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Neue Entdeckungen in der Luft

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Textdaten
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Autor: M. Hagenau
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Titel: Neue Entdeckungen in der Luft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 250–251
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Berliner wissenschaftliche Luftfahrten; Entdeckung des Argon
Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit
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Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Neue Entdeckungen in der Luft.

Die Eroberung und Erforschung des Luftreiches bildet eine der wichtigsten Aufgaben der Neuzeit. Ueber die Fortschritte der Technik auf dem Gebiete der Luftschiffahrt haben wir unsern Lesern schon wiederholt berichtet; nun sind aber in der Erforschung der Atmosphäre neueste und sehr wichtige Errungenschaften der Wissenschaft zu verzeichnen. Sie sind erfolgt zum Teil im Ballon hoch über den erhabensten Bergen der Erde in dem Reiche der Federwolken, zum Teil unten auf der Erde in den chemischen Laboratorien der Forscher.

Es war am 4. Dezember vorigen Jahres um 10 Uhr 28 Minuten vormittags, als auf einem freien Terrain bei Leopoldshall-Staßfurt aus der Mitte einer großen Zuschauermenge der berühmte zu wissenschaftlichen Zwecken erbaute Ballon „Phönix“ sich zu einer neuen Hochfahrt erhob. In seiner Gondel befand sich, inmitten zahlreicher wissenschaftlicher Instrumente, als einziger Luftschiffer Dr. A. Berson aus Berlin. Um 3 Uhr 45 Minuten landete der „Phönix“ glücklich in der Nähe von Schönwohld bei Kiel und in dieser kurzen Zeit hatte er den kühnen Forscher bis zu einer Höhe von 9150 m emporgetragen. Das war also eine denkwürdige Hochfahrt; denn in so hohe Regionen haben sich bis dahin Menschen nur zweimal verstiegen. Im Jahre 1875 erreichten die Franzosen Tissandier, Sivel und Crocé-Spinelli eine Höhe von über 8000 m, wobei die beiden letzteren Luftschiffer den Erstickungstod fanden, und im Jahre 1862 soll der Engländer James Glaisher die Höhe von 11277 m erzielt haben; die Feststellung derselben ist jedoch nicht zuverlässig, da Glaisher bereits in 8500 m Höhe von Ohnmacht befallen wurde. Unser deutscher Luftschiffer Dr. Berson hat nun, dank dem mitgenommenen Sauerstoff, den er während der Hochfahrt einatmete, keinen Augenblick das Bewußtsein verloren und seine Angaben beruhen darum auf völlig sicheren und zuverlässigen Beobachtungen.

Als das wichtigste wissenschaftliche Ergebnis dieser Hochfahrt muß die Feststellung der Lufttemperatur in jenen hohen Schichten der Atmosphäre hervorgehoben werden. Tissandier hat in der Höhe von 7000 m nur eine Kälte von - 11° C., Glaisher in 8000 m eine solche von - 206° C. ermittelt. Diese Beobachtungen waren jedoch nicht genau, da die betreffenden Thermometer der Einwirkung der Sonnenstrahlen ausgesetzt waren und, von diesen erwärmt, die wirkliche Temperatur der Luft nicht angeben konnten. Die deutschen Forscher benutzen darum gegenwärtig bei ihren Fahrten neue von Professor Aßmann in Berlin konstruierte Aspirationsthermometer, Apparate, in welchen die Kugel des Thermometers vor Sonnenstrahlen völlig geschützt ist, während fortwährend von einem Mechanismus Luft angesaugt wird, welche die Thermometerkugel umspült und ihr die wirkliche Lufttemperatur mitteilt. Mit Hilfe dieses Instrumentes ermittelte nun der „Phönix“ in einer Höhe von 8000 m eine Kälte von - 385° und in 9150 m eine solche von – 48° C., während das Strahlungsthermometer in voller Sonne in letzterem Falle - 238° C. zeigte.

Die Wahrnehmungen, die er in höchster Höhe gemacht hat, schildert Dr. A. Berson in einem Artikel „Eine Reise in das Reich der Cirren“ (vergl. „Das Wetter“, Jahrgang 1895, Heft 1) mit folgenden Worten: „Um 12 Uhr 24 Minuten habe ich die Höhe von 8000 m überschritten, unsere größte Höhe auf der früheren Fahrt vom 11. Mai 1894. Ich prüfe meinen Zustand und finde, daß ich ruhig höher gehen kann, was mir mein Ballastvorrat auch gestattet. Allerdings atme ich dauernd Sauerstoff, wobei ich dann nur ein leichtes Gefühl von Schwindel im Kopfe wahrnehme, von mäßig starkem Herzklopfen begleitet, und sonst durchaus imstande bin, zu beobachten, zu überlegen, zu schreiben. Sobald ich jedoch nur auf wenige Sekunden, durch Arbeiten im Korbe dazu verführt, oder absichtlich zum Zwecke physiologischer Feststellung, das Mundstück des Schlauches fallen lasse, überfällt mich ganz gewaltiges Herzklopfen, dann fange ich beinahe an zu taumeln und greife rasch wieder nach dem lebenspendenden Gasschlauche. Einmal überrasche ich mich selber dabei, wie mir trotz allem die Augen leicht zufallen; ich rüttle mich mit lauten Scheltworten auf, denn ich fühle, daß hier viel auf dem Spiele steht.

Indessen ist der Ballon den verwaschenen Cirruswolken nahe gekommen, die seit früh sich hoch am Himmel gezeigt hatten, um dann allerdings stark abzunehmen; nun taucht er in dieselben ein … Sie bestehen zu meiner Ueberraschung, ich bin jetzt in 8700 m angelangt (das Quecksilberbarometer zeigt 245 mm, das Thermometer – 437°), nicht aus Eisnadeln, sondern aus wohlgebildeten kleinen Schneeflocken, die ziemlich dicht um mich herumwirbeln. Der Ballon sieht in der Wolke weißlich aus; doch schon taucht er wieder hervor, nachdem ich den letzten Sack, den ich opfern durfte, abgeschnitten. Bei über 9000 m habe ich die Wolke überwunden, rein und kalt wölbt sich der Himmel über mir; doch zeigt er nicht das tief dunkle, oft schon in 3000 bis 4000 m Höhe bewunderte Blau, sondern eine hellere blasse Färbung – in noch größeren Höhen über mir schwimmen offenbar feine, dem Auge nicht wahrnehmbare Dunstmassen. Ich fühle mich jetzt viel wohler und freier als bisher, aber ich habe nur noch sechs Sack Ballast. Um 12 Uhr 49 Minuten, also 21/3 Stunden nachdem ich die Erde verlassen, zeigt das Barometer [251] 231 mm Luftdruck, das Thermometer – 479°; selbst das Strahlungsthermometer in voller Sonne nur – 238°. Der Ballon hält jetzt wieder einmal inne; ich darf keinen Ballast mehr opfern, wie gerne ich auch höher möchte, und obgleich ich mich so wohl befinde, daß ich rasch eine Höhenberechnung vornehme, die mir meine Erhebung als auf roh 9600 m, reduziert 9150 m wahre Höhe angiebt … der Aufstieg hat sein Ende gefunden.“

* * *

Die zweite Entdeckung, die wir kurz besprechen möchten, wurde in chemischen Laboratorien gemacht und war, als sie im August vorigen Jahres in kurzen Mitteilungen bekannt gegeben wurde, so überraschend, daß die meisten Forscher ihr keinen Glauben schenken wollten und meinten, die Entdecker müßten sich getäuscht haben. Diese Entdeckung betraf die Zusammensetzung der Luft, eine Frage, über die nicht nur Chemiker von Fach, sondern alle Leute mit guter Volksschulbildung genügend unterrichtet zu sein vermeinten.

In alten Zeiten glaubte man, die Luft sei ein Urstoff, hielt sie für eins der vier Elemente. Erst vor 120 Jahren wurde diese Lehre durch eine bessere ersetzt, denn im Jahre 1771 entdeckten Priestley und Scheele den Sauerstoff und man erkannte nunmehr, daß die Luft ein Gemenge zweier Gase, des Sauerstoffs und des Stickstoffs, bilde, und rechnete heraus, daß in hundert Raumteilen Luft 21 auf den Sauerstoff und 79 auf den Stickstoff entfallen. Später fand man noch, daß auch in der reinsten Luft im Freien stets etwas Kohlensäure enthalten sei, und wies nach, daß die Mengen derselben etwa 4/100 bis 7/100 Prozent der Luft ausmachen. Mit feinsten Untersuchungsmethoden wies man endlich in der Luft noch geringe Mengen von Ozon, verändertem Sauerstoff, Spuren von Ammoniak und Salpetersäure nach, schließlich lernte man die in der Luft schwebende Menge des Wasserdampfes, sowie die Zahl der feinsten in ihr schwebenden Staubteilchen bestimmen. Kurz und gut, die Luft galt als ein Stoff, der chemisch aufs genaueste erforscht war.

Nicht gering war darum die Ueberraschung, als im vorigen Jahre die englischen Chemiker Lord Rayleigh und Professor Ramsay mit der Behauptung auftraten, daß in der Luft außer den bereits genannten Gasen noch ein anderes bisher gänzlich unbekannt gebliebenes vorhanden sei und daß dieses Gas in zwar noch nicht genau ermittelten, aber keineswegs geringen Mengen in der Atmosphäre vorkomme.

Zu dieser Entdeckung gelangten die genannten Forscher auf folgendem Wege. Lord Rayleigh beschäftigte sich mit der genauen Bestimmung der Dichtigkeit verschiedener Gase. Als er mit dem Stickstoff arbeitete, fand er, daß der Stickstoff, den er auf chemischem Wege aus stickstoffhaltigen Verbindungen im Laboratorium erzeugte, sich stets weniger dicht zeigte als der in der Atmosphäre verbreitete. Dies veranlaßte nun die genannten Forscher zur genaueren Untersuchung der Luft. Aus einer bestimmten abgeschlossenen Menge Luft wurden zunächst die Kohlensäure und der Sauerstoff entfernt, so daß der Rest, der zurückblieb, nach der damals feststehenden Meinung aus reinem Stickstoff bestand. Nun haben Magnesiumspäne, bis zur Rotglühhitze erwärmt, die Fähigkeit, Stickstoff zu absorbieren, es wurde darum der atmosphärische Stickstoff über solche Späne geleitet, aber siehe da, es gelang niemals, die ganze Gasmenge zur Absorption zu bringen, stets blieb als Rest ein schweres Gas zurück. Die Untersuchung desselben ergab, daß man einen bis dahin völlig unbekannten Körper vor sich habe. Die merkwürdigste seiner Eigenschaften ist aber die, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, ihn dazu zu bringen, daß er mit irgend einem anderen Körper eine chemische Verbindung eingehe; er ist nach den bisherigen Erfahrungen im chemischen Sinne ein völlig träger, energieloser Körper und erhielt darum den Namen Argon. Professor C. Olszewski in Krakau hat das Argon durch Druck und Kälte in festen Zustand übergeführt und dabei weiße Krystalle erhalten Professor Crookes in London untersuchte es spektroskopisch und kam zu dem Ergebnis, daß das Argon ein neues Element sei oder auch möglicherweise eine Verbindung zweier bis jetzt unbekannter Elemente darstelle. Ueber das Gesamtergebnis ihrer Forschung statteten die Gelehrten in der Sitzung der Royal Society zu London vom 31. Januar d. J. einen ausführlichen Bericht ab und die beigebrachten Beweise sind für das Vorhandensein eines weiteren Luftbestandteiles, der bis jetzt nicht bekannt war, sehr überzeugend.

Merkwürdig wäre es, wenn so große Mengen des „Argons“ bis auf unsere Zeit der scharfen Beobachtung der Chemiker sich hätten entziehen können. Mit Spannung aber darf man den durchaus nötigen weiteren Versuchen entgegensehen; denn es ist kaum zu denken, daß dieses so weit verbreitete Gas in dem Haushalt der Natur gar keine Bedeutung haben sollte. Hat das Argon Einfluß auf lebende Wesen, auf uns Menschen, die wir die Luft so unumgänglich als vornehmste Lebensnahrung brauchen? Welche Beziehungen besitzt es zu der atmosphärischen Elektricität, zu Licht und Wärme der Sonnenstrahlen? Das sind neue höchst interessante Fragen, deren Lösung in der nächsten Zeit den Scharfsinn der Forscher herausfordern wird. M. Hagenau.