Die Gartenlaube (1872)/Heft 12

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1872
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 12.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Am Altar.*


Von E. Werner, Verfasser von „Ein Held der Feder“.


(Fortsetzung.)


Es war ein Laut flehender, unaussprechlicher Angst, mit welchem Bruno’s Name an die Wände schlug, ein Ton, wie er noch niemals aus diesem Kindesmunde gekommen; aber es war zu spät, der junge Priester befand sich bereits draußen im Freien. Sie sah sich allein in der dämmernden Kirche, stärker schwankte die Ampel über dem Hochaltar, stärker wehte der Luftzug herein und wie von Geisterhand berührt löste sich einer der Todtenkränze von der Wand und fiel schwer zu Boden – Lucie schauerte zusammen. –

Eine fremde Gestalt erschien nunmehr in der Kirchenthür und in der nächsten Minute stand ein kleiner alter Mann an der Seite des jungen Mädchens.

„Wenn es dem Fräulein jetzt gefällig wäre, ich stehe zu Diensten,“ begann er höflich.

Lucie sah ihn verstört an. „Wer sind Sie?“

„Ich bin der Meßner! Hochwürden der Herr Caplan hat mir befohlen, bei dem jungen Fräulein zu bleiben und es sicher zurückzubringen nach –?“

„Nach N.!“ war die leise halb erstickte Antwort.

„Nach N.?“ wiederholte der Alte verwundert. „Dahin geht der Herr Caplan ja eben auch, da hätte er das selbst thun können! Nun, er meint vielleicht, der Weg über die wilde Klamm ist nicht für solche Füßchen, wie die Ihrigen; wir gehen natürlich die Fahrstraße.“

Lucie erwiderte nichts, mechanisch folgte sie dem Manne, in dessen Schutz sie Benedict gegeben, aber sie ging wie im Traume befangen an seiner Seite und hörte kein Wort von allem, was ihr der redselige Alte über das Gebirge und den Herbst und Winter hier oben erzählte – Er kehrte also auch nach N. zurück! –

Benedict hatte in der That den Felspfad eingeschlagen, den vor ihm auch Ottfried gegangen war. Er freilich kam auf diesem Wege schneller vorwärts, als die verwöhnten und unsicheren Füße des jungen Grafen es vermochten, schon nach wenigen Minuten lag die Wallfahrtskirche hinter ihm.

– – Die hohen Gebirgshäupter haben sich längst wieder in ihr Nebelgewand gehüllt, nur bisweilen schimmern die weißen Schneegipfel hindurch, um sich gleich darauf wieder zu verschleiern. Aus den Schluchten heben sich die Wolken empor, und ziehen hin und her, und lagern sich auf den Pfad des Wanderers, als wollten sie ihn zurückscheuchen. …

Ueber der „wilden Klamm“ zieht es sich drohend zusammen, und das düstere Sturmgewölk, das langsam am Horizonte emporsteigt, hüllt die schon dämmernde Schlucht in noch tiefere Schatten. Als wolle der ganze Himmel herabstürzen in jenen Schlund, so schwer und düster hängt es über jenen Klippen, und unten in der Tiefe kocht und zischt das Gewässer und rauscht triumphirend auf – das ersehnte Opfer ist ihm ja nun endlich geworden! Zerbrochen hängen die Trümmer des Geländers herab von der Brücke und die Wellen schäumen hinweg über ein jugendliches Haupt, das blutig, zerschmettert im Sturze, in ihrem kalten Schooße sein Grab gefunden!




Die Nachricht von dem jähen und schrecklichen Tode des jungen Grafen Rhaneck machte ungeheueres Aufsehen in der ganzen Umgegend. Der einzige Sohn! der Majoratserbe! der letzte Sproß des alten berühmten Geschlechts, auf dem die ganze Hoffnung der Familie ruhte! Was dem Hause Rhaneck nur irgendwie nahe stand, wurde mitbetroffen von dem furchtbaren Geschick, das so unerwartet die beiden Eltern heimgesucht hatte. Die Gräfin, so unbedeutend und unempfindlich für alles Tiefere sie auch sonst sein mochte, hier war sie nur Mutter, und der Verlust des einzigen Kindes raubte ihr fast die Besinnung, der Graf war unmittelbar nach Empfang der Unglücksbotschaft in’s Gebirge zurückgereist und die Verstörung, die im ganzen Schlosse herrschte, steigerte sich womöglich noch am folgenden Tage, wo er mit der Leiche seines Sohnes wieder eintraf. Selbst die Dienerschaft, obgleich sie sonst gerade nicht mit besonderer Liebe an dem jungen Herrn hing, dessen hochmüthiges, verletzendes Wesen sie so oft hatte empfinden müssen, trug mit an dem Schmerze der Herrschaft. Der jähe Tod hatte all die Fehler des Lebenden verwischt und ausgelöscht, man vernahm nur Stimmen des Entsetzens und des Mitleids.

„Ich hab’s ja gesagt!“ jammerte Florian, der alte Reitknecht. „Ich hab’s gewußt, daß es ein Unglück geben würde, schon damals, als wir im Frühjahr hierherkamen und der junge Herr den ersten Ritt in die Berge machte, bei dem der Almansor ihn abwarf. Almansor scheut sonst nie und gehorcht auf’s Wort, aber auf der Brücke stand er mit einem Male wie festgemauert und zitterte am ganzen Leibe, während der Schweiß ihm nur so niederfloß, und kein Sporn und keine Peitsche brachte ihn auch


* Das Uebersetzungsrecht ist vorbehalten.

Die Verlagshandlung.

[186] nur einen Schritt vorwärts. Solch ein Thier sieht und weiß oft mehr als Unsereiner! Er scheute immer nur vor der Schlucht drüben, als wenn er den Herrn damals gesehen hätte, so wie sie ihn heute brachten!“

„Der Gräfin wird die Geschichte noch das Leben kosten!“ meinte einer der Lakaien. „Die Aerzte und Kammerfrauen wissen nicht mehr, was sie anfangen sollen, sie fällt von einer Ohnmacht in die andere.“

Der gleichfalls schon bejahrte Kammerdiener des Grafen schüttelte ernst den Kopf! „Ich will denn doch lieber die Krämpfe und Ohnmachten der Gnädigen mit ansehen, als das Gesicht unseres Grafen, wie der Pfarrer von N., der die Nachricht brachte, aus seiner Thür trat. Und vollends heute, als er aus dem Gebirge zurückkam – Jesus Maria! Wie sah der Herr aus! Als hätte er einen Blick in die leibhaftige Hölle gethan. Ich wagte nicht, ihm nahe zu kommen.“

„Bei unserem Prälaten ist die Sache auch tiefer gegangen, als wir’s alle für möglich hielten,“ mischte sich jetzt ein Diener des Abtes ein, der seinen Herrn nach Rhaneck begleitet hatte, und nun des Befehls zur Abfahrt harrte. „Der Hochwürdigste hat sonst ein Gesicht wie aus Eisen gegossen. Man sollte meinen, es könnte sich überhaupt nichts darin rühren, und es rührte sich auch wirklich nichts, selbst als der Pfarrer Clemens zu ihm kam – er saß grade mit den übrigen Herren Paters bei Tische – und gleich beim Eintritt meldete, er brächte eine Unglücksbotschaft. Aber als es nun hieß ‚Graf Ottfried‘, da fuhr er doch vom Stuhle auf, weiß wie die Wand, und schrie dem Pfarrer zu: ‚Sie lügen! Das ist nicht möglich! Das kann nicht sein!‘ Heiliger Benedict! In meinem ganzen Leben vergesse ich den Ton nicht.“

Während die Dienerschaft so ihrer Theilnahme Luft machte, herrschte in den oberen Räumen des Schlosses eine unheimliche Stille. Die Gräfin war in ihren Gemächern, von all der äußeren Hülfe umgeben, die ihr Zustand nothwendig machte, der Graf befand sich in seinem Wohnzimmer allein mit dem Bruder, der sofort an seine Seite geeilt war.

Auch der Prälat schien von dem furchtbaren Ereigniß härter getroffen, als man es bei seinem stählernen Charakter hätte voraussetzen sollen, er raffte offenbar all seine Kraft und Energie zusammen, um eine Fassung zu erkünsteln, die er in Wirklichkeit nicht besaß, aber er hielt sich wenigstens noch aufrecht, während der Graf wie gebrochen in seinem Armsessel lag.

„Ermanne Dich, Ottfried! Du darfst Dich von dem Schlage nicht so ganz niederwerfen lassen, Du mußt Besinnung behalten!“

Rhaneck ließ die Hand sinken, mit welcher er das Gesicht verdeckte.

„Warum ließ ich mich auch überreden, ihn allein zurückzulassen! Er wollte durchaus noch bleiben, und doch widerstrebte er anfangs der ganzen Fahrt in’s Gebirge. Ich mußte schließlich befehlen und zwang ihn dazu – zwang ihn zu seinem Verderben!“

Der Prälat machte eine ungeduldige Bewegung. „Du quälst Dich mit selbstgeschaffenen Schreckbildern! Konntest Du ahnen, was bevorstand? Nur was wir wollten, fällt auf uns mit der Last seiner Verantwortung, nicht was der tückische Zufall aus unseren Plänen und Absichten macht.“

Es war eine eigenthümliche Heftigkeit in diesen Worten, fast als wolle der Sprechende damit eine Last von der eignen Seele wälzen. Der Graf sprang plötzlich auf.

„Laß mich! Den Verlust meines Kindes würde ich ertragen, aber – Du ahnst nicht, was es ist, das mich bei diesem Unglück dem Wahnsinn nahe bringt!“

Der Prälat sah ihn befremdet an, er verstand die Worte nicht, aber er begriff die Nothwendigkeit, den Bruder von solchen Gedanken abzulenken.

„Hast Du Benedict gesprochen?“ fragte er. „Wie ich höre, war er ja der Erste, der den Gestürzten entdeckte und die Bewohner von N. zur Hülfe aufrief.“

Es vergingen einige Secunden, ohne daß der Graf antwortete; endlich wandte er ihm das Antlitz wieder zu, in dem die tiefste Seelenqual zuckte.

„Ich sah ihn nur einige Minuten – er war todtenbleich, verstört, und wich mir scheu aus, wie ein Verbrecher – vergebens wartete ich in Todesangst auf einen Blick, auf ein Wort der Theilnahme aus seinem Munde, er blieb stumm und hob das Auge nicht vom Boden. Warum konnte es dem meinen nicht begegnen?“

„Du träumst!“ fiel ihm der Prälat erblassend in’s Wort. „Was konnte Benedict mit Deinem Sohne haben? Sie kannten sich ja kaum!“

„Sie haßten sich!“ sagte Rhaneck dumpf, „schon seit Monden. Schon einmal habe ich Ottfried die geladene Büchse und Bruno das Messer aus der Hand gerissen. Dort freilich brauchte es keine Waffe zwischen ihnen, Bruno ist der Stärkere – o mein Gott!“

Er hielt inne, überwältigt von der Vorstellung, auch der Bruder war bleich geworden, als habe sich plötzlich ein Abgrund vor ihm aufgethan.

„Unmöglich! Das wäre noch entsetzlicher!“

Noch entsetzlicher? Als was?“

„Nichts, nichts!“ Dem Prälaten wollte die Stimme doch nicht mehr gehorchen, wenn er auch die Züge noch beherrschte. „Ich muß Licht in die Sache bringen! Benedict trifft heute wieder im Stifte ein, ich finde ihn vermuthlich schon bei meiner Rückkehr. Mir, seinem Abte, kann er die Beichte nicht verweigern.“

Der Graf sah auf, und mitten durch all seine Gebrochenheit und all sein Entsetzen flammte wieder ein Hauch der alten Angst und Zärtlichkeit. „Schone ihn!“ bat er tonlos, „und schone mich mit der Enthüllung. Ich stehe an der Grenze meiner Kraft.“

Erschüttert legte der Prälat die Hand auf seine Schulter. „Was in dieser unglückseligen Sache jetzt noch zu tragen ist, Ottfried, das will ich Dir abnehmen, verlaß Dich darauf. Und jetzt suche Dich zu fassen und geh zur Gräfin hinüber. Was auch zwischen Euch stand und Euch einander entfremdet hat jahrelang, heute ist Dein Platz an ihrer Seite, Du darfst sie nicht so ganz allein lassen.“

Halb willenlos folgte Rhaneck, er stand auf und ging zu seiner Gemahlin, wenige Minuten darauf kehrte auch der Prälat nach Hause zurück. –

Es war Abend geworden, auch im Stifte herrschte jene Unruhe, welche ein ungewöhnliches Ereigniß hervorzurufen pflegt. Der Abt stand dem Rhaneck’schen Hause zu nahe, als daß das Unglück desselben nicht auch in seiner Umgebung Aufregung und Theilnahme hätte wachrufen sollen. Schon gestern hatte man den Pfarrer Clemens, der die Nachricht brachte, umringt und mit Fragen bestürmt, er konnte freilich nicht allzuviel berichten und war auch nach wenigen Stunden in Begleitung des Grafen wieder nach N. zurückgekehrt. Heute aber traf Benedict ein, und nun galt es seiner Verschlossenheit alle die Details zu entreißen, die er am besten geben konnte.

Aber die Herren Paters irrten sämmtlich, wenn sie von dieser Seite auf irgend eine Mittheilung hofften. Der junge Priester hatte kaum den Fuß auf die Schwelle des Klosters gesetzt, als er auch schon den Prälaten zu sprechen verlangte, der sich noch in Rhaneck befand. Vergebens war alles Drängen und Forschen, stumm und finster wich er jeder Frage aus, erklärte, in den Gemächern des Abtes auf dessen Rückkehr warten zu wollen, und zog sich, ohne irgend Jemandem Rede zu stehen, auch wirklich dahin zurück. Gleich darauf fuhr der Prälat vor, auch seine erste Frage war nach Benedict, zu dem er sich sofort begab. Seine Gnaden hatten darauf, wie der Kammerdiener erzählte, Befehl gegeben, sie unter keiner Bedingung zu stören, eigenhändig hatte er die beiden Thüren des Vorgemachs abgeschlossen, das zum Arbeitszimmer führte, und befand sich nun bereits über eine Stunde dort allein mit dem jungen Mönche.

Die von der Decke niederhängende, reichvergoldete Lampe warf ihr volles Licht auf die Beiden. Das Gesicht des Prälaten war wieder „wie aus Eisen gegossen“, aber es lag eine fahle Blässe darauf. Dennoch beherrschte er Blick und Stimme mit der alten Energie; erschüttert konnte diese eherne Natur wohl werden; sie zu brechen, dazu gehörten noch andere Schläge, als die, welche sie bis jetzt getroffen.

Ihm gegenüber stand Benedict, auch sein Antlitz war todtenbleich, aber es hatte doch jetzt wieder einen Schein von Ruhe, und die Brust athmete freier, als sei die Felsenlast, welche [187] sie bisher gedrückt, von ihr gesunken. Unbeweglich, die tiefen dunklen Augen auf seinen Abt gerichtet, wartete er auf dessen Spruch.

„Ihre Beichte ist vollständig, Pater Benedict, Sie gaben mehr, als ich verlangte! Jetzt gilt es, das Beichtgeheimniß zu wahren. Hat außer mir Niemand die Wahrheit erfahren oder eine Andeutung darüber empfangen? Auch Pfarrer Clemens nicht?“

„Niemand!“

„Sie thaten Recht, sich mir allein anzuvertrauen. Was auch geschehen ist, die Ehre des Klosters muß gewahrt werden, um jeden Preis. Sie werden auch fernerhin schweigen gegen Jeden.“

Der junge Priester wich mit dem Ausdruck des Entsetzens zurück. „Schweigen? Ich soll die Last, die ich eben von mir gewälzt, wieder aufnehmen und mit mir herumtragen mein Lebenlang? Niemals!“

„Sie werden thun, was die Nothwendigkeit gebietet!“ sagte der Prälat unbewegt. „Mein Neffe“ – hier wurde ihm doch die Stimme treulos, sie bebte hörbar und die Hand, die er auf die Lehne des Sessels stützte, zitterte krampfhaft – „mein Neffe ist nun einmal das Opfer geworden, und keine Reue und Buße hebt ihn wieder aus seinem Grabe ober giebt ihn seinen Eltern zurück. Jetzt gilt es nur noch unser Stift zu retten vor der Schande, daß die weltliche Gerechtigkeit hier eindringt und den Schuldigen aus den geweihten Mauern reißt, um ihn den Gerichten zu überantworten. Solch ein Schauspiel ist in jetziger Zeit gleichbedeutend mit unserer Vernichtung; ich werde den Orden vor diesem Schlage zu schützen wissen, sobald ich nur Ihres Schweigens gewiß bin.“

„Hochwürdigster!“ Benedict richtete sich leidenschaftlich auf, „wenn Sie es vermögen, das auf Ihr Gewissen zu nehmen, ich kann es nicht. Fordern Sie von mir, was menschlich ist, aber nicht diese ewige Lüge!“

„Ich fordere von Ihnen, was jeder Obere von einem Mönche heischen darf, unbedingten Gehorsam. Finden Sie sich mit Ihrem Gewissen ab, wie Sie können, wir haben hier höhere Rücksichten zu nehmen. Als Ihr Abt befehle ich Ihnen zu schweigen, Sie werden gehorchen, Benedict!“

„Ich werde nicht! Treiben Sie mich nicht auf’s Aeußerste, es giebt eine Grenze auch für meine Gelübde!“

Der Prälat blickte ihn finster und drohend an, aber die dunkelglühenden Augen des jungen Priesters wichen den seinigen auch nicht um eines Haares Breite; und auch auf dessen Stirn stand die Falte, die sich so tief in die seinige grub, der schreckensvolle Zug, der den Beiden eine Aehnlichkeit gab, als fließe das gleiche Blut in ihren Adern. Der stolze Abt fühlte, daß er hier einem Gleichartigen gegenüberstand, den er mit dem bloßen Gebot seines Willens niemals beugte.

„Und soll es vielleicht das Ende dieser Gelübde sein,“ fragte er, dicht an ihn herantretend, „daß Du mit Deinem unseligen Geheimniß zugleich das ganze Kloster preisgiebst und in’s Verderben reißest? Du hassest es, ich weiß es längst, und doch verdankst Du ihm Alles, was Du geworden. Es hob den Knaben empor aus dem Staube der Armuth und Niedrigkeit und machte ihn zum Herrn über seines Gleichen, es öffnete dem Jüngling die Schätze des Wissens, die ihm sonst verschlossen geblieben wären, und bot dem Manne eine geehrte sichere Heimath. Willst Du es zum Danke dafür entehren? Willst Du Deine geistige Mutter beschimpfen und sie dem Hohne ihrer Feinde preisgeben? Achte wenigstens, was Du nicht mehr lieben kannst, was allein die Kraft in Dir erzog und nährte, die Du jetzt in offener Empörung gegen uns wendest. Ich sage Dir, Knabe, Du wirst den Leu nicht erschüttern, an dem schon Stärkere als Du ihre Macht erprobten, und der durch Jahrhunderte allen Stürmen widerstanden hat, Du ladest nur den Fluch der Undankbarkeit auf Dich selber – laß Deine Hand davon!“

Benedict stand stumm mit heftig arbeitender Brust vor ihm, der Prälat hatte es verstanden, die rechte Seite zu berühren, er sah den trotzigen Widerstand erlahmen und zögerte nicht, seinen beginnenden Sieg weiter zu verfolgen.

„Mein Bruder ahnt, was geschehen ist!“ sagte er, die Stimme senkend. „In seinem und meinem Namen erkläre ich Dir, daß wir auf die Sühne für das Blut Ottfried’s verzichten. Außer uns aber hat Niemand auf der Welt ein Recht, sie zu fordern; wenn wir die That begraben wollen, so ist sie begraben für alle Zeit.“

Benedict senkte das Haupt. „Wenn auch Graf Rhaneck mein Schweigen fordert – sei es!“ entgegnete er dumpf.

Der Prälat wandte sich rasch zum Tische und legte die Hand auf das dort befindliche silberne Crucifix. „Du gelobst es mir?“

Der junge Priester trat finster zurück. „Nein! Nur keinen neuen Schwur, ich habe genug an dem einen, der mich willenlos in Eure Hände gab. Ich werde schweigen, so lange ich kann, aber sorgen Sie dafür, daß man mich nicht zum Zeugniß aufruft, denn beim ewigen Gott, geschieht es, so stehe ich für nichts mehr ein!“

„Ich werde es zu verhindern wissen! Gehen Sie jetzt, Pater Benedict, und kehren Sie morgen mit dem Frühesten nach N. zurück. Dort bleiben Sie vorläufig, bis ich weiter über Sie bestimme. Noch Eins! Wenn es Ihr Gewissen beruhigt, ich werde Ihnen die Absolution nicht verweigern.“

Ein Ausdruck tiefster Verachtung zuckte durch das Antlitz Benedict’s. „Wenn ich überhaupt noch an die Wirkung derselben glaubte – daß sie mir in dieser Stunde geboten wird, genügte, um mir den letzten Rest von Achtung davor zu nehmen. Ich bedarf ihrer nicht!“

Der Prälat kreuzte die Arme und blickte ihn fest an. „Sie glauben nicht mehr an die Lehren unserer Kirche, Sie sinnen auf Abfall! Verantworten Sie sich nicht,“ fuhr er mit vernichtender Ruhe fort, als der junge Priester ihn heftig unterbrechen wollte, „ich weiß, wohin der Weg führt, den Sie eingeschlagen haben, auch wenn Sie es selbst noch nicht wissen sollten. Aber der Streit darüber muß ruhen bis auf spätere Zeiten, das vorgestrige Ereigniß hat ihn für den Augenblick unmöglich gemacht. Wir haben jetzt allen Grund, die Blicke der Welt von unserem Kloster abzulenken, ein Strafgericht, das über eins unserer Mitglieder erginge, könnte – falsch gedeutet, könnte uns gefährlich werden.“

„Und diese Rücksicht geht Allem voran!“ ergänzte Benedict mit schwerer Betonung. „Ich habe es erfahren!“

Der Prälat fuhr auf und warf einen raschen, funkelnden Blick auf den jungen Mönch, aber die dunklen Wimpern desselben hatten sich bereits wieder gesenkt. Er verneigte sich in vorgeschriebener Weise und ohne das übliche Entlassungszeichen abzuwarten, wandte er sich um, öffnete die von innen verschlossene Thür und verschwand im anstoßenden Gemach.

Düster blickte der Prälat ihm nach. „So lange er kann! Eine treffliche Bürgschaft für sein Schweigen! Aber dem Starrkopf ließ sich nichts weiter abzwingen, ich sah es an seiner Stirn, sie trägt zu deutlich den Stempel unseres Geschlechts! Hier wäre jedes fernere Wort vergebens gewesen.“

Er begann, in tiefes Nachdenken verloren, im Zimmer auf- und abzuschreiten. „Er muß fort, fort aus der Umgegend, sobald es nur ohne Aufsehen geschehen kann und noch ehe Ottfried sich von der Betäubung des Schlages erholt, der ihn getroffen. Er wäre im Stande gewesen, den wahnsinnigsten aller Schritte zu thun, wenn ich seinen Abgott angerührt hätte; jetzt wird er es nicht mehr wagen, ihn zu verteidigen oder meinen Maßregeln Widerstand entgegenzusetzen. Ich muß mich wenigstens nach dieser Seite hin sichern, sie ist die einzige, die ich zu fürchten habe.“

Rasch entschlossen trat er zum Schreibtisch, ließ sich davor nieder und warf, die Feder ergreifend, mit festen kräftigen Zügen einige Zeilen auf’s Papier.

„Ich habe Benedict gesprochen! – Er kehrt morgen früh nach N. zurück, um von da aus, sobald es nur ohne Aufsehen möglich ist, in ein entferntes Kloster abzugehen. Du wirst Dich der Nothwendigkeit fügen und ihn bis dahin nicht wiedersehen. Der Inhalt seiner Beichte mag auch zwischen uns unerörtert bleiben – ich schone Dich, wie Du es verlangtest.“

Er faltete das Papier zusammen, machte die Aufschrift an den Grafen Rhaneck und drückte sein Siegel auf den Brief, dann zog er die Klingel und übergab ihn dem Kammerdiener. Das Alles geschah rasch, heftig, als sei er seines Entschlusses nicht sicher oder fürchte für die Ausführung desselben; erst als der Diener mit dem Schreiben das Gemach verlassen hatte, kehrte die Ruhe des Prälaten zurück. Das Antlitz hatte noch die ganze fahle Blässe von vorhin, aber auch wieder die ganze eiserne Bestimmtheit, als er an’s Fenster trat und hinüberblickte, wo im unsichern [188] Mondesschimmer Schloß Rhaneck sich undeutlich und finster aus den Tannenwipfeln hob.

„Ich kann Dir’s nicht ersparen, Ottfried!“ sagte er dumpf. „Es muß sein, und wenn Du zehnfach darunter leidest. Hier steht mehr auf dem Spiele, als ein blutendes Vaterherz!“




Noch hatte die Familiengruft der Rhaneck ihren jüngsten Sprossen nicht empfangen, und schon gewann das dunkle Gerücht, das vom Gebirge herabgekommen war und seit zwei Tagen leise und unheimlich umherschlich, Form und Gestalt. Was man dem Grafen und seiner Gemahlin noch aus Schonung verschwieg, das flüsterte die Dienerschaft des Schlosses einander bereits in die Ohren, das ward lauter in der ganzen Umgegend verhandelt und bildete das offene Tagesgespräch in E., daß Graf Ottfried nicht eines natürlichen Todes gestorben, daß er das Opfer eines Verbrechens geworden sei.

Es war freilich nur ein einziger Umstand, der diesen furchtbaren Verdacht hervorrief; aber dieser Umstand war entscheidend, er stellte mit unumstößlicher Gewißheit fest, daß im Moment des Sturzes sich ein Anderer an der Seite des jungen Grafen befunden. Der Arzt, den man noch zu einer freilich vergeblichen Hülfeleistung nach N. berief, hatte in der erstarrten, krampfhaft geschlossenen Hand des Todten ein Stück dunkles Tuch gefunden, das augenscheinlich von einem Mantel oder dergleichen abgerissen war; an dem Mantel Ottfried’s aber fehlte jenes Stück nicht, er war unversehrt, also mußte es das Gewand eines Fremden sein, das er im Falle ergriffen Und zerrissen hatte. Die Möglichkeit eines Raubanfalls war durch den Ort der That von vornherein ausgeschlossen, denn abgesehen davon, daß man unmöglich zu der Leiche gelangen konnte, brachte ein Ueberfall, vielleicht ein Ringen am Rande der Schlucht, den Angreifer in mindestens ebenso große Gefahr wie den Angegriffenen; es konnte also nur Rachsucht oder Feindschaft als Motiv angenommen werden. Aber soviel man wußte, besaß der Graf keinen Feind in der Umgegend, wenn auch sein hochfahrendes Wesen Manchen verletzt haben mochte. Es blieb nichts übrig, als sich um weitere Fingerzeige an den Vater zu wenden, was auch so schonend wie nur möglich geschah.

Seltsamer Weise nahm Graf Rhaneck die Eröffnung ganz anders auf, als man erwartete. Anstatt außer sich zu gerathen bei dem Gedanken, daß sein einziger Sohn einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei, anstatt die Beamten zu einer Thätigkeit anzuspornen, die das Einzige geben konnte, das hier noch zu erlangen war, Sühne für den Gemordeten, schien es, als wolle er vielmehr die ganze Angelegenheit begraben und zu vergessen suchen. Er wollte durchaus nicht an die Wahrscheinlichkeit jenes Verdachtes glauben, wollte den Sturz Ottfried’s nur einer Unvorsichtigkeit desselben zuschreiben und verweigerte, unter dem Vorwande körperlicher und geistiger Gebrochenheit, jede nähere Auskunft über den Umgang und die Beziehungen seines Sohnes. Sein ganzes Wesen dabei war so verstört so seltsam abweisend, daß sich den Beamten bisweilen unwillkürlich der Gedanke aufdrängte, er fürchte die Untersuchung und wolle sie um jeden Preis verhindern. Jetzt trat auch noch der Prälat in die Sache ein, ruhiger, aber entschiedener als sein Bruder, und versuchte nun seinerseits einen Druck auf die betreffenden Personen auszuüben, damit die Angelegenheit nicht weiter verfolgt und wo möglich niedergeschlagen werde. Das war höchst befremdend und unerklärlich, aber der mächtige Einfluß des Abtes begann bereits zu wirken, und er wäre auch sicher durchgedrungen, hätte die Untersuchung nicht zufällig in den Händen eines jungen Richters gelegen, der, sehr ehrgeizig und eifrig im Amte und vollkommen unabhängig, nicht geneigt war, sich hier von einem fremden Willen leiten zu lassen. Ohnehin kein allzu eifriger Katholik, witterte er hinter dieser unerklärlichen Einmischung etwas wie ein Klostergeheimniß und war fest entschlossen, in diesem Falle streng und unnachsichtlich seine Pflicht zu thun. Alles, was der junge Graf in seiner Todesstunde an und bei sich getragen, wurde einer nochmaligen genauen Untersuchung unterworfen, und da fand sich denn allerdings etwas, das auf eine Spur zu leiten schien, eine Spur freilich, die Niemand von Allen geahnt.

In der Brieftasche Ottfried’s fand sich unter anderen unbedeutenden Papieren auch ein Brief vor, der wahrscheinlich schon vor längerer Zeit in einer der Seitentaschen gesteckt und dort vergessen worden war, denn er trug ein älteres Datum. Der Schreiber dieses „Bernhard Günther auf Dobra“ unterzeichneten Briefes verbat sich darin in den härtesten Ausdrücken jede fernere Annäherung des Grafen an seine Schwester, erklärte, sein Gebiet vor künftigem Eindrängen sichern zu wollen, und drohte schließlich, wenn diese schriftliche Mahnung nichts fruchte, persönlich einzutreten. Das Schreiben war sehr ruhig, aber auch sehr rücksichtslos gehalten, der Schluß geradezu beleidigend, jedenfalls hatte es den Empfänger auf’s Höchste gereizt – da war auf einmal der lange gesuchte Grund zu einer Feindschaft, deren weiterer Verlauf sich jeder Berechnung entzog.

Die sofort angestellten Nachforschungen dienten nur dazu, den aufkeimenden Verdacht zu bestärken; sie ergaben, daß sich Günther zur Zeit der That nicht allein im Gebirge, sondern auch in unmittelbarer Nähe des verhängnißvollen Ortes befunden hatte. Kurz zuvor hatte seine Schwester eine nochmalige, wie es schien, halb erzwungene Begegnung mit dem Grafen gehabt, der Meßner hatte Beide in der Wallfahrtskirche gesehen, wo sie mit dem Pater Benedict zusammentrafen, und war dann freilich sofort nach seiner Wohnung gegangen, die er erst wieder verließ, als der Caplan ihm befahl, das junge Mädchen nach N. zurückzubringen. Dort fanden Beide Günther schon vor, aber gerade in jener Zwischenzeit mußte die That verübt sein, denn Pater Benedict entdeckte, als er die „Wilde Klamm“ passirte, bereits den Gestürzten und eilte sofort nach den nächstliegenden Gehöften, um Hülfe herbeizurufen. Freilich erschien es befremdlich, daß er tief unten in der dämmernden durch das Sturmgewölk noch mehr verfinsterten Schlucht den Körper gesehen hatte, von dessen Dasein er doch keine Ahnung haben konnte, und den die Wellen fast ganz bedeckten, auch war die Verstörung und Todtenblässe des jungen Priesters allen Denen aufgefallen, an die er sich zuerst um Hülfe wandte. Aber man wußte ja, daß er dem Rhaneck’schen Hause eng befreundet war, daß er ihm seine ganze Erziehung verdankte, wenige Stunden vorher hatte er noch den Besuch des Grafen und seines Sohnes empfangen, da war es wohl natürlich, daß der jähe Tod des letzteren ihn aufregte, überdies hob gerade ihn natürlich sein geistlicher Stand über jeden Verdacht hinaus. Als man endlich nach stundenlangem Mühen und nicht ohne Lebensgefahr von unten her in die Schlucht gedrungen war und die Leiche nach N. brachte, war Günther mit den Seinigen längst abgefahren. Nahm man nun an, daß er auf dem Hinwege, den er allein unternahm – denn der Kutscher blieb mit den Pferden im Thale zurück – statt der Fahrstraße den Fußweg einschlug, daß er in der Nähe der Brücke mit dem Grafen zusammentraf, daß der seit jenem Briefe wahrscheinlich schon öfter ausgebrochene Streit sich hier erneute und in Thätlichkeiten ausartete, bei denen der Stärkere Sieger blieb, so hatte man auf einmal die Lösung des schreckensvollen Räthsels vor sich – es war genug, um ein sofortiges Einschreiten des Gerichts zu rechtfertigen.

In Dobra ahnte man inzwischen nichts von dem Unwetter, das sich dunkler und dunkler darüber zusammenzog, obgleich auch dorthin die Gerüchte über den Tod Ottfried’s gedrungen waren. Man hatte hier freilich keinen Grund, diesen Todesfall besonders zu beklagen, aber seine Folgen äußerten sich doch in einer Weise, die Bernhard sowohl als Franziska ebenso beängstigend als unerklärlich erschien.


(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.


Nr. 33. Der Bregenzer Wald.


Einflüsse mannigfacher Art haben bisher noch den großen Fremdenstrom, der sich alljährlich im Sommer, dem Falle der Wässer entgegen, aus dem bergarmen Norden in die romantischen hochgelegenen Alpenthäler und bis zu den stillen Regionen des ewigen Schnees und Gletschereises wälzt, von einem der reizendsten Alpenländer abgelenkt, dessen Naturschönheiten den Vergleich mit den gefeiertsten Gegenden nicht zu scheuen haben.

Vielleicht wird das schon binnen Kurzem anders. Die im

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Aus dem Bregenzer Walde.
Nach der Natur aufgenommen von Albert Kretschmer.

[190] Frühjahre bevorstehende Eröffnung der von Lindau nach Bludenz führenden Bahn erschließt Vorarlberg dem allgemeinen Verkehr, und das bis jetzt kaum dem Namen nach bekannte, meist nur als ein Theil von Tirol angesehene Ländchen wird dann vielleicht nur allzu rasch aus seinem verborgenen Stillleben gerissen und überschwemmt von den vielsprachigen Fluthen, die gleich den vernichtenden und zugleich segensreichen Wogen eines ausgetretenen Gewässers alles Sonderleben, alle Eigenart unwiderstehlich überströmen und hinwegspülen, um dafür nur das fruchtbare abgesetzte Erdreich gleichförmiger Civilisation zu hinterlassen.

Aus dem bescheidenen Städtchen, das am unbestreitbar schönsten Punkte des Bodensees, auf dem Trümmerfels des alten Brigantium sich erhebt, ist dann wohl binnen wenigen Jahren ein lebhaft besuchter, rasch emporblühender Badeort geworden. Es bedarf dazu ja blos einer Laune der Mode, und sie wäre hier weniger unbegreiflich als in so manchen anderen Fällen, wo bei Weitem nicht alle Verhältnisse so günstig, alle Grundbedingungen in so reichlichem Uebermaße geboten sind, wie an der Ostbucht des schwäbischen Meeres, in der so malerisch an den bewaldeten Fuß des „Pfänders“ hingeschmiegten Landeshauptstadt Bregenz.

In einer solchen Zukunft, die sich heutzutage allerdings kaum erst ahnen läßt, wird dann eine Schaar vornehmer oder doch vornehmthuender Gäste in eleganten Toiletten die modernisirten Straßen, die Promenaden am lieblichen Seegestade und auch die aussichtreichen Höhen beleben, aber in gleichem Maße, als das Modejournal zur Herrschaft gelangt, dürften in der Menge auch jene originellen fremdartigen Erscheinungen immer mehr verschwinden, die schon jetzt, inmitten der dem Fortschritt huldigenden Stadtbevölkerung, im Ganzen nur vereinzelt und wie aus fernen Ländern oder ferner Zeit in die Gegenwart hereinverschlagen auftauchen. Es sind dies große altväterisch gekleidete Männer und durch ihre Tracht noch weit mehr auffallende schlanke, zuweilen sogar sehr hübsche Frauengestalten in spitzen Mützen, gestickten Miedern und faltigen Röcken, die vorzüglich an den Wochenmärkten zur Frühjahrs- und Herbstzeit in zahlreicheren Gruppen erscheinen und das Auge des Fremden fesseln.

Auf die neugierige Frage folgt dann die Auskunft: „Es sind Wäldler.

Die seltsame Gedankenreihe, die damit angeregt wird und die in der Regel zu den Hinterwäldlern Amerikas, zu den backwoodsmen, führt, hat aber nur geringe Berechtigung. Es sind keine Pionniere der Cultur, die in unzugänglichen Wäldern der Menschheit und den großen Ideen der Gesittung und Bildung die Pfade ebnen, sondern es ist ein allerdings wackeres und tüchtiges Volk, das aber in seiner jahrhundertelangen Abgeschiedenheit vielfach hinter den Anforderungen der Zeit zurückgeblieben und hauptsächlich der solchem Sonderleben günstigen Lage der heimathlichen Thäler die Bewahrung seiner vollen Eigenthümlichkeit fast bis auf den heutigen Tag verdankt.

Nur wenige Wegstunden von den Ufern des Bodensees entfernt liegt diese Heimath – der Bregenzer Wald.

Gleich dem Thüringer- oder dem Schwarzwald ist er ein reizendes Höhenland, das einen bedeutenden Theil von Vorarlberg bildet, dort, wo dieses mit seiner nordöstlichen Grenze an das bairische Allgäu stößt. Er umfaßt das ganze Quellgebiet der Bregenzer Ach, längs welcher die Ureltern der jetzigen Bewohner wohl schon im elften Jahrhundert vor den Raub- und Verwüstungszügen der für und wider den Papst streitenden Parteien aus den arg heimgesuchten Ortschaften des Rheinthals in die unzugänglicheren Berge hinaufflüchteten, wo sie Sicherheit und Ruhe für sich und in den anmuthigen Thälern die herrlichsten Weideplätze für ihre Herden fanden.

Lange war der Wald eine kleine Welt für sich, die nur durch schmale Saumwege mit dem Rheinthale, dem Seegestade und den bajuvarischen Nachbarn in Verbindung stand. Kaum ein halbes Jahrhundert ist es her, daß in diesen Thälern Fahrstraßen angelegt wurden. Selbst heute noch ist es nur ein sehr primitiver Poststellwagen, der den Verkehr mit Bregenz unterhält. Was aber der Reisende an Bequemlichkeit der Beförderungsart entbehrt, ersetzt ihm reichlich die entzückende Schönheit der Natur. Kaum irgendwo anders dürfte sich ein so überraschender, fast plötzlicher Uebergang von der breiten Flußebene zu einer Landschaft mit dem ausgesprochensten Charakter des Hochgebirgs finden, wie dies auf der Fahrt von Bregenz über Schwarzach und Alberschwende in den Wald der Fall ist.

Der Natur der Alpenlandschaft gemäß sind die Bewohner dieser Thäler vor Allem auf die Viehzucht angewiesen. Getreide wird fast gar keins gebaut, und dem Nutzertrage der Wiesen müssen sogar auch die Obstbäume weichen, wie denn auch der Wald immer mehr und mehr von seinen Stämmen auf dem Rücken der Ach zum See hinaussandte, bis die Bezeichnung „Wald“ fast im Widerspruche stand mit den weiten grünen Matten, die im Verhältnisse nur spärlich von immer mehr und mehr schwindenden Gehölzen unterbrochen werden. Wenn auch gerade noch kein Holzmangel eingetreten ist, so sieht man doch mit Besorgniß die gewaltigen Lichtungen, welche eine ungeregelte Speculation täglich noch vergrößert, ohne für Ersatz zu sorgen.

Jedes Hirtenvolk bewahrt etwas Nomadenhaftes. Je nach der Jahreszeit muß es für das Vieh andere Weideplätze aufsuchen. Im Hochsommer wirthschaftet auch im Bregenzer Walde der Senn allein mit seinen Gehülfen auf der hohen Alpenweide, und wohl in keinem andern Gebirgslande trifft man ansehnlichere, sogar ganz aus Stein und zwei Stockwerke hoch gebaute Sennhäuser wie im Bregenzer Walde; aber zweimal im Jahre, im Frühling und Herbst, ehe die Herden aufgetrieben oder wieder in den warmen Stall zurückgebracht werden, ist es, als werde die halbe Thalbewohnerschaft vom Wandertriebe erfaßt. Nur wer unbedingt daran verhindert ist, bleibt zu Hause; alles Andere, Alt und Jung, zieht auf die niedriger gelegenen Weiden und verbringt dort einige Wochen. Diese sogenannten Vor- oder Maiensäße bilden gewissermaßen wieder kleine Dörfer aus einfachen, nahe beisammen liegenden Blockhütten, in denen die Bewohner bei schlechtem Wetter eng eingepfercht liegen. Diese eigenthümliche Sitte hat leider auch für den Bildungsgang bedauerliche Folgen. Die Kinder sind dadurch am Schulbesuche verhindert, und der so für den Sommer überflüssig gewordene Lehrer, der noch bis vor Kurzem keine fixe Besoldung hatte, war dann gezwungen, sich als Maurer oder Waldarbeiter zu verdingen, um sich über die üble Zeit, so gut es anging, hinwegzuhelfen.

Die Ortschaften selbst sind nicht, wie in so manchen anderen Gebirgsländern, in einzelnen Höfen über weite Räume verstreut, sondern liegen geschlossen und in einer gewissen Regelmäßigkeit gebaut eng beisammen um die Kirche oder doch nahe derselben. Mit Ausnahme einzelner weniger sind die Häuser alle aus Holz und so ziemlich nach übereinstimmendem Modelle errichtet. Es sind niedrige, mit einem laubenartigen Vorbau versehene Blockhäuser, deren flaches Dach gegen die Gewalt der Stürme mit Steinen beschwert ist. Tiefes Dunkelbraun oder ein bräunliches Grau ist ihre Farbe, und selbst die wenigen steinernen Gebäude bringen keine Dissonanz in den warmen Ton, da sie durchgehends an den Außenwänden geschindelt sind. So ärmlich aber das Häuschen, so klein das Fenster sein mag, bei keinem fehlt der blüthenweiße Vorhang, und fast überall findet sich eine Reihe wohlgepflegter Blumen. An Gelassen ist freilich kein Ueberfluß. Die große Wohnstube mit ihrem unverrückbaren Tisch in der Herrgottecke muß nicht selten auch zugleich als Küche dienen, wozu der große Ofen ganz praktisch eingerichtet ist; aber Reinlichkeit und Licht fehlt nirgends, scheinen doch die Wände mitunter nur aus einer einzigen Reihe von Fenstern zu bestehen.

Das Licht ist aber auch unbedingt nöthig in den langen Wintern, weniger für die Holzschnitzerei der Männer, als vielmehr für die feine augenanstrengende Arbeit der Frauen. Nebst der Viehzucht, dem Handel in Milchproducten und Holz hat der Bregenzer Wald noch einen Haupterwerbszweig: die Weißstickerei. Obwohl durch die große Concurrenz der Maschinen auch dieser Erwerbszweig in letzter Zeit stark gelitten hat, verbringen die Wäldlerinnen doch fast ihr ganzes Leben am Stickrahmen, so daß sonst alle andere, selbst häusliche Beschäftigung zumeist dem Manne überlassen bleibt, was den Frauen für ihren leider nur kärglich gelohnten Fleiß noch obendrein den Vorwurf einbringt, als liebten sie es, sich bedienen zu lassen. Ein Spottwort sagt sogar: „Je tiefer in der Au, desto größer die Frau.“ Mit dem „tiefer in der Au“ ist auch das Vordringen gegen die Ach und ihre Zuflüsse gemeint, an denen sich zahlreiche Ortschaften befinden, deren Namen, wie Lingenau, Bezau, Schnepfau, Schoppenau, mit Au zusammengesetzt sind und so noch die Erinnerung an den alten Jagdboden wachhalten.

[191] Wie die Beschäftigung auf Gewohnheit und Kleidung Einfluß übt, wird hier recht klar; denn nur das Stillsitzen bei der emsigen Tambourirnadel konnte eine so wenig bequeme und zur derbern Arbeit gänzlich ungeeignete Kleidung aufkommen lassen und conserviren, wie sie die Wäldlerinnen tragen, und andererseits hätte jede andere Beschäftigung ihr auch die sorgsame Zierlichkeit rauben müssen.

Die „Juppe“, ein enger, hundertfach glatt gefältelter Rock aus schwarzer Glanzleinwand, fällt über einen grünwollenen rothgezackten Unterrock und wird besonders bei schlechtem Wetter über demselben gerafft, so daß die blauen Strümpfe und offenen Schuhe sichtbar werden. Von der viereckig ausgeschnittenen „Gestalt“ straff herablaufend, um die Taille mit einem glänzenden Lederriemen geschlossen, umfängt sie den Leib so eng, daß sie fast die Entwicklung der Brust verhindert und bei älteren Frauen auch immer den Eindruck von Verbildungen hervorruft. Ein kostbar mit Gold und Seide gestickter sammtner „Goller“ und buntfarbige Aermel vervollständigen den Anzug. Die Aermel sind das einzige Kleidungsstück, an dem sich der eigene Geschmack zeigen kann und das zum Luxusartikel wird. Sie werden von Seide, Moiré und geblümtem Sammet getragen. Im Hinterwalde sind sie sogar ein Unterscheidungszeichen der jungen Mädchen von den Erwachsenen, die stolz darauf sind, wenn sie die bunten weiten ablegen und am ersten Ostertag mit den neuen engen schwarzleinenen zur Kirche gehen und damit zeigen dürfen, daß sie die Kinderschuhe ausgetreten haben und nicht mehr zu den „Biggeln“ gehören. So heißen nämlich die halb erwachsenen Mädchen ebensowohl wie die jungen Hühner. Eine besondere Galanterie des ländlichen Anbeters besteht denn auch in der zarten Anspielung, vor dem Hause des Aermelmädchens, das andern Tags mit dem knappen „Schalk“ zum ersten Male ausgestattet werden soll, Abends zuvor zerbrochene Eierschalen zu streuen.

Die Frauen des Waldes, arm und reich, halten fest an der gemeinsamen Tracht, zu der noch außer dem Hause eine spitze birnförmige Mütze aus dunkelblauer Wolle, im Sommer statt derselben wohl auch ein großer schwarzer Männerstrohhut kommt, und die bei Regen und im Winter ein Kragenmantel aus schwarzem Tuche vervollständigt. Und Mädchen wie Frauen thun recht daran, die alte Tracht unverändert beizubehalten, sie sehen sehr hübsch darin aus. Die zarten, nichts weniger als bäurisch vierschrötigen Gestalten, die wohlgebildeten, oft wunderhübschen, feingeschnittenen und sanft angehauchten Gesichtchen, das in einfacher Flechte das Köpfchen krönende Blondhaar, wie die von keinem Sonnenstrahl gebräunten, von keiner Arbeit geschwellten weißen Händchen geben den Erscheinungen etwas Aristokratisches, das durch die befremdende Kleidung nur gehoben wird. Selbst die reichsten, die Frauen der sogenannten Honoratioren, machen keine Ausnahme, und es giebt sogar Wäldlerinnen, die, außerhalb der Heimath verheirathet, ihrer Tracht dennoch treu geblieben sind. Mag man die zierlichen „Schmelgen“ – so heißen nämlich die erwachsenen Jungfrauen – am Stickrahmen oder selbst am Clavier, in ihrer häuslichen Beschäftigung oder an großen Festtagen und bei Brautzügen mit ihrem goldenen Krönlein, dem sogenannten „Schäppele“ sehen, immer gewähren sie ein anmuthiges Bild. Der Künstler hat in seiner hier beigegebenen Zeichnung das Charakteristische der Erscheinung in der hübschen Mädchengruppe nebst allem getreuen Klein- und Beiwerk vortrefflich wiedergegeben. Und eben so nahe und scharf betrachtet ist die Alte mit ihrem Rosenkranz an der Hüfte und ihrem naiven Erstaunen über das Schöne und Merkwürdige, „was es heutzutage alles giebt!“

Die Tracht der Männer hat schon eher ihre Eigenthümlichkeit verloren, und hauptsächlich nur mehr im Hinterwalde und bei den älteren Leuten findet sich noch die kurze Jacke, die Kniehose und der Strumpf. Nicht so leicht aber verwischt sich die Eigenthümlichkeit in Gebrauch und Gewohnheiten, und die unveränderte Frauentracht ist sehr bezeichnend für den hier bei aller scheinbaren Unterordnung mächtigen Einfluß der conservativen weiblichen Natur. Muß hier auch noch die Frau wie bei den uncivilisirten Völkern den Eheherrn beim Mahle bedienen, so wahrt sie sich dafür auch das Bestimmungsrecht über Einführung von Neuerungen und bleibt als Stütze streng-religiöser Anschauungen zumeist auch die Vermittlerin kirchlicher Einwirkung auf das Privat- und öffentliche Leben in der Gemeinde.

Jahrhunderte hindurch lebte dieses Hirtenvölkchen in friedlicher Abgeschlossenheit, den Sitten der Väter, deren Gewandung und Sprache getreu, und bis heute pflegt es seine Ueberlieferungen und macht der neuen Zeit nur allmählich und widerwillig einzelne Zugeständnisse. Was von außen eindrang, war nicht immer das Bessere, und es ist den Einwohnern des Waldes kaum zu verdenken, wenn sie jetzt noch mißtrauisch auf das Neueindringende blicken, das ja ihren Gewohnheiten und Anschauungen so geradeswegs zuwider läuft und, wie man ihnen einzuprägen nicht unterläßt – „zur sündhaften Verweltlichung führt“.

Wenn übrigens auch seit dem Ende des elften Jahrhunderts die katholische Kirche fast unumschränkt in diesen Thälern geherrscht hat, so blieb der Einfluß der Kirche, entgegengesetzt den heutigen Verhältnissen, trotzdem nur ein rein geistlicher. Eine Einmengung in die Gemeindeanlegenheiten oder gar in das politische Gebiet von Seite der Seelsorger wurde ehemals immer kurzweg abgelehnt, wie es die Wäldler überhaupt verstanden, sich bis in die neueste Zeit eine Art Selbstregierung zu erhalten.

Wie stark der Widerwille gegen alle Veränderung ist, geht auch daraus hervor, daß die mitunter nur des Lebensunterhalts wegen in die Welt hinausgezogenen Wäldler in der Heimath Verachtung trifft, die ihnen auch, wenn sie heimkehren, zum mindesten als Scheu entgegentritt. „Fremdler“ werden sie mit einem starken Beigeschmack von Hohn genannt, und doch sind es gerade diese Fremdler, unter denen der Bregenzer Wald seine berühmtesten Namen zählt. Unter ihnen sind Architekten, wie Christian Tum; Maler, wie die aus Schwarzenberg stammende Angelika Kaufmann, von der noch ein schönes Altarbild in dem genannten Orte zu sehen; Geschichtsforscher, wie Jost Metzler und die noch lebenden Jodek Stülz und Ritter v. Bergmann, der Letztere (kaiserlicher Rath und langjähriger Custos der Ambraser Sammlung) insonderheit verdient um sein engeres Vaterland; Soldaten, wie die kaiserlichen Generale Konrad Willburger, dann Andreas, Anton Ferdinand und Andreas Leopold v. Feuerstein, die, aus einer sehr geachteten Familie des Waldes stammend, für ihre Verdienste in den Grafenstand erhoben wurden. Schwarzenberg ist übrigens auch Kleber’s Stammort, dessen Eltern von da in’s Elsaß auswanderten, wie dies viele arme Familien gethan.

Wenn der Namen nicht noch mehr sind, ist vielleicht nur jene langjährige Weltabgeschiedenheit – „Weltunbewußtheit“ – schuld, um deren Zurückführung sich so mancher eifrig besorgte Hirte mit allen Mitteln bemüht. Die Anlagen, die in diesem Volke verborgen liegen, verrathen sich am allerauffallendsten in solchen Erscheinungen, in welchen – ich erinnere nur an den Dichter Michael Felder – der reichhaltige Erzgang gleichsam in gediegenem Golde schlackenfrei zu Tage tritt. Mannhaftes Wesen, Mäßigkeit, geweckter Sinn, frischer Lebensmuth sind überhaupt Eigenschaften dieses Volkes, wie des ganzen alemannischen Stammes, und es gesellt sich ihnen noch überdies eine nicht unbeträchtliche Beigabe von Schlauheit. Haben ja sogar die Weiber des Waldes, wie jene klugen Weiber von Weinsberg und ihre muthigen Schwestern von Schorndorf, kühne Entschlossenheit und Thatkraft gezeigt. Wer jetzt die feinen Gestalten, über den Stickrahmen gebeugt, zierliche Blumen auf den weißen Vorhangmusselin hinzaubern sieht, oder sie im Winter am Spinnrocken belauscht, wenn sie sich zur gemüthlichen „Stubet“ versammeln, um da fröhlich zu erzählen, zu lachen und zu „schwätzen“ oder sich an den Schwänken und Einfällen der „Gasselbuben“ zu ergötzen, der hält es kaum für möglich, daß ihre Urmütter wiederholt zu den Waffen gegriffen. Die letzte Zusammenkunft fand zur Zeit der bayrischen Besitzergreifung statt, die rühmlichste gegen das Ende des dreißigjährigen Krieges. Es wurden dazumal Schweden auch in den Vorderwald nach Lingenau verlegt, da aber ein großer Theil derselben auf Plünderung und Ungebühr ausging, thaten sich die mannhaften Weiber zusammen, stellten sich den Vordringenden entgegen und erschlugen sie bis auf den letzten Mann. So geschah’s am Fallenbach inner Großdorf.

Doch unbesorgt! den friedlichen Eindringlingen, die am Touristenstabe einhergewandert kommen, droht heutzutage kein solcher wenig ermunternder Empfang mehr. Die Sommerfrischen und Bäder im Walde werden sogar von Jahr zu Jahr mehr besucht, und es soll dies den Wäldlern gar nicht so unerwünscht sein. Hoffentlich haben sie ihre Abneigung gegen das Fremde und Neue weit früher besiegt, als sie daran denken, ihre kleidsame Tracht [192] abzulegen und sie in den Schränken des Landesmuseums zu Bregenz neben den andern verblichenen Zeugen der Vergangenheit aufzubewahren. Gegen die Gewalt der herrschenden Ideen vermag auch der hartnäckigste Widerstand nichts. Das Alter wird mit seinem Vorurtheil, wenn auch nur allmählich, endlich doch weichen. Immerhin ist es einer thatkräftigen jüngern Generation schon gelungen, dort Fortschrittsideen Eingang zu verschaffen, wo das materielle Interesse in’s Spiel kommt und so augenfällige Erfolge erzielt werden, wie dies z. B. bei der neubegründeten Käsegenossenschaft der Fall ist. Ja, trotz des zähen Widerstandes, der dem Projecte noch vielfältig entgegengesetzt wird, hat es alle Wahrscheinlichkeit, daß der Ausbau einer im Thale der Ach schon abgesteckten Bahnlinie schließlich doch zu Stande kommt.

Möge es ihr gelingen, die widerstrebenden Gemüther mit der neuen Zeit und ihren Anforderungen zu versöhnen, ohne daß dabei die wahrhaften Segnungen der alten verloren gehen. – Selbst die charakteristische Patina – den edlen Erzrost, den die Zeit auch um die werthvollsten Gebilde vergangener Jahrhunderte legt – möchten wir nicht missen.

Robert Byr.




Der Fiaker-Schrecken.

Altwienerisches Lebensbild von Em. Straube.


Sie hatten leicht väterlich regieren, jene Machthaber im Vormärz; denn dem braven Wiener, welcher sich bei billigen „Backhändeln“ und „süffigem Vierer“ (Wein zu vierundzwanzig Kreuzer) das Leben so wenig als möglich sauer werden ließ, leuchtete zuhöchst voran der knappe Weisheitsspruch: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, und der Engel mit dem Flammenschwerte von 1848 hatte noch nicht an die Pforten des Paradieses der politischen Unschuld gepocht. Gemüthsduselei von oben bis unten: der Kaiser hieß Vater Franz; die „böhmische Hofcanzlei“ war eben zu einer „vereinigten“ gesänftigt worden, und der Regierungspräsident, Baron Reichmann, war ein so lieber alter Herr, daß er jeden reputirlichen Schustermeister, welcher bei ihm Audienz nahm, zu sich auf’s Sopha zog. „Kreuzfidel“ hieß das allgemeine Losungswort; kurz, Alles war darnach angethan, um Menzel’n Recht zu geben, dessen Reisewerk aus jener Zeit mit den Worten begann: „Von einer schweren Krankheit genesen, hatte der Arzt mir das Denken verboten; ich beschloß also eine Reise nach Oesterreich zu unternehmen.“ Fast schien es, als ob sogar die löbliche Polizei über der allgemeinen Gemüthlichkeits-Assecuranz aus Rand und Band gerathen wäre; denn es fielen ein Paar der allerschönsten Mordthaten vor, ohne daß eine Spur der Herrn Thäter entdeckt worden wäre. In dieser Beziehung ist die Aeußerung des Kaisers Franz bekannt: „Wenn mich Einer im Rausch einen alten E… nennt, so meldet mir’s der Sedlnitzky sicher am nächsten Morgen; wenn aber meine Unterthanen abgekragelt werden wie die Tauben, so bringt die liebe Polizei niemals was heraus.“

So arg war’s nun freilich nicht; aber gewiß ist, daß das Publicum sich gewaltig „das Maul zerriß“ und die Bonmots über polizeiliche Ungeschicklichkeit kein Ende nahmen; höchstens ließ man noch den Commissar v. Felsenthal gelten, dessen Aufzeichnungen allerdings von einem Interesse waren, wie man es nur in englischen Romanen zu finden gewohnt ist, und über die doch wohl einmal ein tüchtiger literarischer Schatzgräber kommen wird, um sie nach Gebühr zu verwerthen.

v. Felsenthal war jedoch keineswegs der einzige tüchtige Polizist, sogar unter dem niederen Personale gab es einzelne typenhafte Gestalten, und wir wollen beispielsweise nur die populäre Figur des Herrn Pfanner erwähnen, genannt „der Fiaker-Schrecken“, dessen sich von den älteren Bewohnern Wiens noch Manche erinnern dürften.

Obwohl seinem dienstlichen Range nach blos Canzlist, hatte Herr Pfanner, welchem eine massige Erscheinung von militärischem Schritte zu Statten kam, doch eine selbstständige Geschäftszutheilung erhalten, indem man ihm das „Lohnfuhrwerks-Departement“ zuwies und ihn kurzweg als den „Herrn Fiaker-Commissär“ bezeichnete.

Der Wiener Fiaker, einst eine Specialität in seiner Art, ist schon seit Langem nicht mehr jener originelle Typus, gemischt aus übermüthiger Lebenslust, Schalkheit, Bonhomie und beißendem, vorlautem Spott, wie einst; Concurrenz und der allgemeine Druck der Zeiten haben ihm den Brodkorb höher gehängt und die gute Laune ein bischen stark verleidet. Die Zeit, von welcher wir sprechen, war ungefähr seine Glanzperiode, reichlich mit Krakehl gewürzt, und es gehörte m der That ein Mann, welcher Haare auf den Zähnen hatte, ein Stück bärbeißiger Isegrim dazu, um mit jenem verflixten Rossebändiger-„Völkl“ auszukommen, das, wie man in Wien sagt, „dem Teufel aus der Butter gesprungen zu sein schien“.

Herr Pfanner nun war der Mann dazu und an Energie ließ er wahrlich nichts zu wünschen übrig. Es schien, als hätte er sich den berühmten d’Argenson zum Muster genommen; denn es hieß von ihm wie von dem Erstgenannten, daß er jeden in sein Bureau tretenden Fiaker mit ein paar „Strixen“ seines spanischen Rohres empfing und hinterdrein meinte: „Hat er die Prügel heute nicht verdient, so wird er sie sicher nächstens anderswo in’s Verdienen bringen; verschwendet ist dabei nichts.“

Man begreift, daß in Folge davon Herr Pfanner von den Angehörigen seines Departements gewaltig gefürchtet wurde und daß ihm nach und nach der Beiname „Fiakerschrecken“ aufgebracht ward. Unter diesem Namen kannte ihn ganz Wien, besonders aus seiner Function zur Zeit der Praterfahrten, wo er am sogenannten „Stern“, hoch zu Roß und mit einem Cavalleriesäbel umgürtet, mitten im Gewühl der Equipagen, Lohn- und Zeiselwagen die Ordnung so gut als möglich zu handhaben suchte und sein vielbeschäftigtes spanisches Rohr als handgreiflich einschreitendes Scepter hoch über den Wogen zu schweben schien. Hierbei kam ihm der Umstand sehr zu Gute, daß er fast jedes Privatgefährt in Wien kannte und bei Einhaltung der Wagenreihe oder beim Einlenken in die Fahralleen unmerklich gewisse Begünstigungen eintreten lassen konnte, die nicht leicht nachzuweisen waren und ihm in den betreffenden Kreisen hoch angerechnet wurden. Wie gesagt, Herr Pfanner war ein rechtes Stück Altwien und sein Name auf allen Lippen.

Endlich sollte auch mir die Ehre seiner Bekanntschaft zu Theil werden; doch die Gelegenheit dazu war nichts weniger als eine angenehme.

Ich hatte dazumal eben eine interessante amtliche Arbeit überkommen, die mir als dringend anempfohlen worden war und um deren willen ich sogar an einem wunderschönen Sommersonntage die Vormittagsstunden dem Bureaudienste gewidmet hatte. Endlich nach Hause gehend, traf ich unterwegs einen Collegen, der sich mir anschloß und mit welchem ich plaudernd heimwärts schlenderte.

Wir wohnten Beide außerhalb des Burgthores und mußten also den sogenannten Kohlmarkt passiren, eine beliebte und belebte Straße, welche auf den Michaelerplatz ausmündet, jenseits von welchem schon das Burggebiet beginnt und wohin auch die „Herrngasse“ ausläuft, fast ganz besetzt von herrschaftlichen Palästen der crême de la crême.

Eben schritt ich mit meinem Gefährten an dem berühmten Aufenthaltsorte der damaligen Feinschmecker, dem Handlungshause „Zu den drei Laufern“, vorüber. Hei, da wieherte es mit einem Male über mir, ein heftiger Schlag prellte an meine rechte Ferse, ein Ruck schleuderte mich vorwärts und eine Minute später fand ich meine Gedanken wieder, an eine Mauer des Michaelerplatzes geklammert und von einer Menge zusammengelaufener Menschen umringt, welche theilnahmsvoll nach meinem Befinden fragten. Ich aber sah für’s Erste Niemanden als meinen Collegen, welcher mich noch an der Hand hielt und unter zornigen Gesticulationen nach rückwärts redete.

„Erlauben Sie mir, Herr v. Pfanner,“ lautete das Erste, was ich verstand, „da gerade vor uns ist das Verbot des Schnellfahrens angeschlagen; da stehen Sie und der Aufsichtsposten, [193] und wenn ich nicht glücklicherweise seitwärts schaue und einen jähen Sprung mache, in welchem ich Gottlob meinen Collegen mitreiße, so sind wir jetzt vielleicht Beide von den aristokratischen Bestien verstampft und verstümmelt. Das ist doch himmelschreiend, Sünde und Schande! Mir ist, Gott sei Dank, nichts geschehen; doch wer weiß, wie es mit meinem armen Freunde steht!“

Dies war nun das Losungswort, auf welches hin die allgemeine Aufmerksamkeit sich mir zuwendete und ich in die Frage des Momentes hinzugezogen wurde.

„Wer sind die Herren?“ fragte eine laute, etwas rauhe Stimme, und ein Gesicht mit dazu gehörigem Manne neigte sich über mich, daß mir nach Allem, was ich gehört, kein Zweifel blieb, es sei der „Fiaker-Schrecken“ in eigener Person, in dessen Obhut ich gefallen war. „Wer sind die Herren, wenn ich bitten darf?“

Die Auskunft, welche wir Herrn Pfanner ertheilten, schien ihn über die Maßen zu befriedigen, denn er nickte beifällig und sagte weiter: „Es war der Wagen der Fürstin Clary. Ich habe mir’s wohl notirt, und wenn die Herren morgen sich in mein Bureau bemühen wollen, um ein kleines Protokoll aufzunehmen, so hoffe ich einmal ein Exempel statuiren zu können, das diesen hoppedaschigen Cavalier-Kutschern aus dem Traume hilft, als wäre für sie gar kein Gesetz da. Ich empfehle mich den Herren bestens!“

Damit wandte uns der Herr Fiaker-Commissär den Rücken und seine Aufmerksamkeit wieder jener gefährlichen Passage zu, welche eben für mich so verhängnißvoll geworden war.

„Ich werde einen Wagen nehmen und Sie nach Hause begleiten,“ sagte mein treuer Gefährte. „Ich besorge, daß die verfluchte Bestie, welche Ihnen ihren Huf aufsetzte, Ihnen ernstlichen Schaden verursacht hat.“

Bei dieser Erinnerung, welche mir allgemach zur Orientirung über das Geschehene verhalf, raffte ich mich nunmehr empor, stellte mich mit einiger Anstrengung stramm zurecht und versuchte, einen Schritt zu machen.

Holla, das stach arg in die Ferse; ich biß die Lippen über einander – vorwärts – abermals ein derber Stich – ich hinkte, aber ich ging.

„Am ersten Mai würden Sie im Prater nicht mitlaufen können,“ scherzte mein Freund; „doch ich sehe wenigstens, daß ‚am Werkl‘ nichts gebrochen zu sein scheint, und freue mich herzlich. Reichen Sie mir den Arm, vielleicht bringen wir’s bis zum nächsten Fiakerplatz beim Burgtheater!“

Die Gehaltsstufe, in welcher ich damals stand, ließ mir bei dem Gedanken an die Kosten eines Fiakers ein gelindes Gruseln über den Rücken laufen; ich knirschte fleißig, wenn auch ein bischen schmerzlich, in die Zähne, storchelte mit Anstrengung weiter, und siehe da – als unser Herrgott den Schaden beschaute, hatten wir längst den Fiakerstandplatz, das Burgthor und den Kreisraum vor demselben hinter uns und schritten immer fort, bis ich endlich die Selbstquälerrolle weiter nicht mehr durchzuführen vermochte und auf ein Glacis-Bänkchen niederfiel.

„Uff!“ seufzte ich und sank recht leidenswehig in mich zusammen. Doch schon zu lange habe ich mich mit dem kleinen Mißgeschick beschäftigt, das mich betroffen hatte; ich will daher nur noch berichten, daß ich länger als drei Monate in erbärmlicher Weise einher hinkte, und daß dieser Sommer für mich ein völlig verlorener war.

Nicht wenige bittere Gänge hatte ich mittlerweile in das „Lohnwagenamt“ und zu dem Fiakercommissar, Herrn Pfanner, machen müssen, welcher einen derartigen Apparat von Vernehmungen, Protokollen und ähnlichem bureaukratischen Rüstzeug aufhäufte, daß ich und mein Retter-College, der ebenso viele Zeugenaussagen bestehen mußte, auf das Innigste überzeugt waren, über dem Kutscher der Fürstin Clary schwebe zum Mindesten ein Stück Richtbeil, und das gesammte Stallpersonal der Herrngasse werde in einen heilsamen Schrecken gejagt werden, der wenigstens ein halbes Jahrhundert nachwirken müßte.

„In Gottes Namen“ – seufzte ich; „übrigens würde ich dieses Verdienst von Herzen gerne jedem Andern überlassen haben!“

Als wir zum letzten Male von Herrn Pfanner gingen, drückte er uns seelenvergnügt die Hand und wies auf ein Acten-Bändchen, das er eben mit einem starken Bindfaden zusammenknüpfte, und sagte:

„Diesmal, hoff’ ich, dürfte diesen böhmakischen Krautjunkern doch die Höll’ ein Bißl heiß gemacht werden! Es war ohnehin fast nicht mehr zum Ertragen!“

Damit schieden wir: Herr Pfanner offenbar groß im Selbstbewußtsein einer nachhaltigen gemeinnützigen That – ich in meinem Gott vergnügt, daß ich zum Werkzeuge der Vorsehung gewürdigt worden war, um eine Bevölkerung von Hunderttausenden von der Zuchtruthe feudaler Mißbräuche eines rücksichtslosen Kutschir-Privilegiums über Knochen und Köpfe spießbürgerlicher Spaziergänger zu befreien, die das Glück nicht einmal zu schätzen wußten, von hochgräflichen oder gar hochfürstlichen Pferden verstümmelt worden zu sein. Dank Herrn Pfanner und mir war nun hiermit ein für alle Male tabula rasa gemacht worden!

Besondere Eile jedoch – das mußte man sagen – hatte die hohe Polizei mit ihren Verfügungen keineswegs: es verging Woche um Woche, ohne daß irgend eine bezügliche Maßnahme in die Oeffentlichkeit gedrungen oder von der mir persönlich zugesicherten Satisfaction das Mindeste zum Durchbruch gekommen wäre. Da saß ich eben eines Mittags mit meiner Frau bei Tisch, als die Magd eintrat und mir meldete, daß ein fremder, geringer Mann mich zu sprechen verlange.

Ich wollte soeben selber nachsehen, da drängte der Gemeldete, ohne erst lange auf Auskunft zu warten, selber zur Thür herein und ich erblickte ein Individuum vor mir, von gedrungener Gestalt mit etwas kalmückischen Gesichtszügen, frechem Grinsen in den Zügen, gekleidet in einen langen dunkelblauen Ueberrock mit blanken Metallknöpfen, einen bordirten Hut zwischen den Händen drehend und, wie mir schien, einigermaßen verlegen über die Art seiner Ansprache.

Schon wollte ich der unliebsamen Pause durch eine Frage aufhelfen; doch da hatte inzwischen der Fremde das Wort gefunden und begann in einem Tone, welcher zwischen Galle und Hohn das Mittel hielt:

„Schickt mich Bulizei – bin ich Kutsche Wenzel von Fürstin Clary-Durchlaucht, wo Ihnen hat Ferd auf Pfersich stoßen. Hat Kumissär mir geben zwei Tag Arrest, sagte aber Frau Durchlaucht gnädige der Bulizei, wann sperrt er mir einzige Viertelstund ein – ich bin entlassen und sie verlangen wird von Zedlernitzky-Excellenz so brave Kutsche wie ich! – Da kratzte Bulizei Kupp seinige“ – von da an begleitete mein würdiger Rosselenker seinen Bericht mit fortwährendem Kichern – „und schickt mich her, daß Sie sullen’s mir verzeihen – dann ich werde bleiben ohne Straff’ – Hi, hi!“

Ich mag’s nicht leugnen: ich stand völlig fassungslos dieser Enthüllung gegenüber und unsere heimischen Rechtszustände machten schier, daß es mir vor den Augen flimmerte. Aber ich faßte mich schnell, öffnete die Thür und wies dem Bengel energisch die Treppe, indem ich die Worte herausstieß: „Fort und sagt Eurer Fürstin, daß von ihr nichts Anderes zu erwarten war; denn ihr Ahnherr, Aldringer, war ja bekanntlich ein Schneidergesell und ’s ist natürlich, daß sie sich benimmt wie eine – Schneiderseele! – Marsch!“

Donnernd schmetterte ich die Thür hinter dem Stallkerle zu; als ich jedoch meine Frau in ein helles Gelächter ausbrechen sah, da war meine üble Laune wie weggeblasen und die ganze Nichtswürdigkeit dieses polizeilichen Fiascos ließ schließlich kaum mehr einen Stachel in meiner Erinnerung zurück.

„Jedenfalls müssen wir’s in die Zeitung setzen,“ raisonnirte mein College, als ich ihm Tags darauf den Ausgang unserer großartigen Reform-Erwartungen mittheilte – „Wien soll wissen, wie es mit seinem Schutz durch die Behörden daran ist!“

„Vergessen Sie die Censur nicht,“ warf ich ein, „wir würden nur in ein Wespennest stoßen und doch Nichts erzwecken.“

„Und dieser Pfanner“ – knirschte mein Freund – „ihm soll dieser Steinadler in keinem Falle geschenkt sein! Er kommt mir schon einmal wieder zwischen die Fänge!“

„Was werden Sie davon haben? Er wird die Achsel zucken und Ihnen sagen: Ihr seid selber Beamte und solltet doch die Ohnmacht der untergeordneten Organe kennen. Ich bin ein Schrecken für arme, wehrlose Lohnfuhrknechte; dem aristokratischen [194] Lumpengesindel bin ich nicht einmal eine nothdürftige Respectsperson!“

Und so ging’s und geht’s vielseitig noch heut zu Tage und ich würde die Episode mit dem Wiener „Fiaker-Schrecken“ längst vergessen haben, wenn nicht noch von Zeit zu Zeit, – zumal bei schlechtem Wetter, sich in der Ferse meines rechten Fußes so ein Stück Barometer fühlbar machte, der mich an jene ferne Episode gar unlieblich mahnt.[1]



Die springenden Heiligen von Echternach.


Unweit der alten Kurfürstenstadt Trier in dem kleinen luxemburgischen Städtchen Echternach, welches der einst reichen und mächtigen Benedictiner-Abtei gleichen Namens angehörte, strömen alljährlich am dritten Pfingstfeiertage Tausende von Fremden zusammen, angelockt von der Procession der springenden Heiligen, jener aus den finsteren Tagen des Mittelalters herüberragenden kirchlichen Feier. Selbstverständlich sind es nicht Heilige, welche sich sowohl zur Ehre Gottes und ihres Selbst, wie auch zum großen pecuniären Vortheil der Bewohner Echternachs an diesem Umzuge betheiligen, sondern meist arme, sündige, in geistiger Finsterniß lebende Menschenkinder, die nach dem Städtchen an der Sauer pilgern, um ein Gelübde zu erfüllen, eine Sünde abzubüßen, für einen theuren Kranken Heilung zu erstehen, oder sich in den Strudel der lockenden Vergnügungen zu stürzen. So groß übrigens die Zahl der Pilger, größer noch ist die der Neugierigen; – und es wogt und drängt sich schon am frühen Morgen in den engen Straßen und auf den Plätzen, daß man glauben könnte, ein weiterer Zuwachs der Menge sei unmöglich. Aber noch treffen beständig gefüllte Carossen, vollgepfropfte Post- und Leiterwagen und unabsehbare Züge von Fußwanderern ein.

Dort über die Sauerbrücke zieht feierlich eine lange Pilgerschaar; ihr voran leuchtet das Kreuz und eine riesige, wohl dreihundert Pfund schwere Wachskerze, die in der auf hohem Felsen erbauten Kirche geopfert werden soll. Singend und betend wandern hier die Wallfahrer zum Markte; hinter ihnen schwankt, von vier Männern getragen, ein einfacher Sarg, bestimmt, das selten fehlende Opfer der Springprocession aufzunehmen, damit es zur ewigen Ruhe auf heimischem Friedhofe gebettet werden könne. Einstweilen indeß hat der Todtenschrein eine minder tragische Bestimmung: noch dient er zur Speisekammer und birgt große Laibe braunen Brodes, Würste, Käse und ganz besonders jene bei Wallfahrten niemals fehlenden großen Waffeln, welche, alt geworden, durch Zähigkeit und Unverdaulichkeit eher an die Sohle eines Schuhes, als an irgend ein Backwerk erinnern.

Musikanten, meist schäbige Gesellen, winden sich mit ihren Instrumenten durch die Menge, oder lagern vor den Wein- und Branntweinständen, ihre Kehlen für die kommenden Anstrengungen zu stärken. Mit dem Rufe: „Wollt Ihr mich dange (dingen) für ze sprange?!“ drängen halbwüchsige Bursche sich an die Fremden heran, seelenvergnügt, wenn ein übermüthiger Tourist oder ein frommer, doch allzuträger Pilger ihnen einige Sous opfert, damit sie an seiner Statt die Mühe des Springens auf sich nehmen.

Gegen die neunte Morgenstunde löst sich das Gedränge, und unter dem feierlichen Geläute der Glocken ordnen die frommen Pilger sich zum Zuge. Langsam, einer ungeheuren dunklen Schlange gleich, wogt es heran, die ganze Breite der Straße einnehmend. Aber da blitzt kein goldenes Kreuz im Sonnenglanz, keine farbenglühenden Fahnen rauschen in der klaren Luft, kein Gebet, kein Chorgesang ist zu hören, keine blumengeschmückte Statue, kein Gewimmel weißgekleideter Kinder zu sehen – hier fehlt jeder Pomp. Voraus wird ein schlichtes Kreuz von Chorknaben getragen; ihm folgen zwei Musikanten mit quiekender Clarinette und kreischender Fiedel – und endlos dahinter die Menschenfluth.

Nach dem Tacte der Melodie:

Adam hatt’ sieben Söhn’,
Sieben Söhn’ hatt’ Adam etc.

zwei Schritte vor-, einen Schritt zurückspringend, rücken die Pilger nur langsam, in festgeschlossenen Reihen vor; die Frauen und Mädchen haben sich zum Theil untereinander an den Händen gefaßt, die in leichte blaue Blousen gekleideten Männer meist an zusammengedrehten Tüchern, während Andere jeden Halt verschmähen. Rothglühend vor übermäßiger Anstrengung, oder todtenbleich vor Erschöpfung tauchen die Menschenköpfe auf und nieder, bis die Töne von Clarinette und Geige in der Ferne verhallen und die Sprünge der Gläubigen zum Tanzschritt und endlich zum langsamen Gehen werden.

Da dröhnt plötzlich eine Trommel;

„Sieben Söhn’ hatt’ Adam,“

schmettert die Posaune und hochauf schwillt die Menschenwoge; je näher der Musik, je eifriger das Springen. Langsam und bedächtig schreitet der Geistliche im einfachen Chorrock durch die keuchende Schaar, bald zu größerer Anstrengung auffordernd, bald einen kleinen Burschen fortscheuchend, der in tollem Muthwillen mitten in die Reihen einzudringen sucht.

So wogen Tausende vorüber, die Trägen in langsamem Schritt, die Fanatischen in wilden Sprüngen, dazu angefeuert von allen nur denkbaren Musikinstrumenten, welche je zwei und zwei in der ungeheuren Menge vertheilt sind. Eine drückende Atmosphäre, angefüllt mit den Ausdünstungen der Springenden und der thrangetränkten Schuhe derselben, liegt über den Straßen und glühendheiß brennt die im Zenith stehende Sonne herab. Vor den Häusern haben die mitleidigen Einwohner große Kübel mit Wasser, Limonade, Bier, Wein und allen möglichen Getränken aufgepflanzt, die Halbverschmachteten zu erquicken. Im Fluge wird der Becher mit kühlendem Naß an die dürstenden Lippen gesetzt – und fort geht es, so lange die Sehnen den Dienst nicht versagen. Fast scheint die steigende Hitze den Eifer zu mehren. Immer mehr bleiche Gesichter tauchen auf. Dort schnellt sich ein junger Mann hoch über den in Schweiß gebadeten Menschenstrom empor; todtenblaß, das Auge starr und blutunterlaufen, weit auf den Mund, – so eilt er dahin mit flatterndem Haar und entblößter Brust, kaum seiner Sinne noch mächtig. Ein peinlicher Anblick! noch übertroffen durch jenes Weib, welches mit wogendem Busen und dunkelgeröthetem Angesicht in rasendem Wirbel sich unaufhaltsam dreht. Da – ein Schrei, der gellend die Klänge des Waldhorns übertönt, ein plötzliches Ausweichen der Menge, ein dumpfer Schlag, ein lebloser Körper wird eilig in dem nächsten Hause geborgen, – und unbekümmert zieht die Pilgerschaar vorüber.

Schon dehnen sich die Abendschatten an den rothen Bergen empor, als die letzten Wallfahrer an den Stufen anlangen, welche hinauf zur Kirche führen. Gänzlich erschöpft, vermag nur eine verschwindend kleine Zahl derselben jene hohe Felsentreppe hinauf- und herunterspringend zu ersteigen, und kaum sind die Musikanten noch im Stande, ihren Instrumenten die nöthigen Töne zu entlocken. Droben im Gotteshause stehen die Pforten weit geöffnet, die Orgel tönt, die zahllosen dargebrachten Kerzen flammen und die dichtgeschaarte Menge liegt auf den Knieen, den Segen der [195] Priester zu empfangen. Vor dem blumengeschmückten Altar häuft sich in großen Körben das Opfergeld; Kupfer-, Silber- und Goldmünzen füllen dieselben bis zum Rande, und frohlockend überblickt der Pfarrgeistliche die blitzenden Spenden der Gläubigen.

Wie das Abendroth durch die Kirchenfenster blickt, tönt gellendes Jauchzen und dumpfe Tanzmusik vom dampfenden Thale herauf. Hier oben ist es still geworden; Chorknaben löschen eilig die Lichter der nur an hohen Festtagen brennenden Kerzen, deren Verkauf jedes Jahr die Einnahme des Priesters um viele hundert, oft tausend Thaler vermehrt. Ja, reichen Gewinn bringt dieser Pilgerzug der Kirche und dem Städtchen, einen Gewinn, den ein Jahrtausend mit allen seinen Umwälzungen kaum zu schmälern vermochte.

Schon im achten Jahrhundert wallten lange Pilgerschaaren aus Frankreich, dem innern Deutschland und der Eifel in der Pfingstwoche nach Echternach zu dem Grabe Wilibrod’s, in der über der Gruft des Heiligen erbauten Abteikirche reiche Weihgeschenke darzubringen. Größer noch wurde der Zulauf, als Papst Innocenz der Vierte um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts allen Denen einen Ablaß von vierzig Tagen verhieß, welche an Wilibrod’s Grabe beteten. Aus aller Herren Länder strömten die Wallfahrer nach Echternach, um die Tage in Gebet, die Nächte oft in wildem Jubel zu verbringen.

Indeß der Jubel verstummte bald in deutschen Landen; Jammer und Todesröcheln trat an seine Stelle. Die Pest zog über die Fluren und verwandelte sie in Leichenfelder. Das entsetzte Volk schrie auf zu Gott, damit er die Zuchtruthe abwende – vergebens! Die Plage ward nicht von ihm genommen; es betete und wallfahrtete – und doch starben Tausende und aber Tausende dahin. In seinem ohnmächtigen Grimm beschuldigte es die Juden, Brunnen und Quellen vergiftet zu haben, ersäufte, verbrannte, marterte und mordete die Wehrlosen umsonst! das unschuldig vergossene Blut vermochte den schrecklichen Würgengel nicht zu verscheuchen. Im Pilgerkleide die Ansteckung von Ort zu Ort tragend, wanderten die Verzweifelten betend und Bußgesänge singend durch das Land. Ein einfacher Pilgerzug genügte indeß nicht mehr, ihre Zerknirschung an den Tag zu legen; sie sprangen und tanzten und schlugen Brust und Rücken blutig. So, berichtet die Limburger Chronik, entstanden die Geißler oder Flagellanten:

„St. Viets Dänzer erhuben sich umb den Sommer des Jahres 1374, ein wonderlig Ding in Teutschen Landen, ahn dem Rhein, dem Moselstrom und in der Jegendt, also daß die Leuth anhuben zu dantzen uff eine Wallstadt woll einen halben Tag langk. Im Dantzen fielen sey auch woll nieder uff die Erde, ließen sich mit Füßen uff ihre Leiber tretten; davon namen sey an, daß sey genesen weren. Sey lieffen von einer Stadt zu der andern, saßen vor die Kirchen und huben Geldt uff. Es wardt des Tings so vill, daß zu Köln mehr denn 500 Teutsche waren, die dantzeten, und es war Deusterey, oder Ketzerey und geschah um des Geldes Willen.“

Man sieht hieraus, daß auch die lieblichen Ufer der Mosel nicht verschont blieben von der entsetzlichen Krankheit und den wilden Auswüchsen des Fanatismus. Indeß die klugen Benedictiner Echternachs verstanden es, die hochgehenden Wogen religiöser Schwärmerei zu dämmen und sie nach ihrem Willen und zu ihrem Vortheil zu leiten. Sie beriefen die Gläubigen nach ihrer Abtei und ließen dort von ihnen den Zug David’s darstellen, wie er aus allen Kräften vor der Bundeslade tanzt. So ward dem sich in leidenschaftlichen Bewegungen äußernden Zeitgeist Rechnung getragen und der übliche Pfingstumzug der Pilger in eine Procession mit Hin- und Herspringen umgewandelt.

Vier Jahrhunderte lang hatte der Umzug in seiner neuen Gestalt der ohnehin reich begüterten Abtei – deren jährliche Einkünfte sich auf achtzigtausend Brabanter Gulden beliefen – bedeutende Summen eingebracht. Als aber die Mönche aus armen Knechten des Herrn in Ueppigkeit versunkene Schwelger wurden, da sank mit der strengen Klosterzucht auch jene Procession zu einem Deckmantel der Völlerei und der Unzucht herab, so daß der Kurfürst Clemens Wenceslaus von Trier Musik und Springen und überhaupt „alle unschicklichen Gebräuche, die der Würde des Cultus zuwider“, verbot. Hörte nun auch Tanz und Musik auf, so doch nicht Streit, Trunkenheit, Tumult und „alle die andern Uebel“, und Kaiser Joseph der Zweite sah sich genöthigt, den Umzug gänzlich zu untersagen. Sein Verbot ward jedoch nicht beachtet, und erst 1794 hob der Einzug der französischen Truppen alle religiösen Gebräuche und damit auch die Springprocession auf.

Napoleon der Erste erlaubte dieselbe im Jahre 1801 nach der Publication des Concordates zum ersten Male wieder, und sie wurde mit großer Feierlichkeit abgehalten. Maire und Gensdarmen schritten voran und die Ceremonienmeister stießen mit Stöcken die Hüte der Zuschauer herab, die nicht schnell genug ihr Haupt vor den springenden Heiligen entblößten. Echternach, ja das ganze Luxemburger Land jubelte über die erneute Feier. Nun die Menschen abermals zur Ehre Gottes sprangen, konnten Schafe und Rinder ruhen, denn diese hatten, nach Aussage „glaubhafter“ Zeugen, jeden dritten Pfingsttag in den Ställen umhergetobt, und die besten Kühe der entsetzten Hausfrau dunkles Blut statt der erwarteten Milch gespendet.

In dem Eifelstädtchen Prüm, in welchem einst eben solche Processionen am Himmelfahrtstage abgehalten wurden, sowie an den übrigen Orten, wo ähnliche Umzüge stattfanden, erstanden dieselben nicht wieder. Echternach allein hat den Ruhm, in seinen Mauern noch heute jene seltsam düstere Feier zu sehen, seltsam und düster wie die Zeit, in welcher die Procession der springenden Heiligen entstanden.

F. K.




Freund Mephisto als Hofmann.


Von Gustav von Meyern, der unseren Lesern durch seine lyrischen Beiträge und längst als glücklicher Dichter auf dramatischem Felde bekannt ist, erschien soeben eine freundlich ausgestattete Sammlung von Dichtungen (Leipzig, bei E. J. Günther), welcher er den Titel: „Altes und Neues“ gegeben hat. Zu dem „Neuen“ gehört ein längeres Gedicht, das er als „eine Erzählung in Versen“ bezeichnet. In demselben läßt der Dichter sich von einem gewiegten alten Höfling, der ihm, dem Badereisenden, nachweist, daß er sich in der Hofluft Magen und Nerven verdorben, eine Reihe von Recepten gegen dieses Uebel mittheilen, von welchen einige, zugleich als Probe und Empfehlung der trefflichen Sammlung, hier folgen:


 Hofrecepte.

Erstlich rath’ ich: Lohe bade,
Laß dich tüchtig darin gerben,
Mußt, damit dir Zug nicht schade,
Eine „dicke Haut“ erwerben!



Bläs’t einmal aus vollen Backen
Wind und Gegenwind zu leidig,
Halte Rücken dann und Nacken
Dir fein biegsam und geschmeidig!



Was du auch zu tragen habest,
Mußt du auf „zwei Achseln“ tragen,
Was du auch zu sagen habest,
Mußt du mit „zwei Lippen“ sagen!



Als ein hofgewandter Mann
Schmieg’ dich in die Charaktere,
Schmeichle Jeden heimlich an,
Daß er dein Charakter wäre.

Suche immer liederlichst
Liederlichen zu erwidern,
Doch wenn du mit Biedern sprichst,
Such’ auch diese „anzubiedern“!



Zög’re stets, dich auszusprechen,
Wenn Parteien gegenwärtig,
Denn mit einer mußt du brechen,
Bist du mit dem Urtheil fertig!

Hänge deinem Herrn am Schooße,
Was auch seine Schwächen seien –
„Unverantwortliche“ Große
Stehen „über den Parteien“.



Wärst du selbst zum Günstling worden,
Aber mißbeliebt von Haus,
Bitte dann dir Amt und Orden
Für im Volk Beliebte aus.



Lasse sichtbar Gnaden regnen,
Auf ihr still verwundert Haupt,
Und die Einfalt wird dich segnen,
Weil sie noch an Wunder glaubt.



Auch sei Eines dir gerathen
Als beachtenswerthe Norm:
Zeige vom Aristokraten
Nur die abgeschliff’ne Form;

Wie das Merkmal einer Innung
Braucht bei Hof sie Jedermann,
Doch der Adel der Gesinnung
Gleicht der Wahrheit – stößt oft an!



Und nun schließlich noch das Schwerste:
Ziemt dir alles Wissens Preis,
Sei dein Herr doch stets der Erste,
Der es noch viel besser weiß!



[196]
Vom Pfluge in die Akademie.


In einem Sonntage des Monats Juli 1870, wenige Tage früher, ehe der Aufruhr des Krieges gegen Frankreich durch die Gauen des Rheines und das ganze deutsche Vaterland brauste, versammelte sich in Düsseldorf zu einer Leichenfeier eine Menschenmenge, wie man sie in dieser Kunst- und Musenstadt bei gleicher Veranlassung nie zuvor gesehen hatte. Männer, Frauen und Kinder aus allen Ständen, die ganze Künstlerschaft, um ihr Vereinsbanner geschaart, hatten sich vereinigt, um einem theuren Abgeschiedenen das Ehrengeleit auf seinem letzten Wege zu geben. Den man so gefeiert dahintrug, war der geniale Historienmaler Theodor Mintrop, ein Mann und Künstler in des Wortes vollster Bedeutung, der es, wenn ihm auch Fürsten und Könige die äußeren Zeichen der Anerkennung versagt hatten, doch erreicht hatte, daß man seinem blumen- und blüthengeschmückten Sarge die Palme der Lilie, die Sinnbilder des Ruhmes und der Reinheit, beide mit gleichem Rechte vorantragen durfte.

Wie so Vielen, die nach der Hand im Reiche der Kunst oder der Poesie die vollsten und reichsten Kränze des Ruhmes erringen sollten, stand auch die Wiege Mintrop’s an bescheidener, fast niedriger Stätte. Auf einem einsam gelegenen Bauernhofe in der preußischen Provinz Westphalen war der nachmals so gefeierte Künstler im Jahre des ersten Pariser Friedens geboren. Dieser Hof liegt an der linken Uferseite der Ruhr, in der Nähe der alten Abteistadt Werden, inmitten von Feld und Wald, mit einer unendlichen Fernsicht in den reichsten Garten der Natur. Dort sieht man die Schiffe zum alten Vater Rhein ziehen, da rauschen die Mühlen in den stillen Schluchten der schroffen Berge, in den Schooß der Erde steigt der Bergmann, um das schwarze Gold der Steinkohlen dem mächtigen Schacht zu entheben, und auf diesem Fleckchen Erde vermischten sich Märchen und Sagen, bald schauerlicher, bald lieblicher Art, mit den Träumen des sanften Knaben. Der Vater Mintrop’s war ein strenger Charakter, seine Mutter eine einfache Frau, voll tiefen Gefühls, – fünfzehn schöne Menschenblumen erblühten an ihrer Brust, von denen der Tod jedoch die meisten frühzeitig wieder knickte. Theodor war der drittgeborene Sohn, und wohl schon bei der Geburt wurde er von den Genien der Kunst zu dem geweiht, wodurch er sich auszeichnen sollte. Schon in der Schule trat sein ungemeines Zeichentalent hervor und der Lehrer, der dieses anfangs unterstützte, mußte das Streben des Knaben bald dämpfen, damit er nicht ganz in der einen Neigung aufging. Schon aber schien dieser fast ganz in der Gewalt der Kunst, denn aus den Zahlen und Buchstaben, die er schrieb, bildeten sich ihm Gestalten, die sich nicht bannen ließen, bis sie gezeichnet waren. Zu Hause machte er seine Versuche an Wänden und Thüren mit Kreide, Röthel oder Kohle, doch alle seine Zeichnungen waren weit über den Begriff der Kindheit hinaus. In großen Zügen stellte er plastische Gruppen aus dem Landleben dar, für das er ja selbst bestimmt war, z. B. das Aufladen von Holz oder Frucht, das Fällen von Bäumen, Tragen von Lasten und dergleichen.

Zeitig der Schule entlassen, mußte er alsbald kräftig Hand anlegen, um die Arbeiten des Bauernstandes zu erlernen. So sehen wir ihn an der Pflugschar, die Sense, den Dreschflegel mit kräftigen Armen führen, wobei ihn aber immer die Musen unsichtbar umschweben und sein Inneres mit dem Thau des Ewigen nähren, denn in den Augenblicken der Ruhe ist ihm nichts heiliger als ein Verkehr mit den Gestalten seiner Phantasie.

[197]

Das Grabmal Theodor Mintrop’s auf dem Friedhofe zu Düsseldorf.
Nach der Natur aufgenommen.

[198] Im Jahre 1834 folgte er der allgemeinen Conscription und wurde hierdurch in ein westphälisches Infanterie-Regiment eingereiht, das in Köln und Münster Garnison hatte. Dieses Ablösen von seiner heimischen Scholle war für den schüchternen Landmann von unberechenbarem Vortheil, denn es erschloß sich ihm die Welt; er lernte die Menschen, lernte unsere großen Dichter kennen, und zum ersten Male schaute er voll Entzücken in das Allerheiligste der Kunst, wodurch nun seine Seele erst recht befruchtet werden sollte.

Mit mächtigen Eindrücken, ein ganz neuer Mensch, kehrte er nach seiner Dienstzeit auf den stillen Hof, in die liebe Heimath zurück. Sein Vater hatte inzwischen das Gut mit allen Sorgen und Arbeiten dem ältesten Sohne übertragen, und unserm jungen Freunde blieb nur die Wahl, entweder bei seinem Bruder in Dienst zu treten, oder sich sonst wo in Dienst zu verdingen. In seiner Heimath gilt nämlich noch das Recht der Erstgeburt, das dem ältesten männlichen Sprossen des Stammes den Besitz der sämmtlichen Liegenschaften nach dem Abgange des Vaters zuerkennt, während die anderen Kinder ihren Lebensweg nach Gefallen suchen, nicht selten gehemmt von der Fessel, die durch das alte Erbgesetz an Geist und Körper haftet.

Mintrop blieb als Knecht bei seinem Bruder, denn er liebte den Boden, auf dem er geboren, zu sehr, und wollte das Glück einer Heimath gern mit dem rinnenden Schweiße des Angesichts verdienen. Und redlich schaffte er in dem Tagewerke, das ihm in immer schwerer Weise jeder neue Morgen brachte. Aber dazwischen gab es freie Sonntage, stille Abende, und da trat die Muse leichtgeschürzt in sein Kämmerlein und schaute ihn mit großen Augen freundlich an. Bald hieß er im Umkreise seiner Heimath nur „der Maler“, denn staunenerregend war hier und da, ohne daß es sein Wille gewesen, ein Bild von ihm in Kreide oder Wasserfarben zur Kenntniß des Landvolks gelangt und manche schmucke Maid sah ihn noch freundlicher an, als seine Muse.

Am glücklichsten waren aber durch ihn die Mitbewohner des Hofes, wenn er ihnen an den langen Winterabenden Gedichte von Goethe und Schiller vortrug, oder aus des großen Briten Werken: Hamlet, Macbeth und König Lear Vorlesungen hielt. Da stockte den Mädchen am Spinnrad der Athem, den Männern ging der Brand der Pfeife aus, denn bei seinem Leben nahmen die Gestalten des Dichters Fleisch und Bein an, die Jeder deutlich zu sehen vermeinte.

So gingen Jahre vorüber. Was die Sehnsucht nach dem vollen ganzen Künstlerleben im Stillen an dem geweihten Menschenkinde verzehrte, das ersetzte freilich die kräftigende ländliche Beschäftigung und die heilsam wirkende Natur. Aber doch war er auf dem Wege mit sich selbst zu zerfallen, denn er war schon ein „alter Knecht“ geworden, Vater und Mutter waren heimgegangen zu ihren Vätern, die Hoffnung, ein Künstler zu werden, war längst in einem Aschenhäuschen zusammengebrannt und das Gefühl der Besitzlosigkeit und Abhängigkeit hing trauerschwer und düster vor der Zukunft. Doch gerade in diese seine trübe Stimmung fiel für ihn das Sonnenlächeln des Glücks und die endliche Erlösung.

Es war im October des Jahres 1844. Der Himmel goß seinen ganzen Glanz auf das Sterbekleid der Natur. Die Wandervögel zogen von dannen und unser Freund war mit seinen blanken Pferden und der Pflugschar auf dem Acker, um diesen umzustürzen. Seine Seele war von Wehmuth voll, er sah den abziehenden Wanderschwärmen im blauen Aether seufzend nach und gewahrte nicht, was sonst um ihn sich bewegte. Da trat ein Fremder zu ihm heran, mit dem er bald im tiefen Gespräch war. Dieser, sein nachmaliger unzertrennlicher Gefährte und Freund, der Genremaler Eduard Geselschap, hatte bei einem Ausfluge nach der Ruhr von dem seltenen Genie gehört und wollte sich überzeugen, wie weit der Volksmund die Wunder übertrieb, die man an Mintrop gepriesen hatte. Wie staunte er aber, als er nun die ohne jegliche Hülfe, aus dem freien Zuge des Geistes entstandenen, in der That großartigen Blätter des schlichten Landmanns sah! Es war genug für den Kenner, um den durch sein Lob beglückten, bescheidenen Autor dringend aufzufordern, den Pflug zu verlassen und für immer ein Jünger der Kunst zu werden. Bei Mintrop war kein Kampf mehr nöthig, er war sogleich entschlossen.

Geselschap eilte mit dem Schatze von Zeichnungen nach Düsseldorf, gewann für sie sogleich den Director der Akademie, Wilhelm v. Schadow, und einige Wochen später zog der glückliche Bauer als Schüler in die Räume der Malerschule, auf den Kampfplatz des geistigen Lebens, wo er so Viele besiegt. – Die schon verlebten dreißig Jahre fühlte er nicht; es genirte ihn auch nicht im mindesten, daß er als Mann zwischen Schülern saß, die eben dem Knabenalter entwachsen waren. Sein angestrengter Fleiß ließ jene auch bald weit hinter sich zurück, denn schon nach ein paar Jahren bezog er sein eigenes Atelier, und nun hätte er wohl mit keinem König getauscht.

Sein erstes Bild war eine Madonna mit Christus und Johannes, jetzt Eigenthum der städtischen Galerie in Düsseldorf. Das zweite Werk, „Engelständchen“, eine Kreidezeichnung, wurde durch Kupferstich vervielfältigt und ist genugsam bekannt durch die hohe Reinheit und Poesie seines Gedankens. Dann folgte wiederum eine Madonna, bestimmt als Altarbild für die Pfarrkirche seiner Heimath. Die Aufstellung dieses Bildes gestaltete sich zu einem wahren Feste für die ganze Umgegend seiner Geburtsstätte, für den tieffühlenden Künstler zu einer herzverzehrenden Trauer, daß seine Eltern diesen seinen Sieg nicht erlebt hatten.

Von zwei Madonnen und der Engelschaar also in die Kunst eingeführt, entstanden hierauf in reicher Folge die lieblichsten und großartigsten Compositionen, die den Namen Mintrop für alle Zeiten verklären und deren Zahl zu groß ist, als daß wir hier auch nur Einzelnes hervorheben könnten.

Erwähnen wollen wir an dieser Stelle nur ein noch ungedrucktes Märchen „König Heinzelmann“ in einigen sechszig Blättern, worin der Künstler sich selbst und einen Abschnitt seines Lebens darstellte, und welche einzig in ihrer Art durchdacht sind. Dieses Märchen ist im Besitze des Xylographen R. Brendamour und wartet noch auf den verständnißvollen Verleger, dem das Licht der wahren Kunst aufgegangen ist. Den Anfang dieses Märchens bildet das auch die Spitze der vorstehenden Zeilen schmückende Initial von der Hand Mintrop’s. Bis auf den kleinsten Strich des Künstlers wiedergegeben, trägt es, wie alle seine Schöpfungen, den Stempel höchster Genialität. – Die Darstellung erklärt sich, wie es ja jedes wahre Kunstwerk thun soll, von selbst. Sie ist eine Hindeutung auf den Kampf zwischen Romantik oder Poesie und Industrie, den der Inhalt des besagten Werkes in Bild und Wort schildert. – Wir sehen hier die Industrie, die herrschende Göttin der Gegenwart, triumphirend durch das Land ziehen. Ihr Thron ist der rollende Schienenwagen. Der alte Gott Mercur hat sich ihr untergeordnet, er schwebt dienstbar mit und über der siegreichen Fürstin. Ihr Haupt trägt seinen beflügelten Hut, die linke Hand seinen Stab; in der rechten schwingt sie den Beutel mit Gold. – Rasend stürmt das feuerfüßige Ungethüm vor dem langnachziehenden Wagenzuge daher, dunklen Qualm und siedende Wasserströme zugleich dem Rachen entsendend. – Aber bei dem Stöhnen des Dampfdrachen, dem Rollen der Wagen und dem jubilirenden Hochrufe der Industrie sinken die Elfen, die im Mondschein ihren Reigen tanzten, eilig in die stillen Fluthen des Weihers, Erlkönig schleicht mit dem todten Körperchen des Knaben ängstlich davon, die guten Zwerge schlüpfen erschreckt in ihre Verstecke, und nun für immer sind wohl die stillen Gründe der Wälder und Felder leer von den Gestalten der verscheuchten deutschen Poesie.

Unerschöpflich war Mintrop’s Phantasie, unergründlich sein Wesen im Guten und Erhabenen, im stillen Wohlthun und zarten Freudespenden; unerschöpflich schien auch seine physische Kraft. Dem war aber leider nicht so! Tückisch überfiel ihn gerade in der Zeit, als er im besten Schaffen war und seine Zukunft sich lichtete und sorgenfreier zeigte, ein Feind, dessen Kraft keines Sterblichen Macht gewachsen ist und welchem er für immer unterlag, nachdem er sechsundzwanzig Jahre im Allerheiligsten der Kunst, ein treuer und reiner Jünger, geschafft hatte.

Der große Krieg gegen Frankreich verschlang mit so viel anderem Weh auch den Schmerz um den Verlorenen; als aber jenes übermüthige Volk geschlagen war, da suchte man seine lieben Erinnerungen wieder vor, und Männer wie Bendemann, Knaus und Scheuren traten mit Anderen zu einem Comité zusammen, um dem Geschiedenen ein Denkmal zu errichten, das den zukünftigen Geschlechtern von seinem Grabe aus von dem [199] genialen Künstler und edlen Menschen Kunde bringen sollte. Die Beiträge wurden bei Freunden und Verehrern gesammelt und die Angelegenheit so eifrig betrieben, daß nach wenig Monden das gesteckte Ziel in seinem ganzen Umfange erreicht war. Denn schon im Spätherbst vorigen Jahres wurde das Ehrendenkmal, bestehend aus der Bronzebüste des Verewigten, nach einem getreuen Modell des Bildhauers Julius Bayerle, einem dunkeln, feingezeichneten Granit-Piedestal und einem Geländer von getriebenem Eisen, ganz wie die beigegebene Zeichnung dasselbe zeigt, unter einer poetischen Festfeier enthüllt.

Man hatte zu dieser Feier einen Sonntag gewählt, um auch dem Volke, dessen eigenstes Kind Mintrop ja gewesen, sein Bild im Glanze zu zeigen, und es war nicht müßige Neugier, was die Stadt fast entvölkerte und so viele Tausende zu einer Wallfahrt nach dem Friedhofe veranlaßte.

Die Feier war eine für Viele vielleicht zu kurze, aber von einer ergreifenden Wirkung, und manches schöne Frauenauge konnte der Erinnerung an den edlen Todten den Tribut der Thräne nicht versagen.

Zum Festredner war Emil Rittershaus aus Barmen ersehen, der, ein persönlicher Freund des Verstorbenen, die Bedeutung und das Andenken desselben, nachdem die Hülle des Denksteins gefallen war, in folgenden vortrefflichen Versen pries:

Noch hatte nicht der Sommer welk und bleich
Geküßt der Rosen frühlingsfrischen Mund,
Da ward gebettet in der Erde Grund
Ein Künstlerhaupt gefällt vom Todesstreich
Nach mancher schweren, trüben Leidensstund’.
Nicht fehlten Blumenkranz und Lorbeersprossen,
Der Freunde Thränen nicht dem Heiligthume
Des Sargs, doch unter donnernden Geschossen
Verklang das Todtenlied, und blutbegossen
Stieg himmelan der deutschen Ehre Blume. –

Noch einmal tönt der Grabgesänge Schall;
Die Schaar der Freunde steht herum im Ring,
Daß sie ein Dankeszeichen Jenem bring’,
Der mit dem letzten Lied der Nachtigall,
Dem letzten Lenzeslächeln schlafen ging.
Die alten Wunden schmerzen nun auf’s Neue.
Wer wäre hier, der nicht den Gram empfände! –
O, seht sein Bild! Das ist die Stirn, die freie,
Die stolze Stirn, darauf zu hoher Weihe
Der Genius gelegt die Segenshände!

Der Schönheit folgt ein großer Jüngerzug;
Klein ist die Schaar, die ihre Gunst gewinnt,
Wie man auch schlau um sie zu werben sinnt!
Sie suchte ihn, als er noch mit dem Pflug
Die Scholle brach, des Volkes schlichtes Kind.
Er blieb ihr treu in keuschem, reinem Minnen,
Und heilig hielt er ihre Gottesgaben.
Sein Geist, er rang das Höchste zu gewinnen;
Sein Herz war golden, ohne Falsch sein Sinnen! –
O Gott – und das ist Alles hier begraben!

Nein, Alles nicht! Wohl brennt des Kummers Qual,
Doch fort die Zähre aus dem Angesicht!
Die Klage ziemt bei jenen Todten nicht,
Auf die der Ruhmessonne voller Strahl
Verklärend wirft das helle, ew’ge Licht!
Staub wird der Leib und selbst das Erz, es läßt es
Die Zeit nicht spurlos beim Vorüberschreiten;
Das Moos, die Fasern in die Inschrift preßt es,
Allein des Künstlers Edelstes und Bestes,
Das tragen Engel bis in ferne Zeiten!

Getrost! Was er gedichtet mit dem Stift,
Ureigen war’s, nicht von dem Fleiß errafft
Aus fremdem Schatz! Das ist die Meisterschaft,
Der Zauber, der die Seelen zündend trifft
Und in sich trägt des ew’gen Gebens Kraft! –
Dem Himmel Dank, daß diesem Künstlerkreise
Daß deutscher Kunst ein solcher Mann beschieden! –
Ihm zum Gedächtniß, Gott Zu Ehr’ und Preise
Stimmt an, ihr Chöre, nun des Sanges Weisen! –
Schlaf’, theurer Freund, in Deiner Gruft in Frieden.

L. B.




Blätter und Blüthen.


Plaudereien im Musikzimmer. II. Man hatte also schon zu Luther’s Zeit Claviere und spielte darauf so wie heute?

Wenn sie auch nicht ganz so aussahen wie die heutigen und selbst die Art des Spielens darauf sich von der unsrigen wesentlich unterschied, so nahm doch schon damals das Clavier denselben Hauspostendienst ein, wie heute. Die Flinten und die Claviere, beide haben von jeher eine große Rolle in der Welt gespielt, und beide haben heutzutage eine Vollendung erreicht, daß man glaubt: nun kann es etwas Besseres nicht mehr geben! und doch kommt immer wieder noch ein pfiffigerer Kopf, der eine Verbesserung anbringt. Ihr werdet Euch wundern, wie ich auf die Zusammenstellung von Flinte und Clavier komme; doch ihre primäre, oft recht wunderliche Gestalt, die Verbesserungswuth bis zum heutigen Tage, die bis zur Wunderlichkeit gesteigerte Liebhaberei daran und ganz vorzüglich ihre Eigenthümlichkeit, den Nachbar in seiner Ruhe zu stören, lassen sie ohne Frage als nahe Verwandte zweier Linien erkennen. Auch werden wahrscheinlich mehr Menschen die innere Einrichtung eines Gewehres und die Verbesserung von der frühesten Zeit bis beute kennen, als die des Claviers, und so bietet sich auch darin vortrefflich Gelegenheit, das Unbekannte an das Bekannte anzuknüpfen. Wer hat nicht in Rüstkammern die alten plumpen, mit Zierrath überladenen und auf Gestellen ruhenden Gewehre gesehen und in Büchern gelesen über die Umständlichkeit des Ladens, und schließlich, wenn die Noth am größten, versagten sie den Dienst! Wer kennt nicht die heutigen glatten, schlanken und leichten Dinger, welche in der Minute so und so viel Schüsse liefern! Da haben wir die Geschichte des Claviers. Immer langsam, hieß es damals, und jetzt? Je schneller, desto besser.

Auch damals hatte man schweres und leichtes Caliber. Die ersteren waren die sogenannten Flügel, wegen ihrer Flügelform so genannt, und die letzteren die Claviere, welche einen mehr viereckigen Kasten hatten, und bis zu einer Kleinheit herabstiegen, daß man sie bequem unter den Arm nehmen konnte. Pianoforte wurden sie erst im achtzehnten Jahrhundert genannt, als man die Hammermechanik erfand und nun nach Belieben schwach (piano) und stark (forte) darauf spielen konnte. Unsere Altväter mußten in ihren Ansprüchen bescheidener sein und waren froh, wenn ihr Clavier den schwachen näselnden summenden Ton hatte. Die Herstellung war aber auch weit einfacher. An der verlängerten Taste war am Ende ein Stäbchen aufrecht eingeleimt, an dessen oberem Ende ein Messingblättchen eingezwängt wurde, und dieses Messingblättchen stieß beim Drucke auf die Taste an die betreffende Stahlsaite und brachte dadurch jenen wunderlichen „süßen Ton“, wie die Alten sagten, hervor. Die Flügel, mit dem langen, schmalen Körper, waren etwas anders eingerichtet, hier waren es nicht Stahlsaiten, sondern Darmsaiten und nicht ein Messingblättchen, sondern der gut geölte Kiel einer Rabenfeder brachte durch einen sanften Druck auf die Taste den Ton hervor. Doch der immerhin große Kasten des Flügels ließ dem Erfindungsgeiste des Menschen keine Ruhe und er begnügte sich nicht mit einer Saite für jeden Ton, sondern zog zwei, drei, ja sogar vier Saiten eng nebeneinander; er brachte ferner Vorrichtungen an, daß man nach Belieben auf so viel Saiten spielen konnte, wie man wollte; er stimmte eine der Saiten eine Octave höher oder tiefer, setzte zwei Claviaturen übereinander und auch zwei entsprechende Saitenlagen, ja sogar ein Flötenwerk, Trommel, Becken, Triangel und andere Spielereien wurden in dem Kasten angebracht und zur Freude der großen und kleinen Kinder lustig darauf herumgetrommelt. So sind die Menschen: wenn sie sich nicht am Erhabenen erbauen können, so ergötzen sie sich an Spielereien.

Die Kunst selbst und ihre Vertreter nahmen keinen Theil an diesen Instrumenten, d. h. es gab keine Literatur, weder für das Clavier, noch überhaupt für Instrumente. Instrumentalcomponisten erstanden erst, als die Instrumente eine Verbesserung erreicht hatten, in der sie sich würdig zeigten, Diener der Kunst zu werden. Die Claviere dienten in alter Zeit nur zur Unterstützung beim Gesange und die vorhandene Literatur besteht aus arrangirten Gesängen und Tänzen, wofür die Herren Verleger schon ihre Arbeiter zu finden wußten, die – gerade so wie heute – die Arbeit schockweise lieferten.

Erst dem in allen Dingen so revolutionären achtzehnten Jahrhundert war es vergönnt, auch die weittragende Erfindung der Hammermechanik an den Clavieren zu machen.

Drei Nationen streiten sich um die Ehre der Erfindung: Italien, Frankreich und Deutschland; doch Deutschland gebührt der Ruhm, die Erfindung praktisch zum Austrage gebracht zu haben. Wie so oft in der Geschichte der Erfindungen, haben die Erfinder selbst nur die Idee erzeugt, während die Ausführung, die praktische Verwerthung der Idee, von anderer Hand ausging. Christoph Gottlieb Schröter, um 1717 Organist in Nordhausen, Bartolo Christofali, um 1720 in Florenz lebend, und Marius[WS 1] , um 1716 in Paris, machen Anspruch auf die Erfindung der ersten Idee einer Hammermechanik, während Gottfried Silbermann, Instrumentenmacher in Freiberg (Sachsen), um 1721 ganz im Stillen die Idee praktisch ausführte und von Friedrich dem Großen, dem Preußenkönige, durch Geld und Anerkennung fleißig unterstützt wurde.

Wie unbeholfen die ersten Versuche ausgefallen sein müssen, läßt sich schon daraus entnehmen, daß die Hämmerchen, welche durch den Druck auf die Taste gegen die Saite geschnellt werden sollen, sich in kleinen Räderchen bewegten und die Hammerköpfe selbst mit Elensleder überzogen waren. Der Mensch sucht so oft die Lösung seiner Aufgabe durch die wunderlichsten Mittel zu erreichen, während das Richtige so nahe liegt. Jetzt bewegen sich die Hämmerchen in einer Gabel, damit die Reibung so gering wie möglich ist, und die Hammerköpfe sind mit Filz überzogen, um einen möglichst weichen und gleichmäßigen Ton zu erzielen.

Wie sehr die Erfindung des Pianoforte den Kunstinteressen entgegenkam und thatsächlich ein Bedürfniß der Zeit befriedigte, läßt sich aus der rapiden Verbreitung und unablässigen Verbesserung desselben am besten erkennen. Frankreich und England nahmen sich ganz besonders der Verbesserung des Pianoforte an, und was wir heute englische Mechanik nennen, [200] hat ihren Ursprung in den ersten Silbermann’schen Instrumenten. Die Deutschen verließen nämlich nach dem Tode desselben die von ihm angewandte Mechanik und erfanden die sogenannte deutsche Mechanik, während die Silbermann’sche durch einen Schüler Silbermann’s, Zumpe genannt, nach England gelangte und sich dort als englische Mechanik ausbildete. Dieselbe hat sich als so vorzüglich bewährt, daß jetzt alle Welt darnach arbeitet und sie auch die deutsche gänzlich verdrängt hat. Der Unterschied beruht hauptsächlich in der Art der Befestigung des Hammers: bei der deutschen Mechanik ruht er auf der verlängerten Taste selbst, bei der englischen dagegen hat er seinen Sitz auf einer besonderen Leiste.

Man ist jetzt eifrig bemüht, in Museen die alten vergessenen Kunstinstrumente aller Gattungen zu sammeln, um auch dem Zweige der geschichtlichen Forschung die Mittel an die Hand zu geben. Leider ist so barbarisch mit den Instrumenten umgegangen worden, daß wir über viele nur noch durch Beschreibungen und Abbildungen in Büchern Belehrung finden. Wer also im Besitze eines alten Instrumentes ist, der wird hiermit aufgefordert und gebeten, dasselbe nicht dem Verderben preiszugeben, sondern es irgend einem Museum anzubieten, wie deren in Dresden, Nürnberg, Salzburg, Wien und Berlin sich befinden. Kennen wir doch die Silbermann’schen ersten Pianoforte nur noch aus Beschreibungen, und wie interessant wäre es, die ganze Stufenleiter der Verbesserungen vor sich zu haben!

Rob. Eitner.




Ein Messerschlucker aus alter Zeit. Unsere Leser erinnern sich wohl noch der seltsamen Nachricht, welche jüngst von Florenz aus durch alle Zeitungen lief und nach welcher daselbst ein Mann eine Gabel verschluckt haben sollte. Die Nachricht wurde gewiß von den Meisten mir mit ungläubigem Lächeln aufgenommen. Daß ein solches Vorkommniß indessen durchaus nicht zu den Unmöglichkeiten gehört, mag der nachfolgende, nach dem Original wörtlich wiedergegebene Bericht eines Mitglieds des Doctorencollegiums von der. Universität Königsberg aus der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts beweisen. Derselbe lautet:

Historia deß Preußischen Messerschluckers. Darin erzehlet wird, wie er das Messer hinab geschluckt, dasselbe wiederum durch den einen Schnitt herauß gebracht, er glücklich geheylet, und nunmehr in den Ehestand getretten, und saßhaft zu Landsberg worden.

     Geschrieben durch Dr. Daniel Becker.

Im Jahr unsers Herren und Seeligmachers Jesu Christi, tausend sechshundert und fünff und dreyßig, den 29. Mai neuen Kalenders, hat sich ein Bauersgesell mit Nahmen Andreas Grünheide, von Grünenwald,

Natürliche Größe des verschluckten und wieder aus dem Magen geschnittenen Messers.

sieben Meilen von Königsberg gelegen, etwas übel im Magen des Morgens befunden, und deßwegen seiner Gewohnheit nach, sich zum Erbrechen bemühet, wie er nun sein gewöhnliches Messer ergriffen, hat er es bey der Spitze des Stils gefasset und den Schlund mit dem Schafft gekützelt. Es hat aber das Erbrechen nit bald darauff erfolgen wollen. Deßwegen er dasselbe etwas tieffer hinab gestoßen. Da es dann wider alles Verhoffen ihm auß den Fingern entwichen, und also den Schlund hinab gesunken: doch nicht alsobald in den Magen kommen, sondern fast in der Mitte des Schlundes sich etwas auffgehalten, und nicht wenig Bangigkeit und Schmertzen erreget. Ob nun schon der Mensch über dieses unverhoffte Unglück nicht wenig bestürtzet auch auff den Kopf sich gestellet, die Füsse in die Höhe kehrend, als solte das Messer sich widerumb zurücke begeben, so ist doch alles vergebens gewesen. Deßwegen eine Kanne mit Landbergs Bier ergriffen, außgetrunken, und die Kähle damit offtmahls gefeuchtet, dadurch dann das Messer nach dem Magen befördert und darein gesunken ist. Nicht wenig ist er darüber betrübet worden, sich besorgende, der ungebetene Gast würde ihm den Magen durchschneiden, und ihn also in Gefahr deß Lebens setze: doch hat er dabey sein häußlich thun ohne sonderliche Beschwerde seiner vorigen weise nach bestellen und verrichten können.

Wie nun solches in derselben Gegend lautbar worden, und es sonderlich dem Herrn Burgermeister zu Landsberg Martino Hartlein zu Ohren kommen, hat er denselben Menschen von stund an ersuchet, und alles mit Fleiß erlernet, wie es mit ihm zugegangen: Auch darauff nach Königsberg, welches sieben Meilen von Landsberg abgelegen, sich begeben, mich ersuchet, und die gantze Geschicht umständlich mir referiret, darbey gebetten, ob nicht etwan Rath vorhanden, damit dem betrübten Menschen möchte geholffen werden: Hierauff ich zur Antwort gegeben, daß es nicht eine geringe Sache wäre, und man dergleichen Exempel, ausserhalb der Pragischen Historia, die ich ihm erzehlet, keines wüste. Daselbst (in Prag nämlich) hatte auch einer unverhofft ein Messer hinabgeschluckt, und wäre es wiederumb durch einen Schnitt künstlich herauß genommen, und glücklich geheilet worden: Gab derowegen diesen Rath, daß man den Patienten anhero nach Königsberg abfertigte, damit das gantze Collegium Medicum darüber deliberire, und etwas gewisses schliesse; welches der Herr Burgermeister auch an sich genommen. Bald darauff nach wenig Tagen ward eben dasselbe von einer Adelichen Persohn anderen Medicis durch Schreiben zu wissen gethan. Endlich kommet der Patient selbsten anhero, spricht mir zu, als damahligen Facultatis Medicae Decano, gehet auch zu den andern Medicis, welche alles gründlich von ihm erforschet, und den rechten Zustand, wie oben erzehlet, von ihm vernommen.

Deßwegen ich auff Gutachten der Herren Medicorum folgendes einen Conventum angestellet, und darzu die Medicos Facultatis invitiret, und hat ein jeder, wie es gebräuchlich ist, seine Meynung, was er darvon hielt, und was darbey zu thun sey, frey herauß gesaget. Endlich aber ist es dahin beschlossen, daß das hinab geschluckte und in dem Magen sich aufhaltende Messer durch den Schnitt müste herauß genommen, darnach daß solches Werk noch vor den Hundstägen solte vorgenommen werden; Zum dritten, daß er etliche Balsamische Olitäten zuvor solte geniessen: Zum vierdten, weil ein Magnetisches Pflaster dem Pragischen Messerschlucker nicht wenig behülfflich gewesen, daß es bei diesem auch versucht würde, und endlich, daß bey der Heilung der Spanische Balsam (dessen der Fabritius ab Aquapend. 2 Oper. Chirurg. part. 2, cap. 7, pag. 805, rühmlich gedencket) gebrauchet werden solte. Den Chirurgum und alles nothwendig darzu zu bestellen, ward Herrn L. Crügero übergeben. – Wie nun der Leib mit einer gelinden Purgation gereiniget; die Balsamische Oel etliche Tage gebraucht worden, ist der 9. Tag Julii zu der Operation angesetzt, und dem Daniel Schwaben, einem Stein- und Wundartzt, nunmehr auch Seligen, das Werk anvertrauet worden.

Da man nun die innerliche und äußerliche Hertzstärkungen von Perlenwasser und dergleichen auch andere nothwendige Sachen bey der Hand hatte, hat man den Anfang vom Gebet gemacht, und Gott dem Allmächtigen, als himmlischen Arzt und obersten Directoren und glücklichen Success und kräfftiger Verrichtung angeruffen; darauff der Messerschlucker auff ein Brett gebunden, der Ort, da der Schnitt geschehen solte, mit einer Kohle bezeichnet worden und war derselbe nach der linken Seiten unter den kurtzen Rippen ohngefähr zwey Finger breit nach der Länge: Es ward aber erstlich die Haut, darnach das Fleisch und dann das Peritonaeum, darinnen die Därmer verfasset sind, geöffnet. Ob nun wohl, weil der Patient nüchtern war, der Magen nit bald zu fassen war, und etwas sich verlängert, war doch der Patient mit dem Perlenwasser erquicket, und Gott gab Gnade, daß wie der Magen mit einer krummen Nadel angezogen ward, der Chirurgus des Messers Spitze vermerckete; darauf alsbald an demselben Orte und auff der Spitze des Messers der Magen eröffnet, das Messer ergriffen und hinauß gezogen ward. Wunder war es aber, ja das allervornehmste bey dem gantzen Werck, daß wie das Messer außgezogen ward, hernach der Magen, oder die Wunde des Magens zuschnapet, und der Patient alsbald darauff mit freudigem Muth sagete: Das ist mein Messer. Bald ward nun der Patient auffgelöset, und ins Bette geleget, die Wunden gereiniget, und mit 5 Hefften oben vermacht, doch also, daß man von dem vorgedachten Wund-Balsam etwas Sommer-warm eingetröpffet, auch die Wicken oder Turundas in den Balsam eingetuncket, eingestecket, Carpetten oben, und endlich ein cataplasma von Bolo, Weiß von Ey, und wenig Allaun, die Hitz abzuwenden, zubereitet, folgends noch auffgelegt. Denselben Tag hat er sich mit geringen Krafftsuppen behelffen müssen.

Umb 5 Uhr Nachmittag nahm er dieses Pulvers etwas ein mit dem Perlenwasser, darunter etwas Canneelwasser vermischet war.

Recipe:  Muscatnüss 2 Loth.
  Krebsstein 3 Loth 1 Quintl.
  bereitete Perlen 1 Gran, mische es zusammen.
  S. Magen und Hertzpulver.“

Wir glauben hier unsere Mittheilung schließen zu können. Der Bericht giebt nur noch mehrere Recepte, welche für den Kranken verschrieben wurden und eine so wohlthätige Wirkung ausübten, daß er nach kurzer Zeit gesund und fröhlich aufstand, ja sich sogar verheirathete. Der Bericht, sowie das Messer, welches unser Holzschnitt in der Größe des Originals wiedergiebt, liegen auf der Bibliothek zu Königsberg.

P. Sl.




Ein neues Schmetterlingsbuch. Dem Liebhaber und Jäger jener buntschillernden Treulosen, welche von Blume zu Blume taumelnd den süßen Nektar nippen, standen bisher nur sehr dürftige Werke zu Gebote, wenn es galt, auch nur die Namen jener flüchtigen Segler der Lüfte zu bestimmen, die er eingefangen nicht der Spielerei wegen, sondern um sich zu unterrichten und seine Kenntnisse auch auf diesem Gebiete der Naturwissenschaft zu bereichern. Das wird ihm künftig leichter fallen, wenn erst das neue prachtvolle Unternehmen von Gustav Ramann in Arnstadt „Die Schmetterlinge Deutschlands und der angrenzenden Länder“ ganz in seinen Händen sein wird. Vor uns liegt das bereits ausgegebene erste Heft, enthaltend die Weißlinge, sowie ein Abzug des zweiten. Mit wahrhafter Freude bewundern wir die Vollkommenheit der technischen Ausführung in Bezug auf Zeichnung und Colorit, auf Pracht und Treue, mit welcher der Künstler die kleinen anmuthigen Gestalten in täuschend vollendeter Nachahmung zur Anschauung bringt. Auf alabasterweißem starken Velinpapier liegen dieselben so lebendig hingezaubert, als hätten sie vor Augenblicken noch auf sonniger Au’ an Dolden und Blüthen gehangen. In correcter Form bewegt sich der begleitende Text, welcher in gewandter, leichter und dennoch intensiv instructiver Darstellung die Beschreibungen und Erklärungen mit einer Frische giebt, die nur der Feder eines gewiegten Naturforschers eigen sein kann, dem die hausbackene, trockene Naturschreiberei im lebendigen Verkehr mit der Natur selber zuwider geworden ist. Möge daher dieses von Naturfreunden und hervorragenden Männern der Wissenschaft mit dem lebhaftesten Beifall begrüßte vorzügliche Werk, welches wir hiermit namentlich auch allen Lehranstalten auf das Wärmste empfehlen wollen, sich einer allseitigen herzlichen Aufnahme erfreuen.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Auch dieser Fuß thut dem liebenswürdigen Verfasser der obigen Skizze nicht mehr weh. Denn in dem Augenblicke, wo wir dieselbe zur Druckerei geben, lesen wir in Wiener Blättern die Trauerbotschaft von dem Tode des bejahrten Herrn. Mit Em. Straube, der zuletzt in Salzburg lebte, wurde wieder ein Stück Alt-Wien begraben. Wer in den Dreißiger und Vierziger Jahren in Wien lebte, wird sich ganz wohl erinnern, daß er in literarischen Kreisen und im gebildeten Publicum den Namen Emanuel Straube stets mit Achtung und Sympathie nennen hörte. Er gehörte damals zur poetischen Tafelrunde des silbernen Kaffeehauses, wo sich täglich die Ritter vom Geiste des damaligen Wien, die Dichter Lenau, Anastasius Grün, Bauernfeld, Weigl, Witthauer, Frankl etc. zusammenfanden und die Abendstunden im vertraulichen Verkehre zubrachten. Straube war zu jener Zeit sehr fruchtbar, und zahlreiche Romane und Novellen erschienen von ihm in Journalen und Almanachen und später gesammelt in einer Reihe von Bändchen. Von Bedeutung waren besonders seine kritische Thätigkeit und seine zahlreichen Recensionen über das Burgtheater und über andere künstlerische Productionen in der Wiener Zeitung, in Witthauer’s „Wiener Zeitschrift“ und anderen Journalen. Straube, der seiner Zeit Beamter der Central-Hofstelle war, ging vor vier Jahren als Archivdirector und Ministerial-Hülfsämterdirector in Pension und zog sich nach Salzburg zurück, wo er seither lebte. Sein letzter Brief an uns datirte von Schloß Mirabell in Salzburg.
    Die Redaction.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Mharius