Heinrich Beta (Die Gartenlaube 1876/17)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ernst Keil
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Heinrich Beta
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 294
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[294] Heinrich Beta. Am 23. März dieses Jahres lief von Berlin eine Zuschrift meines alten Mitarbeiters Heinrich Beta ein, das Manuscript der in vorletzter Nummer abgedruckten „Erinnerungen an Ferdinand Freiligrath“ enthaltend. Der Verfasser gedachte mit Wehmuth seines nun auch dahin geschiedenen Freundes, mit dem er in London das Exil getheilt und schloß seine mit der gelähmten Hand nur mühsam auf das Papier gekritzelten Bleistiftzeilen mit den Worten:

„So sinken sie Alle hinab, Einer nach dem Andern. Nur ich elendester Krüppel muß immer noch warten. Aber ich rufe bei jedem solchen Todesfalle:

Warte nur, balde
Ruhest Du auch.

Ich hoffe nun endlich ziemlich bestimmt, daß dieser Frühling für einige Blumen auf meinem Grabhügel sorgen werde[.] Also der Vorsicht wegen gleich ein herzliches Lebewohl für diese Erde von Ihrem alten treuen dankbaren

Beta.“

Tief erschüttert, aber doch ohne alle Besorgniß antwortete ich sofort dem Freunde zurück, er sei noch zu frisch zum Sterben, und nächsten Winter werde er wie sonst die Schneeflocken draußen lustig tanzen sehen, um dann später wieder hinauszuziehen nach Thüringen, wo er sich mit jedem Sommer frische Kraft und neuen Lebensmuth geholt. – Sechs Tage darauf schon traf von Berlin die Nachricht ein, daß er doch Recht gehabt und sein sehnlichster Wunsch erfüllt sei.

Seit dreißig Jahren bin ich mit diesem braven Menschen Hand in Hand gegangen, vormärzlich noch im „Leuchtthurm“, als es galt, unter dem furchtbaren Drucke der Censur in den vorsichtigsten Formen alle die Forderungen der Freiheit anzuregen, welche in jenen Tagen noch halb bewußt und unklar im Volke gährten und deren Verwirklichung nach einigen Jahren schon durch die siegreiche Erhebung des Volkes erkämpft werden sollte. Er war mir damals schon ein lieber, treuer Camerad. Mit allem Feuer einer freiheitsglühenden Seele trat er dann in den Jahren 1848 bis 1850 in die Kämpfe der Volksbewegung ein, und wie scharf und schneidig sein Federschwert die compacte Masse der Reaction traf und verwundete, das sollte er bald genug in den Verfolgungen erfahren, die von allen Seiten auf den treuen Verfechter seiner Ueberzeugung einstürmten. Um langjähriger Kerkerhaft zu entgehen, floh er endlich nach London. Dort hat er anfangs das ganze Elend des Flüchtlingslebens, die volle Bitterkeit des Exilbrodes durchgekostet. Aber seine Energie, seine bedeutenden Kenntnisse und der eigenthümliche Humor seiner Schreibweise, der überall Anerkennung fand, ließen ihn nicht zum Sinken kommen, und als er kurz vor Weihnacht 1852 in der „Augsburger Allgemeinen“ die erste Ankündigung der „Gartenlaube“ las, begrüßte er von London aus sofort hocherfreut das neue Unternehmen und bot seine Kräfte für die damals noch sehr kleine und schwache Anpflanzung an. Seitdem sind vierundzwanzig Jahre vergangen, und wie redlich er mitgeholfen an der Ausdehnung und dem Aufschwunge der „Gartenlaube“, das wissen Alle, die unser Blatt mit Aufmerksamkeit verfolgt haben.

Die Leser der ersten vier oder fünf Jahrgänge werden sich noch mit Vergnügen der trefflichen Schilderungen aus überseeischen Ländern, namentlich aber aus London, erinnern, die in den Jahren 1853 bis 1857 fast in jeder Nummer unserer Zeitschrift zur Erscheinung kamen. Damals mußte trotz der garantirten Preßfreiheit noch jedes Wort vorsichtig abgewogen werden, und Beta verstand es vortrefflich, in der unschuldigsten, harmlosesten Form der Schilderung alle die Principien und freiheitlichen Fragen wieder zur Geltung zu bringen, für die wir früher gestritten und gelitten. Sein feines Gefühl für alles Edle und Humane, sein unablässiges Streben, der Menschheit, und namentlich der ärmeren Classe derselben, zu nützen, sein scharfer und praktischer Blick, machten ihn zum wahrhaft genialen Pfadfinder auf der Suche nach Stoffen, die er alle im Sinne des Volkswohls und der Humanität zu verwerthen wußte. Ob „Afrikanisches Palmenöl“ oder „Londoner Krystallpalast“, ob „Markthallen“ oder „Krankenhäuser“ – er verstand es überall, den guten Kern und die Nutzanwendung zur Förderung des allgemeinen Wohls herauszufinden und in liebenswürdiger, warmer und geistreicher Weise zu motiviren. Wenn hier und da auch etwas flüchtig und sanguinisch – anregend und erfrischend waren diese Artikel sämmtlich und haben viel und nachhaltig gewirkt.

Die Generalamnestie ermöglichte es auch ihm endlich nach dem geliebten Vaterlande zurückzukehren, in dessen Zustände und Fragen er sich sofort mit vollem Verständniß der Sachlage wieder hineinarbeitete. Nach allen Seiten knüpfte er neue Verbindungen an, die ihn in den Stand setzten, seine Bestrebungen und Ueberzeugungen mit in die Wagschale der Oeffentlichkeit zu legen, und bald war sein Name überall zu finden, wo es galt, für die gute Sache zu wirken. Keck und frisch in der originellen, oft barocken Form seiner Schreibweise, scharf, aber stets sachgemäß und nie persönlich, der Einigung des Vaterlandes mit Begeisterung ergeben, aber ohne unterthänige Anbetung des augenblicklichen Erfolgs, wußte er mit offenem Auge jeder politischen, socialen oder volkswirthschaftlichen Frage das rein Menschliche abzugewinnen und im Sinne der Humanität zu beleuchten, bis ihm – seine Thätigkeit hemmend – vor circa sechs Jahren ein furchtbares Gichtleiden die Finger verkrümmte und seinen Körper in einer Weise lähmte, daß jede selbstständige Bewegung aufhörte und er nur wenig noch, und dann nur mit dem Bleistift, zu schreiben vermochte. Aber selbst auf dem Krankensessel hielt ihn die alte Energie aufrecht; er dictirte von da ab und arbeitete ohne Unterlaß weiter im Dienste des öffentlichen Wohles und des – Journalismus. Mit selbstloser Hingebung für seine Aufgabe, fast Tag für Tag anregend, ermunternd, belehrend, oft erhebend – ein echter Journalist und ehrlicher Patriot, so hat er gearbeitet, bis ihm der Tod auch den Bleistift aus der Hand nahm und seinem Kampfe um’s Leben und die höchsten Güter der Menschheit ein Ende machte. Für den Journalisten hat die Nachwelt keine Kränze – mir aber, der so lange Jahre Gelegenheit hatte, einen Einblick in das verdienstliche Lebenswerk des Heimgegangenen zu thun, mir ist es Bedürfniß des Herzens, ihm an dieser Stelle meinen wärmsten Dank in das Grab nachzurufen.

Von allen Mitarbeitern des ersten Jahrgangs der „Gartenlaube“ leben zur Stunde nur zwei noch: Ludwig Storch und der Schreiber dieser Zeiten. Wie lange noch – und auch für uns gelten die Schlußzeilen des Beta’schen Briefes:

„Warte nur, balde
Ruhest Du auch.“

E. K.