Madame de Brandebourg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Georg Hiltl
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Madame de Brandebourg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[695]
Madame de Brandebourg.
Von Georg Hiltl.

Eine glänzende Cavalcade, aus Officieren und Stutzern der Aristokratie Turins zusammengesetzt, bewegte sich in den schattigen Waldgängen, welche zu dem herzoglichen Jagd- und Lustschlosse „La Veneria“ führten. Den Mittelpunkt dieses schimmmernden Zuges bildeten zwei mit geschmückten Damen angefüllte Carossen. In der ersten Carosse gewahrte man vier derselben, welche drei Stufenjahre repräsentirten. Zwei der Damen waren dem Greisenalter nahe, eine konnte so eben die dreißiger Jahre passirt haben, die jüngste schien höchstens 19 bis 20 Jahre zu zählen. Diese junge Schöne war der Gegenstand fortwährender Huldigungen eines äußerst chevaleresken, hohen Officiers, welcher die glänzende Uniform der brandenburgischen Truppen des Kurfürsten Friedrich III. trug und kaum zweiundzwanzig Jahre zählen konnte. Er war das Abbild einer kraftvollen Jugend. Dennoch hatte die Fülle der Gesundheit, welche aus seinem blühenden Antlitz strotzte, nicht vermocht der Regelmäßigkeit seiner edlen, achtunggebietenden Züge Eintrag zu thun und ihnen jene Feinheit zu nehmen, die den Sprossen eines erlauchten Geschlechtes bekundete. Die äußerst kleidsame Uniform ließ seine schöne Gestalt doppelt vortheilhaft erscheinen, und es konnte nur auffallen, daß der noch sehr junge Soldat bereits die Abzeichen eines hohen militärischen Ranges trug; doch ward man bald darüber aufgeklärt, denn der Officier war Markgraf Carl Philipp von Schwedt, Stiefbruder des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg, General in der Hülfsarmee, welche der Kurfürst dem von den französischen Truppen bedrängten Herzog von Savoyen gesendet hatte. – Die schöne Frau nannte sich Marquise von Balbiani-Salmour. Sie war Wittwe eines Obersten, stammte aus einem der edelsten Geschlechter Italiens und war körperlich und geistig eine der bevorzugtesten Damen ihrer Zeit. Krieg und Liebe – zwischen diesen beiden Gegensätzen brachte der junge Markgraf seine Zeit in Italien hin. Kurfürst Friedrich III., später der erste König von Preußen, hatte im richtigen Gefühl der Gefahr, welche Deutschland durch die Uebergriffe Ludwig’s XIV. drohte, die kampfgeübten Truppen seines großen Vaters dem bedrängten Fürsten zum Beistande gesendet. Brandenburgische Landeskinder fochten unter den Fahnen ihres Kurfürsten am Rheine gegen den fremden Gewalthaber. Sie stürmten die Festung Bonn. Brandenburgische Truppen bluteten im fernen Ungarlande gegen den Erbfeind, den Türken. Sie waren es, welche den heißen Kampf bei Salankemen entschieden. Sechstausend brandenburgische Kriegsleute fuhren über den Canal und halfen dem Prinzen von Oranien sein Ansehen bei der englischen Nation erhöhen, bis der flüchtige Jakob II. des Thrones verlustig erklärt und der Oranier, nunmehr Wilhelm III., den erledigten Königssitz als Herrscher eines freien Volkes bestieg.

Friedrich III. hat vielfache Bekrittlungen seiner Prachtliebe, seiner Neigungen für das Auffällige erfahren müssen. Diese waren aber eng verbunden mit dem großen Entwurfe, der schon als Kurfürst ihm vorschwebte und der ihn beschäftigte, dessen Ausführung er energisch durchsetzte und dadurch den Grund zur Macht des preußischen Staates legte. Einer der größten Vorzüge aber, den der Kurfürst vor vielen Andern hatte, war die Heilighaltung des gegebenen Wortes. Nie hat ihn der Geist kleinlicher, steifer Ceremonie so stark beherrscht, daß er nicht die Heiligkeit eingegangener Verpflichtungen beobachtet hätte. Er überlegte lange. Ging er aber auf eine Vorlage ein, so konnte man auf sein Wort Felsen thürmen. Die Durchführung einer versprochenen Sache geschah immer ganz, ohne Kleinlichkeit, und auch hierin zeigte er stets eine Würde, die ihn zu dem später angenommenen Königstitel berechtigte. Er genoß die Achtung seines Volkes, weil er in jeder Beziehung selbst achtungswerth dastand. Nie hat er den geringsten seiner Unterthanen seiner Ruhmsucht geopfert, wenn gleich er die hochgestellten schwer aus den Banden dessen befreite, was er für nothwendig [696] erkannte. Diese kurze Charakteristik des Kurfürsten möge seine Handlungsweise bei den folgenden Ereignissen erklären, die wir erzählen wollen.

Getreu seiner Vertheidigungspolitik, hatte Kurfürst Friedrich dem durch Catinat schwer bedrängten Herzog von Savoyen, Victor Amadeus, ein Hülfscorps brandenburgischer Truppen gesendet. Sie fochten mit großer Auszeichnung unter dem Oberbefehle des Prinzen Eugen. Der commandirende General dieses Elitecorps war ein französischer Refugié, der Herr von Barennes. Unter ihm diente Markgraf Carl Philipp als Volontair, nachdem er sich schon in früheren Kämpfen durch persönliche Tapferkeit ausgezeichnet hatte.

Unmittelbar nach der Ankunft der Brandenburger in Italien bezog man die Winterquartiere. Turin ward der Sammelplatz der verschiedenen Kriegsvöker, welche in den kommenden Zeiten ihre blutigen Rollen spielen sollten. Victor Amadeus, selbst ritterlich, galant und dem Luxus zugethan, hielt es für eine besondere Aufgabe, seinen Gästen den Aufenthalt in seiner Hauptstadt so angenehm wie möglich zu machen.

Während man heute die neuerbauten Schanzen besichtigte, Exercitien und Recognoscirungen vornahm, vereinigten am folgenden Tage glänzende Maskenfeste die Befehlshaber aller Truppen ohne Ansehen des Ranges; von der wilden Musik der kriegerischen Weisen, vom Rasseln der Trommeln ging man über zu den schmeichelnden Tönen der von den herzoglichen Musikern ausgeführten Sarabanden, und den schweren Reiterstiefel mit dem seidenen Schuh vertauschend, wiegte man sich im Tanze mit den Schönen des Hofes und der Stadt.

Hier war es, wo Markgraf Carl Philipp die Bekanntschaft der Gräfin Salmour machte. Jung und feurig mußte auf ihn die schöne, geistreiche Dame einen mächtigen Zauber ausüben. In jener durch den frivolen Ton des französischen Hofes bereits verderbten Zeit mußte ein so gestaltetes Weib doppelt glänzend erscheinen, wenn man sah, wie fern es von jeder Koketterie sich hielt, wie anspruchslos sie inmitten aller Huldigungen blieb, und wie hoch ihr der makellose Name ihres Geschlechtes stand.

Hiervon überzeugte sich der Markgraf sehr bald, als er ihr den Antrag machte, ihm, dem seine hohe Geburt eine Fürstentochter zur Gattin in Aussicht stellte, ohne priesterlichen Segen angehören zu wollen. Ein Hinweis auf den Götzen jener Zeit, Ludwig XIV., auf Carl II. von England fruchtete Nichts. Die Gräfin wies diese Zumuthungen in edler und einfacher Weise mit den Worten ab: „Monseigneur, ich bin zu arm, um Ihre Gemahlin, aber aus einem zu guten Hause, um Ihre Maitresse werden zu können.“

Gleichwohl war ihr der schöne, liebenswürdige Prinz nicht gleichgültig geblieben. Es verging einige Zeit, während welcher sich die Liebenden in allerlei Projecten erschöpften, wie die Zukunft sich rosig und heiter gestalten lasse.

Nachdem der Markgraf mit seinem Fürstenworte der Gräfin betheuert, daß er nie von ihr lassen werde, kam man überein, die Trauung heimlich stattfinden zu lassen. Die Gräfin zog ihre Verwandten, die Grafen Salmour und Herren von Balbiani, so wie deren Frauen in das Geheimniß. Obgleich die Besonneneren unter ihnen die Köpfe schüttelten, so reizte doch die Aussicht auf die glänzende Verbindung den Ehrgeiz der Familie, und man erwartete mit Bestimmtheit die Aufhellung des letzten dunklen Punktes, der sich am Liebeshorizonte des Markgrafen und der schönen Salmour zeigte.

Dieser dunkle Punkt war die Einwilligung des Bruders, des Kurfürsten Friedrich, in eine den glänzenden Zukunftsprojecten desselben durchaus nicht zusagende Verbindung. Indessen glaubte man, daß nach geschehener Trauung, und bei dem tadellosen Rufe der Gräfin, Friedrich III. doch Bedenken tragen würde, eine Lösung des Ehebündnisses anzubefehlen. Man war in Berlin bereits von der Neigung unterrichtet, welche Markgraf Carl Philipp für die schöne Salmour hegte, da seit seiner Ankunft in Turin schon eine geraume Zeit verflossen, hielt jedoch die ganze Sache für eine jener vorübergehenden Liaisons, wie sie in der letzten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts an allen Fürstenhöfen Europa’s zu finden waren.

In dem ersten Rausche der Freude, welche die Gräfin über das Gelöbniß des geliebten Markgrafen empfand, hatte sie bald einen Weg gefunden, der an’s Ziel führen sollte. Es war ihrem Bruder gelungen, durch Geld einen armen Advocaten zu bewegen, die bei der Trauung nothwendigen richterlichen Functionen zu übernehmen. In gleicher Weise hatte man einen Priester, Lea, ausfindig gemacht, welcher sich bereit erklärte, den kirchlichen Act vollziehen zu wollen. Beide Personen standen in dem Rufe, schon einige Male bei ähnlichen Intriguen gedient zu haben. Der Gräfin waren Beide unbekannt, und sie hatte nur die endlich nahe Erfüllung eines Wunsches vor Augen, den sie ebenso sehnlich realisirt haben wollte, als der Markgraf.

Carl Philipp hatte sofort eingewilligt. Als jedoch der Tag immer näher rückte, empfand er ein Gefühl des Mißbehagens über die ganze Lage der Dinge. Sein ritterlicher Charakter sträubte sich gegen die Heimlichkeit. Er hatte seiner Verlobten nur die Ungleichheit des Standes ihm gegenüber vorzuwerfen, er war sich der Aufrichtigkeit seiner Gesinnung bewußt, er war Soldat, geachtet nicht nur deshalb weil er einen fürstlichen Namen trug, sondern weil er auch durch Tapferkeit sich desselben werth gezeigt hatte; weshalb sollte er nun zaudern, offen vor aller Welt Diejenige als Gattin vom Altar hinwegzuführen, die er so innig liebte und welche das Glück seines Lebens zu werden versprach? Er hielt es für eine Feigheit, bei Nacht und Nebel wie ein Schuldbeladener sich mit der Frau seines Herzens in eine Capelle zu schleichen. – Gleichwohl verhehlte er sich nicht, welchen verschiedenartigen Eindruck die Ceremonie auf seine militärische Umgebung hervorbringen würde, von der ein großer Theil, mit dem Stolze des Kurfürsten bekannt, seine Mißbilligung offen zu verstehen geben mußte. Der Markgraf überzählte die kleine Schaar Derer, welche ihm unbedingt ergeben waren. Die Armee betete ihn als einen jugendlichen Helden an, und was die Gegner seines Heirathsprojectes betraf, so beschloß er, daß auch sie zugegen sein sollten, wenn er sich ehelich verband, denn durch die Anwesenheit hoher Officiere mußte der ganze Act das Gepräge des Officiellen erhalten; da sich nun voraussehen ließ, daß keiner der Opponenten sich als Trauungszeuge einstellen würde, wenn ihm die Dinge, die da kommen sollten, bekannt wären, so hatte der Markgraf den allerdings sehr kühnen Entschluß gefaßt, durch Ueberraschung auf seine Gegner zu wirken, sie zu betäuben und sie dergestalt zu Mitwirkenden bei der kirchlichen Handlung zu machen.

Er veranstaltete ein Fest auf dem Jagdschlosse des Herzogs, La Veneria. Die höchsten Officiere hatten Einladungen erhalten, und in glänzendem, Eingangs dieser Erzählung bereits geschildertem Zuge begaben sich Wirth und Gäste auf den Weg.

Im Jagdschlosse angelangt, welches der Herzog dem Markgrafen zur Verfügung gestellt hatte, wurden die Geladenen in die mächtige Gallerie geführt, woselbst eine prachtroll servirte Tafel ihrer wartete. Bevor jedoch das Diner begann, schlug der Markgraf seinen Gästen einen Spaziergang durch die schattigen Umgebungen des Schlosses vor. Die glänzende Menge vertheilte sich in den Laubgängen, und Carl Philipp blieb mit der Gräfin allein. Die Unruhe, welche sich Beider bemeistert hatte, duldete keine Zeugen. Man sprach sich gegenseitig Muth ein, man übersah noch einmal die Anzahl der Ergebenen. Auf unbedingte Zustimmung ihrer sämmtlichen Angehörigen durfte die Gräfin rechnen, der Markgraf dagegen war nur seiner drei Adjutanten, der Herren Déspreuves, de Péras und Stylle, sicher. Dieser kleinen Armee stand die bei Weitem zahlreichere der hohen Officiere und Diplomaten entgegen, an deren Spitze sich der Prinz von Hessen-Darmstadt, des Markgrafen Vetter, der General der brandenburgischen Hülfstruppen Mr. de Varennes, Major von Hoffmann, Herr de la Motte Fouqué, der energische Cavallerieoberst von Hackeborn und die Officiere de Coruneau, Camas, von Kaphengst und Déprés befanden. – Indessen war keine Zeit mehr zur Ueberlegung. Die Stunde des Diners nahte heran, während desselben sollte der Streich geführt werden. Die Gräfin ging in fieberhafter Aufregung zwischen ihren Damen in der Gallerie umher, während der Markgraf seine Erregtheit unter einer gewissen Geschäftigkeit zu verbergen suchte, indem er sich angelegentlich um die kleinsten Nebendinge, die Anordnung der Tafel und dergleichen erkundigte.

Schmetternde Trompetenfanfaren riefen die Gäste endlich zu Tische. Der Markgraf hatte ein Musikcorps der brandenburgischen Cavallerie in der Gallerie postirt, deren Wölbungen von den anfeuernden Klängen der Blasinstrumente wiederhallten.

Bald war die Unterhaltung im vollsten Gange. Die ausgesuchtesten Speisen, die köstlichsten Weine erhöhten das Vergnügen der Tafel, dem die wahrhaft fürstliche Umgebung, die großartige Architectur der Gallerie, zugleich eine gewisse Würde verlieh.[1] Die [697] Officiere, welche sich sorglos den Genüssen eines herrlichen Mahles hingaben, brachten Toaste aus auf den Kurfürsten in Berlin, auf den Markgrafen, auf den Herzog Victor, auf die Armeen der Verbündeten; jedes Mal fielen donnernd Pauken und Trompeten ein, die Gäste hatten keine Ahnung von der Ueberraschung, die ihrer wartete, und die Lust hatte den höchsten Grad erreicht, wobei sich Jedermann gestand, seit langer Zeit kein so herrliches und zugleich gemüthliches Fest genossen zu haben. Plötzlich erhob sich der Markgraf, der nun den richtigen Augenblick gekommen glaubte. Hoch aufgerichtet, glühend von Erregung, von Muth, von Liebe stand er da; die Linke in die Hüfte gestemmt, in der Rechten das Kelchglas voll edlen Weines, den schönen Kopf ein wenig hinten übergeworfen, bot er dem Beschauer ein herrliches Bild von Jugendmuth und Hoheit. Er bedankte sich in kurzen Worten für die Freude, die ihm geworden, so viele liebe Gäste bei seinem Feste sehen zu können, er gedachte des Herzogs Victor, seines Bruders in Berlin und schloß endlich, indem er seine kraftvolle Stimme erhob, mit den Worten: „Diesen Becher aber, meine Freunde, leere ich auf das Wohl Derjenigen, die ich liebe, der mein Herz gehören soll und mit demselben meine Hand. Ich leere ihn auf das Wohl der edlen Gräfin Salmour, die ich mir erwählet habe zum ehelichen Gemahl, daß sie theile mit mir den Fürstentitel. Und darum habe ich Sie Alle, meine Freunde, geladen, daß Sie Zeugen sein sollen des feierlichen Actes, der mich noch zu dieser Stunde mit ihr auf ewig verbinden wird.“

Die Wirkung dieser Eröffnung läßt sich kaum beschreiben. Die brandenburgischen Officiere blieben in einer Art von Erstarrung. Sie glichen plötzlich in Stein verwandelten Personen. Einige stießen dumpfe Töne, Schreie der Ueberraschung aus, Andere sanken erstaunt in ihre Sessel zurück. Unmittelbar nach den Worten des Markgrafen lagerte sich eine Todtenstille über die ganze Versammlung, der heitere Lärm des Festes verstummte. Carl Philipp stützte die fast ohnmächtige Gräfin. – Nicht lange aber sollte die Stille der Gäste dauern. Sie war die Ruhe vor dem Ausbruche des Gewitters gewesen. Brausend machte sich der Unmuth der Officiere Luft. Herr von Varennes rief: „Das ist gegen den Willen unsres gnädigen Kurfürsten, dessen Krieger wir sind.“ Dieser Ruf war das Signal zum lauten Widerstand. „Verrath! wir sind in eine Falle gelockt, keine Anerkennung!“ schrieen die Getäuschten.

Vom Weine erhitzt, ließen sie sich zu so drohenden Gebehrden hinreißen, daß die Freunde des Markgrafen es für gerathen hielten, diesen und die Gräfin in ihre Mitte zu nehmen. Die Gegenpartei sah das als eine Herausforderung an, und im Augenblick waren die Degen blank, was den Markgrafen und seine Freunde veranlaßte, gleichfalls vom Leder zu ziehen. Der Tumult wuchs von Minute zu Minute, zwischen die Angstrufe der Damen mischten sich die Streitreden der Männer, wobei namentlich der Prinz von Hessen und Herr von Varennes das Wort führten, indem sie den Markgrafen ganz entschieden des Ungehorsams gegen seinen Fürsten, Bruder und Kriegsherrn, so wie des Mangels an Achtung vor seinem hohen Namen ziehen; Carl Philipp dagegen schwur hoch und theuer, er werde sich eher in Stücke hauen lassen, als die Gräfin aufgeben. „Folgen Sie mir, Madame,“ rief er, „ich werde Ihnen zeigen, daß ich Ihrer und meiner hohen Ahnen würdig bin.“

Jetzt schien der Augenblick gekommen, der einen blutigen Zusammenstoß bringen sollte. Man versuchte dem Markgrafen und seinen Begleitern das Hinausgehen aus dem Saale zu wehren, schon klirrten die Degen aneinander, als plötzlich ein Officier des Herzogs Victor mit 30 Mann im Saale erschien, Namens seines Herrn den Streitenden Ruhe gebot und die Officiere in sehr höflichen Worten ersuchte, den Frieden eines fürstlichen Schlosses nicht zu brechen. Die Degen wurden sofort eingesteckt, und man überhäufte sich gegenseitig mit Vorwürfen; da man jedoch nicht wagte, dem Markgrafen weitere Anlässe zur Aufregung zu geben, so begnügte der herzogliche Officier sich damit, den inzwischen angelangten Priester Lea, so wie den Notar zu arretiren, für welches Verfahren Herr von Varennes die Verantwortung übernahm.[2]

Wieder folgte tiefe Stille auf diese geräuschvollen Scenen. Die lange Gallerie ward öde. Die Nacht brach herein, und man hörte das Rollen der Wagen oder den Galopp der Pferde, welche die Gäste nach der Hauptstadt zurückführten.

Noch in derselben Nacht fertigte Varennes einen Courier nach Berlin ab, der den Kurfürsten von dem Vorgefallenen benachrichtigen mußte. Er ließ sich am folgenden Tage bei dem Herzoge Victor melden und verlangte die Verhaftung des ihm untergebenen Markgrafen und der Marquise. Der Herzog versprach, der Letzteren seine Befehle zukommen zu lassen, weigerte sich aber entschieden, dem Markgrafen gegenüberzutreten, an dessen Person ihn Gastfreundschaft und Hochachtung fesselten. Varennes sendete einen zweiten Courier nach Berlin, der die Weigerung des Herzogs überbrachte. Man muß indessen einräumen, daß Varennes als ein ehrenhafter Soldat handelte. Er sprach in seinem Berichte von dem Markgrafen und der Gräfin mit größter Hochachtung und berief sich nur auf seine Stellung als Vorgesetzter, kraft deren er keine Vorgänge dulden dürfe, welche dem Interesse seines Souverains entgegenliefen.

Der Markgraf hatte vollauf zu thun, seine schöne Geliebte zu trösten. Mit den Hindernissen und Gefahren aber schien ihre gegenseitige Liebe zu wachsen. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Scenen in der Veneria zur allgemeinen Kenntniß der Liebhaber von Klatschereien gekommen waren. Allein so sehr auch böse Zungen geschäftig sich regten, der Charakter der Gräfin, die Ritterlichkeit ihres hohen Anbeters standen hoch über jeder Verunglimpfung, und nach wenig Tagen machte das Gerede einer ungeheuchelten Bewunderung Platz. Die romantischen Zuthaten verliehen dem ganzen Verhältnisse einen doppelten Reiz, und Varennes sah bald ein, welch schwierigen Stand er der öffentlichen Meinung gegenüber haben werde, da sogar die Officiere nur durch die Bande der Disciplin gehindert wurden, ihre Sympathien für den Markgrafen offen an den Tag zu legen.

Carl Philipp gestand sich bald, daß ihm, wenn er sein gegebenes Wort halten wolle, kein Mittel als die geheime Trauung übrig bleibe. Bei seinen Streifereien durch die Umgegend Turins hatte er die Bekanntschaft einiger Mönche des Camaldulenser-Klosters gemacht. Namentlich war es der Pater Colomban, der den Prinzen sehr in sein Herz schloß. Carl Philipp zögerte nicht, sich dem Geistlichen zu entdecken, und diese Beichte wirkte dergestalt auf den guten Pater, daß er den Bitten des Markgrafen nicht lange widerstand. – Genug, die priesterliche Einsegnung des Paares fand statt, und zwar mit genauer Aufrechthaltung aller nothwendigen Formalitäten. Als Zeugen waren anwesend der Bruder und der Schwager der Gräfin, für den Markgrafen die Herren von Péras und Stylle. Péras hatte den gerichtlichen Ehecontract als „Auditor Sr. kurfürstlichen Gnaden von Brandenburg“ aufgesetzt, und die sämmtlichen Zeugen hatten ihn unterschrieben. – Der Würfel war also gefallen. Das neuvermählte Paar schwelgte in Wonne und vermied es sorgfältig, nach dem Norden zu blicken, von woher die Blitze sich erwarten ließen.

Man hatte die Vermählung so geheim als möglich gehalten. Was wäre aber wohl verschwiegen geblieben zu einer Zeit, in der sich alle Welt mit Intriguen ähnlicher Art beschäftigte? Der Markgraf hatte vielleicht selbst an dem Bekanntwerden Schuld. Er fand zuweilen eine Erleichterung darin, seine Besorgnisse irgend einem Freunde zu klagen. Namentlich wirkte die Anwesenheit des jungen Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau (später der alte Dessauer) sehr ermuthigend auf ihn. Der Fürst war im Verlaufe seiner Reise durch Italien nach Turin gekommen; hier hatte er mit dem Markgrafen Freundschaft geschlossen. Carl Philipp schüttete sein Herz aus und fand bei Leopold ein offenes Ohr. Der junge Dessauer befand sich in derselben Lage, da er sich vor seiner Abreise mit der Apothekerstochter Anna Föhse in Dessau verlobt hatte. Er gab dem Markgrafen die Versicherung, daß kein Mensch in der Welt ihm die Heirath mit der schönen Föhse hindern solle; er hat diese Zusicherung gehalten.

Hierauf stützte sich der Markgraf, berief sich auf das Beispiel des Fürsten und brachte es durch seine Leidenschaftlichkeit dahin, daß die ganzen Verhältnisse, mit den nöthigen Randglossen versehen, nach Berlin berichtet wurden[3].

Der Kurfürst nahm diese Entdeckungen sehr übel auf, was [698] ihm nicht zu verargen war. Abgesehen davon, daß er die Heirath seines Bruders mit der Gräfin als ein seinen hohen Entwürfen sich entgegenthürmendes Hinderniß betrachtete, so stand er dem Schauplatz der Ereignisse zu fern, um vollständig leidenschaftslos urtheilen zu können. Auf den ersten Bericht Varennes’ über die Vorgänge in der Veneria hatte er indessen mit großer Mäßigung geantwortet und befohlen: „der Sache möglichst wenig Wichtigkeit beizulegen.“ Außerdem steht es fest, daß der Markgraf keinen Schritt gethan hat, um über die etwaige Verständigung mit seinem Bruder in Unterhandlung zu treten. Er erwartete mit Resignation die kommenden Dinge. – In Turin theilte man sich bei Hofe in zwei Lager: während die Freunde des Markgrafen sich angelegen sein ließen, ihm ihre Gesinnungen offen darzulegen, blieben die Gegner der Heirath von dem Hause Carl Philipp’s fern.

Während sich dergestalt die Wolken thürmten und den Himmel des Eheglücks für Markgraf Carl Philipp verfinsterten, umzog sich der politische Horizont nicht minder drohend. Schon tobte in den gesegneten Thäler Savoyens auf’s Neue die Kriegsfurie. Es ist für den Markgrafen ein zwiefacher Ruhm, daß er sich nicht durch die Bande der Liebe fesseln ließ, sondern eingedenk seines Namens beim Schall der Schlachttrompete hinauseilte in den Kampf. Ohne Zaudern, der Umarmung seiner schönen Gattin sich entwindend, stürzte er, einer der Muthvollsten, in die feindlichen Reihen. In allen Gefechten war er seinen Kriegern voran, und bei dem Sturm auf Casale pflanzte er das brandenburgische Banner auf die eroberte Schanze und sank, von feindlichem Hiebe getroffen, hart verwundet nieder, die Fahnenstange umklammernd, in der Rechten das mit Feindesblut geröthete Schwert haltend. Aus dem Kampfe getragen, nach Turin geschafft, genoß er die Pflege seiner Gattin. – Unterdessen waren drei Schreiben aus Berlin eingetroffen. Das erste, an Varennes adressirte belobte dessen Eifer und Verhalten und befahl: Die Trennung beider Gatten, falls die Ehe wirklich geschlossen sei, mit Gewalt, doch möglichst vorsichtig herbeizuführen. Wenn dem Beginnen Varennes’ durch die savoyischen Behörden Hindernisse entgegengesetzt würden, so habe Varennes hiermit die Ordre, seine Truppen unverzüglich von der Armee der Verbündeten zurückzuziehen. Das zweite Schreiben war an den Herzog gerichtet und enthielt einen feierlichen Protest gegen die wider Wissen und Willen des Kurfürsten, als Landes- und Kriegsherrn, abgeschlossene Verbindung des Markgrafen mit der Gräfin Salmour. Der dritte Brief, für den Markgrafen bestimmt, stellte diesem in nachdrücklichen Worten das Unpassende der Verbindung vor; der Kurfürst beschwor ihn, seiner Ahnen und der hohen Bestimmung eingedenk zu sein, welche ihm die Vorsehung zugedacht habe. Brüderlich ermahnte ihn der Kurfürst, wie ein Mann zu verzichten und dem Dienste des Vaterlandes seine Neigung zu opfern. Zum Schluß ward ihm der Befehl ertheilt, seine Stelle als Officier der savoyischen Hülfstruppen aufzugeben und sich unverzüglich zur Uebernahme eines Commandos an den Rhein zu begeben, woselbst brandenburgische Soldaten seiner warteten.

Der vernichtende Schlag war geschehen. Gegen die eiserne Pflicht des Soldaten, des Unterthans kämpfte die Liebe. Sie siegte, und das Unglück der Liebenden war entschieden.

Nachdem Varennes dem Herzoge die gemessene Ordre des Kurfürsten mitgetheilt, und Victor Amadeus sich den begründeten Einwendungen fügen mußte, der Markgraf außerdem fest auf seinem Kopf bestand, beschloß der Commandeur zu handeln.

Die schönste Mondnacht, wie sie nur von dem milden Himmel Italiens herabsinken kann, lag über Turin. Die Uhren der Kirchthürme verkündigten die zwölfte Stunde. In den einsamen Straßen zeigte sich nur hie und da ein heimkehrender Nachtschwärmer; aus weiter Ferne schallte das Klingen einiger Guitarren, auch diese Töne erstarben, und in tiefer Ruhe, umschattet von den hohen Bäumen und Gebüschen lag das kleine Hotel des Markgrafen Carl Philipp. Nur ein auf den Garten gehendes Fenster war matt erleuchtet. Es war das Fenster des Zimmers, in welchem Carl Philipp schlummerte, bewacht von seiner Gattin, die, an seinem Lager im Armsessel ruhend, in ein leichtes Nachtgewand gehüllt, sorgfältig jede Regung des Schlafenden verfolgte.

Die poetische Ruhe der Nacht ward plötzlich durch dumpfe Töne gestört. Es waren die gleichmäßigen Tritte einer zahlreichen Patrouille, welche unheimlich durch die stillen Gassen hallten. Die Soldaten trugen österreichische und piemontesische Uniformen. Voraus schritten vier Officiere in brandenburgischer Kriegertracht. Bei dem Hotel des Markgrafen angelangt, vertheilte der Erste der Zugführer die Posten rings um das Gebäude. Nachdem dies geschehen, traten die Uebrigen durch das offene Thor in den Garten und näherten sich einer Hinterthüre des Hauses, an welche einer der Officiere leise klopfte. Sie öffnete sich ein wenig, und das bleiche Gesicht eines Dieners schaute durch die Spalte: „Sie sind es, Herr von Hackeborn?“ stöhnte der Ueberraschte. „Ich bin es. Laut unserer Verabredung[4] haben Sie zu öffnen. Schnell! – Ordre des gnädigen Herrn Kurfürsten.“ Die Pforte sprang auf, und die Officiere traten hinein. Leise stiegen sie eine Treppe hinan, am Ende derselben angelangt, stießen sie auf eine durch schwere Vorhänge maskirte Thür. Hackeborn schob den Vorhang zurück und legte seine Hand auf die Klinke. – „Hier ist es.“ flüsterte er leise.

In dieser Nacht heftiger als sonst an der kaum geschlossenen Wunde leidend, ward Carl Philipp ängstlich von seiner treuen Pflegerin bewacht. Von ihr behütet, entschlummerte er sanft, und nur zuweilen schüttelte eine leichte Wallung des Blutes fieberhaft den Schlafenden; jeder Bewegung achtete die Gräfin sorgsam, sie erhob den schönen Kopf und blickte erwartungsvoll auf das bleiche Gesicht des geliebten Gatten, bereit, jede Hülfsleistung zu verrichten, deren der Genesende bedurfte. – Unruhig warf Carl Philipp im Schlafe sein Haupt, wie von bösem Traume gequält. Die Gräfin fuhr auf. Er beruhigte sich wieder. Die Stille der Nacht ward nur durch das Ticken der Uhr unterbrochen. Auf dem blassen Antlitze des Markgrafen zitterte der Schein des Lichtes, der aus einer blauen Ampel hervorstrahlte. Noch einige Augenblicke lauschte die Gräfin, dann lehnte sie das Haupt in die Polster zurück. – Plötzlich war es ihr, als werde geräuschlos die Thür des Schlafcabinets geöffnet. Sie blickte scharf in das Halbdunkel. Nein – es war keine Täuschung, die Pforte drehte sich in ihren Angeln – ein Mann trat in das Gemach. – Sollte sie träumen? – unmöglich, so lebhaft zu träumen – ihre Hand fuhr zu dem Glockenzuge, sie hielt ihn zwischen den Fingern, es war Wirklichkeit – und da – da waren mehrere Männer in das Zimmer getreten, ein Lichtschein, von außen kommend, fiel durch die Thüre, sie erkannte Uniformen, Waffen. Mit einem lauten Schrei sprang sie empor, die Glocke tönte, und in den Corridoren ward es lebendig.

Auf den Angstschrei seiner Gattin war der Markgraf erwacht. Sofort hatte er die ihm drohende Gefahr überblickt. Er schnellte sich empor und stand vor den Officieren, zugleich stürzten durch die gegenüberliegende Thüre die Frauen der Gräfin in das Gemach, Stimmen und Rufe erschallten, eine Scene der Verwirrung begann, die Zornreden des Markgrafen donnerten durch den Lärmen; inmitten dieser Aufregung blieb Hackeborn fest und unerschütterlich, die linke Hand am Schwerte, das offne Befehlschreiben des Herzogs in der Rechten haltend.

„Im Namen des Herzogs und meines Kurfürsten!“ rief er. „Herr Exempt, ich befehle Ihnen, sich der Person der gnädigen Frau Gräfin mit aller Schonung zu versichern.“

„Keinen Schritt zu ihr!“ schrie Carl Philipp, der den am Bettpfosten hängenden Degen gezogen hatte. Wie ein Tiger zum Sprung bereit, vorn übergebeugt, stand er da.

„Gnädigster Herr, es ist der Befehl Ihres Herrn Bruders und Kurfürsten.“

„Sie sind ein Henker!“

„Herr Markgraf! Ihrer Erregung verzeihe ich jenes Wort. Sie sind Soldat wie ich, und ich frage Sie, ob der Soldat zaudern darf, wenn der Befehl seines Herrn ihn ruft.“

„Wohlan denn,“ schrie der Markgraf, „Soldaten, ja so lassen Sie uns handeln wie Soldaten. Mann gegen Mann! Heraus mit den Klingen, kommt heran, wir wollen fechten!“

Das blitzende Schwert in seiner Faust beschrieb einen Kreis, und der Markgraf stand vor der ohnmächtigen Gräfin, welche von ihren Frauen gestützt wurde.

„Um des Himmels willen, Herr Markgraf,“ rief Hackeborn. „kommen Sie zu sich. Ich beschwöre Sie, lassen Sie kein brandenburgisch Blut fließen. Es kann sich Alles zum Guten wenden. Bedenken Sie, daß wir gehorchen mußten.“

„Heran! heran!“ schrie der Markgraf.

„Und kostet es mein Leben,“ rief Hackeborn, „lieber als das seine.“

[699] Mit einem kühnen Sprunge gelangte er dicht an den Markgrafen, seine nervige Hand umklammerte die Rechte Carl Philipp’s und das Gefäß des Degens. Beide Männer rangen mit einander.

„Helfen Sie mir, meine Herren,“ befahl der Oberst. „Seine Hoheit sind außer sich. Den Degen! halten Sie den Degen.“

Die Officiere eilten hinzu, und der noch schwache Carl Philipp sah sich bald ohne Waffe. Wie ein Verzweifelter wehrte er sich gegen seine Angreifer, die alle Stöße und Schläge geduldig ertrugen und ihn zu halten strebten. Da – ein lauter Schrei – eine letzte convulsivische Bewegung, matt und hinfällig sank Carl Philipp in die Arme Hackeborn’s zurück. Das Blut überströmte sein Nachtgewand. Die Wunde von Casale war wieder aufgebrochen. Sanft ließ der Oberst ihn auf ein Polster gleiten.

„Dem Himmel sei Dank,“ sagte er dumpf, „kein brandenburgischer Degen hat seinen Heldenleib berührt.“ Carl Philipp öffnete die Augen. Er stierte den Ort an, wo er zuletzt seine Gattin gesehen. „Katharina,“ stöhnte er leise – und, als hätte seine lispelnde Klage das Ohr der Geliebten erreicht, schmerzvoll tönte aus dem Garten herauf der Abschiedsgruß: „Philipp! Philipp!“ – er erstarb in dem Rollen des davoneilenden Wagens, welcher die Gräfin von dem Gatten hinweg in das Kloster Santa Croce entführte.




Ein pomphafter Katafalk erhob sich inmitten der Domkirche zu Berlin. Auf der Höhe desselben lagen die Abzeichen der fürstlichen Würde. Hut, Degen und Sporen, die Handschuhe und eine Schärpe waren von goldenem Lorbeerzweige umwunden. Unter den Klängen der Orgel verrichteten die Mitglieder der kurfürstlichen Familie weinend ihr Gebet am reichgeschmückten Sarge Markgraf Carl Philipp’s von Schwedt.

Fünf Tage nach der Trennung von seiner Gattin war er einem hitzigen Fieber erlegen, welches die neuaufgebrochene Wunde und die furchtbare Gemüthserregung erzeugt hatten. Seine Liebe ward sein Tod. Unter zahlreicher Escorte hatte man die Leiche nach Berlin geführt.

Katharine von Brandenburg, wie sich fortan die Gräfin von Salmour nannte, die der Exempt auf Befehl des Herzogs in ein Nonnenkloster gebracht, ward unmittelbar nach seinem Tode in Freiheit gesetzt. Sie war ohne Vermögen; sie stand allein auf den Schutz ihrer Verwandten angewiesen in der Welt.

Kurfürst Friedrich III. hatte ihr hunderttausend Thaler bieten lassen, wenn sie den Namen einer Frau von Brandenburg ablegen wolle.

Als der Sarg in die fürstliche Gruft gesenkt war, veweilten der Kurfürst und die Seinigen noch eine Zeit lang in der menschenleeren Kirche. Friedrich stand sinnend vor dem Grabe seines Stiefbruders. Er winkte mit der Hand einen Gruß hinab und verließ die Kirche. In seinem Cabinete angelangt, warf er sich in den Sessel, er schlug die Hände vor das Gesicht, und heiße Thränen entströmten seinen Augen. – Wenige Stunden später hatte er sich wieder in die Geschäfte der Regierung vertieft. Zahlreiche Einläufe warteten seiner zur Erledigung. Der Kurfürst las Alles selbst. Ein Schreiben schien besonders seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Er hielt es dicht vor die Augen, seine Stirne zog sich in Falten, gleichsam als wollte er doppelt genau sehen, um sich zu überzeugen, daß er richtig gelesen. – Es war ein Schreiben der Gräfin Salmour. – Sie unterzeichnete „Katharina von Brandenburg“ – sie schlug, die arme, junge Wittwe, die ihr gebotenen hunderttausend Thaler aus. –

„Monseigneur,“ schrieb sie, „die Ehre, den brandenburgischen Namen führen zu dürfen, steht mir höher im Werthe als alle Schätze der Erde. Sie fühlen selbst zu zart, Sie denken selbst zu hochherzig, als daß Sie es mißbilligen könnten, wenn ich Sie bitte: behalten Sie Ihr Geld und lassen Sie mir den Namen meines Gatten, der unbezahlbar ist.“

Friedrich ließ das Papier sinken. „Hochherzig, edel!“ sagte er nach einer Pause zu sich selber. „Sie war seiner würdig. Ja, es ist ein unschätzbarer Name, und wenn ich ihn einst nicht mehr führe, so soll er doch als ein Kleinod stets in meiner Königskrone prangen, und wer ihn führt, soll mir nahe sein. Das sei die Sühne zwischen uns, mein armer, geliebter Bruder! Auch ich habe gelitten, als ich Dein Glück und Deine Liebe opfern mußte für die einstige Erhöhung meines Hauses.“ –[5]


  1. Das Schloß ward 1706 von den Franzosen unter la Feuillade zerstört, später aber wieder neu aufgebaut.
  2. Es ist nicht erklärt, woher diese militärische Hülfe so schnell kam. Man glaubt, der Herzog Victor habe von den kommenden Vorgängen Kenntniß gehabt und auf alle Fälle Vorbereitungen getroffen. Der Priester und der Notar blieben ein Jahr lang in Haft.
  3. Es hat immerhin lange genug gewährt, bis der Schleier des Geheimnisses gelüftet wurde. Das junge Paar war über Jahr und Tag vermählt, als der Befehl zur Trennung eintraf.
  4. Der im Einverständniß mit Hackeborn handelnde Kammerdiener flüchtete nach Berlin.
  5. Die Gräfin vermählte sich zum dritten Male mit dem sächsischen Minister und Feldmarschall Grafen Wackerbarth. Ein von diesem adoptirter Sohn aus ihrer ersten Ehe, Gabaleon von Wackerbarth-Salmour, starb in sächsischen Diensten. Erst bei ihrer Heirath legte sie den Titel „Madame de Brandebourg“ ab. Sie starb 1719).