Das Lied von der Glocke (1800)
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch, Gesellen! seyd zur Hand.
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.
Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist’s ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es seyn,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein,
Schnell das Zinn herbey,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise.
Was in des Dammes tiefer Grube
Hoch auf des Thurmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird’s in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr,
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängniß bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
Weiße Blasen seh’ ich springen,
Wohl! die Massen sind im Fluß.
Laßt’s mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Muß die Mischung seyn,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.
Denn mit der Freude Feyerklange
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschooße
Die schwarzen und die heitern Loose,
Bewachen seinen goldnen Morgen –
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt ins Leben wild hinaus,
Fremd kehrt er heim in’s Vaterhaus,
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmels Höh’n,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Thränen,
Er flieht der Brüder wilden Reihn.
Und ist von ihrem Gruß beglückt;
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit,
O! daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!
Dieses Stäbchen tauch’ ich ein,
Sehn wir’s überglast erscheinen
Wird’s zum Gusse zeitig seyn.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.
Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feyer
Endigt auch den Lebens-May,
Reißt der schöne Wahn entzwey.
Die Leidenschaft flieht,
Die Liebe muß bleiben,
Die Blume verblüht,
Der Mann muß hinaus
In’s feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Muß wetten und wagen
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbey die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Haabe,
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn’ Ende
Die fleißigen Hände,
Mit ordnendem Sinn,
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.
Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Siehet der Pfosten ragende Bäume,
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Fest wie der Erde Grund
Gegen des Unglücks Macht
Steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Und das Unglück schreitet schnell.
Wohl! Nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch, bevor wir’s lassen rinnen,
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr’ das Haus.
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt’s mit feuerbraunen Wogen.
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft;
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freye Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Strömt der Regen,
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hört ihr’s wimmern hoch vom Thurm!
Roth wie Blut
Ist der Himmel.
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straße lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Thiere wimmern
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Sprützen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht,
Prasselnd in die dürre Frucht
In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reissen, in gewalt’ger Flucht,
Riesengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.
Einen Blick
Nach dem Grabe
Sendet noch der Mensch zurück –
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
Was Feuers Wuth ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Und sieh! ihm fehlt kein theures Haupt.
In die Erd’ ist’s aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird’s auch schön zu Tage kommen,
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht indem wir hoffen
Hat uns Unheil schon getroffen.
Vertrauen wir der Hände That,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rath.
Wir traurend in der Erde Schooß,
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Loos.
Von dem Dome
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schaar,
Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust –
Ach! des Hauses zarte Bande
Sind gelöst auf immerdar,
Die des Hauses Mutter war,
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr,
An verwaister Stätte schalten
Bis die Glocke sich verkühlet
Laßt die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet
Mag sich jeder gütlich thun.
Ledig aller Pflicht
Hört der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muß sich immer plagen.
Munter fördert
Fern im wilden Forst der Wandrer
Nach der lieben Heimathhütte.
Blöckend ziehen
Heim die Schaafe,
Breitgestirnte
Glatte Schaaren kommen brüllend,
Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Kornbeladen,
Bunt von Farben
Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Straße
Werden stiller,
Sammeln sich die Hausbewohner,
Und das Stadtthor
Schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen gräßlich wecket,
Denn das Auge des Gesetzes wacht.
Himmelstochter, die das Gleiche
Frey und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet,
Die herein von den Gefilden
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten
Und das theuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!
Helfen sich in munterm Bund
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz,
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehret uns der Hände Fleiß.
Holder Friede,
Süße Eintracht,
Weilet, weilet
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Thal durchtoben,
Wo der Himmel,
Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!
Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt,
Muß die Form in Stücken gehen.
Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Blind wüthend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speyt es Verderben zündend aus;
Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Völker selbst befreyn,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schooß der Städte
Das Volk, zerreissend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulend schallt,
Die Losung anstimmt zur Gewalt.
Freyheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreissen sie des Feindes Herz.
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frey.
Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Und äschert Städt’ und Länder ein.
Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern
Aus der Hülse, blank und eben,
Von dem Helm zum Kranz
Spielt’s wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.
Gesellen alle, schließt den Reihen
Daß wir die Glocke taufend weihen,
Concordia soll ihr Name seyn,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Und dies sey fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf:
Hoch überm niedern Erdenleben
Soll sie in blauem Himmelszelt
Und gränzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme seyn von oben,
Wie der Gestirne helle Schaar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sey ihr metallner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr’ im Fluge sie die Zeit,
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
So lehre sie, daß nichts bestehet,
Daß alles Irdische verhallt.
Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock’ mir aus der Gruft.
Steige, in die Himmelsluft.
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt.
Freude dieser Stadt bedeute,
Schiller.