Ueber Liverpool nach Castle-Garden

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Titel: Ueber Liverpool nach Castle-Garden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 526–529
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eine Warnung für Auswanderer
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[526]
Ueber Liverpool nach Castle-Garden.
Eine Warnung für Auswanderer.


In den „Deutschen Blättern“ stand einmal eine Notiz, die den Titel führte: „Nicht über Liverpool“ und eine sehr berechtigte Warnung an Auswanderer enthielt. Es möchte hier nicht ganz am unrechten Platz sein, meine eigenen Erlebnisse „via Liverpool“ zu erzählen, um damit jene Notiz zu illustriren.

Wie viele deutsche Schriftsteller, hatte ich sehr wenig Geld, als ich im August 1862 nach Hamburg kam, um von da nach New-York zu gehen. Ich konnte deshalb Alsterbassin und Jungfernstieg nicht lange genießen, sondern mußte mich nach einer Fahrgelegenheit umsehen, „durch das dicke Wasser zu gehen“, wie die Indianer sagen. Unglücklicherweise waren die Hamburger Steamer fort und den Bremer Dampfer hätte ich auch nicht mehr erreicht, selbst wenn meine Reisemittel bis dort gelangt hätten. Was war zu thun? Mein Wirth antwortete mir darauf: „Wenden Sie sich an Falke und Comp. und gehen Sie via Liverpool!“ Was wußte ich, welche Schrecknisse sich mit den Worten „via Liverpool“ verbanden, was wissen noch heute die Auswanderer davon?“

Ich suchte die obenerwähnten Raubvögel aus, welche leider nicht den zoologischen Garten bevölkerten, sondern recht anständig wohnten, stellte mich als Mitglied der Presse vor und erhielt die Versicherung, daß ich prompt und in süperber Weise „via Liverpool“ expedirt werden würde. Die Ueberfahrtssumme war, um der Wahrheit die Ehre zu geben, eine so geringe, daß mir sogar noch zehn Dollars Gold – ein Vermögen für einen reisenden deutschen Journalisten – in der Tasche blieben.

Die Art und Weise unserer Versendung war indessen eine [527] tragikomische, d. h. damals eine tragische und heute, nachdem sie überstanden ist, eine komische. Wir wurden genau wie ebensoviel Stück Vieh oder Holzblöcke betrachtet, denn man stellte einen Frachtschein über so und so viel Stück Emigranten aus, übergab diesen an den Supercargo und machte diesen für die richtige Ablieferung derselben, gleichgültig ob todt oder lebendig, verantwortlich. Nachdem das geschehen, wuschen Falke und Comp. ihre Hände in Unschuld und das Geschäft blieb ein reinliches.

In Hamburg hatte man uns an Bord eines Dampfers gethan, der von England Kohlen holte, wenn ich nicht irre, und in dem zumeist leeren Kohlenraum wurden wir einquartiert. Ich entsinne mich dessen nicht mehr genau, wie viele Menschen hier auf stinkenden Matratzen zwischen den Kohlen beisammenlagen, weiß aber noch, daß neben mir ein deutscher Sänger campirte, der nach jedem Schnaps „mein ganzer Reichthum ist mein Lied“ anstimmte, und daß sich nicht weit von ihm ein junger Italiener in den Zuckungen der Seekrankheit krümmte. Es ist kein schlechter Witz von mir, wenn ich erzähle, daß mich der Arme himmelhoch bat, den Capitän zu ersuchen, ihn aussteigen zu lassen, da er gern sein Reisegeld verlieren wolle.

Wir kamen nach England, das uns selbstverständlich mit Nebel und Regen empfing. Ein Cicerone begleitete uns in das Kosthaus, wo bereits für so und so viel Stück Emigranten Quartier gemacht war, d. h. man steckte uns in eine kolossale Breterbude, von der ich vermuthe, daß sie für einen Pferdestall nicht tauglich war. Hier fütterte man uns mit ranziger Butter und einem Kaffee, dessen Analyse wahrscheinlich neunundneunzig Theile heißen Wassers und einen Theil Cacaobohnenschalensurrogat ergeben haben würde.

Was soll ich Ihnen viel von der Eisenbahnreise durch England und von den Viehwagen erzählen, in welchen wir transportirt wurden? Das war ja noch der rosigste Theil der Fahrt und bisher hätten wir noch gern zufrieden sein können. Wir kamen nach Liverpool. An der Station empfing uns ein nicht sehr appetitlicher Israelit und zählte uns ab.

„Seid Ihr Alle beisammen?“

„Ja!“ riefen einige schüchterne Stimmen.

„Dann nehmt Eure Sachen und kommt!“

Wir packten unsere Matrazzen und blechernen Eßgeschirre auf und die elende Karawane zog durch die Stadt. Ich, der ich mir in leichtsinnigen Augenblicken eingebildet hatte, vom Pegasus getragen zu werden, ging als Packesel voran. Neben mir schritt unser Geleiter, grunzend, brummend, commandirend, als führe er verbrecherische Recruten zum Stockhause.

„Wohin geht Ihr?“ fragte er mich nach einer vorhergegangenen vornehmen Räusperung.

Ich antwortete natürlich nicht.

„Wohin Ihr geht, frage ich Euch,“ wiederholte er, meine Schulter berührend.

„Das müßt Ihr besser wissen, als ich.“

„Der Teufel, das Volk ist noch grob!“ sagte der Mann zu seinem Begleiter, einem pfiffig aussehenden Neger, in englischer Sprache.

Jetzt lief mir die Galle über.

„Wenn Sie unverschämt sein wollen,“ sagte ich ihm, „dann seien Sie es wenigstens direct, damit Sie Ihre Maulschellen auch direct einstecken können.“

„Wie so, unverschämt?“

„Sie bezeichnen uns mit ‚Volk‘ und nennen uns ‚Ihr‘, geschieht das noch einmal mir gegenüber, so setzt es Ohrfeigen!“

„Ohrfeigen?! Denken Sie nich, daß Sie sind in Deutschland; hier ohrfeigt man nicht, hier ist es Sitte zu nennen die Emigranten ‚Volk‘ und ‚Ihr‘. Sind Sie aber was Besseres, wie die Andern, so können Sie haben in meinem Hause Extrazimmer und Extrakost gegen geringe Vergütung.“

Ich nahm natürlich diese Extras nicht an und wurde mit drei wildfremden Menschen in ein Dachzimmerchen gesteckt, welches zwei Betten enthielt. Betten wie diese habe ich indessen nie gesehen und wünsche ich nie mehr zu sehen. Dieselben waren nicht etwa in der Wäsche unrein, sondern die Betten selbst starrten von Wanzen, Unrath und Blut, ja man konnte deutlich sehen, daß dieselben von ekelhaften Kranken kurz vorher benutzt waren.

Glücklicherweise waren meine Stubencameraden gesunde Jungen. Die Betten sehen, sie zusammenraffen und durch das Treppenloch in die erste Etage stürzen, war eins. Nun schoß unser „Seelenmakler“ wild herauf und setzte uns zur Rede. Diese neue Frechheit empörte uns dermaßen, daß wir unwillkürlich zu den Schemelbeinen griffen, aber der eine Goldsucher, ein biederer Schwede, kam uns zuvor. Er packte den Burschen mit seiner kolossalen Rechten in die Halsbinde, hob ihn wie ein Kind in die Höhe gerade über das Treppenloch und warf ihn sans façon hinab auf die Betten. Der Fall dröhnte dumpf durch das ganze Haus, doch das Zetergeschrei des Gemaßregelten bewies, daß er sich nicht ernstlich wehe gethan hatte. Unsere Energie verhalf uns nun zwar nicht zu Betten und wir waren gezwungen, auf den bloßen Dielen zu schlafen, aber viel höflicher wurde der Mann, d. h. soweit das bei einem Klotz möglich ist.

Nichts wirkt komischer auf Jemand, der nicht darunter zu leiden hat, als die Festungsordnung und militärischen Gesetze in diesen Emigranten-Kosthäusern. Was auf den gedruckten Tabellen steht, ist im Befehlston gehalten und die Strafe im Uebertretungsfalle gleich dabei angegeben. Z. B.:

§. 1. Derjenige, welcher nicht pünktlich nach Ablauf jeder Woche seine Rechnung bezahlt, wird unter Zurückhaltung seiner Sachen hinausgewiesen.

§. 2. Eßstunden: sechs bis sieben Uhr Frühstück; zwölf bis ein Uhr Mittagsbrod; sechs bis sieben Uhr Abendessen. Wer nicht pünktlich erscheint, kann außer der Zeit nichts beanspruchen.

§. 3. Das Haus wird um zehn Uhr geschlossen; wer dann nicht daheim ist, bleibt draußen etc.

Scheußlicheres, als das Essen in diesen „Strafkneipen für Emigranten“, giebt es in der Welt nicht, und als sich Einer darüber beklagte, erwiderte der rohe Wirth: „Ich weiß nicht, was Ihr wollt, soll ich Euch vorsetzen Gänseleberpastete und Vogelnester? Daheim habt Ihr nicht zu fressen satt Kartoffeln und hier wollt Ihr sein vornehme Leut’?“ –

Endlich waren die Tage des Jammers überstanden und wir auf den Dampfer „City of Washington“ transportirt, der vielleicht fünfhundert Emigranten, darunter meist Irländer, an Bord nahm. Vierzehn Tage haben wir in dem furchtbaren schwarzen Kasten bei elender Kost in dumpfigen Räumen zugebracht, und diese vierzehn Tage habe ich mit einem dicken rothen Strich aus meinen Erinnerungen gestrichen, denn es sind die einzigen, von denen ich sagen kann, es war verlorene Lebenszeit. Man kann auf diesen englischen Emigrantenschiffen nichts sehen, als Rohheit, Bosheit, Dummheit, Schmutz; man hat hier nichts, als das bittere Gefühl, eine Canaille unter Canaillen zu sein, weil – man kein Geld hat, mit den Gentlemen der ersten Classe zu fahren.

Außerdem, warum beeilt Ihr Euch so sehr, deutsche Landsleute, das schöne, liebe, einzige Vaterland mit einer Hast zu verlassen, die Euch nicht einmal den Abgang der deutschen Dampfer erwarten läßt? Nach Amerika kommt Ihr immer noch früh genug, ja Tausende kommen viel zu früh hin, und um wieviel angenehmer ist es, unter lauter Deutschen die weite Seereise zu machen, anstatt sich von den wüsten Kindern der grünen Insel herumstoßen und „damned dutchmen“ nennen zu lassen. –

Es ist sonderbar, wie nach einer langen und unangenehmen Seereise sofort alles Leid und Elend vergessen ist, wenn man das ersehnte Land sieht, gleichviel, ob man sich von demselben viel oder wenig verspricht, ob man in Cayenne, wo der Pfeffer wächst, oder an den Küsten des gelobten Landes, wo Milch und Honig fleußt, ankert. Ob das vielleicht das nun gestillte Heimweh nach der guten Mutter Erde ist? Als ich im Hafen von New-York meine Matrazze und mein Eßgeschirr in’s Meer warf, flog aller Zorn gegen Falke und Co., gegen England und jüdischen Herbergsvater über Bord, trotzdem aber bleibt es dabei: „nie mehr über Liverpool!“

Passiren die Emigrantenschiffe Sandy-Hook, so kommen die Douane- und Sanitätsbeamten an Bord, untersuchen die Menschen so genau wie das Gepäck und geben die Erlaubniß zum Ausbarkiren, wenn keine Seuche an Bord ist. Unter Seuche ist natürlich nur die asiatische Cholera verstanden, welche in diesem Jahre wieder durch Emigrantenschiffe in New-York eingeschleppt wurde. Natürlich schrieen die reinlichen Irländer, das sei durch die unreinlichen Deutschen geschehen, es stellte sich aber glücklicherweise heraus, daß der erste Cholerakranke am Bord der „Persia“ ein schmutzstrotzender Irländer war und daß unter den grünen Insulanern die Seuche auch am meisten aufräumte.

[528] Hat der Dampfer die Erlaubniß, seine lebendige Fracht zu löschen, so legt sich ein ansehnlicher Steamer an seine Seite, der jedoch, trotz seiner Größe, neben der „Arche Noah mit dem allerlei Gethier“ wie ein hübsches, kleines Spielzeug aussieht. Die Emigranten werden jetzt darauf geschickt, wenn nicht getrieben, und er trägt seine kostbare, für Amerika unbezahlbare Last nach dem Castle-Garden. Dahin wollten wir eben. Castle-Garden liegt am südlichen Ende der Manhattan-Insel und ist ein großes, rundes Holzgebäude, halb Musenhalle und halb Viehpferch, wie man sich weniger ästhetisch als richtig ausdrücken, könnte. Der Castle-Garden ist zum Schutze der Einwanderer errichtet worden, da dieselben vor seinem Bestehen zu sehr den Beutelschneidereien der Vertrauensmänner, Taschendiebe und anderer Edler dieser Kategorie ausgesetzt waren. Ganz sind sie natürlich auch heute nicht dagegen geschützt und es soll sogar dagewesen sein, daß die Aermsten von gewissen Beamten des Castle-Gardens unverantwortlicher geprellt und bestohlen wurden, als sonst von den unbezahlten Dieben. Es gab eine Zeit, in welcher der Castle-Garden dasjenige Gebäude in New-York war, welches die meisten Menschen faßte, und deshalb hielt Barnum auch darin seine monströsen Jenny-Lind-Concerte ab, die bekanntlich von ganz ungeheuren Menschenmassen besucht waren. Ich kann nichts Genaues über die Größenverhältnisse dieser alten Bude angeben, halte das auch an diesem Orte für nebensächlich, möchte aber doch die Zahl der Personen, welche der große, amphitheatralisch gebaute Saal faßt, auf zehntausend schätzen.

Wenn ein Emigrantenschiff telegraphisch angekündigt ist, nimmt der Castle-Garden sogleich ein geschäftiges Aussehen an. Die Beamten schnallen ihre strengen Dienstgesichter vor, denn bei den „Grünen“ imponiren noch die altgewohnten Fratzen; die Polizei setzt sich in Positur; der persönliche Schutzengel der weiblichen Passagiere, Madame S…, wird noch einmal so dick vor Vergnügen, da sie es sich zur besondern, nicht bezahlten Aufgabe gemacht hat, die frischankommenden oft sehr arglosen Tauben vor den Krallen gewisser Raubvögel zu bewahren. Der ganze Castle-Garden bekommt ein officielles Aussehen und bläst sich förmlich auf vor Lust.

Das bemerken sogleich die wohlbestallten Eckensteher am Castle-Garden und bringen im Geschwindschritt die Neuigkeit an ihre Geschäftsfreunde, so da sind: Boardinghauswirthe, Gesindevermiether, Schwindler, Arbeitsgeber, Preßmeyer etc. Sofort entsteht nun eine kleine Völkerwanderung gen Castle-Garden und dieser Strom zieht wieder Neugierige und Müßiggänger an, so daß die Neuankommenden sich zu ihrem Erstaunen in das Gewühl eines Jahrmarktes versetzt glauben. Auf diesem Jahrmarkt, wo nicht selten Seelen verkauft werden, bekommen die „Grünen“ den ersten blassen Begriff davon, daß „Amerika ein großes Land“ ist. Der Menschenstrom darf indessen durchaus nicht in den Castle-Garden hineinfluthen, dagegen ist die Polizei, welche sich am Eingang postirt hat und Jeden zurückweist, der unbekannt oder sonst nicht bei der Polizei accreditirt ist. Letzteres wird man indessen leicht auf dem nicht mehr ungewöhnlichen Wege des Trinkgeldgebens.

Die Emigranten treten jetzt von der Flußseite des Castle-Gardens ein und bewegen sich in schüchternem Gänsemarsch auf die Sitze der Beamten zu. Vor diesen ist eine Vorkehrung getroffen, daß nur immer eine Person dem Pulte gegenüberstehen kann, damit kein Gedränge entsteht. Diese eine Person muß ihren Namen, ihr Alter und ihr Geschäft angeben; gewöhnlich fragt man sie auch, ob sie weiterreise oder in New-York bleibe, und bietet ihr für den ersteren Fall Billete an, die hier nach allen Weltgegenden der Union zu haben sind. Fremde thun sehr gut, sich hier solche Billets zu kaufen, denn sie sind sicher, damit in keiner Weise beschwindelt zu werden. Betrügereien mit Fahrbillets sind nämlich in New-York an der Tagesordnung und es ist vorgekommen, daß Emigranten, die nach irgend einer anderthalbtausend Meilen entfernten westlichen Stadt wollten, mit schwerem Gelde ein Billet kauften, welches auf eine Stadt gleichen Namens im Staate New-York lautete. Andere erhielten gefälschte oder ungestempelte Billets, noch andere wurden in den Preisen betrogen, und es wird deshalb von Einwanderern sehr klug gehandelt sein, die Fahrbillets, entweder im Castle-Garden mit Beihülfe eines Beamten, in einer der großen Billet-Agenturen in der Stadt, oder direct an der betreffenden Eisenbahn zu kaufen. Bei Zwischenhändlern und besonders solchen, die von ermäßigten Preisen reden, ist die Sache stets riskirt.

Sind die Emigranten eingeschrieben, so behindert sie nichts mehr in die Stadt zu gehen, und sie machen davon mit einer Art zitternder Hast Gebrauch. Unzählige Fragen der Neugierde sollen jetzt beantwortet werden und viele suchen nach einem guten Omen für die Zukunft bei dem ersten Betreten des gelobten Landes der neuen Welt. Was ihnen indessen zuerst entgegentritt, das sind die bösen Omen der Boardinghauswirthe, diese nothwendigen Uebel der Metropole. Sie strecken mit süßholzsüßer Miene ihre langen Spinnenbeine nach Dir aus, Dich in ihr schmutziges Raubnest zu ziehen, und Du kannst eben nichts Besseres thun, als Dich einem von ihnen anzuvertrauen, denn Deine Baarschaft reicht gewöhnlich nicht so weit, um in der Maison dorée, im Fifth-Avenue-Hôtel, oder im Spencer-House täglich sechs Dollars zu bezahlen. Suche also nicht lange, wähle Dir den ersten, besten aus, besonders, wenn er anständig gekleidet erscheint und ein dicker Mensch ist, denn dicke Menschen sind selten schlecht.

Indirecten Schlechtigkeiten sind die Neuankommenden fast immer ausgesetzt. Man betrügt sie, wo man weiß und kann, berechnet ihnen ihr Gold zu niedrig, nimmt ihnen zu hohe Logispreise ab, quartiert sie in schlechtere Kammern ein, als sie beanspruchen können etc. Das will indessen Alles nicht viel sagen, denn weit schlimmer ist es, in gewisse Hände zu gerathen, die mit Menschenfleisch handeln. Solche Satanswirthe giebt es hier auch. Sie wissen den Einwanderer dahin zu bringen, daß er sich nicht sogleich nach Arbeit umsieht und sein Letztes bei ihnen verzehrt. Ist das Geld einmal zu Ende, so folgen diesem bald die Effecten, und nun redet der brave Wirth seinem Gast zu, hier oder dort Beschäftigung zu nehmen, einen Contract mit dem Süden abzuschließen, oder Aehnliches; beißt der Fisch an, so streicht der Wirth ein, was er für den Seelenverkauf erhält, und der Verkaufte geräth in das Verhältniß eines Sclaven oder Hundes. Schlimmer geht es natürlich noch mit den Mädchen.

Wie eigenthümlich gemeiner Art die Schwindeleien sind, welche man sich mit den „Grünen“ erlaubt, davon möchte ich Ihnen ein kleines Beispiel mittheilen, das ich selbst erlebte:

Derselbe Schwede, welcher den Liverpooler Wirth durch das Treppenloch warf, bittet mich, mit ihm Hemden kaufen zu gehen. Wir begeben uns zu einem jüdischen Kleiderhändler in Greenwich-Street, unweit von unserem Boardinghause, und kaufen Hemden, die natürlich mit Papiergeld bezahlt wurden, weil man eben in der Kriegszeit kein anderes Geld hatte. Der Kleiderhändler nimmt die Note, betrachtet sie genau, durchsucht den sogenannten „Banknoten-Reporter“, um ihre Echtheit zu prüfen, und giebt endlich darauf heraus. Wir gehen und sind bereits wieder eine Stunde im Gasthof, als der Mann athemlos hereinstürzt und uns erklärt, die Note sei falsch und wir hätten ihn wissentlich mit derselben betrogen.

Meinen Schreck können Sie denken, denn es ist in Amerika durchaus keine Kleinigkeit beschuldigt zu werden, falsches Geld in Umlauf gesetzt zu haben. Indessen der Schwede war schon in Californien gewesen und kannte das.

„So,“ sagte er, „die Note ist also falsch?“

„Total falsch!“

„Zeigen Sie doch einmal!“

„Ich denke nicht daran, werde mich hüten die Note aus der Hand zu geben.“

„Dann sind Sie ein Schwindler!“

„Herr, ich lasse Sie arretiren!“

„Möchte wissen, mit welchem Rechte! Halten Sie mich für so verdammt grün, daß ich meine Noten nicht zeichne? Hier, meine Herren, ist mein Taschenbuch, sehen Sie nach, ob eine Note darin ist, die nicht meine Namenschiffre auf der Rückseite hat, und dann untersuchen Sie die Note, die der Schuft da hält. Außerdem habe ich Zeugen, daß der Kerl vorher eine Stunde im ‚Banknoten-Reporter‘ nachsah, ehe er das Geld nahm; ist dies falsch, so ist das jetzt seine Sache und ich will verdammt sein, wenn ich den Kerl jetzt nicht auf die Straße werfe, daß er die –hölzer bricht.“

Der Schwede erhob sich, aber der Mann der Speculation wartete ihn nicht ab, sondern entfernte sich schimpfend. Ohne die Vorsicht des Schweden wäre unsere Lage eine mißliche gewesen, denn der Spitzbube würde uns arretirt haben, wenn wir die von ihm untergeschobene falsche Banknote nicht durch eine echte eingelöst hätten.

[529] Wenn die Schwärme der Neuankommenden den Castle-Garden verlassen, kann man eigenthümliche Scenen sehen. Dieser oder jener findet zufällig einen Bekannten aus der Heimath, Andere werden von Verwandten erwartet und nun ist die Freude des Wiedersehens groß. Thränen, Küsse, ein Kreuzfeuer von Fragen, endlich ein Fortführen im Triumph. Die Meisten sind indessen nicht so glücklich; sie erwarten und finden Niemand, sie betreten vielleicht das neue Land, wie sie das alte verlassen haben, ohne Theilnahme von irgend einer Seite, aber immer mit Hoffnungen. Die Neueinwandernden können die versammelten Neugierigen nicht genauer und erstaunter betrachten, als die letzteren jene, nur sind die Gründe verschieden. Besonders werden die Mädchen begafft; sie sind eine gesuchte Waare, bei ihnen aber ist Vorsicht doppelt nothwendig. Man reißt sich förmlich um Dienstmädchen, doch sind die Stellungen derselben oft recht eigenthümliche, nicht näher zu erörternde. Am besten thun alleinstehende junge Mädchen, die eine ehrenhafte Carriere machen wollen, sich an die Frau im Castle-Garden zu wenden, welche von der Stadt, zum Behufe des Rathertheilens, engagirt ist. Männern wird es in Amerika viel schwieriger Stellungen zu finden, namentlich, wenn sie wählen wollen und lange mit dem Suchen warten. Hier muß man bekanntlich Alles angreifen, was einem unter die Finger kommt, denn Arbeit schändet hier durchaus nicht, und ich denke dadurch nicht schlechter geworden zu sein, daß ich Chorist, Cigarrenmacher, Rollenschreiber, Privatlehrer, Theatersecretär, Colporteur, Zeitungsübersetzer etc. gewesen bin.

Die Functionen der Castle-Garden-Beamten beziehen sich nicht allein auf den Schutz der Einwanderer, sondern sind auch wichtig für die Statistik, da keine polizeilichen Ausweise existiren und der Census nicht in der Art aufgenommen wird, wie bei uns. Durch sie wissen wir also, wie stark jeden Monat die Einwanderung ist und daß dieselbe von Jahr zu Jahr steigt, bis das alte Europa seine besten Kräfte an den jungen Vampyr Amerika abgegeben haben wird.



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