Der Kanzelredner

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Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Der Kanzelredner
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung) S. 101–104
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Kanzelredner.


A. Sie erfüllen also Ihr Versprechen?

B. Gern, wenn ich darf.

A. Ich versichere –

B. Werden Sie böse, so werden Sie’s über sich, da Sie einen freien Menschen nöthigen.

A. Ich bitte, sagen Sie aufrichtig, was Sie an meiner Predigt vermißt haben.

B. Nur Eins, aber ein Hauptstück.

A. Doch nicht die Disposition?

B. Ich glaube, sie war nach den Regeln der Methode.

A. Die Aussprache?

B. Reden Sie, wie Gott Sie geschaffen hat und ahmen nur nicht nach.

A. Oder die Action?

B. Die ist mir gleichgültig, wenn sie nur bescheiden ist und nicht gesticuliret.

A. Meine Predigt war also zu lang?

B. Ist eine Predigt gut, so ist sie nie zu lang; eine schlechte ists immer.

A. Oder habe ich nicht gnug Sprüche angeführt?

B. Sie haben ja kein Spruchkästchen ausleeren wollen.

A. So sprach ich wohl zu langsam?

B. Ei, ein Lehrer muß lehren, nicht schwätzen.

A. Oder nicht laut genug?

B. Ich liebe die Stimme eines Menschen, nicht das Geschrei eines Esels.

A. Oder ich hätte subtiler unterscheiden sollen?

B. Sie waren ja da, Unwissende zu unterrichten, nicht mit Ketzern zu disputiren.

A. So erklären Sie sich denn selbst.

B. Hören Sie. Mich dünkt, Sie haben viel, sehr viel Gutes gesagt, das aber durch Sie – nur durchfloß, wie durch eine Röhre.

A. So?

B. Wo denn auch manches den Geruch der Röhre an sich gezogen hatte, und darnach schmeckte.

A. Kein gutes Compliment.

B. Das beste, das ich zu machen weiß. Denn wenn Sie gute, wenn Sie die heilsamsten Lehren nur herauswerfen; und nichts davon in Ihrem Leben, in Ihren Sitten ausgedrückt zeigen, so daß Sie, wie ausser sich gesetzt, anders zu reden, anders zu denken scheinen; machen Sie uns am Ende nicht glauben, Ihre heiligen Worte seyn nur gewohnte, feierliche Worte, ohne alle innere Empfindung; so wie Poeten jetzt Leichen- jetzt Hochzeitgedichte machen, um die Gebühr. Sie haben z. B. viele Stellen der Schrift in Bereitschaft, deren keine aber Sie ermahnet, Sie lehrt, oder stärkt und tröstet; da doch sonst ein einziger Trostspruch aus dem Munde Gottes einen Kranken so erquickt, daß er zutrauend und fröhlich darauf einschläft.

A. Sie setzen mir hart zu.

B. Ists nicht aber auch am Tage, daß die schlechtsten Menschen oft am besten predigen? und daß manche nichts anders können, als predigen? Ich wollte also nur Eins; daß Sie künftig nichts sagten, als was Sie durch Ihr Beispiel in der That ausdrückten, oder durch ernste Versuche in göttlichem Gehorsam bewährten.

A. Das ist hart.

B. Ungleich härter aber, sich vor Gott öffentlich in Worten und Werken zu widersprechen, und den Gottesdienst in ein leeres Wortgeplärr zu verwandeln.

A. Allerdings wahr!

B. Und eben so wahr, glauben Sie mirs, daß eine einfache, schlichte Predigt durchs Leben dargestellt und besiegelt, mehr werth ist, als tausend sinnreiche Declamationen.