Das Bad der Flüchtlinge

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Autor: Fritz Rödiger
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Titel: Das Bad der Flüchtlinge
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 377, 380, 381
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das Bad der Flüchtlinge.


Mazzini. – Der italienische Agitator und seine Katze. – Mathy als Schulmeister. – Harro Harring. – Rauschenplatt, der Dictator der Republik Dipflingen. – Der Verbreiter der geheimen Wiener Protocolle. – Jetzt.


Es wird heute kaum Jemand mehr Mazzini den Ruhm vorenthalten wollen, daß er, vor Cavour und Garibaldi, die treibende Kraft für die Einheit Italiens war. Ueber die Wege „nach Rom“ konnte man sich streiten, über das Ziel selbst war keiner der genannten drei italienischen Patrioten im Unklaren, aber Jeder von ihnen ging seinen eigenen Weg. Mazzini begeisterte, agitirte, regte die Massen und die Geister auf, entzündete in einem verrotteten, gleichgültigen, verpfafften Volke die heiße Flamme der Vaterlandsliebe und des Selbstbewußtseins, predigte den heiligen Krieg für Freiheit, Einheit und Gleichheit, erstrebte und zeichnete die ehemalige Größe Italiens und schrieb auf seine Fahne: „Die Republik“.

Garibaldi, der sich selbst mit Stolz einen Schüler Mazzini’s nennt, besann sich nicht lange; von ihm, wie von keinem Zweiten, gilt der Ausspruch Tell’s:

„Ich kann nicht lange prüfen oder wählen.
Bedürft ihr meiner zu bestimmter That,
Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.“

Er schlug drein: er jagte, wie der Erzengel Michael, den „alten Adam“ aus seinem Paradies, weil er nicht in den Apfel der Erkenntniß beißen wollte, und schenkte, als unerschütterlicher Republikaner, eroberte Reiche einem armen König. Aber er stellte die Einheit des Vaterlandes über dessen gänzliche Freiheit. Er nahm das Erreichbare als sichere Abschlagszahlung der Zeit.

Cavour benutzte Beide als seine unsichtbaren und sichtbaren Arme, um Armeen aus dem Boden zu stampfen. Er spann im Stillen den Faden des kühnen Staatsmannes, der sich durch Alles knüpfend zog und Alles weise und möglich ordnete. Cavour, der Bismarck Italiens, blieb unerschütterlich bei der Zusammengehörigkeit der italienischen Stämme stehen, mit Mazzini und Garibaldi ein gemeinsames Ziel im Auge: „Front gegen Rom!“ Welcher von den drei großen Italienern aber war der größte? Sie seien uns gleich lieb. Denn sie sind und waren gleich nothwendig, gleich groß, gleich kühn!

Für Deutschland jedoch hat in diesem Augenblick der vor Kurzem in’s Grab gesunkene Mazzini das größte Interesse. Nicht weil er während des letzten Nationalkampfes entschieden und offen mit Deutschland hielt und es mit wuchtigen Worten aussprach, nicht weil er neuerdings offen und ehrlich, selbst vom Krankenlager aus, die Arbeiter seines Vaterlandes vor den täuschenden und schmeichelnden Einflüsterungen eines ungesunden Socialismus warnte, sondern weil der Italiener Mazzini in den dreißiger Jahren als Flüchtling in der Schweiz und als damaliger Chef des „jungen Europa“ einen nicht unwesentlichen Einfluß auf das nationale Erwachen Jungdeutschlands ausgeübt hat.

Mazzini lebte kurz nach dem sogenannten Savoyerzug, Ende Januar 1834, als vielverfolgter Flüchtling in der Schweiz und zwar längere Zeit in einem prächtigen Dorfe am Jura, in Grenchen, wenige Stunden oberhalb Solothurn. Grenchen, damals noch ein gewöhnliches Bauerndorf, jetzt eine kleine Metropole der Uhrenfabrikation, hatte von jeher, bei sauerem Wein, süße und warme Herzen für die Patrioten aller Völker. Dort spielte der große Agitator lange Zeit hindurch blinde Kuh mit der continentalen Reactionsdiplomatie und Polizei jener Jahre. Bald hier, bald dort ließ er sich jagen, wohl auch fangen, aber man hatte dann immer „den Lätzen verwitscht“, wie der Schweizer sagt, und ließ ihn frei.

Liberale schweizerische Staatsmänner warnten ihn natürlich immer rechtzeitig oder ließen ihn warnen. Selbst die Landjäger genirten sich die hohe Fangsumme zu verdienen; dagegen verschmähten sie nicht eine Flasche vom „Mehrbessern zu höhlen“, wenn sie den „Teufelskerl“ zu suchen kamen im alten Grenchenbad, in welchem Mazzini mehrere Jahre unter dem Namen Strozzi verborgen war oder aus und ein ging.

Das alte Grenchenbad war damals einer der lieblichsten und heitersten Erdwinkel am Jura, dazu ein vollbesuchtes „Bädli“, gehalten von der Familie Girard, die schon vor Anno dreißig fest unter der Fahne des Fortschrittes voranwandelte im Kampfe gegen die Stadtdynastien jener Zeit. Die feinere Bürgerwelt der Städte Biel und Solothurn, sowie die „Bauermadel“ der Dörfer und Höfe weit umher, pflegten sich zur Sommerzeit am Sonntagnachmittag im Grenchenbade zu versammeln. Darunter besonders die blanken „Berner Meitschi“, mit dem blüthenweißen „Mänteli“ vor’m herzhaften Brustschlagwerk, von denen nachmals Jeremias Gotthelf so viel und so schön zu erzählen wußte. Und so fand alle Sonntage ein fast unvermeidlicher Ball oder ein „Esseli“[1] oder Beides miteinander statt. Heirathen wurden da in einem Sommer mehr fertiggebracht, als jener weltberühmte Schmied zu Gretna Green in Schottland binnen zehn Jahren zusammenschmiedete. Im oberen Saal ging es dann hoch her. Unten aber im Parterre oder besser noch im Souterrain, bei einer heiseren Flöte oder einer zweifelhaften Geige, da schwenkte und stampfte die gleichberechtigte Dienstbotenwelt und das „mindere Mannli“, daß der Tanzboden krachte, im wildesten Durcheinander.

Zahme Störche spazierten durch die Menge, Aeolsharfen begrüßten sentimental den schelmischlächelnden Mond, der sich in den mannigfaltigsten Bogenschwingungen der Springbrunnen vor der Hauptfront des Hauses spiegelte, bis ein „Chaisli“ und ein „Bernerwägeli“ nach dem andern gen Biel, gen Solothurn oder gen Büren an der Aar seine oft theuer gewordenen Lasten entführte, schwankend wie der Erntewagen in Schiller’s „Glocke“.

Dann ward es stiller und stiller; unten über die stundenbreite Grenchner „Weite“ legte sich ein blüthenweißer Nebelschleier, durch welchen hier und da das Silberband der gelassen dahinziehenden Aar heraufblitzte, wie ein schöner Gedanke. Der nachtblaue Jura thürmte sich im Norden immer mächtiger und prächtiger empor und tauchte seine träumerischen Spitzen tief hinein in den lichten Aether, in dem die Sterne seit uralten Zeiten schwimmen. Der Lieblingspfau, hoch oben auf dem Firste der Scheuer, ließ seinen schrillen Nachtwächterruf weithin erschallen, das Bächlein plätscherte, wie es wohl schon vor Jahrtausenden gethan.

In solchen Augenblicken öffnete sich oft leise das kleine Hinterpförtchen [380] und heraus trat der große Agitator, klein, dünn und mager; hinter ihm seine stete Begleiterin im Grenchenbad, die niedliche Hauskatze. Sie gingen selbander und schweigend durch den Hain, durch das Thal, durch Feld und Wald, hinauf zur uralten Allerheiligencapelle, wohl auch hinüber zum freundlichen Pfarrherrn von Lengnau, schon im Canton Bern, der im Falle der Noth Mazzini und seine Freunde beherbergte und für den Fall einer ernstlichen „Suchete“ ein Versteck unter den Dielen seines Studirzimmers hatte aushöhlen lassen, um des urkatholischen Italiens wandelnden Stern tief unter die Sohlen protestantischer Gottesgelahrtheit zu versenken.

Bald kehrte Mazzini mit seiner Katze wieder heim, sie war hier sein Schatten, wo er auch weilte, selbst an der Mittagstafel saß sie neben ihm, miaute ihn zärtlich an, putzte fein säuberlich Schnäuzchen und Mantel und wurde vom Agitator selbst bedient „mit Speisen aller Arten“, wie es im Volkslied heißt. Das Thier bewachte, wenn er fort war, seine Thür wie ein Hund, und kehrte er zurück, so waren die Zeichen seiner Freude hundertfältig. Auch harrte es, tagelang im Winkel des Sophas kauernd, auf seinem Zimmer der Heimkehr des von aller Welt verfolgten Patrioten. Und – als er eines Tages nicht mehr wiederkehren wollte und immer größere Bahnen wandelte durch unruhvolle Jahre, lebte das Kätzlein nur noch kurze Zeit, der Abschied von seinem „Löwen“ hat ihm das Herz gebrochen.

So liebte und pflegte ein Mann, der fast vierzig Jahre lang die Regierungen des Continents in Athem und Jagd hielt, ein kleines unbedeutendes Thier! – Wer will nun diesem Manne, wie so oft geschehen, das Gemüth absprechen?

Eine fernere Eigenthümlichkeit des Agitators war seine beispiellose Nüchternheit. Er trank niemals geistige Getränke, dagegen täglich drei- oder viermal so starken schwarzen Kaffee, daß er, wie „Marianne“, des Badewirths Töchterlein, jetzige Frau Oberamtmann, auf’s Ernstlichste versicherte, hundert Andere „überschlagen“ (umgeworfen) hätte. Dazu umkräuselten ihn fast stetig die blauen Rauchwolken der allerstärksten Cigarren. – Er arbeitete Tage und Nächte und war trotzdem immer Morgens der Erste. Er hatte eine Agitatorennatur, unzerbrechlich und unverwüstlich wie der zähe Hickorystamm im Urwalde des freien Westens. Er warf nicht nur die Theorien der alten Staatskunst gründlich über den Haufen, sondern auch die Theorien aller Diätetiker prallten an seinem kleinen und scheinbar schwachen Körper ab; der Wein stärkte und belebte ihn nicht, der stärkste Kaffee wie das gefürchtetste Nicotin zog spurlos an ihm vorüber; die allergrößte Nüchternheit erhielt in ihm die unvergängliche Begeisterung für die Befreiung der Menschheit von den Fesseln mittelalterlicher Zustände!

Mazzini wurde endlich aus seinem stillen Thälchen, wie wir bereits angedeutet, vertrieben. Er hatte zu jener Zeit seinen Geschäftsführer Ustiglione bei sich und die Gebrüder Ruffini, zwei edle Modeneser, von denen der Ueberlebende die Schweiz noch heute alljährlich besucht und mit der Familie Girard in freundlicher Verbindung geblieben ist. Doch auch manche deutsche Verbannte jener Zeit, Männer des Hambacher Festes oder des Frankfurter Attentates, traten mit Mazzini und dem alten Grenchenbad in engere Verbindung.

Der italienische Patriot war damals, wie schon berührt, Seele und Chef des jungen Europa, das aus Jung-Italien, Jung-Deutschland, Jung-Schweiz und Jung-Polen – und nach einiger Zeit auch aus Jung-Frankreich bestand. Das Organ jener in der That oft wie das Wild gehetzten jungen Männer war „die junge Schweiz“, ein Blatt, das unter eines Franzosen (Garnier’s) Redaction in Biel erschien, bei Weingart, einem Schweizer, und Ernst Schüler, dem noch jetzt unentwegten, behäbigen und munteren Herausgeber vom schweizerischen „Handelscourier“. Mathy, später Schulmeister von Grenchen und noch später Ministerpräsident des Großherzogthums Baden, wurde Uebersetzer jenes Blattes, das in langathmigen Europaartikeln (wie in unserer Zeit die „Vereinigten Staaten Europas“, Organ der Friedens- und Freiheitsliga) ein kurzes einjähriges Leben aushauchte. Mathy war Einer der Wenigen, die mit Mazzini und Ruffini auf näherem Fuße standen. Mathy war es auch, der, überall herumgehetzt, ebenfalls im alten Grenchenbade ein gastlich Dach, ein ruhiges Asyl und im Dorfe Grenchen eine zwar magere, aber doch immerhin nährende Stelle als erster Secundarlehrer fand und einige Jahre hindurch, in einem einfachen Bauernhause, wacker darauf los schulmeisterte, während seine damalige Milchlieferantin, eine muntere Ziege, im großen Stall nebenan „einsam und allein“ meckerte, bis die Schulknaben mit Laub, Gras, Heu oder sonstigem Zugemüse des Landlebens ihr überreich das Maul stopften. Noch heute erkennt man in manchen von Mathy’s damaligen Schülern das breite, allgemein menschliche Fundament, das er seiner Bildungsweise zu Grunde gelegt und das den Geist der Kirchthurmspolitik und des „Cantönligeistes“ so wohlthuend überstrahlt, wie magisches Alpenglühen die bengalische Flamme.

Auch Harro Harring, der Polenagitator, dessen ganzen Lebensgang wir nicht kennen, dessen politische Flugschriften aber in vielen jungen Herzen zündeten, – auch Harro Harring, jedenfalls ein sehr excentrischer Kopf, besuchte Mazzini öfter im Grenchenbad, mit dem er denn auch einmal bei der Allerheiligen-Capelle, oberhalb des Bades, gefangen genommen wurde. Harro Harring wollte den Agitator durchaus zu einem bewaffneten Einfall im Schwarzwalde bereden. Mazzini, der an seinem Savoyerzug genug erlebt haben mochte, lehnte diese Donquixoterie entschieden ab. Die meisten Flüchtlinge jener Zeiten, ja sogar noch Manche von 1849 lebten in der Idee, man könne ein Volk von außen herein revolutioniren; die Nationen aber können sich nur von innen heraus zur Freiheit bilden. Man gebe ihnen tüchtige Schulen, „und Alles wird wieder gut“.

Unter den Deutschen, die damals noch mit Mazzini, „dem Eremiten des Grenchenbades“, näher bekannt waren, verdient besonders noch Einer ein freundliches Denkmal. Er starb, nach Baden zurückgekehrt, im Jahre 1849 im Wahnsinn. Es war Dr. Ernst Herrmann Rauschenplatt, der Träger eines unruhevollen, stets kampfbereiten, aber immer ehrlichen und muthigen Lebens. Er war es, der auf Mazzini’s Frage: „was er sich unter einem allgemeinen deutschen Rechte vorstelle?“ die classisch-revolutionäre Antwort gab: „das Standrecht, Herr!“ Mathy sagte von ihm: „Muthig bis zur Tollkühnheit, ohne Bedürfnisse, der kluge Odysseus von Jung-Deutschland.“

Dieser deutsche Flüchtling ist uns deshalb besonders im Gedächtniß geblieben, weil seine politischen Kreuz und Querzüge jedenfalls die humorreichsten aller deutschen Flüchtlinge in der Schweiz sind und er der einzige Flüchtling sein und bleiben dürfte, der einen neuen Schweizer Canton begründet und demselben Gesetz und Recht verliehen hat. Rauschenplatt war der Dictator der unabhängigen Republik von Dipflingen. Dipflingen ist ein kleines Dorf, das zweite aufwärts Sissach, im Homburger Thale von Baselland, über welches dermalen die Eisenbahn thurmhoch ihre Wanderbahn hinwegzieht. Dieses Dorf kam in den Baseler Wirren der dreißiger Jahre, wo sich Stadt und Land jenes herrlichen Landstriches blutig befehdeten und sich später das Land von der Stadt lostrennte, auf die Idee: es wolle weder zur Stadt noch zum Lande gehören; es wolle, laut dem vielgepriesenen Selbstbestimmungsrecht der Völker, einen eigenen unabhängigen Freistaat „für ewige Zeiten“ begründen.

Gedacht, gesagt, gethan. Am 20. Mai 1833, vor nun bald vierzig Jahren, erklärte Dipflingen den Mächten Europas, in erster Linie Basel, Baselland und einigen ehrbaren Nachbarn, seine Unabhängigkeit. Rauschenplatt aber, der, die Götter wissen wie, in jenem Thale aufgetaucht war, wurde der unsterbliche Lykurg der Lacedämonier von Dipflingen, Gesetzgeber und Volkstribun zugleich, an der Seite des einflußreichsten Wirthes jenes bescheidenen freien Reichsdorfes. Allein „der Wahn war kurz“. Getragen von neunundfünfzig Bürgern, brach bald darauf eine mächtige Gegenrevolution aus, Rauschenplatt und der heldenmüthige Gestwirth stürzten. Beide wendeten dem undankbaren Freistaate, den sie geschaffen, in stiller Resignation den Rücken. Unbehindert schlugen sie am 27. Mai desselben Jahres den Freiheitsbaum nieder, den sie gesetzt, luden ihn auf einen Wagen und fuhren so mit dem längsten Zeugen ihrer kurzen Größe unbehelligt zum Dorfe hinaus. Der Wirth leitete das Fuhrwerk, Rauschenplatt deckte mit Waidtasche und Stutzen bewaffnet den Rückzug und das Ende der Republik Dipflingen. So haben auch die ernstesten Zeiten ihre heiteren Punkte. –

Kehren wir nun zu unserm Grenchenbade und seinen länderflüchtigen Besuchern zurück. Später als Mazzini, Ruffini, Schüler, Mathy, Harro Harring, Rauschenplatt und Andere, [381] etwa Mitte der vierziger Jahre, wohnte einige Wochen, ungekannt in diesem Bade und als Curgast, der Verbreiter der geheimen Wiener Protokolle, die ihrer Zeit so enormes Aufsehen in allen Gauen Deutschlands erregten und jedenfalls Vieles zur rascheren und endlicheren „Erlösung“ des gottseligen Bundestages beitrugen.

So spielen gar manchmal auf unscheinbarer Bühne verborgene Scenen, die oft nach langen Jahren erst der Völker Herz bewegen. Denn was damals in tiefstillen Stunden in jenem einsamen Bade gedacht, besprochen und heiß ersehnt wurde und was damals so tausendfältig von Trägen und Philistern als das tollste Hirngespinnst einer unvernünftigen Demagogie dargestellt wurde, – heute steht es zum großen Theile fix und fertig vor uns.

Die damals junge Schweiz errang 1848 den Bundesstaat, das junge Italien die Einheit und Rom zur Hauptstadt, wenn auch noch nicht Mazzini’s weitsehenden Volksstaat. Das junge Deutschland erkämpfte eine nie gehegte Kraft und Macht, die allgemeine Bewaffnung des Volkes, die freie Presse, die Schwurgerichte, eine Einheit der Stämme. Deutschland that nach jenen Tagen einen Riesenschritt nach dem andern, und darum wird auch das deutsche Volk noch zu seinem vollen Rechte als Volk gelangen – denn der Fortschritt mag seine Pausen kennen, allein er kennt keine – Umkehr. – Einzig das junge Polen konnte sich nicht wieder erholen. Wo gab es aber jemals eine Freiheit ohne – Volk? Hier ließe Manches sich bemerken. Wir wollen schweigen, wie wir auch von den Erfolgen des jungen Frankreichs nichts zu sagen wissen. Auch dort wird Mutter Zeit die Wunden heilen, wird wieder Rosen blühen lassen.

Doch nicht das Schwert wird Gallien verjüngen!
Das kann die Einsicht nur, die mit der Bildung kommt. –

Jetzt dient das alte Grenchenbad einem großartigen, sehr besuchten internationalen Bildungsinstitute, vortrefflich geleitet von einem deutschen Gelehrten. Wo man sonst spazierte, badete, musicirte, tanzte, lachte, zechte, liebte, haßte, eifrig suchte und eifersüchtelte, wo man ehedem italienische, französische, polnische und deutsche Männer der Zukunft ernst und nachdenklich durch die liebliche Juranacht dahinschreiten sah, den Gedanken an das geknechtete Vaterland im freien Herzen, – da treibt sich heutzutage eine Schaar munterer Jungen herum aus aller Herren Ländern, damit sie ein deutscher Schulmeister mit Hülfe schweizerischer und französischer Genossen für’s fernere Leben zurechthoble. So blüht nun allda, in diesem gemüthlichen Winkel, ein Stückchen germanischer Cultur, gehoben durch das erfreuliche Bild eines glücklichen Freistaates, das, wenn es gleich dann und wann tiefe Schatten wirft, doch auch der schönsten Lichtseiten unendliche besitzt.

Fritz Rödiger.




  1. Damit bezeichnet man in der Schweiz im scherzhaften Sinne große und kleinere Tafeleien, bei denen natürlich nur an „gute Platten“ gedacht werden darf.