Grauenhafter Ausgang einer Entdeckungsreise
Grauenhafter Ausgang einer Entdeckungsreise.
Die Erforschung des Unbekannten, namentlich des Räthselhaften und Geheimnißvollen, hat für fast alle Menschen einen mächtigen Reiz. Dieser steigert sich tausendfältig, wenn sich von der Lösung des Räthsels Förderung der Wissenschaft und dadurch Nutzen für die Menschheit erwarten läßt; ersteigert sich in diesem Falle so hoch, daß ihm kühne Männer ohne Zögern Gesundheit und Leben zum Opfer bringen. Zeugniß dafür giebt seit vielen Jahren die lange Reihe muthiger Reisender aus allen civilisirten Nationen, die das geheimnißvolle Innere Afrikas aufzuschließen versuchten, das zum Theil heute noch ein ungelöstes Räthsel ist, wie Viele auch bereits ihr Leben dabei verloren; Zeugniß giebt ferner das Streben, das Innere Australiens kennen zu lernen, dem seit etwa dreißig Jahren ebenfalls bereits zahlreiche Opfer gefallen sind, z. B. unser sächsischer Landsmann Leichardt, und das in der allerneuesten Zeit zu der wahrhaft grauenvollen Tragödie, von der wir hier erzählen wollen, Veranlassung gegeben hat.
Seit längerer Zeit hatte man in Melbourne die großartigsten Vorbereitungen zu einer Erforschungsreise in das Innere des Landes gemacht. Ein einziger Privatmann gab eintausend Pfd. Sterl. zu diesem Zwecke her; fernere 2000 Pfd. Sterl. brachte man in anderer Weise zusammen, und die Regierung der Colonie wendete 4000 Pfd. auf, um aus Indien Kameele kommen zu lassen, weil man sich von der Benutzung dieser Thiere in den „Wüsten“ des Innern viel versprach. Als Alles bereit war, wählte man als Führer der Expedition einen mit dem Lande bekannten energischen und muthigen Mann, den Irländer O’Hara Burke, der nach militairischen Studien in England und Belgien eine Zeitlang als Husaren-Rittmeister in der österreichischen Armee gedient hatte, dann nach Australien gereist und Inspector der berittenen Polizei von Victoria geworden war, seinen Posten aber verließ, als er von dem Ausbruch des Krimkrieges hörte, um an demselben Theil zu nehmen, nach Beendigung der Belagerung von Sebastopol ankam und nach Australien zurückkehrte, wo er in sein früheres Amt wieder eintrat. Beigegeben wurden ihm zu der Reise Landells, welcher die Kameele aus Indien herbeigeholt hatte, ein erst 27 Jahre alter, wissenschaftlich sehr gebildeter Engländer Wills von der Sternwarte in Melbourne und zwei junge Deutsche, Dr. Becker als Zoolog und Zeichner und Dr. Beckler als Botaniker und Arzt. Außer diesen bestand die Expedition aus 25–30 Personen, 25 Kameelen und eben so vielen Pferden.
Nach langem Zweifel über den Ausgangspunkt der Reise entschloß man sich, von Melbourne nordwärts nach dem Cooper’s Creek, im Sommer (dem europäischen Winter) 1860–61 weiter nach der Nordküste, dem Meerbusen von Carpentaria, zu gehen und in solcher Weise zum ersten Male das ganze Land zu durchziehen. Am 20. August 1860 erfolgte der Aufbruch, aber man brauchte fast zwei Monate, um nach Menindie am Darling zu kommen, weil namentlich die Kameele häufig störrig oder wild waren und viel Aufenthalt verursachten. Auch veruneinigten sich die Reisenden sehr bald, so daß Landells und Beckler nach Melbourne zurückkehrten. In Menindie ließ Burke ein Depot zurück, und mit 12 Mann, 16 Kameelen und 20 Pferden erreichte er am 11. Novbr. den Coopersfluß. Hier befahl er Brahe, mit Lebensmitteln, Leuten und Kameelen drei Monate oder auch länger, wie es die Umstände gestatteten, auf ihn zu warten, er selbst aber unternahm mit Wills, King und Gray, 6 Kameelen, einem Pferd und Lebensmitteln auf drei Monate am 16. December die eigentliche Erforschungsreise, um die es sich handelte. Eine Woche nach der [125] andern verging, ohne daß man von ihm etwas hörte. Brahe wartete an dem ihm bezeichneten Punkte über vier Monate; dann nöthigten ihn Feindseligkeiten der Wilden, Erkrankung seiner Leute und der immer geringer werdende Lebensmittelvorrath zur Umkehr. Er vergrub an einer Stelle etwas von den Lebensmitteln für die verschollenen, aber doch vielleicht wiederkehrenden Cameraden unter Burke, brach am 21. April 1861 auf und traf am 29. mit dem inzwischen von Menindie – dem ersten Depot – unter Anführung von Wright herangekommenen Rest der Expedition zusammen, welcher mehrere Mitglieder, unter Andern auch Dr. Becker, am Scorbut verloren hatte und überhaupt sich in traurigen Umständen befand. In Verein zogen sie dann noch einmal an den Coopersfluß, um sich zu überzeugen, ob die für Burke vergrabenen Lebensmittel nicht etwa von den Wilden geraubt worden. Sie fanden äußerlich Alles in Ordnung und traten definitiv den Rückzug an. In Melbourne, das sie glücklich erreichten, traf man sofort alle Anstalten, die Vermißten aufzusuchen; es wurde nicht nur ein Dampfschiff nach dem Meerbusen von Carpentaria gesandt, sondern auch unter Howitt’s Leitung eine neue Expedition nach dem Coopersfluß, mit dem Auftrage, wenigstens die genauesten Nachrichten von den wahrscheinlich Verunglückten einzuziehen.
Die neueste Post aus Australien (von Ende November 1861) meldet nun: daß Burke und Wills im Juni 1861 ab dem Coopersflusse in Folge von Erschöpfung und Hunger gestorben sind, während Gray schon früher den Strapazen erlegen war. Der Vierte, King, wurde noch lebend unter den Wilden gefunden. In seinem Besitz befanden sich die Tagebücher von Burke und Wills, aus denen hervorgeht, daß sie das Ziel ihrer Reise, die Küste des Meerbusens von Carpentaria, am 11. Februar 1861 wirklich erreichten. Sie kehrten dann, auf demselben Wege, den sie gekommen, zurück, größtentheils zu Fuß, weil sie aus Mangel an Lebensmitteln das Pferd und fast alle Kameele hatten tödten müssen. Unter Mühseligkeiten aller Art erreichten sie den Coopersfluß, wo sie die Freunde zu treffen sicher erwarteten, am 21. April Abends, sieben Stunden nachdem Brahe mit den Andern von da aufgebrochen war. Sie fanden richtig die für sie vergrabenen Nahrungsmittel, nahmen sie aus der Grube heraus und machten dieselbe sorgsam wieder zu. Da sie zu schwach waren, den Freunden nachzureisen, machten sie mehrere Versuche – vergeblich – die südaustralischen Ansiedelungen zu erreichen. Während eines solchen war es, daß Brahe und Wright zurückkamen, um nach den vergrabenen Lebensmitteln zu sehen, und sich wieder entfernten, ohne die Grube zu öffnen, weil sie unberührt aussah, obgleich Burke sie geleert und ein Schreiben hinein gelegt hatte, in welchem es heißt: „Wir haben Alle viel Hunger gelitten. Die hier zurückgelassenen Lebensmittel werden unsere Kräfte hoffentlich wiederherstellen. Wir haben einen Weg nach Carpentaria entdeckt. Es liegt einiges gute Land zwischen hier und der steinigen Wüste. Von dort bis zu dem Wendekreise ist die Gegend dürr und steinig, zwischen da und Carpentaria zum Theil gebirgig, doch wohl bewässert und mit reichem Graswuchs versehen. – Die Kameele können so wenig gehen als wir, sonst folgten wir der andern Partie, die leider fort ist.“
„Unsern Verdruß darüber, daß das Depot verlassen worden,“ sagt Wills in seinem Tagebuche, „kann man sich leicht vorstellen, da wir, ganz erschöpft, nach viermonatlicher beschwerlicher Wanderung und Entbehrung, mit fast gelähmten Beinen ankamen, so daß es jedem von uns fast unmöglich war, auch nur ein paar Schritte zu gehen. Solchen Schmerz in den Schenkeln und Knieen habe ich nie vorher gekannt, auch hoffe ich ihn niemals wieder zu empfinden. Die allgemeine Erschöpfung überdies macht uns zu fast Allem untauglich. Der arme Gray muß entsetzlich gelitten haben, und wir preisen uns glücklich, daß die Symptome, die sich bei ihm so zeitig einstellten, uns nicht trafen, als wir von dem Fleische eines halbverhungerten Pferdes leben mußten. Wie schmeckte uns die Suppe von Hafermehl und Zucker aus Brahe’s Grube! … Hätten wir unterwegs nicht so viel Portulak gefunden, würden wir [126] wahrscheinlich nicht im Stande gewesen sein, bis hierher zurück zu kommen.“
Wie viel die Reisenden auch gelitten hatten, das Schlimmste stand ihnen noch bevor bei dem Versuche, Adelaide zu erreichen. Sie zogen hin und her und würden bald genug verhungert sein, wenn nicht die Wilden, denen sie gelegentlich begegneten, freundlich gegen sie gewesen wären und ihnen Fische, bisweilen ein paar „vortreffliche feiste Ratten“ und Nardoo (Samen einer in jener Gegend viel wachsenden Wasserpflanze) gegeben hätten. Nardoo lernten sie auch selbst sammeln, stoßen und als Mehl gebrauchen. Damit und mit Fischen, die sie bisweilen fingen oder einem Raubvogel abjagen konnten, erhielten sie sich am Leben, obgleich ihre Kräfte mehr und mehr abnahmen. Davon sprechen zahlreiche Stellen in Wills’ Tagebuche. So schreibt er am 20. Juni (nachdem sie also bereits zwei Monate vergebens gesucht hatten, weiter zu kommen): „King ist ausgegangen, um Nardoo zu suchen; Burke ist bei mir und stößt den Vorrath, den wir noch haben. Es steht mit seinen Füßen sehr schlecht. Mit King geht es am besten; der Nardoo bekommt ihm. Da Mittags die Sonne ziemlich warm schien, so unternahm ich eine große Wäsche meines Körpers, aber sie nützte mir nichts, als daß sie etwas Schmutz entfernte, denn ich war zu schwach. Der Nardoo bekommt mir gar nicht, und doch sind wir auf ihn allein angewiesen.“ Am nächsten Tage setzt er hinzu: „Ich fühle mich schwächer als je, und wenn nicht irgend welche Hülfe kommt, kann es nicht lange mehr dauern. Kaum kann ich noch aus der Hütte herauskriechen…. Wir leiden zugleich viel von der Kälte, namentlich da es mit unserer Bekleidung schlimm aussieht. Ich habe nur noch einen breitkrämpigen Hut, ein wollenes Hemd ohne Aermel, Ueberreste von weiten Flanellhosen, zwei Paar ganz zerrissener Strümpfe und eine Weste, an der ich wenigstens bis jetzt die Taschen zu erhalten gesucht habe. Die Andern sind nicht besser daran.“ Nach zwei Tagen schreibt er: „Nichts als der größte Glücksfall kann uns noch retten; ich selbst lebe, wenn das Wetter günstig ist, höchstens noch fünf bis sechs Tage. Mein Puls schlägt nur 48 Mal in der Minute und sehr schwach. Meine Arme und Beine sind Haut und Knochen.“
Aus der Erzählung King’s führen wir die traurige Geschichte weiter. „Wills wurde so schwach, daß er nicht mehr wie sonst ausgehen und Nardoo suchen konnte; dabei hatte er nicht einmal die Kraft mehr, die Samen zu stoßen, und bald befand er sich in ganz hoffnungslosem Zustande. Burke’s Schwäche nahm ebenfalls täglich zu, so daß ich allein für Drei Nardoo suchen und stampfen mußte. Ich that es, so lange ich die Kräfte dazu hatte; als es aber auch mit mir schlimmer wurde, so daß ich mehrere Tage nicht ausgehen konnte, verzehrten wir unterdeß unsern ganzen Vorrath auf sechs Tage, den wir gesammelt hatten. Als ich mich etwas erholt, sagte Burke, ich möchte einen Nardoo-Vorrath auf drei Tage sammeln; mit diesem wollten wir dann aufbrechen, um Wilde aufzusuchen und von diesen wo möglich Hülfe für uns und für Wills zu erhalten, der zurückbleiben müßte. Als der Vorrath erlangt war, fragte Burke Wills noch einmal, ob er diesen Plan billige, weil wir ihn, den Freund, sonst unter keiner Bedingung verlassen würden. Wills wiederholte, es sei dies die einzige Möglichkeit der Rettung, und gab Burke einen Brief, sowie seine Uhr für seinen Vater. Wir legten Nardoo für mehrere Tage ganz in seine Nähe, nahmen Abschied von ihm und brachen traurig auf. Schon bei der Wanderung am ersten Tage kam mir Burke sehr schwach vor; er klagte über heftige Schmerzen in den Beinen und Armen. Am zweiten Tage waren wir kaum eine halbe Stunde gegangen, als er sagte, er könne sich nicht weiter fortschleppen. Ich bestand darauf, daß er versuchen müsse, weiter zu gehen, und ich führte ihn eine Strecke, erkannte aber bald, daß seine Kräfte völlig erschöpft waren. Er warf Alles von sich, was er zu tragen hatte, wie wenig es auch war. Nun wankten wir von Neuem weiter, bald aber schlug mir Burke vor, wir sollten, wo wir eben wären, Nachtlager halten. Mit Mühe brachte ich ihn bis zum nächsten Wasser. Im Liegen schien sich Burke’s Zustand zu verschlimmern, obwohl er mit ziemlichem Appetit von der Krähe gegessen, die ich zu schießen das Glück gehabt hatte. Er selbst sagte, es könne mit ihm nur noch einige Stunden währen, und gab mir seine Uhr und ein Taschenbuch, in das er noch etwas schrieb. „Hoffentlich,“ sprach er zu mir, „bleiben Sie bei mir, bis ich gestorben bin – es ist doch ein Trost, zu wissen, daß man nicht ganz allein in der Wildniß liegt und stirbt. Ehe ich sterbe, geben Sie mir mein Pistol in die rechte Hand; dann – lassen Sie mich unbegraben liegen.“ – In der Nacht redete er ganz und gar nicht mehr, und gegen acht Uhr am andern Morgen verschied er. Ich blieb einige Stunden bei der Leiche; da dies aber nichts nützen konnte, entschloß ich mich, weiter zu wandern und Eingeborene aufzusuchen. Ich fühlte mich sehr einsam in der weiten Einöde. Mehrere Tage zog ich umher und als ich einmal drei Krähen geschossen hatte, fiel mir ein, mit denselben zu dem armen Wills zurückzugehen, um zu sehen, wie es mit ihm stehe. Er lag todt in seiner Hütte. Die Eingeborenen waren dagewesen und hatten ihm etwas von seinen Kleidern genommen. Ich vergrub den Leichnam im Sande und blieb einige Tage in der Nähe; dann machte ich mich von Neuem auf, die Wilden zu suchen.“
Dies gelang ihm bald, und die Eingeborenen nahmen ihn auch freundlich auf, zumal er ihnen versprochen hatte, es würden mehrere Weiße kommen und ihnen Geschenke dafür geben, daß sie ihn gastlich behandelt.
Er blieb dann einen Monat bei ihnen. Howitt, der, wie erwähnt, zur Aufsuchung der Vermißten ausgesandt war, fand King bei den Wilden am 15. September 1861, und er schreibt in seinem Tagebuche: „Er saß in einer Hütte, welche die Eingebornen für ihn eingerichtet hatten, und gewährte einen betrübenden Anblick, denn er war zu einem wahren Schatten abgezehrt; er konnte nur an den ihm noch übriggebliebenen Kleiderfetzen als ein civilisirtes Wesen erkannt werden. Er schien nicht nur körperlich, sondern auch geistig sehr schwach geworden zu sein, denn bisweilen war es unmöglich, Sinn in seinen Worten zu finden. Die Eingebornen hatten sich alle eingefunden, saßen am Boden umher und sahen sehr erfreut aus. – Am nächsten Tag hatte es sich mit King so auffallend gebessert, daß er kaum wieder zu erkennen war. Am dritten Tage verließen wir alle das Lager der Wilden, um eine traurige Pflicht zu erfüllen, die mir schwer auf dem Herzen lag und die ich nur verschob, um King Zeit zu geben, sich so weit zu erholen, damit er uns begleiten könnte. Wir mußten vor allen Dingen unsere Todten begraben. Der arme Wills lag in der Hütte, in welcher er gestorben und von King in Sand vergraben worden war. Wir sammelten sorgsam seine sterblichen Ueberreste und bestatteten sie da, wo wir sie gefunden hatten. Ein Gebetbuch hatte ich nicht, ich las deshalb das 5. Capitel des ersten Briefes an die Korinther. Dann bildeten wir einen Sandhügel auf dem Grabe und legten Zweige darauf, damit die Eingebornen durch bei ihnen selbst gebräuchliche Zeichen abgehalten würden, die letzte Ruhe des Dahingeschiedenen zu stören. In die Rinde eines Baumes ganz in der Nähe schnitt ich:
45 Ellen
nach
W.-N.-W.
Ein Notizbuch und verschiedene Kleinigkeiten, die umherlagen, zwar an sich keinen Werth hatten, aber uns doch von Interesse waren, nebst Nardoo-Samen, von dem die Unglücklichen sich genährt hatten, und einem hölzernen Troge, in welchem er gereinigt worden war, nahm ich mit mir. – Am nächsten Tage suchten wir die Stelle auf, an welcher Burke liegen sollte, und bald fanden wir sie. Der Revolver, den die Leiche noch in der Hand hielt, war mit Blättern und Erde bedeckt und sehr verrostet. Dicht daneben gruben wir ein Grab und in dieses legten wir die Ueberreste, eingehüllt in eine englische Flagge, gewiß die beste Hülle für die Gebeine eines muthigen, aber unglücklichen Mannes. In die Rinde eines Buchsbaumes zu Häupten des Grabes schnitt ich:
Nachdem wir die Eingeborenen, welche King so freudig aufgenommen und unterstützt, reichlich beschenkt hatten, traten wir die Rückreise an, die glücklich von Statten ging.“