nachstrebte, das vollste Verständnis entgegenzubringen. Ja, sie stand mit ihrer Begeisterung für alles Gute und Schöne, mit ihrem festen klaren Urteil und dem warmen richtigen Empfinden, das doch frei von aller Empfindelei war, ihrem Manne als echte und rechte Beraterin zur Seite, der er gern seine Ansichten mitteilte, seine Pläne anvertraute. Und so hat sie auch bei der Begründung der „Gartenlaube“ eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Es war im Jahre 1852. Keil war – ein Opfer der zu jener Zeit herrschenden Censur – als „Staatsverbrecher“ wegen Preßvergehens nach Hubertusburg gebracht worden, sein Weib war ihm mit den Kindern bis ans Thor des Gefängnisses gefolgt und hatte sich, um ihm nahe zu sein, in dem unfern gelegenen Wermsdorf niedergelassen. Mit umsichtiger Sorglichkeit war sie von hier aus bemüht, dem Gefangenen sein Los zu erleichtern, sie ermöglichte es mit Ueberwindung der größten Schwierigkeiten, ihm durch Lektüre und Briefe sowie andere Liebesbeweise die trüben Tage zu erhellen, und vermittelte die ersten Schritte zur Verwirklichung des in dieser Haft von ihm gefaßten Planes der Gründung der „Gartenlaube“. Was sie damals gethan, das ist von ganz entscheidendem Einfluß auf Ernst Keil und sein Blatt gewesen und ihr von ihrem Manne nie vergessen worden.

Eine schwere Zeit brach mit dem Weihnachtsfeste 1871 über die Familie herein, an dem die Nachricht von dem Tode des einzigen Sohnes, der sich auf einer Forschungsreise im Orient befand, in die Heimat gelangte. Da galt es, dem Vaterherzen über den ersten großen Schmerz hinwegzuhelfen und die verzweifelten Gedanken in ruhigere Bahnen zu lenken. Aber auch diese Aufgabe vollbrachte – ungeachtet der eigenen Herzenswunde – die treue Gattin durch die Liebe. Und sieben Jahre später traf sie das Schwerste, das ihr das Schicksal bringen konnte. Auch ihr Gatte, mit dem sie 34 Jahre hindurch Freud’ und Leid geteilt, sank in das dunkle Grab hinab. Das war ein harter Schlag, der sie tief daniederbeugte. Aber ihr Pflichtbewußtsein ließ sie nicht in thatenloser Trauer ihre Tage verbringen, sie raffte sich zu neuem Leben empor und betrachtete es fortan als ihre Aufgabe, ganz in dem Andenken des teuren Entschlafenen aufzugehen und im Sinne desselben weiter zu wirken. Und so nahm sie seine stille Wohlthätigkeit, die Einfachheit und Schlichtheit nach innen und außen und die Sorge um die geliebte „Gartenlaube“ auf sich.

Aber bald sah sie doch ein, daß die „Gartenlaube“, sollte sie das, was Keil aus ihr gemacht, auch in Zukunft bleiben, einer festen leitenden Manneskraft bedurfte, die sich ihr voll und ganz widmen konnte. Und so gab sie das geliebte Blatt im Jahre 1884 wohl aus der Hand – die „Gartenlaube“ erschien von da ab im neuen Verlage – aber aus den Augen, aus dem Herzen hat sie es nie gelassen und bis an ihr Ende ein warmes Interesse für das aus dem Bunde mit ihrem Gatten hervorgegangene Geisteskind bewahrt. Und darum steht auch die „Gartenlaube“ heute unter den nächsten Leidtragenden am Grabe der seltenen Frau und trauert um ihre treueste Freundin.