Romantik und Industrie am Kyffhäuser der Alpen

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Autor: unbekannt
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Titel: Romantik und Industrie am Kyffhäuser der Alpen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 73, 76–79
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Der Untersberg bei Salzburg und seine Marmelmühlen
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[73]

Die Glanquelle am Untersberg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Püttner.
(S. S. 79.)

[76]
Romantik und Industrie am Kyffhäuser der Alpen.


Die Sehnsucht nach einem deutschen Kaiser, als nach dem Oberhaupte eines einigen, freien und mächtigen Deutschlands, liegt tief im Herzen des ganzen Volkes. Das beweisen die Kaisersagen, mit denen es im deutschen Norden wie im Süden thronende Bergeshäupter geweiht hat. Denn in seinem Lied und seiner Sage spricht das Volk sein innerstes Herz aus, seine Liebe, sein Leiden und Hoffen, seinen Lohn und seine Strafe. Ueber die goldne Aue Thüringens, wo die sächsischen Herzoge und Kaiser

[77]

Die Marmelmühlen an dem Untersberg.
Nach der Natur aufgenommen von R. Püttner.

[78] einst ihr Banner entfaltet ragt der Kyffhäuser auf; aber nicht ein sächsischer, wie der große Finkler oder sein ebenbürtiger Sohn, Otto, sondern ein schwäbischer Kaiser, der Hohenstaufe Friedrich Barbarossa,

– hat mit hinab genommen
Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wiederkommen
Mit ihr zu seiner Zeit.

Eine noch großartigere Halle bietet die Sage im Alpenbereiche, ihrem Kaiser: der Untersberg, zwischen Salzburg und Berchtesgaden, Reichenhall und Hallein, wölbt seinen marmornen Riesendom über seine Schlummerstätte! Und wieder ist es kein habsburgischer oder österreichischer Kaiser, den das Volk dort einst erstehen läßt, sondern Karl der Große ist es, und die Sage verbindet mit seinem Erwachen nicht die Rettung des Reichs, sondern das Ende der Welt.

Dieses düstere Sagenbild darf man nicht mit irgendwelcher politischen Klage und Trauer des Volks in Beziehung bringen; wir begreifen seinen Ursprung beim ersten Blick, den wir – namentlich von Salzburg aus – auf den Untersberg werfen. Nicht durch Vorberge und Hügel läßt derselbe sich von seinem Hochthron, wo seine Krone in den Himmel ragt, zu der in tausend Reizen prangenden Ebene des Thals herab, sondern in ewig dunkler ungeheuerer Masse richtet er steil sich auf, der Einzige rings umher von so finsterer Majestät. Wenn das Licht des hellen Tags alle Höhen um Salzburg verklärt, wenn der hohe Göll seine kühnen Formen entfaltet, wenn die fernen Tännen in unmalbaren Farben schimmern, bleibt der Untersberg grau und schattendunkel. Und selbst wenn die Strahlen der Abendsonne sich über das Thal von Salzburg hinlegen und die Blätter des Hochwalds vergolden, die riesige Schlucht am Fuße des Hochthrons hüllt sich in tiefe Schatten, wie zuvor. Soll vor diesem ewig trotzenden Ernst eine hoffnungsfrohe Sage aufblühen? Wie Barbarossa im Kyffhäuser, sitzt der Kaiser Karl der Große mit seinem langen Bart an einem Tisch; der Bart ist schon mehr als zwei Mal um den Tisch herumgewachsen. Wenn er zum dritten Mal herumgewachsen ist, so erscheint der Antichrist, auf den Walser Feldern zwischen Salzburg und dem Untersberg kommt es zum Kampf und der jüngste Tag bricht an. – Wie viel froh- und treumüthiger ist die Sage, die noch heute unter den Landleuten Böhmens und Oesterreichs leben soll: ihr Glaube, daß Kaiser Joseph nicht todt sei, sondern wieder erwachen werde, um seine Völker glücklich zu machen! Das große Herz, wie würde es bluten über das Unglück seines Reichs!

Und in den schönsten Garten dieses Reichs schaut der finstere Untersberg hernieder, wo er sein Haupt zum Thale von Salzburg neigt; er selbst aber birgt, wie ein echter Riese der Sage, zu seinen Füßen eine kleine Märchenwelt, wo die Zwerglein, die Menschenkinder, gleichsam in den Falten seines Mantels ihr Wesen treiben, wieder zur Freude der Kinder der Menschen. Und zu diesen kleinen Herrlichkeiten, die uns zu dem Lieblichsten wie dem Großartigsten des Berges selbst führen, wollen wir nun vordringen.

Wir verließen das stattliche Salzburg an einem Morgen in vollster Sommerpracht. Zum „Neuen Thore“ hinaus, an den Wänden des Ofenlochbergs hin, dann uns links wendend, gelangten wir zunächst in den Park des Schlosses Leopoldskron, einen Luxusbau jenes Erzbischofs Leopold Firmian, welcher durch die Vertreibung der Salzburger Protestanten in der Geschichte gebrandmarkt ist. Von da bis zu einem Hügel am Untersberg, auf welchem das Schlößchen Glaneck einen reizenden Rundblick bietet, erstreckt sich das sogenannter Leopoldskroner Moos, durch welches eine schnurgerade Dammstraße von anderthalb Stunden Länge führt. Die einzige Abwechselung auf dieser sehr einförmigen Obstbaumallee bieten die sie begrenzenden Häuser der Mooscolonie und Marienbads. Jeder Schritt näher an den immer höher aufragenden Wälderthron machte uns jedoch zufriedener mit unserem Gange, und von Zeit zu Zeit ein Blick in die Runde, wo jede Seite des Thals stets neue bezaubernde Bilder aufrollte, ließ uns „die lange Eins“ vergessen, deren Pünktchen, dem Schlosse Glaneck, wir immer näher kamen.

Endlich bricht die lange Linie sich an den hochstämmigen Buchen des Waldhügels, die das Schloß wie ein Kranz bis an die Mauern umrahmen. Die Sonne warf nur einzelne Lichtstrahlen durch das dichte Blätterdach auf den Moosgrund, und Duft und Kühle waren erquickend. Schloß Glaneck bietet von allen Seiten ein so anmuthiges Bild, daß es im Laufe der Jahrhunderte auch von allen Seiten begehrt wurde. Als die Stammherren von Glaneck ausstarben, erinnerte sich ein frommer Erzbischof, daß noch eine über sie verhängte Strafe unbezahlt geblieben sei, und darum that er seine milde Hand auf und nahm Schloß und Güter für das Erzbisthum in Besitz. Jetzt ist hier ein Privatmann Hausherr. Wir bereuten das Ersteigen des Schloßhügels nicht, weil seine gesammte Umgebung mit den Wegen an stillen Wiesen und den wohlgepflegten jungen schlanken Waldbäumen uns später als ein passender Vorhof erschien zu den uralten Waldhallen, zu denen wir etwa eine halbe Stunde später gelangten. Es war der hohe Gebirgswald an dem Marmorfuße des Untersbergs, der uns umschloß; Blätterrauschen und Waldbachbrausen erzeugten hier jene wunderbare Waldmusik, die bald wie ferner Gesang, bald wie Kichern und Lachen fröhlicher Mädchenstimmen lautet, und die wohlige Luft erquickte uns doppelt, durch ihre Frische und durch die Düfte der Blumen und Kräuter, die sie uns zutrug. Endlich standen wir vor der Ansiedlung der „Kugelmüller“, an welcher „Rupertus Steiner“ ein Wirthsschild angeschlagen hat. Wir stärkten uns rechtschaffen bei dem fröhlichen Mann und drangen nun mit frischen Kräften in die Schlucht ein, aus welcher die Glan als unbändiges Bergkind uns in ihrem Marmorbette entgegenbraust und der steil ansteigende Hochwald uns in das Halbdunkel seines säulenreichen Tempels aufnimmt.

Hier ist’s, wo bei einer Windung des Pfades und Bergstromes plötzlich ein Menschenwerk vor uns steht, das uns auf den ersten Blick wie Gnomenarbeit in den Falten des Riesenmantels erscheint. Mitten im stärksten Wasserschwall sehen wir ein kleines Räderwerk sich schwingen, rasch, sausend und so ergötzlich anzuschauen, wie ein harmloses Spiel kindlicher Berggeister. Man glaubt, dem ganzen Getriebe mit den Händen Einhalt thun zu können, so leicht scheint es zu gehen, und doch übt es eine Kraft aus, stark genug, um harte Marmorstückchen in Kugelform zu bringen. Das sind die Marmel- oder Schussermühlen in ihrer ursprünglichsten Gestalt. Bekanntlich sind die Schusser oder Marmeln (Marmorkugeln) mit ihrem blinkenden blauen, rothen, grauen, grünen und weißgelben Farbengemisch ein gar beliebtes universelles Spielzeug, denn es erfreuen sich dies- und jenseits des Oceans die kleinen Händchen daran, und um so überraschender ist’s, daß unter dem Schutz des finstern Geisterbergs für den heiteren Geist der Kindheit so Liebliches geschaffen wird und auf so einfache Weise. Da verschiedene dieser Mühlchen in Gang waren, so konnten wir die Thätigkeit derselben ziemlich genau beobachten. Die für bestimmte Größen vorbereiteten Marmorstückchen wurden in die kreisrunde und halbkreisförmige Vertiefung eines feststehenden Mühlsteins gelegt, der an eine starke Achse befestigt ist (bekanntlich der Bodenstein); auf ihn kommt ein beweglicher Mühlstein (hier und da auch Holzscheibe, der Läufer) mit einer der des Bodensteins genau entsprechenden Vertiefung, so daß die Marmorstückchen von derselben bedeckt werden. Nach dieser Vorrichtung übernimmt es das Gerinne, welches die Kraft des Gefälls durch die nach einem Punkte geleitete Wassermasse vermehrt, mittels des Rädchens den Läufer in Eifer zu bringen, und dies geschieht mit solchem Erfolg, daß die gehetzten Wasserstrahlen fortwährend im Kreise spritzen, der wuthknirschende Marmor erst zum holperigen, dann zum immer geläufigeren Laufen und endlich zum Kollern und Rollen gebracht wird; aber der Läufer rastet nicht, bis er die Marmorstückchen unter sich nicht nur hübsch kugelrund, sondern auch alle von gleicher Größe gedreht und gewalzt hat, erst dann begiebt er sich zur Ruhe, d. h. er steht von selbst still, wenn er nicht mehr auf den Marmorkugeln herumtanzt, sondern mit seinem Unterthanen, dem Bodenstein, zusammenstößt. Der Müller aber weiß, was das zu bedeuten hat. Er befreit den Läufer vom Rädchen oder bringt dieses aus dem Wasserstrahl des Gerinnes, hebt den Läufer, nimmt seinen Schatz von bunten Kugeln aus und legt neue Marmorstückchen an deren Stelle, und von Neuem beginnt der alte lustige Läufertanz erst mit Hindernissen, aber bald wieder mit sausendem Vergnügen. Jene concentrischen und congruenten Vertiefungen in Bodenstein und Läufer werden dadurch hervorgebracht, daß man eiserne Kugeln den Kreislauf zwischen beiden Steinen so lange machen läßt, bis der Läufer stehen bleibt. Dann ist die Vertiefung ebenso gewiß fertig, als später die Marmeln es bei demselben [79] Zeichen sind. Es kommen wohl Zeiten, wo dem Waldbach ungewöhnlich viel wilde Gebirgscameradschaft zufließt und wo er die Mühlchen, die wie moosige Nestchen zwischen das graue Felsgestein geklemmt sind, ganz überfluthet; allein das schadet diesen Dingerchen nichts, sie halten etwas aus.

Der Leser geht nun mit uns an den Mühlchen vorüber, deren es in der Glanschlucht wohl an fünfzig giebt, und den steilen Waldweg, den unsere Illustration so verlockend andeutet, hinauf. Hier brachte in der That jeder Schritt uns neues Entzücken. Der Widerhall des Liedes „Du schöner Wald!“[WS 1] kam mir nicht aus dem Herzen. Immer neue Bilder zwischen den alten Stämmen, und immer näher die geheimnißvolle Welt der Sage, denn immer schwerer wird es den Sonnenstrahlen, durch den Blätterdom, den sie von außen schmückt, so daß man die goldgrüne Pracht über sich im Waldesdunkel sieht, bis hinunter zu dringen zu Fels und Moos. Wenn aber dennoch einmal das blaue Auge des Himmels groß hereinsieht, so begrüßt es um so freudiger Jubel. Der Weg an den donnernden Wasserfällen der Glan empor ist manchmal nicht unbedenklich und Vorsicht hier nicht zu verachten. Man thut wohl daran, sich nicht im Steigen zu laut zu freuen, sondern zum Genuß und Bejauchzen der Herrlichkeiten stille zu stehen. So standen auch wir plötzlich in beschauendem Schweigen. Unweit von uns schlich eine der weißen Frauen vorüber; oder war es ein schönes Moosfräulein? Wir sahen ihren blüthenweißen, wallenden Schleier mit goldenem Saume zwischen dem dunkeln Grün dahinwehen. Unser prosaischer Führer meinte zwar, das seien Dünste des zerstäubten Wassers, auf die ein siegreich durch das Blätterdach brechender Lichtstrahl gefallen sei. Aber der Mann hatte offenbar den rechten Glauben an Naturgeister nicht.

Jetzt standen wir vor einer Grotte und sahen tief unten die Wiege der Glan, da wird das Riesenkind ewig neu geboren. Natürliche Marmorstufen führen hinab. Lassen wir die Blicke zwischen den dunkelgrünen Wänden dahin schweifen bis zu der Stelle, wo das Wasser wie ein mattschimmernder Goldstrom in oft fabelhafter Menge hervorbricht, so klingt uns immer deutlicher und volltönender Gesang und Musik in’s Ohr, oft wild unterbrochen oder vermischt mit Seufzen und Kosen, Weinen und Lachen. Und doch liegt der Spiegel der gesammelten Wasser so ruhig da vor unseren Augen. Endlich steigen wir hinab zu ihm, und erst jetzt wird uns der wilde Chor klar, denn je näher wir kommen, desto lauter donnert uns das Brausen großer unsichtbarer Wasserstürze entgegen.

Das Wasser selbst ist ein unbeschreibliches Labsal. Sogar dem verwöhnten Gaumen der geistlichen Gebieter des Landes mundete es, denn reitende Boten mußten einst täglich von diesem Quell den Trunk für die erzbischöfliche Tafel holen, und das blöde Volk glaubte deshalb der erhabenen Geistergrotte eine Ehre anzuthun, daß es sie den „Fürstenbrunn“ nannte.

Farben und Töne spielen eine gewaltige Rolle in diesen Felsen- und Waldeshallen. Wie hoch oben hell und golden die Kuppel erglänzt und tief unten am Riesenfuß finster der Marmor starrt und dunkel Strauch und Moos ihn überschleichen, so klingt das Wald- und Wassergetön hoch oben leise und klagend, oder laut jubelnd und jauchzend, während, je tiefer hinab der Pfad steigt, je mehr die Felsen sich verengen, in desto dumpferes Donnern sich die Musik der Bergromantik verwandelt. Und haben wir[WS 2] endlich den Fuß des Riesen wieder erreicht und treten aus dem Walddunkel heraus in die lichte Ebene – wie still und öde ist’s da plötzlich um uns, wie verwundert blicken wir zum waldgeschmückten Marmorkoloß zurück, der sich in seiner erhabenen und finstern Majestät nach allen Seiten unübersehbar ausdehnt! Wir staunen, wie es möglich ist, daß derselbe Berg so nahe, kaum verdeckt vom grünen Faltenmantel, so großartige und ergreifende Bilder entrollen konnte.

Die meisten Naturfreunde verbinden mit dem Besuche der Marmelmühlen und der Glanquellgrotte gleich eine Besteigung des Untersbergs. Wir übergeben den reiselustigen Leser der Führung Adolph Schaubach’s, des gediegensten Kundigen in den deutschen Alpen, und werfen mit ihm zum Abschied nur einen Blick von dem höchsten, dem Berchtesgadener Hochthron des Untersbergs in die Fernen. Denn der Untersberg scheint ihm recht absichtlich hingestellt als ein Schaugerüste jener Alpenwelt; in alle Hauptthäler dringt der Blick, in das Wimbach- und Hinterseethal wie in den Felsensaal des Königssees. Die Bergriesen stehen wie sichere Wächter in einem Halbkreise umher, während im Norden die blassen blauen und gelben Linien des Flachlandes endlos sich verlaufen und endlich mit dem Himmel da verfließen, wo jetzt Straßen, Canäle und eiserne Wege die deutschen Länder verbinden, für welche der Kanonendonner des Jahres 1866 die Raben von den Kaiserbergen vertrieben hat, und wo Völker und Fürsten ihre Boten aussenden zur Neubegründung eines großen und einigen deutschen Reichs. So wollen die Kaisersagen des Nordens und Südens zur Wahrheit werden: um den Kyffhäuser blüht ein neues Deutschland auf, und vom Untersberg fällt der Blick in die Zukunft zwar nicht auf die untergehende Welt, aber auf einen zerbröckelnden Staat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. von Johann Meyer, 1829–1904.
  2. Vorlage: wird